Das italienische Deutschenbild ist nachhaltig von der Erinnerung an die deutsche Besatzung 1943–1945 geprägt. Die vorliegende Studie befasst sich, auf Interviews mit Zeitzeugen und Archivmaterial gestützt, mit Ursprung und Entwicklung des Bildes von den deutschen Besatzern. Sie stellt dabei dem kollektiven das individuelle Gedächtnis gegenüber, wie es sich in den Erinnerungen ehemaliger Partisanen und KZ-Häftlinge widerspiegelt. Es zeigt sich, dass gerade die Gegner und Opfer der Deutschen weitaus differenzierter über diese urteilen, als man ihnen gemeinhin zuschreibt. Nicht zuletzt sind es die Erinnerungen an einzelne Wehrmachtsdeserteure und deutsche Partisanen in der Resistenza, die ein Aufbrechen ethnischer Feindbilder zulassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2010Aktionen und Reaktionen
Italienische Partisanen im Kampf gegen die Wehrmacht
Matthias Röhrs wanderte 1988 durch Mittelitalien und durch die 1944 hartumkämpften Apenninen-Regionen. Dort erzählten ihm ehemalige Partisanen vom Krieg und von den Folgen für ihr Deutschland-Bild. Die Aufzeichnungen darüber erweiterte Röhrs 1998 durch weitere Gespräche und durch Studien in regionalen Resistenza-Archiven. Sein Buch berichtet nun - sehr breit zitierend - aus jenem Sektor der italienischen Gesellschaft, der in den Krieg gegen die deutsche Wehrmacht aktiv eingriff und darum Repressalien teils schlimmster Art erlebte. Doch dieser Sektor umfasst insgesamt - so der große Faschismusforscher Renzo De Felice zuletzt 1995 - höchstens fünf Prozent der Italiener.
Das Buch ist "den Deserteuren der Wehrmacht" und den italienischen Freiheitskämpfern" gewidmet. Den Partisanen hatten sich nämlich etliche deutsche beziehungsweise österreichische Deserteure angeschlossen. Sie trugen mit dazu bei, dass in den Kreisen der Partisanen das Bild von den Deutschen nicht nur negativ ausfiel. Doch Röhrs urteilt oft im Sinn jener "linken" Kultur Italiens, welche ein halbes Jahrhundert lang den Eindruck erweckte, dass die Partisanen nur für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft und erheblichen Anteil an der Besiegung des "Nazifaschismus" gehabt hätten. Immerhin erinnert er daran, dass Italien nicht nur Opfer, sondern von 1940 bis 1943 der engste Verbündete des nationalsozialistischen Deutschlands war - obwohl die Zahl der Italiener, die den Krieg ablehnten und das auch artikulierten, wuchs. Ebenso gibt er Grausamkeiten der Partisanen zu, entschuldigt sie aber mit der Härte der Gegner.
Dass kommunistische Partisanen 1945 auch Antifaschisten anderer politischer Couleur bedrängten oder umbrachten, erfährt man nicht. Wahrscheinlich sind in den Wirren bei Kriegsende im April/Mai 1945 mehr Zivilisten getötet worden als in den vorausgegangenen 20 Kriegsmonaten seit dem September 1943. Röhrs möchte unparteiisch sein, aber trotz etlicher Ansätze dazu gelingt ihm das insgesamt nicht. Zunächst wäre zuzugeben, dass die Wehrmacht zwar unter dem Oberbefehl eines Verbrechers stand, aber doch weithin ihren eigenen Regeln folgte und im Westen und Süden keineswegs einen Vernichtungskrieg führte und dass sie in Italien auch nach 1943 nicht gegen die Italiener, sondern gegen die Anglo-Amerikaner kämpfte. Großbritannien und die Vereinigten Staaten waren an Unterstützung durch eine sich langsam formierende italienische Resistenza nicht interessiert, weil diese kommunistisch dominiert war. Abgesehen von den seit mehr als 20 Jahren von italienischen und deutschen Historikern aufgearbeiteten Exzessen an italienischen Truppenteilen, welche im September 1943 die Kapitulation verweigerten, verhielt sich die Wehrmacht in Italien weitaus korrekter, als heute behauptet wird.
1998 wurde Röhrs in Italien unfreundlicher empfangen als ein Jahrzehnt zuvor. Trotz des größeren zeitlichen Abstandes zu 1945 konstatiert er eine Verschlechterung der Beziehungen und der Bilder, die er auf neuen Nationalismus und auf neuen Fremdenhass zurückführt. Er macht dafür die Berlusconi-Koalition verantwortlich, was sicher nicht ganz falsch ist, obwohl Berlusconi selbst das Geschichtsbild der Linken stets verworfen hat. Hier wäre wieder zu unterscheiden und sowohl auf Berliner Überheblichkeiten gegenüber Italien wie auch auf die von den Partisanen hergeleiteten Pauschalurteile über "die deutschen Nazis" zu verweisen, die sich deutsche Sozialhistoriker oft zu eigen machen. Darüber wird vergessen, dass sehr viele Italiener an den Zweiten Weltkrieg differenzierendere Erinnerungen hatten als die Partisanen. Nicht zuletzt deshalb konnten Ministerpräsident De Gasperi und Kanzler Adenauer in den fünfziger Jahren eine schnelle Verständigung einleiten, die - bestärkt durch kulturelle Beziehungen - jedenfalls vier Jahrzehnte lang positiv gewirkt hat.
RUDOLF LILL
Matthias Röhrs: I Tedeschi. Das Bild der Deutschen in italienischen Kriegserinnerungen. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 2009. 583 S., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Italienische Partisanen im Kampf gegen die Wehrmacht
Matthias Röhrs wanderte 1988 durch Mittelitalien und durch die 1944 hartumkämpften Apenninen-Regionen. Dort erzählten ihm ehemalige Partisanen vom Krieg und von den Folgen für ihr Deutschland-Bild. Die Aufzeichnungen darüber erweiterte Röhrs 1998 durch weitere Gespräche und durch Studien in regionalen Resistenza-Archiven. Sein Buch berichtet nun - sehr breit zitierend - aus jenem Sektor der italienischen Gesellschaft, der in den Krieg gegen die deutsche Wehrmacht aktiv eingriff und darum Repressalien teils schlimmster Art erlebte. Doch dieser Sektor umfasst insgesamt - so der große Faschismusforscher Renzo De Felice zuletzt 1995 - höchstens fünf Prozent der Italiener.
Das Buch ist "den Deserteuren der Wehrmacht" und den italienischen Freiheitskämpfern" gewidmet. Den Partisanen hatten sich nämlich etliche deutsche beziehungsweise österreichische Deserteure angeschlossen. Sie trugen mit dazu bei, dass in den Kreisen der Partisanen das Bild von den Deutschen nicht nur negativ ausfiel. Doch Röhrs urteilt oft im Sinn jener "linken" Kultur Italiens, welche ein halbes Jahrhundert lang den Eindruck erweckte, dass die Partisanen nur für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft und erheblichen Anteil an der Besiegung des "Nazifaschismus" gehabt hätten. Immerhin erinnert er daran, dass Italien nicht nur Opfer, sondern von 1940 bis 1943 der engste Verbündete des nationalsozialistischen Deutschlands war - obwohl die Zahl der Italiener, die den Krieg ablehnten und das auch artikulierten, wuchs. Ebenso gibt er Grausamkeiten der Partisanen zu, entschuldigt sie aber mit der Härte der Gegner.
Dass kommunistische Partisanen 1945 auch Antifaschisten anderer politischer Couleur bedrängten oder umbrachten, erfährt man nicht. Wahrscheinlich sind in den Wirren bei Kriegsende im April/Mai 1945 mehr Zivilisten getötet worden als in den vorausgegangenen 20 Kriegsmonaten seit dem September 1943. Röhrs möchte unparteiisch sein, aber trotz etlicher Ansätze dazu gelingt ihm das insgesamt nicht. Zunächst wäre zuzugeben, dass die Wehrmacht zwar unter dem Oberbefehl eines Verbrechers stand, aber doch weithin ihren eigenen Regeln folgte und im Westen und Süden keineswegs einen Vernichtungskrieg führte und dass sie in Italien auch nach 1943 nicht gegen die Italiener, sondern gegen die Anglo-Amerikaner kämpfte. Großbritannien und die Vereinigten Staaten waren an Unterstützung durch eine sich langsam formierende italienische Resistenza nicht interessiert, weil diese kommunistisch dominiert war. Abgesehen von den seit mehr als 20 Jahren von italienischen und deutschen Historikern aufgearbeiteten Exzessen an italienischen Truppenteilen, welche im September 1943 die Kapitulation verweigerten, verhielt sich die Wehrmacht in Italien weitaus korrekter, als heute behauptet wird.
1998 wurde Röhrs in Italien unfreundlicher empfangen als ein Jahrzehnt zuvor. Trotz des größeren zeitlichen Abstandes zu 1945 konstatiert er eine Verschlechterung der Beziehungen und der Bilder, die er auf neuen Nationalismus und auf neuen Fremdenhass zurückführt. Er macht dafür die Berlusconi-Koalition verantwortlich, was sicher nicht ganz falsch ist, obwohl Berlusconi selbst das Geschichtsbild der Linken stets verworfen hat. Hier wäre wieder zu unterscheiden und sowohl auf Berliner Überheblichkeiten gegenüber Italien wie auch auf die von den Partisanen hergeleiteten Pauschalurteile über "die deutschen Nazis" zu verweisen, die sich deutsche Sozialhistoriker oft zu eigen machen. Darüber wird vergessen, dass sehr viele Italiener an den Zweiten Weltkrieg differenzierendere Erinnerungen hatten als die Partisanen. Nicht zuletzt deshalb konnten Ministerpräsident De Gasperi und Kanzler Adenauer in den fünfziger Jahren eine schnelle Verständigung einleiten, die - bestärkt durch kulturelle Beziehungen - jedenfalls vier Jahrzehnte lang positiv gewirkt hat.
RUDOLF LILL
Matthias Röhrs: I Tedeschi. Das Bild der Deutschen in italienischen Kriegserinnerungen. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 2009. 583 S., 34,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die angepeilte Unparteilichkeit gelingt dem Autor laut Rudolf Lill nur ansatzweise. Der auf breiter Zitatbasis angelegte Band, der das Deutschland-Bild italienischer Partisanen zu rekonstruieren sucht, gerät für den Rezensenten allzu oft in Gefahr, im Sinn einer italienischen Linken zu urteilen, die Italiens Paktieren mit dem nationalsozialistischen Deutschland gerne vergisst. Lill weist darauf hin, dass sich die Wehrmacht in Italien korrekter verhielt, "als heute behauptet wird". Außerdem ist er der Meinung, dass viele Italiener differenziertere Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg hatten als die Partisanen und auch als mancher deutsche Sozialhistoriker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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