In einfühlsamer Beschreibung einer Freundschaft stellt die Humboldt-Kennerin Inge Brose-Müller ein Verhältnis besonderer Art dar: Als die Pfarrerstochter Charlotte Diede infolge der Napoleonischen Kriege ihr gesamtes Vermögen verliert, wendet sie sich Rat suchend an Wilhelm von Humboldt, dem sie in ihrer Jugend persönlich begegnet ist. Er unterstützt sie und bleibt mit ihr bis zu seinem Tod in Briefen verbunden, die der unglücklichen Charlotte Lebenselixier werden, die aber auch für Humboldt von großer Wichtigkeit sind. Er gibt darin nicht nur viel von seiner Persönlichkeit und seiner Ideenwelt preis, sondern formuliert seine Gedanken derart, dass sie der Freundin und damit auch dem Leser von heute verständlich werden. Die später unter dem Titel »Briefe an eine Freundin« veröffentlichten Texte gehören noch immer zu den bedeutendsten Zeugnissen der deutschen Briefliteratur. Auf sehr persönliche Weise schildert die Autorin das Verhältnis zwischen Humboldt und Charlotte, beleuchtet den zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergrund der Epoche und versucht, »das männliche und das weibliche Prinzip« in Humboldts Schriften mit den Ideen seiner Zeitgenossen zu verbinden. Sie spürt der Herkunft des »Wahren, Guten, Schönen« nach, das Humboldt und Charlotte von Jugend an begeistert hat, und sie greift die Italiensehnsucht der Klassik in der dichterischen Spannung zwischen Norden und Süden auf. Das Buch öffnet nicht nur den Blick auf Humboldts Gedankenwelt in seiner Zeit, es schildert zugleich das Dasein einer bürgerlichen Frau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gustav Seibt delektiert sich an einem Hauch erotischer Bizarrerie. Der entsteigt einem Buch von Inge Brose-Müller über die Brieffreundschaft zwischen Wilhelm von Humboldt und Charlotte Diede. Seibt schätzt die Entscheidung der Autorin, dem Leser die erhaltenen Humboldtschen Briefe nicht rein chronologisch, sondern auch nach Themen geordnet zu präsentieren, weil dadurch auf geringem Raum Essenzielles zusammenkommt. So gereicht der Band dem Rezensenten zur empfehlenswerten Einführungslektüre in die durchaus pikante Beziehung Humboldt/Diede, hier garniert mit nach Seibts Dafürhalten unbedingt langsam zu lesenden "vorzüglichen" Textproben der Humboldtschen Lebens-, Resümier- und Schreibkunst und mit "Feingefühl" und "breitem Wissen" erarbeitet von Inge Brose-Müller.
© Perlentaucher Medien GmbH
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