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Kathryn Harrisons Buch ist die klassische Geschichte einer Tochter: Mit der abgöttisch geliebten Mutter, von der sie abgelehnt wird, weil Kathryn in ihren Augen der Grund für die Trennung von ihrem Mann ist; mit dem Vater, der unter dem Vorwand, seine Tochter sehen zu wollen einzig an dem Zusammentreffen mit der Mutter interessiert ist; mit den Großeltern, die das Kind benutzten, um ihr liebstes Besitztum, die Tochter, nicht aus den Händen geben zu müssen. In einem unterscheidet sich diese Geschichte jedoch von anderen dieser Art: Mit Anfang zwanzig läßt Kathryn sich auf ein Liebesverhältnis…mehr

Produktbeschreibung
Kathryn Harrisons Buch ist die klassische Geschichte einer Tochter: Mit der abgöttisch geliebten Mutter, von der sie abgelehnt wird, weil Kathryn in ihren Augen der Grund für die Trennung von ihrem Mann ist; mit dem Vater, der unter dem Vorwand, seine Tochter sehen zu wollen einzig an dem Zusammentreffen mit der Mutter interessiert ist; mit den Großeltern, die das Kind benutzten, um ihr liebstes Besitztum, die Tochter, nicht aus den Händen geben zu müssen. In einem unterscheidet sich diese Geschichte jedoch von anderen dieser Art: Mit Anfang zwanzig läßt Kathryn sich auf ein Liebesverhältnis mit dem eigenen Vater ein. Sie glaubt, endlich einen Menschen gefunden zu haben, der sie so sieht, wie sie wirklich ist. Die Beziehung hält einige Jahre an. Sie bricht alle Kontakte ab, gibt ihr Studium auf und lebt nur noch für die Treffen mit dem Vater. Sie ist fasziniert und entsetzt zugleich von seinem obsessiven Verhalten. Im Zusammensein mit ihrem Vater wird Kathryn jeoch immer bewußter, daß die entscheidende Person ihrer Beziehung die Mutter ist. Beide kämpfen um die Liebe - und beide verlieren. Sensibel und zugleich distanziert schildert Kathryn Harrison ihre Geschichte, die nicht nur eine Liebesgeschichte mit dem eigenen Vater ist, sondern eine Liebesgeschichte mit all den geliebten Menschen ihrer Kindheit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.1997

Nicht ohne meine Neurose
Alle mal herhören: Kathryn Harrison erzählt von der Vaterliebe

Der Familienroman des Neurotikers, so wie Freud ihn kennengelernt hat, kreiste um die Phantasie, das Ich sei ein Kind königlicher Eltern und stamme nicht von den miesen Figuren ab, mit denen es täglich zu tun habe. Seit dem Ende der Monarchie und der Erfindung des genetischen Vater-und Mutternachweises war die Phantasie gezwungen, andere Wege zu gehen. Inzwischen schon Allgemeingut ist das Insistieren auf der unglücklichen Kindheit, bestimmt durch Entbehrungen und Unverständnis.

Heute muß es schon schwer seelischer und sexueller Mißbrauch sein, den der Unglückliche als Ursache seines Elends zu Markte trägt; denn auch das hat sich gründlich geändert: Trost und Heilung erwartet sich der Kranke nicht von den verschwiegenen Gesprächen im Behandlungszimmer, sondern vom Gehör und Glauben, die er in einer möglichst großen Öffentlichkeit findet.

Parallel zu dieser Entwicklung läßt sich die Tendenz beobachten, die Autorität des Erzählers mit der Autorität seiner erzählenden Person zu überblenden und zu vermengen. Aus Leben wird nicht Kunst, sondern eine Hybridform von Fiktion und Wahrheit, mit der der Autor seine eigene Rolle und die Erwartungen des Lesers manipuliert. Nach drei Romanen legt die amerikanische Nachwuchsautorin Kathryn Harrison ein viertes Buch vor, das als Bericht daherkommt, tatsächlich aber den Stoff und viele fast wörtlich übernommene Passagen aus ihrer ersten Veröffentlichung bietet.

Dieser erste, von der amerikanischen Kritik wohlwollend aufgenommene Roman war, wie es oft zu sein pflegt bei Erstlingen, stark autobiographisch. Wie sehr, macht der Bericht klar, der schon wenige Monate nach dem Original nun auf Deutsch vorliegt. In seinen Grundzügen ist Harrisons Familienroman so verrückt wie glaubhaft; plausibel ist er weder als Roman noch als Tatsachenbericht - schließlich ist auch der O-Ton der Betroffenen für Fernerstehende und Fremde ein Kunstprodukt. Harrisons Eltern waren zwei Teenager. Die Mutter das bekannte schöne und reiche, aber letztlich arme Mädchen aus jüdischer Familie; der Vater arm und ehrgeizig.

Die Teenagerehe wird auf Betreiben der mütterlichen Eltern geschieden - der Vater verschwindet. Für das Kind beginnt eine Leidensgeschichte von Verwöhnung und Vernachlässigung, zwischen Magersucht und Gürtelrose, Asthma und Luxus. Eine Kindheit, die kein Therapeut empfehlen würde, die aber andererseits Harrison nicht daran gehindert hat, früh eine Karriere als Schriftstellerin einzuschlagen und außerdem zu heiraten und zwei Kinder zu bekommen. Dem Ehemann, ebenfalls Schriftsteller, wird in der Widmung emphatisch "für alles" gedankt.

Die Eltern waren kein Königspaar, die Großeltern, bei denen Harrison in der Hauptsache aufwächst, scheinen auch nicht ganz dicht gewesen zu sein - so weit die Beiträge zur unglücklichen Kindheit. Wirklich monströs wird die Geschichte aber mit dem Wiederauftauchen des Vaters, als die Tochter zwanzig ist, wenige Jahre älter also, als Mutter und Vater zur Zeit ihrer großen Liebe waren. Es entspinnt sich, anfangs per Brief und Telefon, eine heiße Affäre zwischen Vater und Tochter. Er macht ihr klar, daß sie Ausnahmemenschen sind. Wer läßt sich das zweimal sagen? Dann stirbt die Mutter, sehend und wissend wie alle, mit Anfang vierzig an Krebs. Die Liebesgeschichte mit dem Vater löst sich auf; vielleicht weil mit dem Tod der Mutter der dritte Mitspieler im ödipalen Verhältnis abhanden kommt.

Wer kann, kann alles erzählen, auch Geschichten, die sonst nicht vorkommen, wie die von Gregor Samsa, der als Käfer erwacht. Unvorstellbarer und horribler als diese Geschichte ist Harrisons Affäre mit ihrem ungekannten Vater auch nicht - eher im Gegenteil. Um die Wahrheit einzulösen, braucht es aber mehr als den Mut zum Exhibitionismus in Zeiten, wo der väterliche Mißbrauch von Töchtern für furchtbar normal gehalten wird. Die notfalls justitiablen Fakten von Harrisons Roman, nunmehr Bericht, stimmen ganz gewiß. Zum Schaden der Literatur, aber auch der vorurteilslosen Aufklärung, bringt sie Fakten und Fiktionen schrecklich durcheinander. Daß Berechnung dabei auch noch eine Rolle spielt, muß man wohl unterstellen. KATHARINA RUTSCHKY

Kathryn Harrison: "Ich bin die Tochter, die keiner sieht". Die Geschichte einer Liebe. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Rose Aichele. Droemer Knaur Verlag, München 1997. 207 S., geb., 34,90 DM.

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