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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2008

Tausend Vignetten für den Pazifismus

Ein amerikanisches "Echolot"? Nicholson Bakers neues Buch "Human Smoke" sorgt für erregte Debatten über Amerikas Rolle im Zweiten Weltkrieg.

NEW YORK, 27. März

Das Echo der Gegenwart lässt sich nicht ausknipsen, auch wenn einer sich anschickt, mit einem Echolot nur die Geschichte zu vermessen. Es könnte die gesamte Expedition und zumal ihre empfindlicheren Ergebnisse sogar schrill übertönen. Der amerikanische Romanautor Nicholson Baker hat das sicher gewusst, als er "Human Smoke" vorlegte, seine heftig umstrittene Materialsammlung zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Denn im Gegensatz zu Walter Kempowski, der sein Echolot ungestört die Arbeit verrichten ließ, schaltet sich Baker ein, diskret, aber unüberhörbar. "Hitlers manischer Hass war voll im Fluss", beginnt ein Eintrag, während es andernorts neutraler und darum noch typischer heißt: "In Berlin verschlimmerte sich plötzlich die Lage. Es war Oktober 1941." Knapp und meist gezielt distanziert, rahmt Baker die rund tausend Vignetten, die er aus Zeitungen, Büchern, offiziellen Verlautbarungen, Briefen und Tagebüchern, unter anderen jenen von Victor Klemperer und dem rumänischen Schriftsteller Mihail Sebastian, gefiltert hat. In der Debatte, die sich darüber in Amerika in diesen Wochen immer unerfreulicher entwickelt, geht es um die Filtermethoden.

"Human Smoke" setzt im Jahr 1892 ein, mit neun Zeilen, in denen der Sprengstofffabrikant Alfred Nobel der Hoffnung Ausdruck verleiht, seine Fabriken könnten schneller als Parlamente zum Ende aller Kriege führen. Sieben Vignetten weiter ist der Erste Weltkrieg bereits vorüber, und mit Sebastians Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1941, also kurz nach Kriegseintritt der Amerikaner, endet das Buch bedeutungsvoll: "Es ist immer noch Zeit; uns bleibt immer noch etwas Zeit."

Dazwischen webt Baker chronologisch ein Netz, in dessen Zitatengewebe wir als Hauptfiguren Churchill und Franklin D. Roosevelt auf der einen Seite, Hitler, Mussolini und Konsorten auf der anderen und mittendrin Pazifisten wie Gandhi und Clarence Pickett, eine Lichtgestalt der Quäker, antreffen. Mit einigem Recht kann Baker nun behaupten, er stelle Lesestoff zur Debatte, gebe aber keine Lesart vor. Selbst seine schärfsten Kritiker, wollen sie redlich bleiben, müssen sich damit begnügen, über seine "Andeutungen" und "Suggestionen" herzuziehen. Sie werden vergeblich nach klar ausbuchstabierten oder gar polemisch zugespitzten Positionen suchen. Gleichwohl kann es keinen Zweifel geben, dass bei Baker eine Grundströmung vorherrscht. Und die ist von eindeutig pazifistischer Natur.

Statt aus seinen Fundsachen Lehren zu ziehen, hat er sie zur Collage so zusammengesetzt, dass daraus eine ihm genehme Lehre zu ziehen ist. Die muss nicht falsch sein. Aber selbst in ein und derselben Zeitung mag sie Anlass zu Streit geben. Mithin bescheinigt in der "New York Times Book Review" als Gastrezensent der irische Romancier Colm Tóibín dem Kollegen, er habe einen ernst- und gewissenhaften Beitrag zur Debatte über den Pazifismus geliefert: "Er greift beredt und leidenschaftlich die Vorstellung an, ein vorsätzlicher Angriff auf Zivilisten sei je zu rechtfertigen." Im Hauptteil des Blattes nennt William Grimes das Buch "verworren und oft ärgerlich", weil es nur eine einzige Note kenne und diese ständig anschlage: "Krieg ist schlecht. Churchill war schlecht. Roosevelt war schlecht." Es stimme einfach nicht, wenn Baker über die amerikanischen und britischen Pazifisten, denen er "Human Smoke" gewidmet hat, im Nachwort schreibe: "Sie haben versucht, jüdische Flüchtlinge zu retten, Europa zu ernähren, die Vereinigten Staaten mit Japan zu versöhnen und den Ausbruch des Kriegs zu vermeiden. Sie waren erfolglos, aber sie hatten recht."

Der beträchtliche Grad der Empörung ist aber gewiss nicht nur mit Bakers collagierter Apologie des Pazifismus zu erklären, die wenig neue Argumente bringt. Was die Kritiker ans allerschwerste Geschütz treibt, ist das, was sie dem Buch als "moralische Gleichstellung" von Hitler, Roosevelt und Churchill vorwerfen.

Auch wenn Baker dem inzwischen mehrfach widersprochen hat und dafür jeder eindeutige Beweis fehlt, ist es doch unübersehbar, dass Roosevelt und Churchill nicht länger ihre Heldenrolle spielen dürfen. Zitate und Belege zu Churchills Bombardierung deutscher Städte, zu Roosevelts Versagen angesichts der Verfolgung der Juden und zu seiner herausfordernden Haltung gegenüber Japan sind Sprengstoff in einem Land, das den Zweiten Weltkrieg als "good war" verklärt und ihn in einer Zeit, in der amerikanische Soldaten fern der Heimat wieder Krieg führen und der Sinn und die Notwendigkeit dieses Einsatzes von der Mehrheit der Bevölkerung angezweifelt werden, als leuchtendes Beispiel dem aktuellen Schlamassel entgegenhält.

Einer solchen Sicht der Dinge verweigert sich Baker, mit unvermeidlichen Folgen. Im "City Journal", einer vom erzkonservativen Manhattan Institute finanzierten Zeitschrift und Website, wird er denn auch gleich als "objektiv profaschistisch" gebrandmarkt. Er präsentiere Karikaturen, die dem "Stürmer" zur Ehre gereicht hätten: ",Human Smoke' ist Geschichtsschreibung von einem Verlierer. Alle, die das Buch kaufen und seine Thesen runterschlucken, verdienen es auch, dieser Kategorie zugerechnet zu werden." Unvergessen dürfte im Kreis derart eingefleischter Sieger zudem sein, dass Baker seine Roman "Checkpoint" vor vier Jahren um die Möglichkeit eines Attentats auf George W. Bush gebaut hat. Oder dass er schon vor Beginn des Irak-Kriegs die Regierung Bush ungewöhnlich beherzt angriff. Ihm wird unterstellt, er habe damals gespürt, dass Bush und Cheney im Geiste von Churchill und Roosevelt handelten, und besudle jetzt die alten Helden, um den noch amtierenden Präsidenten und seinen Vizepräsidenten abermals in Verruf zu bringen. So jedenfalls liest die "New York Sun" das Buch. Und klarer könnte das Blatt die Empfindlichkeiten, die vom Gestern ins Heute ausstrahlen, nicht herausmeißeln.

JORDAN MEJIAS

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