»Mit dem Hyperion (...) wollte Hölderlin von Anfang an eine terra incognita auf dem Gebiete des Romans erobern. Fremdartig genug nimmt sich das Ergebnis dieses Plans in der Romanliteratur aus. Lange blieb Hölderlins Roman in dem Abseits, das sich sein Held als Eremit in Griechenland selbst erwählt.« Aus dem Nachwort von Jochen Schmidt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2006Eins mit dem Dichter
Heinz Bennent spricht in Bad Homburg den "Hyperion"
Dem Menschen seine Göttlichkeit wiedergeben? So kann sich nur ein junger Mann versteigen. Als die Französische Revolution ausbrach, war Friedrich Hölderlin 19, als die Endfassung seines "Hyperion" erschien, 27 Jahre alt. Das erste Fragment seines Briefromans war schon 1794 in Schillers Zeitschrift "Thalia" erschienen. Da hatte der junge Dichter gerade die erste Station seines tristen Hauslehrerdaseins hinter sich und wußte noch nicht, was beim Frankfurter Bankier Gontard auf ihn zukommen würde: die Liebe in Gestalt der Hausherrin Susette. Hölderlin verewigte sie unter dem Decknamen Diotima in seinem Roman. Denn wie die gleichnamige Seherin Sokrates in die Mysterien des Eros eingeweiht hatte, so führte jetzt die Bankiersgattin den Hauslehrer ins Geheimnis der Schönheit ein.
Sie konnte die Kluft zwischen dem titanischen "Eremiten in Griechenland" namens Hyperion und dem "Kind des Augenblicks" namens Hölderlin nicht überbrücken. Aber dem Schauspieler Heinz Bennent ist es gelungen, die Kluft zwischen Dichter und Rezitator zu überfliegen. Als Gast der Bad Homburger "Hölderlintage" sprach der 85 Jahre alte Mime jetzt in der Zehntscheune des Ortsteils Obererlenbach Passagen aus dem "Hyperion", mit dem er schon halb Europa bereist hat. Er las nicht, er rezitierte den Roman auch nicht auswendig, sondern er hat ihn so verinnerlicht, daß er ganz und gar eins mit dem Text geworden ist. Wie Pilz und Alge sich zur Flechte vereinen, so haben sich hier Schauspieler und Dichter im Rhapsoden wiedergefunden - eine künstlerische Symbiose, an der gern noch 50 Besucher mehr teilgenommen hätten, wäre der Platz nicht begrenzt gewesen.
Barfuß betrat der Schauspieler die Szene, ein antiker Hobo in blauer Schlabberhose und hellem Sweatshirt. Auf dem Stuhl ließ er sich nur gelegentlich nieder, im übrigen sang er das Hohelied der Schönheit seiner Arthrose zum Trotz im Stehen. Wer vorher vielleicht durch die Obstbaumhaine des eingemeindeten Dorfes spaziert war, wo das Heu zum Trocknen gewendet lag und die Wiesenglockenblumen den Feldrain schmückten, der wußte sofort, was Hölderlin meinte, wenn er schrieb: "Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt" und wenn er seinen Freund Bellarmin fragt: "Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur?" Wenn er sich nach "Selbstvergessenheit" sehnt und danach, "einig zu sein mit allem, was lebt", denn: "Das ist der Himmel des Menschen."
Hat sich Hölderlin vielleicht gar nicht verstiegen? "Es ist nichts so klein und wenig, daß man sich nicht daran begeistern könnte", schreibt er. Sei es eine Feder oder ein Samenkorn, was Bennent da imaginär von seiner Hand pustete. "Was ist es denn, daß der Mensch soviel will?" fragt der Dichter.
In der Natur jedenfalls hatte er die "göttliche Schönheit" entdeckt, deren erste Tochter die Kunst und deren zweite die Religion sei. Ein Augenblick der Liebe wiegt ihm die ganze Geschichte auf. Wie alle Mystiker ist Hölderlin-Hyperion ein Sänger des ewigen Augenblicks, den Diotima ihm verkörperte und mit sich nahm, als sie starb. Ihre Abschiedsworte "Ich sterbe, um zu sein" werden später Goethes Mignon ("So laßt mich scheinen, bis ich werde") und Wagners Isolde ("unbewußt - höchste Lust!") wiederholen.
Bennent hat die romantische Rhapsodie von der "großen Liebe, die alles verknüpft", aufs Wesentliche konzentriert und das Pathos entlüftet, das uns Hölderlin heute so unerträglich macht. Schmerz und Trauer über den Verlust der Einheit zwischen Göttlichem und Menschlichem sind geblieben, die Intensität des Gefühls auch, aber den verstiegenen Ton hat der Schauspieler dem Text mit aller Bescheidenheit ausgetrieben, wie es sich für einen anspruchslosen Pilger zur Schönheit geziemt. Er hat uns seinen inwendigen Hölderlin bald leise, bald eruptiv, aber eher beiläufig wiedergegeben, ja, manchem überhaupt erst erschlossen und zugleich gezeigt, was seine Profession zur Kunst macht: die Selbstvergessenheit, nach der sich der Dichter so sehnte.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heinz Bennent spricht in Bad Homburg den "Hyperion"
Dem Menschen seine Göttlichkeit wiedergeben? So kann sich nur ein junger Mann versteigen. Als die Französische Revolution ausbrach, war Friedrich Hölderlin 19, als die Endfassung seines "Hyperion" erschien, 27 Jahre alt. Das erste Fragment seines Briefromans war schon 1794 in Schillers Zeitschrift "Thalia" erschienen. Da hatte der junge Dichter gerade die erste Station seines tristen Hauslehrerdaseins hinter sich und wußte noch nicht, was beim Frankfurter Bankier Gontard auf ihn zukommen würde: die Liebe in Gestalt der Hausherrin Susette. Hölderlin verewigte sie unter dem Decknamen Diotima in seinem Roman. Denn wie die gleichnamige Seherin Sokrates in die Mysterien des Eros eingeweiht hatte, so führte jetzt die Bankiersgattin den Hauslehrer ins Geheimnis der Schönheit ein.
Sie konnte die Kluft zwischen dem titanischen "Eremiten in Griechenland" namens Hyperion und dem "Kind des Augenblicks" namens Hölderlin nicht überbrücken. Aber dem Schauspieler Heinz Bennent ist es gelungen, die Kluft zwischen Dichter und Rezitator zu überfliegen. Als Gast der Bad Homburger "Hölderlintage" sprach der 85 Jahre alte Mime jetzt in der Zehntscheune des Ortsteils Obererlenbach Passagen aus dem "Hyperion", mit dem er schon halb Europa bereist hat. Er las nicht, er rezitierte den Roman auch nicht auswendig, sondern er hat ihn so verinnerlicht, daß er ganz und gar eins mit dem Text geworden ist. Wie Pilz und Alge sich zur Flechte vereinen, so haben sich hier Schauspieler und Dichter im Rhapsoden wiedergefunden - eine künstlerische Symbiose, an der gern noch 50 Besucher mehr teilgenommen hätten, wäre der Platz nicht begrenzt gewesen.
Barfuß betrat der Schauspieler die Szene, ein antiker Hobo in blauer Schlabberhose und hellem Sweatshirt. Auf dem Stuhl ließ er sich nur gelegentlich nieder, im übrigen sang er das Hohelied der Schönheit seiner Arthrose zum Trotz im Stehen. Wer vorher vielleicht durch die Obstbaumhaine des eingemeindeten Dorfes spaziert war, wo das Heu zum Trocknen gewendet lag und die Wiesenglockenblumen den Feldrain schmückten, der wußte sofort, was Hölderlin meinte, wenn er schrieb: "Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt" und wenn er seinen Freund Bellarmin fragt: "Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur?" Wenn er sich nach "Selbstvergessenheit" sehnt und danach, "einig zu sein mit allem, was lebt", denn: "Das ist der Himmel des Menschen."
Hat sich Hölderlin vielleicht gar nicht verstiegen? "Es ist nichts so klein und wenig, daß man sich nicht daran begeistern könnte", schreibt er. Sei es eine Feder oder ein Samenkorn, was Bennent da imaginär von seiner Hand pustete. "Was ist es denn, daß der Mensch soviel will?" fragt der Dichter.
In der Natur jedenfalls hatte er die "göttliche Schönheit" entdeckt, deren erste Tochter die Kunst und deren zweite die Religion sei. Ein Augenblick der Liebe wiegt ihm die ganze Geschichte auf. Wie alle Mystiker ist Hölderlin-Hyperion ein Sänger des ewigen Augenblicks, den Diotima ihm verkörperte und mit sich nahm, als sie starb. Ihre Abschiedsworte "Ich sterbe, um zu sein" werden später Goethes Mignon ("So laßt mich scheinen, bis ich werde") und Wagners Isolde ("unbewußt - höchste Lust!") wiederholen.
Bennent hat die romantische Rhapsodie von der "großen Liebe, die alles verknüpft", aufs Wesentliche konzentriert und das Pathos entlüftet, das uns Hölderlin heute so unerträglich macht. Schmerz und Trauer über den Verlust der Einheit zwischen Göttlichem und Menschlichem sind geblieben, die Intensität des Gefühls auch, aber den verstiegenen Ton hat der Schauspieler dem Text mit aller Bescheidenheit ausgetrieben, wie es sich für einen anspruchslosen Pilger zur Schönheit geziemt. Er hat uns seinen inwendigen Hölderlin bald leise, bald eruptiv, aber eher beiläufig wiedergegeben, ja, manchem überhaupt erst erschlossen und zugleich gezeigt, was seine Profession zur Kunst macht: die Selbstvergessenheit, nach der sich der Dichter so sehnte.
CLAUDIA SCHÜLKE
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