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Hannah Arendt war zeit ihres Lebens eine begeisterte Briefschreiberin, die mit ihren Weggefährten in intensivem Austausch stand. Einer dieser Briefwechsel ist erst jetzt entdeckt worden: der mit dem Politologen und Publizisten Dolf Sternberger, dessen Trauzeugin sie - noch als «Hannah Stern, berufslos» - war. Nach dem Krieg begannen die beiden, sich zu schreiben, jetzt zwischen New York, wo die Emigrantin bald zu Weltruhm gelangte, und Heidelberg, wo Dolf Sternberger einen Weg in die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft suchte. Ihre Briefe sind voller überraschender Einsichten, sprühen…mehr

Produktbeschreibung
Hannah Arendt war zeit ihres Lebens eine begeisterte Briefschreiberin, die mit ihren Weggefährten in intensivem Austausch stand. Einer dieser Briefwechsel ist erst jetzt entdeckt worden: der mit dem Politologen und Publizisten Dolf Sternberger, dessen Trauzeugin sie - noch als «Hannah Stern, berufslos» - war. Nach dem Krieg begannen die beiden, sich zu schreiben, jetzt zwischen New York, wo die Emigrantin bald zu Weltruhm gelangte, und Heidelberg, wo Dolf Sternberger einen Weg in die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft suchte. Ihre Briefe sind voller überraschender Einsichten, sprühen vor Geist und Wortwitz. Kann man die restaurative Bundesrepublik schöner charakterisieren als Arendt: «Mir hat die gute alte Zeit schon nicht gefallen, als sie noch 25 Jahre jünger war»?
Udo Bermbach, der beide kannte, beleuchtet in einer ausführlichen Einleitung und zahlreichen Kommentaren die biographischen und zeithistorischen Hintergründe. Die beiden Briefschreiber verband ein tiefer, freier Gedankenaustausch, an dem der Leser nun erstmals teilhaben darf.
Autorenporträt
Hannah Arendt, 1906 in Hannover geboren und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die USA emigriert, gehört zu den wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Werke zur Theorie der totalen Herrschaft, ihre existenzphilosophischen Schriften und auch ihre Arbeiten als Publizistin (nicht zuletzt ihr Kommentar zum Eichmann-Prozess) haben bis heute nichts an Aktualität verloren, ja werden im Gegenteil noch immer breit rezipiert. Der aus dem Nachlass veröffentlichte Essay "Die Freiheit, frei zu sein" (2018) etwa stand monatelang auf der "Spiegel"-Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2019

Das Liebe-Committee trat nicht zusammen
Doch über Heidegger stritt man sich: Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger

Als Dolf Sternberger den Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers 1985 in dieser Zeitung besprach, konnte er seine verletzten Gefühle nicht gänzlich verbergen. Schließlich erfuhr er auf diesem Wege, zehn Jahre nach Arendts Tod, dass sie ihn nicht so hoch geschätzt hatte, wie er bis dahin glaubte annehmen zu dürfen. Arendt und Sternberger kannten sich seit ihren gemeinsamen Heidelberger Studientagen in den späten zwanziger Jahren. Arendt war 1931 sogar die einzige Trauzeugin bei Sternbergers Hochzeit mit Ilse Rothschild. Als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen, emigrierte Arendt und landete nach mehreren Zwischenstationen in New York. Sternberger blieb im Land und war bis zu seinem Berufsverbot 1943 Redakteur der "Frankfurter Zeitung". Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Frau lebten die Eheleute während des Dritten Reichs in ständiger Angst. Das Äußerste fürchtend, trugen sie schließlich stets Giftkapseln bei sich. Auf den Gedanken, seine Frau zu verlassen, um dem Diskriminierungs- und Verfolgungsdruck nachzugeben, kam Sternberger indes nie.

Dieses Verhalten dürfte ihm Hannah Arendt, mit der Sternberger nach 1945 wieder in Kontakt trat, hoch angerechnet haben. Für "Die Wandlung", eine bis zu ihrer Einstellung 1949 führende kulturpolitische Zeitschrift der frühen Nachkriegszeit, die Sternberger gemeinsam mit Karl Jaspers, Werner Krauss und Alfred Weber begründet hatte, gewann er seine alte Freundin als Autorin. Sie veröffentlichte dort sechs Essays, darunter die richtungsweisenden Aufsätze "Organisierte Schuld" und "Konzentrationsläger".

Der Briefwechsel handelt zunächst von diesem redaktionellen Austausch. Er ist vergleichsweise förmlich gehalten, die beiden siezen sich noch bis zum ersten Wiedersehen im Jahr 1948. Ein gewisses Ungleichgewicht prägte die Korrespondenz insbesondere am Beginn, blieb aber bis in späten Jahre erkennbar. Sternberger schwärmte für Arendt, bewunderte sie, persönlich ebenso wie für ihre kühne Originalität und scharfsinnigen Interventionen. Ihr gegenüber machte er sich häufig klein. Arendt schrieb zumeist im Duktus der Überlegenheit und kühlte Sternbergers gefühlsbetonten freundschaftlichen Ton ein wenig ab. Auch vermittelte sie den Eindruck, als sei ihr die intellektuelle Auseinandersetzung mit Sternberger nicht so ernst und wichtig, wie er sich das wünschte und einforderte.

Dieses Ungleichgewicht zwischen beiden bestand nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern war auch objektiv gegeben. Nach dem Krieg avancierte Arendt rasch zu einer international berühmten Philosophin und Publizistin. Sternberger genoss wachsendes Renommee in der Bundesrepublik, als gelehrter Journalist und Intellektueller, später auch als Mitbegründer der Politikwissenschaft im Westen Deutschlands und Heidelberger Professor. Seine Stimme fand öffentlich Gehör, er hatte im Hessischen Rundfunk zwischen 1946 und 1966 eine regelmäßige Radiosendung mit dem Titel "Dolf Sternberger spricht", gab bis 1958 "Die Gegenwart" mit heraus und gehörte bald zum festen Mitarbeiterkreis der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Wiederholt sucht Sternberger in seinen Briefen nach Möglichkeiten, wie er mit Arendt länger an einem Ort sein kann. Er selbst taxiert die Chancen auf eine Professur in den Vereinigten Staaten und versucht umgekehrt im Jahr 1963, Arendt auf einen Lehrstuhl in Heidelberg zu locken. Sie aber will ihre Heimat New York nicht verlassen und noch weniger "im Ernst ,Professor' werden", wenn sie das nicht absolut müsse. Letztlich kommt es wiederholt zu kürzeren Treffen und während einer Gastprofessur Sternbergers in Chicago zu einer längeren gemeinsamen Zeit, die auch Arendt genossen haben muss. Verspielt-neckisch ruft sie ihm im Anschluss Ende 1964 nach Heidelberg hinterher: "Und wie geht es Dir sonst? Genug Martinis im Haus? Nebst einem kleinen Scotch als nightcap?"

Ansonsten ist es aber Sternberger, der vor allem Arendt verehrt und offen bekennt, "Sehnsucht" nach ihr zu haben. Arendt steht für ihn an erster Stelle, während das umgekehrt nicht der Fall ist. Bei Arendt hat ihr akademischer Lehrer und väterlicher Freund Jaspers eindeutig Vorrang - ebenso die alte Liebe Martin Heidegger. Von Arendts früherer Liaison weiß Sternberger nichts. Über Heidegger geraten die beiden erstmals ernsthaft in einen Streit. Sternberger zeigt sich verwundert darüber, weshalb seine Freundin dem nach 1933 arg angebräunten Philosophen, den er schon verachtet habe, als Heidegger "noch kein Nazi war, wenigstens kein erklärter", so viel Verständnis entgegenbringt. Im Dezember 1953 schreibt Sternberger ihr unumwunden: "In puncto Heidegger bist Du auf dem Holzwege, und das ist sehr traurig."

Für Dissens sorgt auch ihre kontroverse Einschätzung von Jaspers' Streitschrift "Wohin treibt die Bundesrepublik?" aus dem Jahr 1966, worin ein Bild der Bundesrepublik auf dem Weg von der "Parteienoligarchie" hin zur autoritären Diktatur gezeichnet wird. Sternberger scheint Arendt allzu rasch eine Art affirmativer Bundesrepublikaner geworden zu sein. Da mochte er bisweilen noch so sehr mit der frühen Bundesrepublik hadern, Exilphantasien äußern oder dem Grundgesetz als einem "schwächlichen Bonner Machwerk" wenig, schon gar keinen "Verfassungspatriotismus" zutrauen, wie er ihn Jahrzehnte später erfinden sollte. Arendt unterschätzt Sternberger und hält ihm genügsame Kritiklosigkeit vor. Schon 1953 schreibt sie mit sarkastischem Unterton: "Ich kann sehr gut? verstehen, dass Du unter dem Eindruck des ,Wirtschaftswunders' und einer Restabilisierung Dich normalisieren willst und?normalisiert hast." Ende 1971 fasst sie den grundlegenden Unterschied zwischen Sternberger und ihr in die Worte: "Du bist mir halt ein bißchen zu konservativ und ich Dir halt ein bißchen zu revolutionär." Das habe sie schon stets so wahrgenommen, aber die Freundschaft sei davon unbeschadet geblieben.

Der Briefwechsel, den diese langjährige, nicht immer reibungsfreie Freundschaft hervorbrachte, koloriert beider Biographien weiter und wirft manches Schlaglicht auf zeithistorische Vorgänge und Anknüpfungen an geistesgeschichtliche Traditionen. Auch Udo Bermbachs ausführliche Einleitung bietet insgesamt gute Orientierung. Ansonsten verdient die Edition jedoch Kritik.

Wer das Buch mit der Lektüre der editorischen Notiz beginnt, bekommt gleich ein ungutes Gefühl: "Für die Erläuterungen zu einzelnen Personen sind deren Daten zumeist von Wikepedia (sic!) bezogen worden." Das führt dazu, dass Akteure, Ereignisse und Zusammenhänge im Halbschatten bleiben, wenn die Information nicht ganz schnell (hawaiianisch: "wiki-wiki") aufzutreiben oder dem Herausgeber Udo Bermbach ohnehin bekannt war.

Bei der Lektüre verfestigt sich der Eindruck, dass die Edition weder vom Herausgeber noch von einem Lektor vor Drucklegung gründlich gegengelesen wurde. Neben diversen Tippfehlern, Inkonsistenzen und wenig punktgenauen Kommentaren ist dafür ein doppelt abgedruckter Brief aus dem Jahr 1949 deutlichster Beleg. Zehn Jahre später taucht das Schreiben, entsprechend nachdatiert, gleichwohl mit dem Briefkopf der 1959 lange nicht mehr existierenden "Wandlung" versehen, erneut auf, im Übrigen mit variierten Fußnoten.

Je nach Gestimmtheit des Editors scheinen diese unterschiedlich auszufallen, wie auch weitere Annotationen. Mal werden Personen erläutert, die gar nicht gemeint sind (so Jochen Klepper, obwohl wenige Seiten zuvor doch der "richtige" Otto Klepper genannt ist), mal werden sie gleich in zwei Kurzbiogrammen gewürdigt (so Karl Löwith), mal gar nicht (so Saul Padover) oder falsch geschrieben (so John "Pockock"). Wenn Sternbergers an sich gut lesbare Handschrift einmal nicht ganz schnell zu entziffern war, wird in den Fußnoten fix "unleserlich" bemerkt oder über ein nicht ausfindig zu machendes "Liebe-Committee" sinniert, obgleich der Briefschreiber lediglich vom "lieben Committee" sprach, nämlich jenem "on Social Thought", das ihn auf Arendts Veranlassung hin nach Chicago eingeladen hatte.

Gut, dass viele der abgedruckten Briefe als Faksimile in den "Hannah Arendt Papers" in der Library of Congress online von hier auf jetzt aufzublättern sind. Wer Lust hat, kann fragwürdig erscheinende Passagen überprüfen und den Lückentext an manchem Punkt einigermaßen leicht ergänzen. Es wäre der Auftakt für die Erstellung einer dringend notwendigen Errata-Liste zu dieser Ausgabe.

ALEXANDER GALLUS.

Hannah Arendt und Dolf Sternberger: "Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär". Briefwechsel 1946 - 1975. Hrsg. v. Udo Bermbach. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 480 S., geb., 38,- [Euro].

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Sehr lebhaft, schön, geistvoll ist dieser Briefwechsel zweier eigenwilliger, hochbegabter Charaktere ... wundervoll, bis in die literaturpolitischen Details interessant. Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung 20191015