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I Seem to Live, The New York Diaries, 1950-2011 ist das literarische Schlüsselwerk von Jonas Mekas. Der erste Band (1950 - 1969) seines Opus magnum erschien posthum 2019. Es steht gleichberechtigt neben seinem Filmwerk, das er gemeinsam mit seinem Bruder Adolfas entwickelte, nachdem sie 1949 in New York gelandet waren. Mekas begann 1950 seine ersten Filme zu drehen, in denen er eine essayistische Tagebuchform entwickelte, mit der er seine alltäglichen Beobachtungen festhielt. Mit seinen Texten, Filmen und dem unermüdlichen Einsatz für die Kunst wurde er zum Pionier des amerikanischen…mehr

Produktbeschreibung
I Seem to Live, The New York Diaries, 1950-2011 ist das literarische Schlüsselwerk von Jonas Mekas. Der erste Band (1950 - 1969) seines Opus magnum erschien posthum 2019. Es steht gleichberechtigt neben seinem Filmwerk, das er gemeinsam mit seinem Bruder Adolfas entwickelte, nachdem sie 1949 in New York gelandet waren. Mekas begann 1950 seine ersten Filme zu drehen, in denen er eine essayistische Tagebuchform entwickelte, mit der er seine alltäglichen Beobachtungen festhielt. Mit seinen Texten, Filmen und dem unermüdlichen Einsatz für die Kunst wurde er zum Pionier des amerikanischen Avantgarde Kinos und zum Barometer der New Yorker Kunstszene. I Seem to Live, The New York Diaries, 1969 - 2011, vol. 2 erscheint als letzter Band seiner New Yorker Tagebücher mit einem umfangreichen Personenindex, einer Filmografie und Biografie. Jonas Mekas (1922-2019), in Litauen geboren, kam nach dem Aufenthalt in deutschen Lagern für Displaced Persons 1949 nach New York. Mekas war Mitgründer der Anthology Film Archives, Filmemacher, Schriftsteller und Dichter, ein unermüdlicher Verfechter der experimentellen Kunst und eine legendäre New Yorker Gestalt. - Seem to Live: The New York Diaries, 1950-2011 is Jonas Mekas's key literary work. The first volume (1950-1969) of this magnum opus appeared posthumously in 2019. It ranks alongside his cinematic oeuvre, which he elaborated together with his brother Adolfas after their arrival in New York in 1949. In the 1950s, Mekas began to shoot his first films, in the process developing an essayistic format that he would use as a diary to record his day-to-day observations. His writing, films, and unflagging commitment to art made him a pioneer of American avant-garde cinema and the barometer of the New York art scene. I Seem to Live: The New York Diaries, 1969-2011, vol. 2, the second and concluding volume of his diaries, contains an extensive index of names as well as a filmography and biography. Jonas Mekas (1922-2019) was born in Lithuania and arrived in New York in 1949 via post-war DP camps in Germany. Co-founder of the Anthology Film Archives, Mekas was a filmmaker, writer, and poet, as well as a tireless advocate for experimental art and a New York City legend.
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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Tobias Lehmkuhl scheint angetan von den beiden Bänden mit Tagebucheinträgen, Fotos, Postkarten, Zeichnungen und anderen Dokumenten des Avantgarde-Filmemachers Jonas Mekas aus den Jahren 1950-2011. Persönliches und Gefühle kommen praktisch nicht vor, meint er, dafür die Dokumentation dessen, was es heißt, der Kunst noch die letzte Schüssel Bohnen zu opfern (buchstäblich!). Und Melancholie. Und eine inspirierende Unordnung des Materials, so Lehmkuhl. Den Rezensenten betört oft gerade die Sachlichkeit der Einträge, so wenn Mekas den Tod Ginsbergs festhält. Charmant erscheint ihm die Ausgabe gerade im englischen Original, mittlere Englischkenntnisse vorausgesetzt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2022

Der exzentrische Millionär ohne Geld

Zwischen Chelsea Hotel und Andy Warhol, zwischen New Yorker Kulturbürokratie und Picknick im Central Park: Ein zweiter Band mit den Tagebuchnotizen und Fotos von Jonas Mekas ist eine Wundertüte der Literatur und des Films.

Jonas Mekas war ein besonderer Künstler. Ein Dichter, ein Filmemacher, ein Autor von Kolumnen, Kritiken und Briefen, der Gründer von Filmzeitschriften und der New Yorker Anthology Film Archives, und weil er sehr lange lebte, nämlich vom 24. Dezember 1922 bis zum 23. Januar 2019, hatte er am Ende Freunde, Mitstreiter und Schüler aus mehreren Generationen. Und weil er nichts wegwarf, was von irgendeinem Nutzen oder Interesse für ihn (oder die Geschichte möglicherweise) war oder irgendwann einmal sein könnte, besaß er am Ende eine Menge Zeugs. So nannte er das selbst bei einem Treffen in New York: "I have a lot of stuff."

Soweit das "Zeugs" Filme waren, sind sie erhalten, gut dokumentiert und nicht nur in Spezialistenkreisen bekannt. Sie gehören zum Zauberhaftesten und auch zum Wahrhaftigsten, was das Avantgarde-Kino seit den Sechzigerjahren hervorgebracht hat. Soweit das Zeugs auf Papier vorlag, wurden Bücher daraus, dicke, aber geschmeidig broschierte Werke, die bei uns der Spector Verlag aus Leipzig herausbringt. Außer dem "Scrapbook of the Sixties", das Texte von 1954 bis 2010 umfasst, sind es sämtlich Tagebücher. "Ich hatte keinen Ort" heißt das früheste aus der Jugend von Mekas, das von seiner Flucht aus Litauen über die Zeit in einem Zwangsarbeiterlager der Nazis und einem displaced persons camp nach dem Krieg bis zu seiner Ankunft in New York mit seinem Bruder Adolfas erzählt. Es ist das Einzige der Reihe, das in deutscher Übersetzung vorliegt. Darauf folgten die englischsprachigen "New York Diaries", deren erster Band die Jahre 1950 bis 1969 umfasste. Kürzlich erschien der zweite mit (nicht immer datierten) Einträgen bis 2011.

Dieser zweite Band beginnt mit Kapitel 27 im Jahr 1969. Mekas lebte zu dieser Zeit im Chelsea Hotel neben Janis Joplin. Jedem Kapitel ist in fetten Buchstaben vorangestellt, worum es gehen wird: ". . . Future of moving image arts . . . A depressing show by Paik and Laurie Anderson . . . Frampton dies . . . AFA Board meets . . ." und so weiter, sodass dieses sehr dicke Buch wie schon die Vorläufer durch sein Layout und die Organisation der immensen Stoffmasse übersichtlich und handhabbar daherkommt. Da auch noch eine große Menge Fotos in verschiedenen Größen und mit oft lustigen Bildunterschriften versehen (etwa: Quelle Buddha, unveröffentlichte Schriften) sowie faksimilierte Briefe, Postkarten, Gedichte und Notizzettel dazwischengeschoben werden, ist die Lektüre außerordentlich kurzweilig. Bewegend auch, aufregend und herzerwärmend für alle, die New York lieben und die Stadt zumindest in den ersten Jahrzehnten, die diese Tagebücher umfassen, nur aus der Literatur und von Fotos kennen.

Mekas' Blick auf die Stadt ist einerseits realistisch, er sieht die Gier, die Bürokratie, den Neid und die Scheinheiligkeit. Andererseits ist dieser Blick aber auch voller Poesie: "Why New York wasn't destroyed yet? Because somewhere, in some unknown street, there is still someone, some sad lonely human, sotting on the side of his bed, like the guy I saw on 95 Orchard Street, playing his balalaika."

Wie die New Yorker Kunstszene damals funktionierte - auch dazu finden sich hier erstaunliche Belege. Zum Beispiel das offizielle Schriftstück des New Yorker Bevollmächtigten für kulturelle Angelegenheiten - der Henry Geldzahler hieß - vom 25. Juni 1979, in dem er "To Whom it May Concern" Jonas Mekas den Status eines "zertifizierten Künstlers" bestätigt. Oder ein Empfehlungsschreiben von Andy Warhol an den New Yorker Bürgermeister Edward I. Koch, um für dessen Unterstützung beim Kauf eines Gebäudes für die Anthology Film Archives zu werben - das Mekas dann allerdings doch nicht kaufte.

Dafür erwarb er später ein ehemaliges Gerichtsgebäude für sein Filmarchiv und das dazugehörige Kino, und er zeigte mit einigem Stolz die Zellen für die Untersuchungshäftlinge vor, deren damaliger Zustand hier fotografisch belegt ist. Es war übrigens ein Gebäude, das auch Jasper Johns als Atelier haben wollte. Er soll sehr überrascht gewesen sein, dass Mekas ihm zuvorgekommen war. Denn Mekas hatte immer Geldsorgen: "Jeden Morgen komme ich her, frisch und tatenfroh und bereit, eine Million Dollar aufzutreiben. Jeden Abend bin ich so weit, rauszugehen und mich zu betrinken."

Wie das so ist bei Tagebüchern aus einer untergegangenen Zeit, taucht eine Vielzahl von Namen auf, die vermutlich heute kaum noch jemand kennt. Doch ein vorzügliches Register im Umfang von 43 Seiten gibt "selektiv", wie es heißt, Auskunft, um wen es sich handelt - bei Dominic Angerame etwa oder Clayton W. Horn oder auch Sergei Parajanov und den vielen anderen, die den Weg von Mekas kreuzten, eine Weile mit ihm zusammengingen und dann wieder verschwanden. Viele derer, die hier genannt werden, starben weit vor ihm, auch George Maciunas, der Fluxus-Gründer und enge Freund von Mekas, dessen Nachruf in der "New York Times" hier als Ausriss dokumentiert wird.

Was gibt dieser schöne Wälzer her, das über das Anekdotische hinausginge? Etwa Überlegungen zu den wesentlichen Fragen des Kinos, der Kunst und ihrer Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Bedürftigkeit und der immensen Sehnsucht nach Anerkennung, das nicht Mekas, aber viele seiner Kollegen in der Filmszene fast verrückt werden ließ. Mekas hingegen fragt: Warum ist das kommerzielle Kino, das alte wie das junge, so banal? So mittelmäßig, so sehr Mittelklasse? Diese Fragen, die er etwa auch in einer Rede vor der Pariser Cinémathèque stellt, wo er die fehlende Anerkennung für die Avantgarde und ihren Widerstand gegen das kommerzielle Kino beschwört, beschäftigen Jonas Mekas immer wieder in seiner Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Films und des Kinos. Was ist Kunst, wie ihr Verhältnis zum Handwerk, dem sie ähnlich ist, und wie viel Anstrengung braucht es, sie herzustellen? Für Mekas war Kunst ein Mittel des Überlebens, das betraf die Poesie, die Lyrik ebenso wie die Bilder, die er ununterbrochen aufnahm, als wollte er Beweise sammeln dafür, was der Titel dieser Tagebücher feststellt: "I Seem to Live" - offenbar bin ich am Leben. Die Beweise liegen jetzt vor uns.

Es gibt auch eine Reihe von Listen in diesem Buch, dem jede Penibilität fremd ist, die Tagebücher oft so langweilig macht, darunter eine Checkliste, undatiert aus dem Jahr 1972, mit dem Titel "Bedingungen, unter denen ich willig bin, einen Blick auf eingereichte Filme zu werfen". Paraphrasiert sind das diese: Niemals, wenn er allein mit dem Filmemacher im Vorführsaal ist. Nur, wenn er nicht mit dem Filmemacher sprechen oder ihm schreiben muss. Niemals in Privatvorführungen, nur mit Publikum. Niemals, wenn der Film noch nicht fertig ist. Und nur, wenn anerkannt wird, dass er in keinerlei Hinsicht verpflichtet ist, sich einen Film anzuschauen. Umgekehrt erwarte er auch nicht, dass der Filmemacher sich seine Filme anschaue. Und die Erfahrung habe ihn gelehrt, je mehr Druck einer mache, desto mieser sei sein Film. Mekas war, was die eigene Arbeit wie auch die anderer Künstler angeht, nie sentimental.

Er war überhaupt nicht sentimental, was ein Brief von einem Freitag, dem 13., belegt, in dem er eine Reihe von Freunden und Freundinnen über den jämmerlichen Gesundheitszustand gemeinsamer Bekannter informiert. Humor gehörte wie die Kunst zu seinen Überlebensmitteln. Nur wenn ein Redakteur des Branchenblatts "Variety" Litauen Russland zuschlug, hörte der Spaß auf, wie ein Leserbrief belegt.

Die Fotos sind gleichberechtigter Teil dieses Buchs und werden genauso gedruckt wie die Texte. Sie sind daher grau, verschwommen zum Teil, was an diesem Druck und ihrem Alter liegen mag. Trotzdem geht etwas Bezauberndes von ihnen aus, als atmeten in ihnen noch die Augenblicke, die sie festhalten: Mekas etwa, mit einer Kamera gebückt über ein Blumenfeld streichend, am Ort seiner Geburt in Litauen bei seinem ersten Besuch dort nach seiner Flucht im Jahr 1971. Oder Mekas, ausgestreckt im Gras, seine Füße in völliger Entspannung nach außen gekippt, ein Picknick im Central Park und der Blick auf die Hochhäuser gegenüber dem Reservoir. Oder Mekas, tanzend mit seiner kleinen Tochter Oona, für die Peter Kubelka zur Taufe ein Menü mit 21 Speisen zusammengestellt hat, darunter Kalbshirnsuppe und Hoden in Pfefferminz- und Pilzsauce.

Das Ganze läuft in gut 150 Seiten voller maschinengeschriebener Briefe und Nachrichten an die Freunde aus. Manche dieser Briefe lesen sich wie Gedichte, über die Jonas Mekas handschriftlich die Anrede gesetzt hat, dazwischen gestreut noch einige Fotos, als letztes eines von ihm mit einer Werwolfmaske an einem Bistrotisch sitzend, mit einer Flasche in der Hand und vor sich einen Haufen Plastikbecher. Darunter steht: "Jonas Mekas, der exzentrische Millionär, genießt den Sommer inkognito in einer New Yorker Bar." Dann ist das Buch zu Ende. Als sei eine Fortsetzung selbstverständlich; als sei die Unterhaltung mit den Freunden und uns, den Lesern und Zuhörern, nur kurz unterbrochen. Als ginge dieses Leben immer weiter. VERENA LUEKEN

Jonas Mekas: "I Seem to Live". Vol. 2: The New York Diaries 1969-2011.

Hrsg. von Anne König. Spector Books, Leipzig 2021. 725 S., Abb.,

br., 38,- Euro.

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