Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • ISBN-13: 9783250103158
  • Artikelnr.: 07321816
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.1998

Afrikas kurzes Gedächtnis
Der Feind in meinem Land: Aus den Streunerjahren Wole Soyinkas

Schon als Wole Soyinka dort studierte, war Ibadan die größte schwarze afrikanische Stadt südlich der Sahara. Wie wenig heute noch davon bei uns bekannt ist, macht der Verlag deutlich, wenn er "Ibadan", Soyinkas nunmehr drittes Erinnerungsbuch nach "Aké" und "Isarà", "in einer kleinen Stadt im Westen Nigerias" spielen läßt. Daß solche Mißverständnisse Verkaufsstrategien folgen, die sich zudem in pittoreskes Ethno-Design kleiden, kann man nicht dem Autor anlasten.

Doch so fremd Soyinkas "Ibadan" angeschaut werden mag, so fremd schaut es zurück, aus Gründen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Eine mißglückte Konzeption muß nicht Ursache für Rezeptionsbarrieren sein. Soyinka erinnert sich, so bunt wie möglich, so tatsachenreich wie nötig, um seinen Lesern das Verständnis der gegenwärtigen Situation Nigerias zu erleichtern. Doch wer sind diese Leser? Mitteleuropäisches Schmökerpublikum jedenfalls darf fasziniert in eine farbenprächtige Geschichtenwelt eintauchen, die so weit entfernt ist, daß sie auch ohne die Schilderungen politischer Verflechtungen interessant erscheint.

"Ibadan" erzählt die Erinnerungen des Nobelpreisträgers an seine Schulzeit, an die Studentenjahre in England und Frankreich, an die Zeit als Universitätsdozent in Ibadan, an die Anfänge als Dramatiker, an die ersten Jahre der vollständigen Unabhängigkeit Nigerias 1960 und an seine Verwicklung in die innenpolitischen Konflikte. Soyinka hat das Buch im amerikanischen Exil verfaßt, unmittelbar nach seiner Flucht aus Nigeria im Jahre 1993. Den Anlaß erklärt er im Vorwort, das in der deutschen Übersetzung allerdings fehlt. Es ist unverständlich, warum auf diese Hilfestellung des Autors verzichtet wurde.

Die großen Hoffnungen, die Soyinka und die Mehrheit der Nigerianer 1993 an die nach langer Zeit ersten demokratischen Wahlen geknüpft hatten, wurden von der Militärjunta brutal enttäuscht. Die Wahlen wurden annulliert, die anschließenden Protestdemonstrationen blutig zusammengeschossen. Für Soyinka, der damals fliehen mußte, wiederholt sich in der gegenwärtigen Entwicklung ein Dilemma, das Nigerias Gesellschaft seit der Staatsgründung prägt. Das Ringen um politische sowie kulturelle Kontinuität wird hier ebenso so rasch vergessen wie die Gewalttaten, die nicht abreißen. Nigeria ist ein Land mit einem kurzen Gedächtnis. So haben alle demokratischen Bemühungen kaum Folgen über den Augenblick hinaus. Die Menschen in seiner Heimat, sagte Soyinka im vergangenen Jahr in einem Interview, seien ihr eigener Feind. Bei aller Munterkeit, die "Ibadan" an den Tag legt, will Soyinka dieses pessimistische Bild der Gesellschaft in der Unordnung der eigenen frühen Jahre spiegeln.

"Faction" heißt das Genre, dessen Soyinka sich in "Ibadan" bedient. Verblaßten Erinnerungen durch Erfindungen nachträglich aufzuhelfen ist jedoch nicht sein vorrangiges Ziel. Der Autor bemüht sich um Diskretion, um niemanden in Nigeria zu kompromittieren und der Repression durch die Militärs auszusetzen. Daß Soyinka auch die erzählerischen Möglichkeiten dieser kleinen Fluchten nutzt, macht das Buch lesenswert. Es ist aber auch ein Grund für die Hürden, die seinen aufklärerischen Zielen im Weg liegen. Immer wieder finden sich spannende Szenen, vor allem in den Erinnerungen an die Schulzeit oder in merkwürdigen Begebenheiten Soyinkas als mittelloser Sänger in der Pariser Botschaft Nigerias wenige Monate vor der Unabhängigkeit. Doch fügt sich nichts zu einem Lebensbild. Und im dichten Geflecht aus Namen, Daten und Konflikten der jüngeren nigerianischen Geschichte geht die durch die Erzählung erst gewonnene Aufmerksamkeit wieder verloren. Übrig bleibt Soyinkas müder Dissens, dem eine straffere Form auch in der Sache dienlich gewesen wäre.

"Ibadan" ist wohl nicht für europäische Leser geschrieben. Wiederholt macht Soyinka deutlich, an welchen Grenzmarkierungen des Rassismus, an welchen Verwerfungen nachkolonialer Perspektiven noch der wohlmeinendste Leser scheitern muß. Dieselbe Egozentrik, mit der Soyinkas Alter ego Maren seine Sturm-und-Drang-Jahre durchlebt - die "Penkeleemes Years", wie der originale Untertitel den entsprechenden Ausdruck "peculiar mess" verballhornt -, hindert noch den Sechzigjährigen, eine Form zu finden, die verstehen ließe, was die innenpolitischen Intrigenspiele im gerade von der britischen Kolonialmacht unabhängig gewordenen Nigeria mit der Biographie Soyinkas und seiner Hauptrolle als moralischer Instanz der dünnen akademischen Schicht so dicht verflicht.

Soyinka demonstriert, anekdotisch eindrucksvoll, wie alltäglicher Rassismus funktioniert, wie das Scheitern der Bemühungen um einen inneren Zusammenhalt Nigerias mit dem subtilen Fortwirken der Rassenvorurteile der Kolonialzeit zu tun hat. Doch zugleich macht Maren keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Homosexuelle. Seine Beziehungen zu Frauen schildert er merkwürdig zurückhaltend. Er läßt sie eben das erfahren, was er als rassistische Unterdrückung anklagt: Frauen werden in diesem Männerbuch ganz selbstverständlich marginalisiert. Daß zudem die Erinnerungen an die Zeit zwischen dem zwölften und einunddreißigsten Lebensjahr Sexualität jeglicher Form aussparen, ist zumindest bemerkenswert. Dafür muß allein eine Anekdote einstehen, in der er erzählt wird, wie Soyinka während eines Kuba-Aufenthaltes eine Nacht mit einer französischen Journalistin verbringt, die wenige Tage zuvor auch Fidel Castros Gefallen gefunden hatte. Daß er gegenüber Castro im Potenzvergleich gut abgeschnitten hat, verschafft Soyinka mehr Befriedigung, als jede politische Auseinandersetzung mit ebenfalls angereisten, vorzugsweise europäischen Stalinisten es vermocht hätte. GUIDO GRAF

Wole Soyinka: "Ibadan. Streunerjahre 1946 bis 1965". Erinnerungen. Aus dem Englischen übersetzt von Irmgard Hölscher, Gerd Meuer und Ilse Strasmann. Ammann Verlag, Zürich 1998. 500 S., geb., 49,80 DM.

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