Es war einmal ... in einer phantastischen Zeit im alten China 141 v. Chr. im China der Han-Dynastie: Die elfjährige Ping, die als Sklavin beim Kaiserlichen Drachenhüter lebt, wagt gemeinsam mit dem Drachen Long Danzi die Flucht aus dem Schloss. Ziel der beiden ist das Meer, an das Long Danzi einen wertvollen und geheimnisvollen Drachenstein bringen will. Die weite Reise bringt die beiden mehr als einmal in Lebensgefahr, doch Ping wächst in ihre Rolle als Drachenhüterin hinein. Als das Geheimnis des Drachensteins gelüftet wird, benötigt Ping ihre neuen Kenntnisse mehr denn je.
Ein Abenteuer im alten China
Seine Schultern waren etwa so hoch wie die eines jungen Rindes; wenn er den Kopf reckte, war er auf Augenhöhe mit dem Mädchen. Seine Schuppen schimmerten in der Sonne blaugrün, so wie das Wasser einer tiefen Quelle.”
Als das elfjährige Mädchen Ping den Drachen Long Danzi zum ersten Mal bei Tageslicht betrachten kann, sind sich die beiden längst nicht mehr fremd. Als Sklavin in einem vergessenen Palast der Han-Dynastie am Fuße des Huangling-Berges muss sie die Tiere versorgen. Aber nicht nur Schweine und Hühner muss Ping füttern, sondern auch den letzten kaiserlichen Drachen, der in einer finsteren Steingrube ein einsames Dasein fristet. Als Ping den Drachen heimlich auf einen Spaziergang mitnimmt, gelingt ihnen die Flucht vor dem grausamen Herrn Lan und dem blutrünstigen Drachenjäger Diao.
So rasant, wie die Reise des elfjährigen Mädchens auf dem Rücken des Drachen durch die Lüfte beginnt, so atemberaubend schnell taucht der Leser von der ersten Zeile an in die Welt des antiken China ein, in die Mystik der alten Hochkultur. Der Roman Hüterin des Drachen der englischen Schriftstellerin Carole Wilkinson ist mehrfach ausgezeichnet worden. Wilkinson hat eine Sprache voller geheimnisvoller Poesie und gleichzeitig bilderreicher Beschreibung der Natur und Kultur, die das Mädchen auf ihrer Reise an der Seite des Drachen kennen lernt.
Ping muss, als sie so plötzlich ihre alte Heimat verlassen hat, eine ganze Menge lernen. Zwar besitzt sie die seltene Fähigkeit, die Stimme des Drachen im Kopf zu hören, doch oft weiß sie mit den rätselhaften Sinnsprüchen Long Danzis nichts anzufangen. „Der Schößling ist klein und doch unbesiegbar”, flüstert der Drache in ihrem Innern, als sie ihm auf einer halsbrecherischen Bootsfahrt auf dem Gelben Fluss das Leben rettet. Vor allem muss Ping aber auf den Drachenstein aufpassen. Viele zwielichtige Gestalten sind hinter dem seltsam-schönen Stein her, den der Drache ihr anvertraut hat. Und obwohl sie nicht weiß, warum dieser so wertvoll ist, stellt sie sich zusammen mit dem Drachen unheimlichen Gefahren. Sie geraten an böse Zauberer und Nekromanten, müssen dunklen Mächten entkommen und schauerliche Riten ansehen. Aber auch die Wucht politischer Macht bekommt Ping zu spüren, denn selbst dem Kaiser von China begegnen sie auf ihrer langen Reise ans Meer. Der Leser kann gründlich nachempfinden, was in der kleinen, aber doch so mutigen und schlauen Ping vorgeht, die lange Zeit nicht einmal ihren Namen wusste und auf ihrer abenteuerlichen Reise als Drachenhüterin an Selbstbewusstsein gewinnt. Es ist eine Geschichte vom Wachsen an Herausforderungen, aber auch eine Geschichte von der schweren Last der Verantwortung. Ein phantastisches, spannendes Abenteuer vor dem Hintergrund chinesischer Philosophie und Mythologie. Und der mutige Drache wird dem Leser so vertraut, dass man sich beim nächsten Waldspaziergang nicht wundern würde, sähe man ihn zwischen den Bäumen auftauchen. KATHARINA WULFFIUS
CAROLE WILKINSON: Hüterin des Drachen. Aus dem Englischen von Peter Knecht. Dressler 2005, 320 Seiten, 13,90 Euro.
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