Deutsche heißen Günter und Gaby, aber eben auch Fatma und Fatih
Die Art, wie wir über Migration, Geflüchtete und Integration reden, zeigt: Wir haben ein Wahrnehmungsproblem. Wir tun so, als könnten wir ernsthaft entscheiden, ob wir Migranten im Land haben wollen oder nicht, und wenn ja, wie viele wir davon vertragen. Das ist Blödsinn. Sie sind längst da - und ein Teil des »wir«. Die Vorstellung von einer »weißen« Aufnahmegesellschaft, in die Migranten reinkommen, ist eine Art deutsche Lebenslüge, sagt Ferda Ataman. Wie viele andere Deutsche, die mit einem ausländischen Namen aufgewachsen sind, reißt ihr langsam der Geduldsfaden. Sie hat es satt, dauernd erklären zu müssen, wo sie eigentlich herkommt, wie sie zu Erdogan steht oder was sie vom Kopftuch hält. Nur wegen ihres Namens oder des Geburtslandes ihrer Eltern. In ihrer pointierten Streitschrift stellt Ataman fest: »Wir haben ein Demokratieproblem, kein Migrationsproblem. ABER: Wir sind weltoffener, als wir denken. Also Schluss mit Apokalypse.«
Die Art, wie wir über Migration, Geflüchtete und Integration reden, zeigt: Wir haben ein Wahrnehmungsproblem. Wir tun so, als könnten wir ernsthaft entscheiden, ob wir Migranten im Land haben wollen oder nicht, und wenn ja, wie viele wir davon vertragen. Das ist Blödsinn. Sie sind längst da - und ein Teil des »wir«. Die Vorstellung von einer »weißen« Aufnahmegesellschaft, in die Migranten reinkommen, ist eine Art deutsche Lebenslüge, sagt Ferda Ataman. Wie viele andere Deutsche, die mit einem ausländischen Namen aufgewachsen sind, reißt ihr langsam der Geduldsfaden. Sie hat es satt, dauernd erklären zu müssen, wo sie eigentlich herkommt, wie sie zu Erdogan steht oder was sie vom Kopftuch hält. Nur wegen ihres Namens oder des Geburtslandes ihrer Eltern. In ihrer pointierten Streitschrift stellt Ataman fest: »Wir haben ein Demokratieproblem, kein Migrationsproblem. ABER: Wir sind weltoffener, als wir denken. Also Schluss mit Apokalypse.«
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2019Mehr als Dieter, Heinz und Manfred
Ferda Ataman erklärt in ihrer Streitschrift, was sie unter Heimat versteht. Jedenfalls nicht die in Deutschland oft herrschende Angst und Abschottung
Ihre besten Freundinnen in der Schule hießen Miriam, Lotta und Gaby, schreibt Ferda Ataman zu Beginn ihres neuen Buchs. Und dass es einen Unterschied zwischen ihr und den anderen Mädchen gab, den sie erst nach einer Weile bemerkt habe: Nur sie, Ferda, wurde ständig nach ihrer Herkunft gefragt. Wenn sie mit „Nürnberg“ antwortete, genügte das nicht. Ihr Vorname und ihre schwarzen Haare machten manche Leute misstrauisch. Sie wollten wissen: „Woher kommst du wirklich?“
Ataman sieht dahinter auch einen feindseligen Gedanken, das erklärt die Journalistin in ihrer Streitschrift „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier!“ Die Frage nach der Herkunft „steht für eine zentrale Wahrnehmungsstörung im Einwanderungsland“, schreibt sie: „Deutsch ist für viele nur, wer von Deutschen abstammt.“ Damit trifft Ataman einen wunden Punkt dieses Landes, in dem es 2019 noch keine allgemein akzeptierte Wahrheit ist, dass man Deutsche nicht am Aussehen erkennen kann.
Ataman ist bekannt für ihre Kolumnen bei Spiegel Online, auch für die Süddeutsche Zeitung hat sie schon geschrieben. Mit ihrem neuen Buch respektive dem Hashtag dazu (#vonhier) hat sie eine Debatte auf Twitter angestoßen und deutlich gemacht, dass es übergriffig sein kann, jemanden wiederholt nach seiner Herkunft zu fragen. Ihr Buch ist mehr als eine aufgeregte Internet-Diskussion. Ataman will Anstoß zu einer neuen Heimat-Idee geben.
Sie stellt fest, was ihrer Meinung nach schiefläuft: „Unsere Migrationspolitik ist angstbeladen und kleinkariert. Wir denken nicht einmal ansatzweise darüber nach, wie wir ein offenes, modernes Land gestalten wollen.“ Ihr Buch ist an die Politik adressiert, an die potenziellen Gestalter dieser Gesellschaft. Die Bundesregierung hat sich im vergangenen Jahr zwar auf ein sogenanntes Fachkräftezuwanderungsgesetz geeinigt. Das ist aber erstens noch immer nicht verabschiedet und zweitens kein großer Wurf. Ataman schreibt dazu: Es „liest sich so schizophren wie jede Reform davor: Sie sollen kommen, aber eigentlich lieber nicht.“
19,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten 2017 in Deutschland, das Land ist schon lange mehr als Dieter, Heinz und Manfred. Man müsste diesen Gedanken nur endlich positiv vereinnahmen: Deutschland, der melting pot in der Mitte Europas. Dass es in den Parlamenten, in Redaktionen und in Chefetagen nach wie vor an Vielfalt mangelt, liegt laut Ataman am falschen Selbstverständnis der Deutschen, am „völkischen Ballast“, den das Land mit sich herumschleppe und der in der penetranten Fragerei nach der Herkunft zum Vorschein komme.
Im vergangenen Jahr hat Ataman sich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer angelegt, ihretwegen sagte er seine Teilnahme am Integrationsgipfel ab. Sie hatte seinem Heimatministerium „Symbolpolitik für potenzielle rechte Wähler“ vorgeworfen, was provozierend daherkam, aber eine aufrichtige Sorge zum Ausdruck brachte, die sie jetzt in ihrer Streitschrift weiter ausformuliert: Kann man Heimat nicht anders denken als in Begriffen von Angst und Abschottung?
Ataman ist genervt, deshalb gibt es ihr Buch, aber sie schreibt auch immer mit einem Augenzwinkern, weshalb die Lektüre durchaus vergnüglich sein kann. Am stärksten ist sie, wenn sie ihren Lesern mehr Entspanntheit empfiehlt, bisweilen auf feine ironische Weise. An einer Stelle rät sie Rechtsextremisten: „Liebe Leute, macht euch locker, die ‚Umvolkung‘ ist längst abgeschlossen. Der Zug ist abgefahren. Es gibt keine deutsche Nation von reinen Abstammungsdeutschen. Es hat sie nie gegeben.“ Die deutsche Gesellschaft nennt sie postmigrantisch.
Ataman fordert letztlich ein neues deutsches Selbstbild, eine schöne Vision: „eine Heimat-Idee, die alle mitnimmt – die Schonimmerhiergewesenen, die Zugewanderten und ihre Kinder, die Ostdeutschen und die Westdeutschen.“
DOMINIK FÜRST
Gefordert wird ein
neues deutsche Selbstbild
Ferda Ataman:
Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! S. Fischer Verlag, Frankfurt 2019.
208 Seiten, 13 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ferda Ataman erklärt in ihrer Streitschrift, was sie unter Heimat versteht. Jedenfalls nicht die in Deutschland oft herrschende Angst und Abschottung
Ihre besten Freundinnen in der Schule hießen Miriam, Lotta und Gaby, schreibt Ferda Ataman zu Beginn ihres neuen Buchs. Und dass es einen Unterschied zwischen ihr und den anderen Mädchen gab, den sie erst nach einer Weile bemerkt habe: Nur sie, Ferda, wurde ständig nach ihrer Herkunft gefragt. Wenn sie mit „Nürnberg“ antwortete, genügte das nicht. Ihr Vorname und ihre schwarzen Haare machten manche Leute misstrauisch. Sie wollten wissen: „Woher kommst du wirklich?“
Ataman sieht dahinter auch einen feindseligen Gedanken, das erklärt die Journalistin in ihrer Streitschrift „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier!“ Die Frage nach der Herkunft „steht für eine zentrale Wahrnehmungsstörung im Einwanderungsland“, schreibt sie: „Deutsch ist für viele nur, wer von Deutschen abstammt.“ Damit trifft Ataman einen wunden Punkt dieses Landes, in dem es 2019 noch keine allgemein akzeptierte Wahrheit ist, dass man Deutsche nicht am Aussehen erkennen kann.
Ataman ist bekannt für ihre Kolumnen bei Spiegel Online, auch für die Süddeutsche Zeitung hat sie schon geschrieben. Mit ihrem neuen Buch respektive dem Hashtag dazu (#vonhier) hat sie eine Debatte auf Twitter angestoßen und deutlich gemacht, dass es übergriffig sein kann, jemanden wiederholt nach seiner Herkunft zu fragen. Ihr Buch ist mehr als eine aufgeregte Internet-Diskussion. Ataman will Anstoß zu einer neuen Heimat-Idee geben.
Sie stellt fest, was ihrer Meinung nach schiefläuft: „Unsere Migrationspolitik ist angstbeladen und kleinkariert. Wir denken nicht einmal ansatzweise darüber nach, wie wir ein offenes, modernes Land gestalten wollen.“ Ihr Buch ist an die Politik adressiert, an die potenziellen Gestalter dieser Gesellschaft. Die Bundesregierung hat sich im vergangenen Jahr zwar auf ein sogenanntes Fachkräftezuwanderungsgesetz geeinigt. Das ist aber erstens noch immer nicht verabschiedet und zweitens kein großer Wurf. Ataman schreibt dazu: Es „liest sich so schizophren wie jede Reform davor: Sie sollen kommen, aber eigentlich lieber nicht.“
19,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten 2017 in Deutschland, das Land ist schon lange mehr als Dieter, Heinz und Manfred. Man müsste diesen Gedanken nur endlich positiv vereinnahmen: Deutschland, der melting pot in der Mitte Europas. Dass es in den Parlamenten, in Redaktionen und in Chefetagen nach wie vor an Vielfalt mangelt, liegt laut Ataman am falschen Selbstverständnis der Deutschen, am „völkischen Ballast“, den das Land mit sich herumschleppe und der in der penetranten Fragerei nach der Herkunft zum Vorschein komme.
Im vergangenen Jahr hat Ataman sich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer angelegt, ihretwegen sagte er seine Teilnahme am Integrationsgipfel ab. Sie hatte seinem Heimatministerium „Symbolpolitik für potenzielle rechte Wähler“ vorgeworfen, was provozierend daherkam, aber eine aufrichtige Sorge zum Ausdruck brachte, die sie jetzt in ihrer Streitschrift weiter ausformuliert: Kann man Heimat nicht anders denken als in Begriffen von Angst und Abschottung?
Ataman ist genervt, deshalb gibt es ihr Buch, aber sie schreibt auch immer mit einem Augenzwinkern, weshalb die Lektüre durchaus vergnüglich sein kann. Am stärksten ist sie, wenn sie ihren Lesern mehr Entspanntheit empfiehlt, bisweilen auf feine ironische Weise. An einer Stelle rät sie Rechtsextremisten: „Liebe Leute, macht euch locker, die ‚Umvolkung‘ ist längst abgeschlossen. Der Zug ist abgefahren. Es gibt keine deutsche Nation von reinen Abstammungsdeutschen. Es hat sie nie gegeben.“ Die deutsche Gesellschaft nennt sie postmigrantisch.
Ataman fordert letztlich ein neues deutsches Selbstbild, eine schöne Vision: „eine Heimat-Idee, die alle mitnimmt – die Schonimmerhiergewesenen, die Zugewanderten und ihre Kinder, die Ostdeutschen und die Westdeutschen.“
DOMINIK FÜRST
Gefordert wird ein
neues deutsche Selbstbild
Ferda Ataman:
Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! S. Fischer Verlag, Frankfurt 2019.
208 Seiten, 13 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
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Sie schreibt mit spitzer Feder; ihre Kritik ist messerscharf. Gleichzeitig legt sie viel Humor an den Tag Nina Fargahi NZZ am Sonntag 20190630