Wenn Theolog*innen Gedichte schreiben, lauern zwei Straßengräben: entweder schreiben sie steile theologische Richtigkeiten in Gedichtform, oder sie gründeln irgendwo raunend in esoterisch-„eigentlichen“ Tiefen herum – beide Male weit entfernt vom „Tag aus Gold und Grau“ (Peter Rühmkorf). Die Autorin
und Theologin Lisa Oesterheld meidet beide Straßengräben bravourös. In den 73 Gedichten ihres…mehrWenn Theolog*innen Gedichte schreiben, lauern zwei Straßengräben: entweder schreiben sie steile theologische Richtigkeiten in Gedichtform, oder sie gründeln irgendwo raunend in esoterisch-„eigentlichen“ Tiefen herum – beide Male weit entfernt vom „Tag aus Gold und Grau“ (Peter Rühmkorf). Die Autorin und Theologin Lisa Oesterheld meidet beide Straßengräben bravourös. In den 73 Gedichten ihres neuen, schön gestalteten Buches „Hymne ans Leben“ geht es um Kartoffeln, Flusen, eine Tasse, Sommeräpfel, ein offenes Grab, Schweiß, Häuserzeilen, einen Frachter – und ähnlich konkrete Dinge. Die Autorin schaut bei alltäglichen Erfahrungen genau hin, horcht und spürt. Was sie dabei entdeckt, skizziert sie mit leichten Pinselstrichen: mal staunend oder mitfühlend, mal tastend und fragend, mal lakonisch oder kunstvoll verknappt. Nichts drückt die Leserin bedeutungsschwer nieder, immer gibt es viel freien, beseelten Raum zum Aufatmen – ganz im Sinn des Buch-Mottos von Etty Hillesum: „Die Wörter müssen eigentlich das Schweigen hervorheben“. Viele Sprachbilder prägen sich ein: „Das Wort räumt / auf“; oder: „Staubige / Leichtigkeit der Liebe“; oder: „Die Worte ab-/ schälen bis zum Kern“ – diese anschauliche Klarheit ist sicher Frucht einer disziplinierten und leidenschaftlichen Suche, oder besser: einer kontemplativen Haltung, die zum Finden bereit ist. Der Buchtitel „Hymne ans Leben“ klingt im Zusammenhang solcher Texte weniger wie ein majestätischer Fanfarenstoß, sondern eher wie ein gepfiffener oder gesummter Popsong auf dem Weg zur Arbeit. Kein Gedicht ist länger als eine schmale Buchseite; trotzdem sind diese manchmal nur drei- oder vierzeiligen Miniaturen dicht und reich, kostbar, oft überraschend – und nahrhaft: sie geben nicht nur zu denken, sondern auch zu fühlen und zu spüren. Formal elegant lösen sie ein, was der Theologe Elmar Klinger beobachtet: „es ist außergewöhnlich, das Gewöhnliche zu bejahen (…) Die Liebe zum Gewöhnlichen ist keine gewöhnliche Liebe. Sie ist eine außergewöhnliche Tat.“ Lisa F. Oesterhelds Gedichte sind gelungene literarische Zeugnisse einer solchen außergewöhnlichen Tat.