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Das Prosadebüt der Dramatikerin.Dea Loher ist als Theaterautorin eine der meistgespielten und erfolgreichsten. Mit diesem Prosadebüt zeigt sie sich als stilsichere Erzählerin, deren Blick sich nicht beschränkt auf die Erforschung des Ich oder des Lebens in der deutschen Provinz (eingeschlossen die Metropolen), sondern auch in fernere Weltgegenden und tiefere Dimensionen der Realität reicht.Stets führen ihre Erzählungen zunächst in Situationen, die überschaubar wirken, fast harmlos, sich jedoch bald als doppelbödig erweisen. Da erhält etwa in der Titelerzählung Richard, Kneipier und…mehr

Produktbeschreibung
Das Prosadebüt der Dramatikerin.Dea Loher ist als Theaterautorin eine der meistgespielten und erfolgreichsten. Mit diesem Prosadebüt zeigt sie sich als stilsichere Erzählerin, deren Blick sich nicht beschränkt auf die Erforschung des Ich oder des Lebens in der deutschen Provinz (eingeschlossen die Metropolen), sondern auch in fernere Weltgegenden und tiefere Dimensionen der Realität reicht.Stets führen ihre Erzählungen zunächst in Situationen, die überschaubar wirken, fast harmlos, sich jedoch bald als doppelbödig erweisen. Da erhält etwa in der Titelerzählung Richard, Kneipier und dilettierender Musiker, einen Anruf von einer Unbekannten - und noch während er sich fragt, ob sie sich nur verwählt hat, gewinnt das Spiel etwas Verführerisches: Immerhin wird ihm unverhohlen ein Auftragsmord angetragen, und das Geld, das sich damit womöglich verdienen ließe, könnte ihn schon reizen. Eine andere Erzählung handelt von Anna und Johann, deren Hochzeitsreise nach Arizona unverhofft im Krankenhaus endet, weil Anna plötzlich Schmerzen im Unterleib hat. Nichts wirklich Schlimmes scheint vorzuliegen, und die Ärzte sind offenkundig vor allem daran interessiert, saftige Rechnungen zu schreiben, aber dennoch blickt der Leser bald in die Abgründe eines ganz existentiellen Nicht-Gesundseins. Oder man erfährt von Mink, der sich nach ein paar mißglückten Versuchen als Kleinstunternehmer in einer eher sentimentalen Anwandlung auf den Weg zu Helen macht, die seinerzeit neben ihrem Jurastudium - unerreichbar für ihn - als Tabledancerin gejobbt hatte. Mittlerweile soll sie eine erfolgreiche Anwältin sein. Dea Loher erzählt Geschichten von Menschen, die »auf der Schwelle stehen, bereit, hineinzugehen oder hinaus«. Sie holt - lakonisch verknappt - Wirklichkeit in ihre Texte bis zu genau dem Punkt, an dem die Überblendung der Perspektiven die Handlung ins Unheimliche umschlagen läßt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Dea Loher, geb. 1964 in Traunstein, studierte Germanistik und Philosophie in München. Sie lebt in Berlin. Ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen gewürdigt, darunter dem Jakob-Michael-Lenz-Preis, zweimal mit dem Mülheimer Dramatikerpreis, dem Else Lasker-Schüler-Dramatikerpreis, dem Bertolt-Brecht-Preis, dem Marieluise-Fleißer-Preis und dem Berliner Literaturpreis 2009. Zuletzt erhielt sie den Joseph-Breitbach-Preis (2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Drei Augen sind besser als zwei
Das Sein, das Nichts und der Schatten von beidem: Dea Lohers Erzählungen / Von Irene Bazinger

Wer Stücke schreibt, tut gut daran, sich eine Art drittes Auge der poetischen Wahrheit zuzulegen: um nämlich eine Dimension der eigenen Texte erschauen zu können, die sich ins Räumliche erstreckt. Das hat mit den konkreten Inszenierungen nichts zu tun, wohl aber mit der Besonderheit des Genres. Denn die gelungene Dramatik braucht außer Ideen und literarischen Qualitäten noch Luft, Kunstlicht und Fremdkörper. Sie will, szenisch interpretiert, auf der Bühne Gestalt werden.

Mag sein, daß diese Fähigkeit der plastischen Abstraktion Dea Loher, die bislang ausschließlich als Theaterautorin hervorgetreten ist, nun bei ihrem ersten Prosaband "Hundskopf" geholfen hat. Eine der darin publizierten Erzählungen jedenfalls heißt "Das Auge". Dieses Sinnesorgan ist aus Glas und gehört dem Rentner René, früher Inhaber eines Obst- und Gemüseladens. Er ist schon lange halb blind, denn "beim allzu hastigen Öffnen und Entkernen einer Avocado war er eines Tages so unglücklich am Kern abgeglitten, daß sich die Spitze des Messers in sein Auge bohrte."

Mit dessen Ersatz ist er durchaus zufrieden, bis er einmal mehr sieht, als er je wollte: Wie sich sein Bruder nicht von der über alles geliebten Gattin trennen will, die tot im Ehebett liegt, wie er sich nicht wäscht, um ihren Geruch zu behalten, wie er, im Bemühen, Normalität zu wahren, erst recht aus dieser herausfällt. Schließlich verbreiten sich die Keime überallhin. Fortan weigert sich René, sein künstliches Auge in die leere Höhle einzusetzen. Der Nachbar soll es einlagern und ist nicht begeistert von dieser Aussicht: "Ich wollte noch etwas sagen, aber ich hatte vergessen, was es war."

Auf dem rutschigen Grat zwischen Erinnern und Vergessen bewegen sich auch die anderen Figuren in Dea Lohers souverän komponierten Erzählungen, die eigentlich Novellen sind, deren Mittelpunkt der Einbruch des Unerwarteten in relativ geordnete Verhältnisse bildet. Das kann die irgendwo auf dem langen Weg zur Hochzeit verlorene Liebe sein, wie es einem jungen Paar während der Flitterwochen in den Vereinigten Staaten dämmert - Omas Spruch, "Bis du heiratest, wird es vorbeigehen", lindert in "Honeymoon" keine Schmerzen mehr. Hier ist sogar von einem "Dreiauge" die Rede - weil ein Leberfleck auf der Stirn einer amerikanischen Krankenschwester einem zusätzlichen Sehinstrument ähnelt.

In einer anderen Erzählung kehrt unversehens das Verdrängte zurück, wenn die Nichte im Nachlaß ihrer Großmutter das Foto von einem zur Beerdigung vorbereiteten Babyleichnam findet ("Agnes"). Dabei soll es sich um das verschwiegene Kind einer ihrer psychisch labilen Tanten handeln, die ein Faible für schreiend bunte Kleider und blumige Parfüms hatte. Wieder bekommt eine Person etwas zu Gesicht, was sie nicht unbedingt wissen wollte, doch entschleiert sich ihr keines der dahinter verborgenen Motive. Die Nichte tröstet sich mit ihren eigenen Erfahrungen. Warum ist der Himmel so blau, hatte sie einst die von ihr sehr gemochte Agnes gefragt. Die Antwort lautete: "Weil deine Augen ihn so sehen."

Das Tempo in diesen Berichten über plötzlich aufgewühlte Biographien ist altmeisterlich ruhig, der Erzählfluß getragen - als beobachte Dea Loher aus einem dunklen Zuschauerraum eine hell erleuchtete Bühne und beschreibe zugleich, was sich dort zuträgt. Sie ist nahe dran am Geschehen und scheint, obwohl die tatsächliche Fädenzieherin, keinen Finger zu rühren. Alles passiert wie von selbst - und mit überzeugender narrativer Triftigkeit.

Ein mäßig erfolgreicher Gastwirt etwa, der lieber mit seiner Combo auftritt, erhält in "Hundskopf", der Titelgeschichte, einen anonymen Anruf. Eine Frau schlägt ihm vor, gegen Bezahlung einen ihm völlig unbekannten Mann zu töten. Der Kneipier läßt sich vorgeblich darauf ein und verlangt ein hohes Entgelt. Er ist kein Mörder, aber könnte er nicht einer werden? Und danach frei sein, endlich neu anfangen, geschieden und ohne Schulden? "Er starrte seine Hände an, die die eines Fremden waren, und dann betrachtete er lange das Telefon und die Gegenstände in dem Zimmer. Sie gehörten nicht mehr zu ihm, er war in eine Welt eingetaucht, in der alles, auch das Vertrauteste, nie gesehen und fern erschien".

Die Idee dieser Geschichte wirkt bekannt, ist indes so zwingend variiert und plausibel durchgeführt, daß sie, ganz nebenbei, zudem den großen Spaß verrät, den Dea Loher wohl gehabt hat, als sie mit den bewährten Topoi von Schuld und Sühne, Verlockung und Vorbehalt jonglierte.

Ihre Figuren, zu theatralischer Faßlichkeit aus Fleisch und Blut geformt, sind weder glamourös noch pittoresk. Sie sind leicht lädierte Mängelexemplare von der Stange, die rauchen, trinken, manchmal gerne wegdriften, wenig Gepäck haben und simple Träume vom Glück hegen. Als präzise gezeichnete Chiffren des Ungenügens verweisen sie allerdings, unterkühlt beiläufig, auf die Defizite einer Gesellschaft, in der es für die meisten entweder gar keine oder keine zweite Chance gibt. Ohne Larmoyanz und Sozialkitsch, aber mit der enormen Bandbreite ihres dramatischen Realismus, zeigt Dea Loher das Sein, das Nichts, und die Schatten, die dabei entstehen: Kein Wort zuviel, kein Blick daneben. Alles liegt offen, alles bleibt offen.

In "Über die Berge gehen" wünscht sich eine junge Frau das Ende ihrer Maskeraden. "Ich will, daß man mir alles ansieht": das Leid, die Wunden, die Irrwege, Tag und Nacht, die Erfüllung. Nicht einfach, so zu leben, doch wie wunderbar, in Dea Lohers elegant bestürzenden Erzählungen davon zu lesen.

Dea Loher: "Hundskopf". Erzählungen. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 114 S., geb., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So elegant wie bestürzend findet Rezensentin Irene Bazinger die Erzählungen des Prosadebüts der Dramatikerin Dea Loher. Ruhig der Erzählfluss, distanziert die Beobachtung der Geschichte - man mehr Loher an, dass sie bisher vor allem als Theaterautorin in Erscheinung getreten sei. Glaubt man Bazinger, so hat Deher ihre im Drama entwickelten Fertigkeiten mit großem Geschick auf das neue Genre übertragen.

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