"Ich wollte die Wahrheit sagen, selbst wenn es mich die Freiheit kostete - oder das Leben" Die junge iranisch-amerikanische Journalistin Roxana Saberi wird ins berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis verschleppt. Die Geschichte einer mutigen Frau in einer Situation, in der Angst jede Sekunde des Tages bestimmt. Roxana Saberi hatte fast sechs Jahre im Iran gelebt und als Journalistin gearbeitet, als sie im Januar 2009 von Geheimagenten aus ihrem Teheraner Apartment in eine Einzelzelle des berüchtigten Evin-Gefängnisses verschleppt wird. Die Anklage: Spionage für die CIA. Von einer Stunde zur nächsten ist sie abgeschnitten von der Welt. Lähmende Angst, Psychoterror und Todesdrohungen verleiten sie zu einem falschen Geständnis, bis sie den Mut findet, ihren Peinigern die Stirn zu bieten. Hundert Tage ist ein außergewöhnlicher, direkter und berührender Text, den Roxana Saberi unmittelbar nach ihrer auf internationalen Druck ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2011Erfahrungen mit der iranischen Willkürjustiz
Der Bericht der Journalistin Roxana Saberi über ihre monatelange Haft im Teheraner Evin-Gefängnis
An einem Samstagmorgen um neun klingelt es bei Roxana Saberi an der Tür. Noch im Nachthemd geht die junge Frau zur Überwachungsanlage und sieht einen fremden Mann im Monitor. Das wird der Postbote sein - sie öffnet. Den Brief, der ihr der Mann überreicht, kann sie auf die Schnelle kaum entziffern. Farsi zu lesen, fällt der Amerikanerin auch nach sechs Jahren im Iran noch schwer. Doch ein Wort springt ihr sofort ins Gesicht: Evin-Gefängnis. Ihr Herz beginnt zu rasen, der Mann nimmt sie mit. Das Leben von Roxana Saberi wird von nun an nicht mehr dasselbe sein.
100 Tage verbringt die 33-jährige Journalistin im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, in dessen Sektion 209 Schriftsteller, Journalisten, Intellektuelle als politische Häftlinge einsitzen. Ihre Erfahrungen mit der iranischen Willkürjustiz hat Saberi in einem bewegenden Buch festgehalten, das jetzt auf Deutsch erscheint. Es ist ein Zeugnis, mit welch beispielloser Härte das Regime in Teheran gegen kritische Journalisten vorgeht, es zeigt aber auch, welch übermenschliche Energie in solchen Extremsituationen frei werden kann - durch die Gemeinschaft mit anderen.
Zunächst stellt sich jedoch die Frage: Was treibt eine kluge junge Frau, aufgewachsen in den Vereinigten Staaten und ausgestattet mit hervorragenden Abschlüssen, in ein Land wie Iran? Als Tochter eines Exil-Iraners und einer Japanerin war die Reise für Saberi auch eine Suche nach der eigenen Identität. Die Entscheidung, ihre journalistische Karriere in Teheran zu beginnen, traf sie jedoch aus einem hohen beruflichen Ethos heraus. Saberi glaubte, ihre Herkunft verpflichte sie dazu, Innenansichten aus einer geschlossenen Gesellschaft zu bieten, von der sich der Westen kaum ein authentisches Bild machen konnte. So berichtete Saberi seit 2003 für das amerikanische National Public Radio und die BBC über das Alltagsleben in Iran, immer mehr jedoch auch über Politik.
2006 entzogen ihr die iranischen Behörden aus bis heute nicht geklärten Gründen die Presseakkreditierung. Mittlerweile verliebt in die persische Sprache, Kultur und einen jungen Landsmann, der sich als regimekritischer Dokumentarfilmer durchschlägt, mochte sie ihre neue Heimat nicht mehr verlassen. Auch ohne offizielle Erlaubnis schrieb Saberi weiterhin offen über die Verhältnisse in Iran und reiste in die entlegensten Winkel des Landes, um für ein Buchprojekt Vertreter von Minderheiten zu interviewen. Diese Interviews wurden ihr zum Verhängnis.
Im Evin wirft der leitende Ermittlungsbeamte - selbst westlich gekleidet und hoch gebildet - Saberi Spionage für den amerikanischen Geheimdienst vor. Es sei bekannt, dass der CIA Iran über westliche Journalisten, Menschenrechtsorganisationen und amerikanische Think Tanks zu infiltrieren versuche, um das Regime von innen zu zerstören. Ihre Interviews hätten denselben Zweck verfolgt. Was Saberi während der Verhöre durchlebt, erkennt sie später als sogenannte "weiße Folter", der vor allem westliche Gefangene ausgesetzt werden, damit sie nach ihrer etwaigen Freilassung keine Foltervorwürfe gegen das Regime erheben. Es handelt sich um ein perfides Verhörsystem, das die Gefangenen psychisch brechen soll. Es werden ihnen Lügen in den Mund gelegt, vor laufender Kamera sollen sie falsche Geständnisse ablegen, Freunde und Verwandte denunzieren mit dem Versprechen, dann entlassen zu werden. Nur wenn sie einwilligen, als Spitzel für das Regime zu arbeiten, werde man sie freilassen. So ergeht es auch Saberi. Wochenlang sitzt sie in Einzelhaft, in einer feuchten Zelle schläft sie nur mit ein paar Decken auf dem Betonfußboden, weder Bücher noch Stift und Papier sind erlaubt. Nicht einmal telefonieren darf sie. Weder ihr Lebensgefährte noch ihre Eltern wissen, wo sie sich befindet.
Saberi schildert ihre Qualen eindringlich, das Gefühl, der Willkür des Regimes hilflos ausgeliefert zu sein, bringt die freiheitsverwöhnte Amerikanerin fast um den Verstand. Am schlimmsten jedoch plagt sie, dass sie sich von der Folter hat erweichen lassen und ein falsches Zeugnis abgelegt hat. Schließlich ringt Saberi sich durch zu widerrufen, mit all den Konsequenzen, die das für sie haben kann - nicht zuletzt die Todesstrafe. Verstört muss sie dann aber feststellen, dass ihre Peiniger selbst nie an ihr Geständnis geglaubt hatten und es nur als Alibi für ihre Verhaftung und "Beweis" für die vermeintliche Spionagetätigkeit anderer Regimekritiker brauchten.
Erst Wochen später wird formell Anklage erhoben, ihren Anwalt darf sie nur zwischen Tür und Angel sprechen, und der Richter scheint sein vernichtendes Urteil (acht Jahre Haft) schon vorab gefällt zu haben. Saberi tritt in den Hungerstreik, schließlich dürfen ihre Eltern sie besuchen. Ihr Fall geht um die Welt, internationale Medien berichten, Regierungen, die UN, die EU, NGOs und Menschenrechtsverbände setzen sich für sie ein, bis schließlich Präsident Ahmadineschad persönlich anmahnt, der Fall müsse geprüft werden. Am Ende wird das Urteil in zwei Jahre auf Bewährung umgewandelt, und Saberi kann ausreisen.
Am stärksten ist Saberis Buch, wenn die ehemalige Miss Dakota im Evin-Gefängnis auf iranische Mitgefangene stößt - ein Ensemble aus verfolgten Minderheiten, Aktivisten und Wissenschaftlern, deren Schicksale keine internationalen Schlagzeilen auslösen, aber ebenso gut veranschaulichen, wie breit das Spektrum menschlicher Verhaltensweise ist, das einen Iraner zu einem Gefangenen machen kann. Eine Zellengenossin wurde wegen ihrer Arbeit für ein Austauschprogramm von Kinder- und Frauenärzten verhaftet, andere machten sich allein durch ihr Bekenntnis als Bahai schuldig - einer in der Islamischen Republik als ketzerisch verfemten Religion.
Saberi schließt mit ihrem Buch genau da an, wo sie als Journalistin mit ihrer Inhaftierung im Frühjahr 2009 aufgehört hat: Sie erzählt von Einzelschicksalen. Denn das ist einstweilen die einzige Möglichkeit, eine Ahnung von der inneren Revolution im heutigen Iran zu bekommen.
SARAH ELSING
Roxana Saberi: "Hundert Tage". Meine Gefangenschaft im Iran.
Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main. 352 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Bericht der Journalistin Roxana Saberi über ihre monatelange Haft im Teheraner Evin-Gefängnis
An einem Samstagmorgen um neun klingelt es bei Roxana Saberi an der Tür. Noch im Nachthemd geht die junge Frau zur Überwachungsanlage und sieht einen fremden Mann im Monitor. Das wird der Postbote sein - sie öffnet. Den Brief, der ihr der Mann überreicht, kann sie auf die Schnelle kaum entziffern. Farsi zu lesen, fällt der Amerikanerin auch nach sechs Jahren im Iran noch schwer. Doch ein Wort springt ihr sofort ins Gesicht: Evin-Gefängnis. Ihr Herz beginnt zu rasen, der Mann nimmt sie mit. Das Leben von Roxana Saberi wird von nun an nicht mehr dasselbe sein.
100 Tage verbringt die 33-jährige Journalistin im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, in dessen Sektion 209 Schriftsteller, Journalisten, Intellektuelle als politische Häftlinge einsitzen. Ihre Erfahrungen mit der iranischen Willkürjustiz hat Saberi in einem bewegenden Buch festgehalten, das jetzt auf Deutsch erscheint. Es ist ein Zeugnis, mit welch beispielloser Härte das Regime in Teheran gegen kritische Journalisten vorgeht, es zeigt aber auch, welch übermenschliche Energie in solchen Extremsituationen frei werden kann - durch die Gemeinschaft mit anderen.
Zunächst stellt sich jedoch die Frage: Was treibt eine kluge junge Frau, aufgewachsen in den Vereinigten Staaten und ausgestattet mit hervorragenden Abschlüssen, in ein Land wie Iran? Als Tochter eines Exil-Iraners und einer Japanerin war die Reise für Saberi auch eine Suche nach der eigenen Identität. Die Entscheidung, ihre journalistische Karriere in Teheran zu beginnen, traf sie jedoch aus einem hohen beruflichen Ethos heraus. Saberi glaubte, ihre Herkunft verpflichte sie dazu, Innenansichten aus einer geschlossenen Gesellschaft zu bieten, von der sich der Westen kaum ein authentisches Bild machen konnte. So berichtete Saberi seit 2003 für das amerikanische National Public Radio und die BBC über das Alltagsleben in Iran, immer mehr jedoch auch über Politik.
2006 entzogen ihr die iranischen Behörden aus bis heute nicht geklärten Gründen die Presseakkreditierung. Mittlerweile verliebt in die persische Sprache, Kultur und einen jungen Landsmann, der sich als regimekritischer Dokumentarfilmer durchschlägt, mochte sie ihre neue Heimat nicht mehr verlassen. Auch ohne offizielle Erlaubnis schrieb Saberi weiterhin offen über die Verhältnisse in Iran und reiste in die entlegensten Winkel des Landes, um für ein Buchprojekt Vertreter von Minderheiten zu interviewen. Diese Interviews wurden ihr zum Verhängnis.
Im Evin wirft der leitende Ermittlungsbeamte - selbst westlich gekleidet und hoch gebildet - Saberi Spionage für den amerikanischen Geheimdienst vor. Es sei bekannt, dass der CIA Iran über westliche Journalisten, Menschenrechtsorganisationen und amerikanische Think Tanks zu infiltrieren versuche, um das Regime von innen zu zerstören. Ihre Interviews hätten denselben Zweck verfolgt. Was Saberi während der Verhöre durchlebt, erkennt sie später als sogenannte "weiße Folter", der vor allem westliche Gefangene ausgesetzt werden, damit sie nach ihrer etwaigen Freilassung keine Foltervorwürfe gegen das Regime erheben. Es handelt sich um ein perfides Verhörsystem, das die Gefangenen psychisch brechen soll. Es werden ihnen Lügen in den Mund gelegt, vor laufender Kamera sollen sie falsche Geständnisse ablegen, Freunde und Verwandte denunzieren mit dem Versprechen, dann entlassen zu werden. Nur wenn sie einwilligen, als Spitzel für das Regime zu arbeiten, werde man sie freilassen. So ergeht es auch Saberi. Wochenlang sitzt sie in Einzelhaft, in einer feuchten Zelle schläft sie nur mit ein paar Decken auf dem Betonfußboden, weder Bücher noch Stift und Papier sind erlaubt. Nicht einmal telefonieren darf sie. Weder ihr Lebensgefährte noch ihre Eltern wissen, wo sie sich befindet.
Saberi schildert ihre Qualen eindringlich, das Gefühl, der Willkür des Regimes hilflos ausgeliefert zu sein, bringt die freiheitsverwöhnte Amerikanerin fast um den Verstand. Am schlimmsten jedoch plagt sie, dass sie sich von der Folter hat erweichen lassen und ein falsches Zeugnis abgelegt hat. Schließlich ringt Saberi sich durch zu widerrufen, mit all den Konsequenzen, die das für sie haben kann - nicht zuletzt die Todesstrafe. Verstört muss sie dann aber feststellen, dass ihre Peiniger selbst nie an ihr Geständnis geglaubt hatten und es nur als Alibi für ihre Verhaftung und "Beweis" für die vermeintliche Spionagetätigkeit anderer Regimekritiker brauchten.
Erst Wochen später wird formell Anklage erhoben, ihren Anwalt darf sie nur zwischen Tür und Angel sprechen, und der Richter scheint sein vernichtendes Urteil (acht Jahre Haft) schon vorab gefällt zu haben. Saberi tritt in den Hungerstreik, schließlich dürfen ihre Eltern sie besuchen. Ihr Fall geht um die Welt, internationale Medien berichten, Regierungen, die UN, die EU, NGOs und Menschenrechtsverbände setzen sich für sie ein, bis schließlich Präsident Ahmadineschad persönlich anmahnt, der Fall müsse geprüft werden. Am Ende wird das Urteil in zwei Jahre auf Bewährung umgewandelt, und Saberi kann ausreisen.
Am stärksten ist Saberis Buch, wenn die ehemalige Miss Dakota im Evin-Gefängnis auf iranische Mitgefangene stößt - ein Ensemble aus verfolgten Minderheiten, Aktivisten und Wissenschaftlern, deren Schicksale keine internationalen Schlagzeilen auslösen, aber ebenso gut veranschaulichen, wie breit das Spektrum menschlicher Verhaltensweise ist, das einen Iraner zu einem Gefangenen machen kann. Eine Zellengenossin wurde wegen ihrer Arbeit für ein Austauschprogramm von Kinder- und Frauenärzten verhaftet, andere machten sich allein durch ihr Bekenntnis als Bahai schuldig - einer in der Islamischen Republik als ketzerisch verfemten Religion.
Saberi schließt mit ihrem Buch genau da an, wo sie als Journalistin mit ihrer Inhaftierung im Frühjahr 2009 aufgehört hat: Sie erzählt von Einzelschicksalen. Denn das ist einstweilen die einzige Möglichkeit, eine Ahnung von der inneren Revolution im heutigen Iran zu bekommen.
SARAH ELSING
Roxana Saberi: "Hundert Tage". Meine Gefangenschaft im Iran.
Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main. 352 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Was aber dieses Buch so lesenswert macht, sind ihre genauen Erinnerungen an die Verhöre und Verhandlungen mit den Vertretern des Regimes, mit Wächtern, Agenten, Richtern. Von der ersten Befragung an wird sie zur Figur eines politischen Strategiespiels, dessen Regeln nicht einmal die Spieler vollständig zu kennen scheinen. [...] Saberis Bericht [liefert] doch seltene Einblicke in eine Logik der Repression, die sich irgendwo zwischen Perfidie und Irrsinn bewegt." -- Harald Staun, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13. März 2011
"Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Fremdworte im heutigen Iran: Saberis Verdienst ist, den praktischen Wert dieser Grundsätze vor Augen geführt zu haben. Mit einem niederschmetternden Tatsachenbuch, das zeigt, was Leben ohne diese Freiheiten bedeutet." -- Gabriele Rettner-Halder, Westdeutsche Allgemeine, 28. April 2011
"Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Fremdworte im heutigen Iran: Saberis Verdienst ist, den praktischen Wert dieser Grundsätze vor Augen geführt zu haben. Mit einem niederschmetternden Tatsachenbuch, das zeigt, was Leben ohne diese Freiheiten bedeutet." -- Gabriele Rettner-Halder, Westdeutsche Allgemeine, 28. April 2011
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Evin-Gefängnis gehört zu den berüchtigsten der Welt. Die amerikanische Journalistin Roxana Saberi wurde hier für hundert Tage eingesperrt, nachdem sie als Iran-Korrespondentin ohne Akkreditierung über Missstände in dem Land berichtet hatte. Die Rezensentin Sarah Elsing berichtet tief beeindruckt über dieses Buch, das einen seltenen Einblick in die Praktiken der iranischen Schergen bietet. So lernt man etwa, was "weiße Folter" ist - Folter durch psychischem Druck, die vor allem auf westliche Gefangene angewendet wird, damit sie sich nach der Haft nicht als Opfer des Regimes darstellen. Saberi ist unter diesem Druck auch eingebrochen und schildert es in diesem Buch ehrlich. Elsing empfiehlt es als ein ehrliches und humanes Zeugnis über das Regime in Teheran. Als wichtige Lehre nimmt sie auch mit, dass Saberi am Ende nur durch internationalen Druck frei kam.
© Perlentaucher Medien GmbH
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