Conrad Ferdinand Meyer: Huttens letzte Tage / Engelberg. Zwei Versepen Huttens letzte Tage: Erstdruck: Leipzig (H. Haessel) 1871, vordatiert auf 1872. Engelberg: Erstdruck: 1872. Vollständige Neuausgabe. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2015. Textgrundlage ist die Ausgabe: Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Vollständiger Text nach den Ausgaben letzter Hand. Mit einem Nachwort von Erwin Laaths, München: Winkler, 1968. Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe als Marginalie zeilengenau mitgeführt. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: »Conny«, Tim Tempelhofer, 2015. Gesetzt aus Minion Pro, 11.5 pt. Über den Autor: 1825 in Zürich als Kind des Juristen und Historikers Ferdinand Meyer geboren, freundet sich der sechsjährige Conrad Ferdinand Meyer mit der zwei Jahre jüngeren Johanna Spyri an, die später mit ihren Heidi-Romanen weltberühmt werden wird. Meyer lebt bis zu seiner späten Hochzeit - 1875 im Alter von 50 Jahren - mit seiner Schwester Betsy zusammen, die ihm Beraterin und Sekretärin ist. Er schwankt zwischen der deutschen und der französischen Sprache, übersetzt umfangreich in beide Richtungen und schreibt schließlich auf Deutsch einen Roman und zehn Novellen, die zu den wichtigsten Texten aus der Schweiz des 19. Jahrhunderts zählen. 1898 stirbt Conrad Ferdinand Meyer in Kilchberg bei Zürich nach langer Krankheit in schwerer Depression.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2017Die Berge rufen – die Engel auch
Streng, straff, rührend: Conrad Ferdinand Meyers Dichtung „Engelberg“
Schließlich rückte auch Conrad Ferdinand Meyer von seinem Frühwerk ab. In mehreren 1886 geschriebenen Briefen nennt er die 14 Jahre zuvor in Venedig verfasste Verserzählung „Engelberg“ sein „altes Engelbergchen“. Die Zeitgenossen beäugten die Lebensgeschichte der engelsgleichen Angela schon bei ihrem Erscheinen überwiegend kritisch. Zu schwelgerisch sei sie geraten. Aber es gab auch Positives. „Streng, straff und doch tief weich, innig rührend“, urteilte Friedrich Theodor Vischer.
Seit einigen Jahren arbeitet man im Schweizer Sinus-Verlag, 1990 von dem Organisten Albert Bolliger gegründet, mit erlesenen Sprechern, wie etwa Burghart Klaußner, an der Vertonung des Gesamtwerks von Conrad Ferdinand Meyer. Die Meisternovellen des psychisch labilen Schriftstellers wie „Der Heilige“ und „Die Versuchung des Pescara“ sind bereits erschienen. „Engelberg“ nun stellt ein größeres Wagnis dar. Nicht allein deshalb, weil Meyer selbst sich von dem Werk distanzierte (womit er im Nachhinein falschlag) und es heute nur mehr Insidern wirklich bekannt sein dürfte. Sondern auch, weil uns kaum etwas fremder ist als die im 19. Jahrhundert so populäre Versdichtung. „Engelberg“ fußt auf jambischen Vierhebern.
Und so erscheint einem die Einlesung mit verteilten Rollen erst einmal wie aus der Zeit gefallen. Dabei stimmt es auch nicht weniger skeptisch, dass die Anfänge von „Engelberg“ auf eine lyrische „Romanze“ Meyers zurückgehen und er noch kurz vor Erscheinen mit der Gattungsbezeichnung experimentierte. Einmal spricht er von „einer Legende“, dann von „einer Bergidylle“. Schließlich aber heißt es: „Engelberg. Eine Dichtung“.
Man muss sich auf den Text einlassen, dann aber wird man reich belohnt. Denn was sich hinter Diminutiven wie „Mägdlein“ und „Flüglein“ verbirgt, ist alles andere als eine im 13. Jahrhundert angesiedelte reizende Idylle vor mächtiger Bergkulisse, in der ein Mönch erst ein Waisenkind aufliest, das angeblich von einer himmlischen Schar auf der Erde zurückgelassen wurde, und es ins Kloster Engelberg bringt, wo es aufwächst und dann schließlich als erwachsene Frau zu den Engeln auffährt. Nichts ist weniger richtig, als was eine frühe Kritikerin geschrieben hat: dass sich Meyer hüten müsse, „in bloß malerische Schilderung“ zu verfallen, „wie das bei Stifter geschah“.
Das Urteil war schon bei Stifter falsch. Und ist es bei Meyer ebenso. Denn der Lebensweg von Angela ist verschattet. Kein Engel ist sie, natürlich nicht. Sondern, wie sie von dem Mönch Hilar erfahren muss, die Tochter eines „frevelmütigen Weibes“, das ihren Mann umgebracht und den Knecht zum Herrn gemacht hat. Er ist Angelas Vater. Ein Tyrann, den man morden wird, während die schwangere Mutter fliehen kann. Bei der Geburt von Angela stirbt sie.
Angelas weiterer Weg ist voller Fallstricke – ein herbes Schicksal. Nach dem Selbstmord ihrer Zellengenossin flieht sie aus dem Kloster; heiratet einen Jäger, der bald ein Opfer der Berge werden und sie mit vier Söhnen zurücklassen wird. Jedes Kind wird Angela Kummer bereiten. „Verklärt sich in der Einsamkeit/Das Leben ihr und wird zum Traum“, heißt es gegen Schluss.
„Engelberg“ in der Regie von Albert Bolliger ist ein Fest der Stimmen. Nur das Wort zählt in der bis in die Nebenrollen glänzend besetzten Produktion, die kein falsches Pathos zulässt, die Vorlage schlicht ernst nimmt. Die großen Partien sprechen Frank Arnold, der als Erzähler mit ruhiger Stimme durch die Geschichte führt, und der unverwechselbare Christian Brückner als Mönch Hilar, der engste Vertraute von Angela. Die wird von Nadja Schulz-Berlinghoff erst mit Liebreiz, dann mit einer Härte, die einer vereinsamten Frau zu eigen ist, gesprochen. Ein 200 Seiten dickes Booklet über die Entstehung der Dichtung rundet die hörenswerte Aufnahme ab.
FLORIAN WELLE
Conrad Ferdinand Meyer: Engelberg. Mit Frank Arnold, Christian Brückner, Stefan Kaminski u.a. 2 CDs, Laufzeit ca. 111 Min. Sinus Verlag, Kilchberg 2017. 29,80 Euro.
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Streng, straff, rührend: Conrad Ferdinand Meyers Dichtung „Engelberg“
Schließlich rückte auch Conrad Ferdinand Meyer von seinem Frühwerk ab. In mehreren 1886 geschriebenen Briefen nennt er die 14 Jahre zuvor in Venedig verfasste Verserzählung „Engelberg“ sein „altes Engelbergchen“. Die Zeitgenossen beäugten die Lebensgeschichte der engelsgleichen Angela schon bei ihrem Erscheinen überwiegend kritisch. Zu schwelgerisch sei sie geraten. Aber es gab auch Positives. „Streng, straff und doch tief weich, innig rührend“, urteilte Friedrich Theodor Vischer.
Seit einigen Jahren arbeitet man im Schweizer Sinus-Verlag, 1990 von dem Organisten Albert Bolliger gegründet, mit erlesenen Sprechern, wie etwa Burghart Klaußner, an der Vertonung des Gesamtwerks von Conrad Ferdinand Meyer. Die Meisternovellen des psychisch labilen Schriftstellers wie „Der Heilige“ und „Die Versuchung des Pescara“ sind bereits erschienen. „Engelberg“ nun stellt ein größeres Wagnis dar. Nicht allein deshalb, weil Meyer selbst sich von dem Werk distanzierte (womit er im Nachhinein falschlag) und es heute nur mehr Insidern wirklich bekannt sein dürfte. Sondern auch, weil uns kaum etwas fremder ist als die im 19. Jahrhundert so populäre Versdichtung. „Engelberg“ fußt auf jambischen Vierhebern.
Und so erscheint einem die Einlesung mit verteilten Rollen erst einmal wie aus der Zeit gefallen. Dabei stimmt es auch nicht weniger skeptisch, dass die Anfänge von „Engelberg“ auf eine lyrische „Romanze“ Meyers zurückgehen und er noch kurz vor Erscheinen mit der Gattungsbezeichnung experimentierte. Einmal spricht er von „einer Legende“, dann von „einer Bergidylle“. Schließlich aber heißt es: „Engelberg. Eine Dichtung“.
Man muss sich auf den Text einlassen, dann aber wird man reich belohnt. Denn was sich hinter Diminutiven wie „Mägdlein“ und „Flüglein“ verbirgt, ist alles andere als eine im 13. Jahrhundert angesiedelte reizende Idylle vor mächtiger Bergkulisse, in der ein Mönch erst ein Waisenkind aufliest, das angeblich von einer himmlischen Schar auf der Erde zurückgelassen wurde, und es ins Kloster Engelberg bringt, wo es aufwächst und dann schließlich als erwachsene Frau zu den Engeln auffährt. Nichts ist weniger richtig, als was eine frühe Kritikerin geschrieben hat: dass sich Meyer hüten müsse, „in bloß malerische Schilderung“ zu verfallen, „wie das bei Stifter geschah“.
Das Urteil war schon bei Stifter falsch. Und ist es bei Meyer ebenso. Denn der Lebensweg von Angela ist verschattet. Kein Engel ist sie, natürlich nicht. Sondern, wie sie von dem Mönch Hilar erfahren muss, die Tochter eines „frevelmütigen Weibes“, das ihren Mann umgebracht und den Knecht zum Herrn gemacht hat. Er ist Angelas Vater. Ein Tyrann, den man morden wird, während die schwangere Mutter fliehen kann. Bei der Geburt von Angela stirbt sie.
Angelas weiterer Weg ist voller Fallstricke – ein herbes Schicksal. Nach dem Selbstmord ihrer Zellengenossin flieht sie aus dem Kloster; heiratet einen Jäger, der bald ein Opfer der Berge werden und sie mit vier Söhnen zurücklassen wird. Jedes Kind wird Angela Kummer bereiten. „Verklärt sich in der Einsamkeit/Das Leben ihr und wird zum Traum“, heißt es gegen Schluss.
„Engelberg“ in der Regie von Albert Bolliger ist ein Fest der Stimmen. Nur das Wort zählt in der bis in die Nebenrollen glänzend besetzten Produktion, die kein falsches Pathos zulässt, die Vorlage schlicht ernst nimmt. Die großen Partien sprechen Frank Arnold, der als Erzähler mit ruhiger Stimme durch die Geschichte führt, und der unverwechselbare Christian Brückner als Mönch Hilar, der engste Vertraute von Angela. Die wird von Nadja Schulz-Berlinghoff erst mit Liebreiz, dann mit einer Härte, die einer vereinsamten Frau zu eigen ist, gesprochen. Ein 200 Seiten dickes Booklet über die Entstehung der Dichtung rundet die hörenswerte Aufnahme ab.
FLORIAN WELLE
Conrad Ferdinand Meyer: Engelberg. Mit Frank Arnold, Christian Brückner, Stefan Kaminski u.a. 2 CDs, Laufzeit ca. 111 Min. Sinus Verlag, Kilchberg 2017. 29,80 Euro.
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