In seinem sechsten Fall wird der Basler Kriminalkommissär Peter Hunkeler mit einem Mord konfrontiert, der länderübergreifend zu einer sensiblen Sache nicht nur für die Ermittlungsbehörden, sondern auch für Historiker wird. In einer Schrebergartenanlage am Stadtrand von Basel, deren Boden auf französischem Hoheitsgebiet liegt, wird am Neujahrsmorgen eine männliche Leiche gefunden. Der Tote wurde erschossen, man fand ihn jedoch aufgehängt an einem Fleischerhaken am First seines Gartenhäuschens, so, wie Schlachter die Kadaver ihrer toten Tiere aufhängen. Die Basler Polizei kann vor Ort nicht ermitteln, dafür ist die französische Kriminalpolizei vom elsässischen Colmar zuständig. Bald stellt sich heraus, wer der Tote ist. Er ist Schweizer, wohnhaft in Basel, doch handelt es sich auch tatsächlich um den ermittelten Anton Flückiger? Spuren führen ins Elsaß, aber auch in die behäbige Landschaft des bernischen Emmentals, und unvermittelt tauchen Ereignisse aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs auf, dessen Wunden im Elsaß nicht verheilt sind...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2007Ein Fremder auf der Schwelle
Zwei stille Männer: Hansjörg Schneider und Kommissär Hunkeler
Neulich begegnete ich einem Mann, der seinen neunundsechzigsten Geburtstag feierte. Er feierte ihn nicht, er wurde einfach neunundsechzig mitten in der Nacht, an einem Tisch in einem Gasthaus. Und bevor die Dabeisitzer ihm die Hand geben konnten, verschwand er, freundlich schweigend, freundlich entschieden. Eine einigermaßen lange Reise lag hinter ihm, und er hatte den Weg nur auf sich genommen, um einer Pflicht nachzukommen. Oder einer Verpflichtung. Oder er hatte „Langezeit” nach einer Stadt, in der er früher einmal gewesen war.
„Er blieb eine Weile sitzen und dachte an die Langezeit, die Hedwig hatte. Ein schönes Wort. Er selber hatte auch Langezeit.” Er selber: Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, geschieden, liiert mit einer Kindergärtnerin, Liebhaber von Gedichten und gutem erdigem Essen, hat hypochondrische Anfälle, braucht das Alleinsein in seinem Haus im Elsass, die Anwesenheit seiner Katze, seines Hahns, seiner Hühner, besteht auf merkwürdigen Angewohnheiten, zum Beispiel dem Urinieren an Bäume, sogar an den Kirschbaum im eigenen Garten, im Polizeidienst seit mehr als dreißig Jahren.
Es heißt, Peter Hunkeler sei seinem Erfinder sehr ähnlich, dem Schweizer Schriftsteller Hansjörg Schneider, der neulich wegen einer Lesung von Basel nach München gefahren war und dort niemanden in die Verlegenheit bringen wollte, ihm ungelenk zum neunundsechzigsten Geburtstag gratulieren zu müssen. Inwieweit dieser stille, zum Murmeln neigende Mann, dem man aber merkwürdigerweise einen plötzlichen Zornes- oder sonstwie gearteten Leidenschaftsausbruch ebenso zutraut wie sein abruptes Verschwinden, die Charaktereigenschaften seiner Kriminalfigur teilt, spielt keine Rolle. Entscheidend ist seine Gegenwart in den Büchern.
Kriminalromane, in denen die Stimme des Autors kein Echo hinterlässt und sein Wesen keinen Schatten wirft, können – kurzweilig und aufmunternd – schöne Unterhaltung und raffiniert geschrieben sein, und sie mögen ein spannendes Thema einfallsreich abhandeln. Mehr aber nicht. Handlung, action, plot reichen nicht für eine literarische Erzählung. Ein Roman, ein Kriminalroman wird Sprache oder eben nicht, ein Schriftsteller haftet für jeden Gedanken oder nicht und überlässt stattdessen die Geschichte der Genretechnik. Neunzig Prozent aller Krimis funktionieren auf diese Weise, und warum auch nicht? Für einen wie Schneider wäre solches Schreiben vermutlich Zeitvertreib und durchaus nicht verwerflich. Tatsächlich lässt er in seinem jüngsten, sechsten Kriminalroman („Hunkeler und der Fall Livius”) einen Autor auftreten.
„Ach Gott, ich bin ein alter Sack. Was soll mir noch in den Sinn kommen? Ab und an ein Krimi, das geht noch. Und zwar unter ehemaligen Proleten, die zu Kleinbürgern geworden sind. Ich kenne die Trauer und den Hass, die in diesen Leuten stecken. Die würden über Leichen gehen, wenn sie nur wüssten, wie. Das wäre ein guter Titel, ‚Mord im Schrebergarten’. Finden Sie nicht?” Was soll der Kommissär darauf sagen? Später steuert er noch die Idee für ein Mordmotiv bei, von der der Autor begeistert ist. Bevor womöglich eine Verbrüderung ausbricht, empfiehlt sich Hunkeler, schneider-mäßig, und folgt weiter den Spuren des Verbrechens, die ihn in die Vergangenheit der Schweiz führen, wie so oft, ins Dunkel der Ereignisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg.
„Himmeltraurig” erscheinen Hunkeler die Geschichten um ihn herum, überall begegnen ihm Menschen, denen die Zeit das Heilen ihrer Wunden verweigert und denen das Umarmen abhanden kam, und zwar schon lange. Manchmal dringt er ein wenig vor in die abgedunkelten Kammern, dort ducken sich die Verschreckten und haben auf der Welt nur noch eine Maus als Berührungswesen. Dass der Kommissär überhaupt über die Schwelle kommen darf, geschieht, weil er als Einzelgänger etwas vom behutsamen Auftreten versteht.
„Die Frau leuchtete ihm ins Gesicht, so gut es ging. Sie schaute ihn lange an, reglos, ihre Augen schienen tot zu sein. ‚Bisch du?’ fragte sie. ‚Kommst du heim?’ – ‚Nein’, sagte Hunkeler. ‚Ich bin ein Fremder. Aber ich möchte hereinkommen.’” Kurz darauf verstreut die Frau, deren Mann erschossen und dann auf fürchterliche Weise aufgehängt worden ist, Zucker auf dem Tisch. Für die Maus, die ihre Einsamkeit bewacht.
Auch ihm, dem Eindringling aus Basel, bietet die Witwe etwas zu essen an, Gebäck aus einer Schachtel. „Er nahm ein Biskuit heraus. Es zerbröselte in seiner Hand, es mußte Jahrzehnte alt sein. Er verschlang es.” So, scheint es, geht das unbedingt-bedingungslose Erzählen, und es wirkt einfach, klar und unaufdringlich, wie bei Georges Simenon, auf den Schneider sich immer wieder bezieht.
Mehr braucht es nicht als ein schlecht beleuchtetes Zimmer und darin einen unscheinbaren Menschen, den einer ernst nimmt bis ins Mark. Aber diese zwei Menschen braucht es, und Peter Hunkeler ist der eine. Wie ein von nun an Geborgener verlässt man jeden Kriminalroman von Hansjörg Schneider.
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Zwei stille Männer: Hansjörg Schneider und Kommissär Hunkeler
Neulich begegnete ich einem Mann, der seinen neunundsechzigsten Geburtstag feierte. Er feierte ihn nicht, er wurde einfach neunundsechzig mitten in der Nacht, an einem Tisch in einem Gasthaus. Und bevor die Dabeisitzer ihm die Hand geben konnten, verschwand er, freundlich schweigend, freundlich entschieden. Eine einigermaßen lange Reise lag hinter ihm, und er hatte den Weg nur auf sich genommen, um einer Pflicht nachzukommen. Oder einer Verpflichtung. Oder er hatte „Langezeit” nach einer Stadt, in der er früher einmal gewesen war.
„Er blieb eine Weile sitzen und dachte an die Langezeit, die Hedwig hatte. Ein schönes Wort. Er selber hatte auch Langezeit.” Er selber: Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, geschieden, liiert mit einer Kindergärtnerin, Liebhaber von Gedichten und gutem erdigem Essen, hat hypochondrische Anfälle, braucht das Alleinsein in seinem Haus im Elsass, die Anwesenheit seiner Katze, seines Hahns, seiner Hühner, besteht auf merkwürdigen Angewohnheiten, zum Beispiel dem Urinieren an Bäume, sogar an den Kirschbaum im eigenen Garten, im Polizeidienst seit mehr als dreißig Jahren.
Es heißt, Peter Hunkeler sei seinem Erfinder sehr ähnlich, dem Schweizer Schriftsteller Hansjörg Schneider, der neulich wegen einer Lesung von Basel nach München gefahren war und dort niemanden in die Verlegenheit bringen wollte, ihm ungelenk zum neunundsechzigsten Geburtstag gratulieren zu müssen. Inwieweit dieser stille, zum Murmeln neigende Mann, dem man aber merkwürdigerweise einen plötzlichen Zornes- oder sonstwie gearteten Leidenschaftsausbruch ebenso zutraut wie sein abruptes Verschwinden, die Charaktereigenschaften seiner Kriminalfigur teilt, spielt keine Rolle. Entscheidend ist seine Gegenwart in den Büchern.
Kriminalromane, in denen die Stimme des Autors kein Echo hinterlässt und sein Wesen keinen Schatten wirft, können – kurzweilig und aufmunternd – schöne Unterhaltung und raffiniert geschrieben sein, und sie mögen ein spannendes Thema einfallsreich abhandeln. Mehr aber nicht. Handlung, action, plot reichen nicht für eine literarische Erzählung. Ein Roman, ein Kriminalroman wird Sprache oder eben nicht, ein Schriftsteller haftet für jeden Gedanken oder nicht und überlässt stattdessen die Geschichte der Genretechnik. Neunzig Prozent aller Krimis funktionieren auf diese Weise, und warum auch nicht? Für einen wie Schneider wäre solches Schreiben vermutlich Zeitvertreib und durchaus nicht verwerflich. Tatsächlich lässt er in seinem jüngsten, sechsten Kriminalroman („Hunkeler und der Fall Livius”) einen Autor auftreten.
„Ach Gott, ich bin ein alter Sack. Was soll mir noch in den Sinn kommen? Ab und an ein Krimi, das geht noch. Und zwar unter ehemaligen Proleten, die zu Kleinbürgern geworden sind. Ich kenne die Trauer und den Hass, die in diesen Leuten stecken. Die würden über Leichen gehen, wenn sie nur wüssten, wie. Das wäre ein guter Titel, ‚Mord im Schrebergarten’. Finden Sie nicht?” Was soll der Kommissär darauf sagen? Später steuert er noch die Idee für ein Mordmotiv bei, von der der Autor begeistert ist. Bevor womöglich eine Verbrüderung ausbricht, empfiehlt sich Hunkeler, schneider-mäßig, und folgt weiter den Spuren des Verbrechens, die ihn in die Vergangenheit der Schweiz führen, wie so oft, ins Dunkel der Ereignisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg.
„Himmeltraurig” erscheinen Hunkeler die Geschichten um ihn herum, überall begegnen ihm Menschen, denen die Zeit das Heilen ihrer Wunden verweigert und denen das Umarmen abhanden kam, und zwar schon lange. Manchmal dringt er ein wenig vor in die abgedunkelten Kammern, dort ducken sich die Verschreckten und haben auf der Welt nur noch eine Maus als Berührungswesen. Dass der Kommissär überhaupt über die Schwelle kommen darf, geschieht, weil er als Einzelgänger etwas vom behutsamen Auftreten versteht.
„Die Frau leuchtete ihm ins Gesicht, so gut es ging. Sie schaute ihn lange an, reglos, ihre Augen schienen tot zu sein. ‚Bisch du?’ fragte sie. ‚Kommst du heim?’ – ‚Nein’, sagte Hunkeler. ‚Ich bin ein Fremder. Aber ich möchte hereinkommen.’” Kurz darauf verstreut die Frau, deren Mann erschossen und dann auf fürchterliche Weise aufgehängt worden ist, Zucker auf dem Tisch. Für die Maus, die ihre Einsamkeit bewacht.
Auch ihm, dem Eindringling aus Basel, bietet die Witwe etwas zu essen an, Gebäck aus einer Schachtel. „Er nahm ein Biskuit heraus. Es zerbröselte in seiner Hand, es mußte Jahrzehnte alt sein. Er verschlang es.” So, scheint es, geht das unbedingt-bedingungslose Erzählen, und es wirkt einfach, klar und unaufdringlich, wie bei Georges Simenon, auf den Schneider sich immer wieder bezieht.
Mehr braucht es nicht als ein schlecht beleuchtetes Zimmer und darin einen unscheinbaren Menschen, den einer ernst nimmt bis ins Mark. Aber diese zwei Menschen braucht es, und Peter Hunkeler ist der eine. Wie ein von nun an Geborgener verlässt man jeden Kriminalroman von Hansjörg Schneider.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Bestens unterhalten hat sich Beatrice Eichmann-Leutenegger bei der Lektüre von Hansjörg Schneiders Kriminalroman "Hunkeler und der Fall Livius". Diesmal muss der brummige Kriminalkommissär Peter Hunkeler einen Mord aufklären, der sich in einer idyllischen Schrebergartenanlage am Stadtrand von Basel ereignet hat. Die Spuren führen in die dunkle Vergangenheit des Besitzers der Anlage und in die letzten Wochen des zweiten Weltkriegs. Eichmann-Leutenegger sieht Schneider hier eine Tragödie behandeln, die aus dem Gedächtnis der Angehörigen verdrängt worden sei. Wie Schneider Verdachtsmomente in verschiedene Richtungen ausstreut und die Spannung bedächtig steigert, findet sie überaus gekonnt. In diesem Zusammenhang spricht sie von einer "nervenschonenden Behäbigkeit", die von Hunkeler-Fans sehr geschätzt würde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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