Mit ihrer Serie Iceland nimmt sich Ulrike Crespo einer außergewöhnlichen Landschaft an, die schon seit dem 19. Jahrhundert unzählige Reise- und Kunstfotografen inspiriert hat. Und doch gelingen ihr Bilder, die den atemberaubenden Farben- und Formenreichtum dieser wilden Insel auf ganz neue Weise, häufig in beinahe abstrakten Details zeigen: türkisblaue Eisberge, schwarzer Vulkansand, weiß schäumende Wasserfälle, grün bemooste Felsen, schwefelgelbe Geröllwüsten.
Seit den 1990er-Jahren setzt sich Ulrike Crespo intensiv mit Fotografie auseinander.
2011 erschien ihr erster Fotoband Twilight mit Bildern, die von der Dämmerung erzählen,
im Kehrer Verlag. Es folgten weitere Bücher, darunter das Blumenbildern gewidmete
Ephemere (2012), die mit Infrarotfotografie verfremdeten Landschaftsbilder in Cold
Landscape (2013), und schließlich wogende Wälder aus Algen und Tang in Unter der
Haut des Wassers (2015). Ulrike Crespos Fotografien wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt / Main, Wien und West Cork, Irland.
Seit den 1990er-Jahren setzt sich Ulrike Crespo intensiv mit Fotografie auseinander.
2011 erschien ihr erster Fotoband Twilight mit Bildern, die von der Dämmerung erzählen,
im Kehrer Verlag. Es folgten weitere Bücher, darunter das Blumenbildern gewidmete
Ephemere (2012), die mit Infrarotfotografie verfremdeten Landschaftsbilder in Cold
Landscape (2013), und schließlich wogende Wälder aus Algen und Tang in Unter der
Haut des Wassers (2015). Ulrike Crespos Fotografien wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt / Main, Wien und West Cork, Irland.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2017Nachrichten aus dem Erdinnern
Die Fotografin Ulrike Crespo erzählt in ihrem Island-Buch das Märchen von der Entstehung der Welt.
Von Freddy Langer
Nur auf zwei Bildern in Ulrike Crespos Island-Buch sind Menschen zu sehen. Aber man spürt sie nicht. Sie strahlen nichts aus. Schlimmer noch: Sie spielen keine Rolle. Wie zufällig balancieren sie an der Abbruchkante eines schäumenden Wasserfalls oder kauern am Fuß einer senkrecht aufragenden Klippe. Sie waren einfach da, wie Touristen eben so da sind bei Attraktionen und Sehenswürdigkeiten unweit der Straße, nahe an einem Parkplatz, was insofern allerdings ganz praktisch war, als sie jetzt zum Maßstab werden. Durch die Staffage erscheint die schroffe Wildnis noch größer, noch dramatischer, noch unwirtlicher. Letztlich sind diese Personen nur Ameisen in der Unendlichkeit einer dem Menschen hohnsprechenden Natur.
Auf keinem der Bilder in Ulrike Crespos Island-Buch sind Trolle zu sehen, Lichtfeen, Zwerge, Berggeister oder das Huldufólk. Aber man spürt sie. Auf fast jeder Aufnahme spielen sie ihre unsichtbare Rolle. Wenn Geröll von Moos umwachsen ist, wenn Felsen in wildem Zickzack zerborsten sind, wenn ein Gletschersee in strahlendem Türkis eingebettet in hügeliger Landschaft liegt wie ein aufgerissenes Auge, das in den Himmel starrt: Das sind Aufnahmen eines Märchenlands, dessen Architektur von den Launen tektonischer Urkräfte gestaltet wurde. "Dort war der Hof, wo jetzt die Burg steht", heißt es lakonisch im "Landnámabók", dem Buch von der Besiedlung Islands, über den Ausbruch eines Vulkans, der um das Jahr 900 herum an die Stelle eines Bauernhauses kurzerhand seinen mächtigen Krater setzte. So schnell kann das gehen. Und es ist mehr als einmal passiert in der Geschichte der Insel. Stratovulkane, Schildvulkane, Spaltenvulkane und Kraterreihen bestimmen die Topographie. Dazwischen mächtige Gletscher und weite, öde Landstriche wie Mondlandschaften, in denen kein Baum und kein Strauch wächst, sondern nur die Schleier der Solfatare aus dem Boden steigen oder Fontänen kochend heißen Wassers in den Himmel schießen, über die eisige Stürme galoppieren und fast täglich Regen oder Schnee ihre Hexentänze aufführen. Natürlich ist eine solche Welt von Geisterwesen bewohnt. Nur so lässt sie sich begreifen, ohne angesichts all der Naturwunder den Verstand zu verlieren. Kein Isländer sagt nein, wenn man ihn fragt, ob er an Geister glaube. "Eigentlich nein", sagen sie, und noch dabei ist ihnen unwohl zumute. Bis heute zeigen die Isländer ihre vier Schutzgeister auf dem Kleingeld. Und keiner stört sich daran, dass die Straße von Reykjavik nach Álfhólsvegur mit scharfem Knick um einen Elfenfelsen herumgebaut wurde.
Ob Ulrike Crespo an Geister glaubt, an Feen und Trolle? Wer weiß. In früheren Büchern ist die Fotografin mit Wohnung in Frankfurt und Haus an der irischen Küste zwischen Schlingpflanzen ins Meer gestiegen oder hat sich mit dem Objektiv buchstäblich in Blumenblüten gebohrt. Esoterisch ist das nicht. Eher kündet es von der Besessenheit, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Und so lassen sich ihre Aufnahmen zersprengter Basaltsäulen, zerrissener Gletscher und finsterer Schlünde von Kratern und Erdspalten auch verstehen als eine Studie der Entstehung der Welt. Island wird bei ihr zum Kreißsaal der Erde, die sich aus dem Schoß auseinander driftender Kontinentalplatten selbst gebiert und dabei feiert und feuert, dass es nur so kracht und grollt. Jeder hat die Bilder vom Ausbruch des Eyjafjallajökull noch vor Augen, der im Frühjahr 2010 mit seiner Aschewolke den Flugverkehr über Europa lahmlegte. Ulrike Crespo hat die Insel danach besucht, in einer Zeit verzaubernder Stille und berauschender Farben von Grün bis Rot, von Blau bis Braun - und ihr Momente von fast heiliger Schönheit entlockt.
"Iceland" von Ulrike Crespo. Mit Texten von Halldór Gudmundsson und Matthias Wagner K. Kehrer Verlag, Heidelberg 2017. 232 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 48 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Fotografin Ulrike Crespo erzählt in ihrem Island-Buch das Märchen von der Entstehung der Welt.
Von Freddy Langer
Nur auf zwei Bildern in Ulrike Crespos Island-Buch sind Menschen zu sehen. Aber man spürt sie nicht. Sie strahlen nichts aus. Schlimmer noch: Sie spielen keine Rolle. Wie zufällig balancieren sie an der Abbruchkante eines schäumenden Wasserfalls oder kauern am Fuß einer senkrecht aufragenden Klippe. Sie waren einfach da, wie Touristen eben so da sind bei Attraktionen und Sehenswürdigkeiten unweit der Straße, nahe an einem Parkplatz, was insofern allerdings ganz praktisch war, als sie jetzt zum Maßstab werden. Durch die Staffage erscheint die schroffe Wildnis noch größer, noch dramatischer, noch unwirtlicher. Letztlich sind diese Personen nur Ameisen in der Unendlichkeit einer dem Menschen hohnsprechenden Natur.
Auf keinem der Bilder in Ulrike Crespos Island-Buch sind Trolle zu sehen, Lichtfeen, Zwerge, Berggeister oder das Huldufólk. Aber man spürt sie. Auf fast jeder Aufnahme spielen sie ihre unsichtbare Rolle. Wenn Geröll von Moos umwachsen ist, wenn Felsen in wildem Zickzack zerborsten sind, wenn ein Gletschersee in strahlendem Türkis eingebettet in hügeliger Landschaft liegt wie ein aufgerissenes Auge, das in den Himmel starrt: Das sind Aufnahmen eines Märchenlands, dessen Architektur von den Launen tektonischer Urkräfte gestaltet wurde. "Dort war der Hof, wo jetzt die Burg steht", heißt es lakonisch im "Landnámabók", dem Buch von der Besiedlung Islands, über den Ausbruch eines Vulkans, der um das Jahr 900 herum an die Stelle eines Bauernhauses kurzerhand seinen mächtigen Krater setzte. So schnell kann das gehen. Und es ist mehr als einmal passiert in der Geschichte der Insel. Stratovulkane, Schildvulkane, Spaltenvulkane und Kraterreihen bestimmen die Topographie. Dazwischen mächtige Gletscher und weite, öde Landstriche wie Mondlandschaften, in denen kein Baum und kein Strauch wächst, sondern nur die Schleier der Solfatare aus dem Boden steigen oder Fontänen kochend heißen Wassers in den Himmel schießen, über die eisige Stürme galoppieren und fast täglich Regen oder Schnee ihre Hexentänze aufführen. Natürlich ist eine solche Welt von Geisterwesen bewohnt. Nur so lässt sie sich begreifen, ohne angesichts all der Naturwunder den Verstand zu verlieren. Kein Isländer sagt nein, wenn man ihn fragt, ob er an Geister glaube. "Eigentlich nein", sagen sie, und noch dabei ist ihnen unwohl zumute. Bis heute zeigen die Isländer ihre vier Schutzgeister auf dem Kleingeld. Und keiner stört sich daran, dass die Straße von Reykjavik nach Álfhólsvegur mit scharfem Knick um einen Elfenfelsen herumgebaut wurde.
Ob Ulrike Crespo an Geister glaubt, an Feen und Trolle? Wer weiß. In früheren Büchern ist die Fotografin mit Wohnung in Frankfurt und Haus an der irischen Küste zwischen Schlingpflanzen ins Meer gestiegen oder hat sich mit dem Objektiv buchstäblich in Blumenblüten gebohrt. Esoterisch ist das nicht. Eher kündet es von der Besessenheit, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Und so lassen sich ihre Aufnahmen zersprengter Basaltsäulen, zerrissener Gletscher und finsterer Schlünde von Kratern und Erdspalten auch verstehen als eine Studie der Entstehung der Welt. Island wird bei ihr zum Kreißsaal der Erde, die sich aus dem Schoß auseinander driftender Kontinentalplatten selbst gebiert und dabei feiert und feuert, dass es nur so kracht und grollt. Jeder hat die Bilder vom Ausbruch des Eyjafjallajökull noch vor Augen, der im Frühjahr 2010 mit seiner Aschewolke den Flugverkehr über Europa lahmlegte. Ulrike Crespo hat die Insel danach besucht, in einer Zeit verzaubernder Stille und berauschender Farben von Grün bis Rot, von Blau bis Braun - und ihr Momente von fast heiliger Schönheit entlockt.
"Iceland" von Ulrike Crespo. Mit Texten von Halldór Gudmundsson und Matthias Wagner K. Kehrer Verlag, Heidelberg 2017. 232 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 48 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.06.2017REISEBUCH
Etüden in Eis
Ein Bildband von Ulrike Crespo zeigt Islands Natur als abstraktes Kunstwerk,
in dem der Mensch seinen Platz finden muss
VON INGRID BRUNNER
Es gibt Topografien und Farben, die der Betrachter sofort in einer Region verorten kann – etwa die rote Erde in Australien. Und andere, bei denen er sich grandios irrt – etwa die rote Erde, die es auch in Namibia gibt. Und es gibt Landschaften, die man auf Fotografien nicht als solche erkennt, ein Nirgendwo, das man für abstrakte Kunst halten könnte. Island hat von alldem im Überfluss. Der Fotografin Ulrike Crespo ist es in ihrem Bildband „Iceland“ gelungen, diese drei Seiten der Insel im Nordatlantik zu zeigen. Crespo ist dabei so wortkarg, wie es die Isländer angeblich sind. Sie lässt lieber die Wirkmacht ihrer Bilder sprechen. Lediglich im Vor- und im Nachwort findet sich Text.
Eingangs kommt der Islandkenner Matthias Wagner K zu Wort, der Passagen des Romans „Das Graumoos glüht“ von Thor Vilhjálmsson mit eigenen Texten zu einer poetisch-assoziativen Wortcollage zusammenbindet. Er schreibt treffend von Grauzonen-, Ockerzonen- und Blauzonenaugenblicken, die man in Island erlebt. Und stimmt damit ein auf die Magie von Crespos Fotografien, die – auch – nach einem farblichen Sinnzusammenhang gruppiert sind.
Mal sind es schwarze, fast monochrome Lavalandschaften, wären da nicht zart grüne, leuchtend rote, orangefarbene Flechten und Moose, die Vulkankrater, Basaltsäulen, Tuffstein besiedeln. Mal sind es die Ausdünstungen von Solfataren, giftig-gelblich bis ockerfarben wie die Farbpalette des Teufels. Dann wieder saftiges Grün von Moos, das ein Lavafeld überwuchert und in eine weich gepolsterte Loungezone für Elfen verwandelt. Und erst das Blau: das spärliche Blau des Himmels, das von Mineralien gesättigte milchige Blau der Seen, das leuchtende Blau in tausend Jahre altem Gletschereis. Ihre Eisbilder sind wie Etüden zu Eis, ein Thema, das sie nicht loszulassen scheint. Hier zeigt sie das Island, das selbst Isländern, so Halldór Guðmundsson im Nachwort, unbekannt ist. Europas größte Wüste, schreibt der Autor Guðmundsson, ist nur an seinen Rändern bewohnbar. Dort sollte der Mensch auch bleiben, um diese fragile Naturschönheit zu bewahren. Der Besucheransturm stimmt ihn nachdenklich. Ulrike Crespos Bildband hat einen Nerv getroffen, die erste Auflage ist bereits ausverkauft. Ihre Arbeit wird den Touristenstrom nicht bremsen. Eher im Gegenteil.
Ulrike Crespo: Iceland, Kehrer Verlag, Frankfurt, 2017, 240 Seiten, 48 Euro, die zweite Auflage ist Anfang Juli im Handel.
Blaue Stunde in Europas größter Wüste: eine Eislandschaft in Island. Foto: Ulrike Crespo
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Etüden in Eis
Ein Bildband von Ulrike Crespo zeigt Islands Natur als abstraktes Kunstwerk,
in dem der Mensch seinen Platz finden muss
VON INGRID BRUNNER
Es gibt Topografien und Farben, die der Betrachter sofort in einer Region verorten kann – etwa die rote Erde in Australien. Und andere, bei denen er sich grandios irrt – etwa die rote Erde, die es auch in Namibia gibt. Und es gibt Landschaften, die man auf Fotografien nicht als solche erkennt, ein Nirgendwo, das man für abstrakte Kunst halten könnte. Island hat von alldem im Überfluss. Der Fotografin Ulrike Crespo ist es in ihrem Bildband „Iceland“ gelungen, diese drei Seiten der Insel im Nordatlantik zu zeigen. Crespo ist dabei so wortkarg, wie es die Isländer angeblich sind. Sie lässt lieber die Wirkmacht ihrer Bilder sprechen. Lediglich im Vor- und im Nachwort findet sich Text.
Eingangs kommt der Islandkenner Matthias Wagner K zu Wort, der Passagen des Romans „Das Graumoos glüht“ von Thor Vilhjálmsson mit eigenen Texten zu einer poetisch-assoziativen Wortcollage zusammenbindet. Er schreibt treffend von Grauzonen-, Ockerzonen- und Blauzonenaugenblicken, die man in Island erlebt. Und stimmt damit ein auf die Magie von Crespos Fotografien, die – auch – nach einem farblichen Sinnzusammenhang gruppiert sind.
Mal sind es schwarze, fast monochrome Lavalandschaften, wären da nicht zart grüne, leuchtend rote, orangefarbene Flechten und Moose, die Vulkankrater, Basaltsäulen, Tuffstein besiedeln. Mal sind es die Ausdünstungen von Solfataren, giftig-gelblich bis ockerfarben wie die Farbpalette des Teufels. Dann wieder saftiges Grün von Moos, das ein Lavafeld überwuchert und in eine weich gepolsterte Loungezone für Elfen verwandelt. Und erst das Blau: das spärliche Blau des Himmels, das von Mineralien gesättigte milchige Blau der Seen, das leuchtende Blau in tausend Jahre altem Gletschereis. Ihre Eisbilder sind wie Etüden zu Eis, ein Thema, das sie nicht loszulassen scheint. Hier zeigt sie das Island, das selbst Isländern, so Halldór Guðmundsson im Nachwort, unbekannt ist. Europas größte Wüste, schreibt der Autor Guðmundsson, ist nur an seinen Rändern bewohnbar. Dort sollte der Mensch auch bleiben, um diese fragile Naturschönheit zu bewahren. Der Besucheransturm stimmt ihn nachdenklich. Ulrike Crespos Bildband hat einen Nerv getroffen, die erste Auflage ist bereits ausverkauft. Ihre Arbeit wird den Touristenstrom nicht bremsen. Eher im Gegenteil.
Ulrike Crespo: Iceland, Kehrer Verlag, Frankfurt, 2017, 240 Seiten, 48 Euro, die zweite Auflage ist Anfang Juli im Handel.
Blaue Stunde in Europas größter Wüste: eine Eislandschaft in Island. Foto: Ulrike Crespo
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