• Buch mit Leinen-Einband

43 Kundenbewertungen

Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol - doch die Zeiten sind hart. Die Leute werden vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand - mit Leib und Seele.

Produktbeschreibung
Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol - doch die Zeiten sind hart. Die Leute werden vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand - mit Leib und Seele.
Autorenporträt
Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Mit seinem Roman ¿Das Leben wartet nicht¿ gewann er den Premio Campiello. Mit ¿Ich bleibe hier¿ war er nominiert für den Premio Strega, in Italien und im deutschsprachigen Raum war das Buch ein großer Bestseller. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Christian Mayer bewundert Marco Balzano für sein Erzähltalent und die Fähigkeit, in seinem Roman um Leid und Vertreibung in Südtirol und das Schicksal einer jungen Lehrerin, den fast vergessenen Opfern der Staudammbaus im Vinschgau eine Stimme zu verleihen. Dass der Autor sich nicht so recht entscheiden kann zwischen der Nacherzählung der Geschichte Südtirols im 20. Jahrhundert und der Geschichte der Lehrerin, sieht Mayer ihm schließlich nach. Zu kunst- und stimmungsvoll erscheint ihm die Verknüpfung der beiden Ebenen. Am intensivsten, bewegendsten aber ist der Roman für Mayer, wenn Balzano ganz nah an seiner Figur bleibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2020

Das Leben ist kein Unterseeboot
Marco Balzano schildert im Roman "Ich bleibe hier" das Schicksal eines Dorfes in Südtirol

"Du mußt verstehn! Aus Eins mach Zehn, und Zwei laß gehn, und Drei mach gleich, so bist Du reich. Das ist das Hexen-Einmaleins!" Hexe, strega, Premio Strega. Der italienische Literaturpreis, benannt allerdings nicht nach einer Hexe, sondern einer Likörfirma Strega, die ihn dotierte, wurde 1947 erstmals vergeben, an Ennio Flaiano, mit einem Vorlauf noch zu Kriegszeiten, als sich die sogenannten Sonntagsfreunde um Maria Bellonci zum Diskutieren trafen und in Zeiten von Faschismus und Verzweiflung literarischen Widerstand leisten wollten.

Marco Balzano, 1978 in Mailand geboren, hat vor zwei Jahren mit "Ich bleibe hier" sozusagen den silbernen Premio Strega gewonnen und bei rund zehn anderen Preisen die Nase vorn gehabt. Der Roman verfolgt das Schicksal des Dorfs Graun in Südtirol: von Mussolinis Italianisierung jener deutschsprachigen Region, die nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen worden war, über den Zweiten Weltkrieg bis zur Flutung des Ortes wenige Jahre später. Literaturkritik und Leserschaft eint Begeisterung.

Zu Recht, völlig zu Recht sogar - wenn man auf eingängige Sprache und packende Bilder hofft. Das Covermotiv, im Original genau wie in der deutschen Übersetzung der aus dem Wasser herausragende Kirchturm von St. Katharina, tut ein Übriges. Kein Zweifel, hier geht es um eine miese Geschichte. Von Kriegen geprüfte Menschen fallen der Profitgier zum Opfer. Der Staudamm, bereits vor dem Ersten Weltkrieg geplant, vernichtet Bauernhöfe. Fortschritt versus Nachhaltigkeit - eine moderne miese Geschichte eben. Und es wäre auch eine gute Geschichte, wenn nicht nach dem Prinzip der literarischen Selbstoptimierung Scheibe um Scheibe auf die Hantelstange gesteckt worden wäre.

Die Ich-Erzählerin Trina berichtet ihrer Tochter Marica, die als Schülerin 1939 mit ihrer Tante nach Deutschland gegangen ist und seitdem keinen Kontakt zu ihren Eltern mehr hat, von ihrem Leben. Das Dorf im hintersten Krähwinkel ist bäuerlich geprägt, die Atmosphäre expressis verbis bildungsfern. Dies nutzt Balzano jedoch nicht, um geschickt mit Grau- und Leerstellen eine etwaige Uninformiertheit der Menschen zu erklären. Stattdessen schafft er mit apodiktischen Aussagen Puzzleteile, die einzeln vielleicht überzeugen, insgesamt aber nicht zusammenpassen.

Anschauliches Beispiel ist die Italianisierung. "Vom ersten Augenblick an hieß es: Wir gegen sie. Die Sprache des einen gegen die des anderen. Die Arroganz der plötzlichen Macht gegen das Pochen auf jahrhundertealte Wurzeln." Trotzdem lernt Trina Italienisch, um Lehrerin zu werden. Deutsch unterrichtet sie heimlich, dies jedoch nicht, um Widerstand zu leisten, sondern um als verliebte Frau "vor Erich zu glänzen". Ihr Tun fliegt auf, vom Vater unterstützt, setzt sie die klandestine Tätigkeit aber fort und kann sogar ihre Freundin Barbara dafür gewinnen. Diese wird deswegen an Trinas Hochzeitstag verhaftet und in der Folge verbannt.

Trina gibt den heimlichen Deutschunterricht auf, hält aber noch über zehn Jahre später fest: "Gleich nach der Hochzeit hatten wir ja auch mit meinem Lehrerinnengehalt gerechnet, da wir dachten, dass ich, Faschismus hin oder her, auf die eine oder andere Weise unterrichten könnte." Damit nicht genug. Ein Junge kriegt in der Schule Schläge, weil er kein Italienisch kann. Trina gibt ihm Nachhilfe. Aber 1940, als die italienischen Bekanntmachungen zum Bau des Staudamms aushängen? "Wenige in Graun konnten lesen, aber keiner verstand diese Sprache, die nur die Sprache des Hasses war." Sicher, das Vorgehen ist dadurch besonders perfide, die Darstellung der Sprachkampagne aber auch hübsch verschwurbelt.

Das Verhältnis beider Staaten zueinander bleibt ausgeblendet, der Stahlpakt von 1939 unerwähnt. Hitler ist als ferne Größe Gegenspieler zu Mussolini. "Auf Adolf Hitler zu hoffen war die einzige Rebellion." Das ändert sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg, als Erich sieht, wie die Soldaten verheizt werden. Er geht mit Trina in die Berge, um dort den Krieg abzuwarten. Hier gelingen Balzano gute Szenen, die jedoch einzig das Grauen des Krieges, nicht aber die spezifische Situation der nationalen Minderheit beleuchten.

Mit dem Staudamm wird dann die verlorene Tochter Marica wieder auf den Plan gerufen. "Mit dir hätten wir die Kraft gefunden, woandershin zu gehen. Neu anzufangen." Nach der letzten Messe vor der Flutung wollen sie indes nur noch in Graun bleiben: "Ohne Interesse an der Zukunft und ohne irgendeine Gewissheit. Nur bleiben."

Weniger wäre mehr gewesen. Und anregender.

CHRISTIANE PÖHLMANN

Marco Balzano: "Ich bleibe hier". Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Diogenes Verlag, Zürich 2020. 288 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2020

Und dann öffneten sie die Schleusen
Südtirol zwischen zwei Diktaturen, ein Dorf versinkt im Stausee, eine Frau verliert ihr Kind:
Marco Balzano verwebt in „Ich bleibe hier“ kunstvoll kollektive und individuelle Geschichten
VON CHRISTIAN MAYER
Für Touristen zählt der alte Kirchturm der Pfarrkirche St. Katharina mitten im Reschensee zu den beliebtesten Fotomotiven Südtirols. Im Hintergrund leuchten die Berge im Abendsonnenschein, die Szenerie hat etwas Märchenhaft-Verträumtes, allerdings nur auf den ersten Blick. Diese Kirchturmspitze steht auch für eine ganz andere Geschichte aus dem Vinschgau, dem obersten Teil des Etschtals. Eine Geschichte von Leid und Vertreibung, von Ohnmacht und Täuschung, denn der Stausee wurde vor ziemlich genau siebzig Jahren mit menschenverachtender Brutalität in die Landschaft gestampft.
Seit Beginn der Zwanzigerjahre verfolgte die italienische Regierung den Plan, die beiden Naturseen von Graun und Reschen zu einem sechs Kilometer langen Stausee zu verbinden. Die Bauern in den anliegenden Bergdörfern, die bis zur Abtretung Südtirols an Italien noch stolze Österreicher gewesen waren, nahmen die Gefahr wegen der vielen Verzögerungen lange Zeit nicht ernst; sie verstanden meist gar nicht, was da mit den Baggern auf sie zurollte. Während des Krieges kamen die Arbeiten am Stausee zwar zum Erliegen, doch danach ging es unerbittlich weiter. Tausende Arbeiter aus Süditalien schufteten im Auftrag des Chemieunternehmens Montecatini für den Damm und machten die Dörfer dem Erdboden gleich. Und dann öffneten sie die Schleusen: Wo einst 163 Häuser gestanden hatten, stieg nun das Wasser 22 Meter hoch, weit höher, als die Projektmanager ursprünglich angekündigt hatten.
Der italienische Schriftsteller Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, hat aus diesem Stoff nun einen Roman gemacht. Mit leiser Melancholie blickt Trina, seine Erzählerin, auf ihr Leben zurück, das unbeschwert begann. Die Tochter eines Schreiners will unbedingt Lehrerin werden, gemeinsam mit ihren Freundinnen absolviert sie die Prüfungen an der Hochschule. Italienisch ist die Sprache, die Trina den Kindern beibringen soll, denn die Faschisten wollen aus Südtirol eine italienische Provinz machen. Beim Marsch auf Bozen Anfang Oktober 1922, wenige Wochen vor der Machtergreifung Mussolinis in Rom, haben sie gezeigt, dass sie keine Rücksicht auf die Kultur der Südtiroler nehmen; mit einer Politik der Einschüchterungen und der offenen Gewalt unterdrückt die Zentralmacht die Mehrheitsbevölkerung. Straßen und Plätze werden umbenannt, Schulen italienisiert. Doch die junge Lehrerin lässt sich nicht erschüttern, sie unterrichtet die Dorfkinder in Graun heimlich in ihrer Muttersprache, obwohl sie damit rechnen muss, von den Carabinieri verhaftet und auf eine der Strafinseln im Mittelmeer verbannt zu werden. Auch nach ihrer Hochzeit mit Erich, einem der Kleinbauern, lässt sie sich nicht davon abschrecken.
So ganz kann sich der Autor nicht entscheiden, was ihm wichtiger ist: die turbulente Geschichte Südtirols in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder die Geschichte einer jungen Frau, die lernen muss, mit immer neuen Verlusten zu leben. Vor allem mit dem Verlust der eigenen Tochter, die von kinderlosen Verwandten nach Deutschland entführt wird. Sie ist die große Leerstelle und zugleich der Fixpunkt dieses Romans, weil der Schmerz über die verlorene Heimat irgendwann abnimmt, aber die Erinnerung an das eigene Kind eine offene Wunde bleibt.
Marco Balzano ist selbst Lehrer, er unterrichtet an einem Mailänder Gymnasium und kann wunderbar erzählen, was das Großartige an diesem Beruf ist, wenn man ihn denn ausüben darf. Genau das bleibt seiner Erzählerin verwehrt, sie wird zurückgeworfen auf das karge Leben im Dorf, wo mit dem großen Staudammprojekt neues Unheil droht. Nur dass die Menschen die Bedrohung nicht wahrhaben wollen, sie hoffen auf den lieben Gott oder auf den Papst, der alles schon richten wird. Allein Trina hat eine Vorahnung davon, was ihr bevorsteht; ihr Mann wandelt sich zu einem politischen Aktivisten, einem einsamen Kämpfer gegen den Damm und die menschliche Dummheit: „Wir müssen die Baustelle sabotieren, bevor sie uns ertränken“, sagt Erich jedem, der es hören will.
Es ist durchaus kunstvoll, wie Balzano das Zeitgeschehen mit dem Familiendrama verwebt, wie er in kurzen, einfachen Sätzen Stimmungen erzeugt. Aber die neuere Geschichte Südtirols besteht eben aus vielen harten Brocken, sie ist kurvenreich wie eine hochalpine Passstraße, auf der einem beim Blick in den Abgrund leicht mulmig werden kann.
So ging es auch vielen deutschsprachigen Südtirolern, als sie sich zwischen 1939 und 1943 zwischen zwei faschistischen Diktaturen entscheiden mussten: Die „Optanten“ wanderten mehr oder weniger freiwillig ins Deutsche Reich aus, die „Dableiber“ harrten unter immer widrigeren Umständen in ihrer Heimatregion aus, wo die Nationalsozialisten ab 1943 die Macht an sich rissen und die Männer für die Wehrmacht rekrutierten. Balzano unterliegt nicht der Versuchung, die Südtiroler zu idealisieren, indem er sie lediglich als Opfer der Verhältnisse darstellt, als reine Bauernopfer, die erst das Zwangsregime Mussolinis und dann die Nazis überleben mussten; es gab viele, die Hitler als ihren Retter sahen. Auch das erzählt der Roman.
Trina, die ein wenig zu sehr über allen Dingen schwebt, verzweifelt oft an der Engstirnigkeit ihrer Landsleute. Genauso wie sie an der Traurigkeit ihres Mannes verzweifelt, mit dem sie das stille Übereinkommen geschlossen hat, nicht mehr über ihre geliebte Tochter zu sprechen. Frei und leicht fühlt sie sich in den späteren Jahren nur einmal, als sie mit Erich vor den deutschen Häschern in die Berge flüchtet – das spannendste Kapitel des Buches.
Die Trauer bleibt eingekapselt, denn über manche Dinge wollen die Menschen in der Hochebene partout kein Wort verlieren. Hier erinnert das Buch doch sehr an Balzanos dritten Roman „Das Leben wartet nicht“. Das 2017 auf Deutsch erschienene Vorgängerbuch erzählt die Geschichte des elfjährigen Ninetto aus dem bitterarmen Sizilien, der sich im Mailand der Sechzigerjahre alleine durchschlägt, als seine Mutter nach einem Schlaganfall ins Heim kommt. Die Leute nennen ihn „pelleossa“ (Haut und Knochen), und er hat den gleichen unbedingten Überlebenswillen wie Trina in „Ich bleibe hier“. Was Armut im Alltag bedeutet; wie es ist, wenn man vor lauter Hunger beinahe den Verstand verliert; wie man als Ausgestoßener im eigenen Land behandelt wird: All das erzählen beide Romane, die nicht nur in Italien zu Bestsellern geworden sind. Wobei „Das Leben wartet nicht“ noch bewegender ist, weil Balzano näher an seiner Figur bleibt und mit großer Meisterschaft von einer Jugendliebe erzählt, unbeschwert von der Last der historischen Wirklichkeit.
Heute zählt Südtirol zu den reichsten Regionen Italiens, im Vinschgau ist der Wohlstand angekommen, der Tourismus boomt. Es leben nur noch wenige Menschen, die das Staudammprojekt als Kinder miterlebt haben. Sie wissen, was geschah, als die Dörfer im Reschensee verschwanden, und vielen fällt es bis heute schwer, über den Verlust zu reden. Marco Balzano verleiht ihnen mit seinem Roman eine Stimme. Allein das ist verdienstvoll.
Die „Optanten“ gingen ins
Deutsche Reich, die „Dableiber“
harrten in der Heimat aus
Das Dorf Altgraun in Südtirol, bevor es abgetragen wurde und 1950 im aufgestauten Reschensee verschwand. Seitdem ragt, wie auf dem Cover des Romans von Marco Balzano zu sehen, die Kirchturmspitze über die Wasseroberfläche – ein Wahrzeichen.
Foto: Ferienregion Reschenpass/Picasa
Marco Balzano: Ich bleibe hier. Aus dem Italienischen von Maja Pflug.
Diogenes, Zürich 2020.
285 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Das Leben ist kein Unterseeboot
Marco Balzano schildert im Roman "Ich bleibe hier" das Schicksal eines Dorfes in Südtirol

"Du mußt verstehn! Aus Eins mach Zehn, und Zwei laß gehn, und Drei mach gleich, so bist Du reich. Das ist das Hexen-Einmaleins!" Hexe, strega, Premio Strega. Der italienische Literaturpreis, benannt allerdings nicht nach einer Hexe, sondern einer Likörfirma Strega, die ihn dotierte, wurde 1947 erstmals vergeben, an Ennio Flaiano, mit einem Vorlauf noch zu Kriegszeiten, als sich die sogenannten Sonntagsfreunde um Maria Bellonci zum Diskutieren trafen und in Zeiten von Faschismus und Verzweiflung literarischen Widerstand leisten wollten.

Marco Balzano, 1978 in Mailand geboren, hat vor zwei Jahren mit "Ich bleibe hier" sozusagen den silbernen Premio Strega gewonnen und bei rund zehn anderen Preisen die Nase vorn gehabt. Der Roman verfolgt das Schicksal des Dorfs Graun in Südtirol: von Mussolinis Italianisierung jener deutschsprachigen Region, die nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen worden war, über den Zweiten Weltkrieg bis zur Flutung des Ortes wenige Jahre später. Literaturkritik und Leserschaft eint Begeisterung.

Zu Recht, völlig zu Recht sogar - wenn man auf eingängige Sprache und packende Bilder hofft. Das Covermotiv, im Original genau wie in der deutschen Übersetzung der aus dem Wasser herausragende Kirchturm von St. Katharina, tut ein Übriges. Kein Zweifel, hier geht es um eine miese Geschichte. Von Kriegen geprüfte Menschen fallen der Profitgier zum Opfer. Der Staudamm, bereits vor dem Ersten Weltkrieg geplant, vernichtet Bauernhöfe. Fortschritt versus Nachhaltigkeit - eine moderne miese Geschichte eben. Und es wäre auch eine gute Geschichte, wenn nicht nach dem Prinzip der literarischen Selbstoptimierung Scheibe um Scheibe auf die Hantelstange gesteckt worden wäre.

Die Ich-Erzählerin Trina berichtet ihrer Tochter Marica, die als Schülerin 1939 mit ihrer Tante nach Deutschland gegangen ist und seitdem keinen Kontakt zu ihren Eltern mehr hat, von ihrem Leben. Das Dorf im hintersten Krähwinkel ist bäuerlich geprägt, die Atmosphäre expressis verbis bildungsfern. Dies nutzt Balzano jedoch nicht, um geschickt mit Grau- und Leerstellen eine etwaige Uninformiertheit der Menschen zu erklären. Stattdessen schafft er mit apodiktischen Aussagen Puzzleteile, die einzeln vielleicht überzeugen, insgesamt aber nicht zusammenpassen.

Anschauliches Beispiel ist die Italianisierung. "Vom ersten Augenblick an hieß es: Wir gegen sie. Die Sprache des einen gegen die des anderen. Die Arroganz der plötzlichen Macht gegen das Pochen auf jahrhundertealte Wurzeln." Trotzdem lernt Trina Italienisch, um Lehrerin zu werden. Deutsch unterrichtet sie heimlich, dies jedoch nicht, um Widerstand zu leisten, sondern um als verliebte Frau "vor Erich zu glänzen". Ihr Tun fliegt auf, vom Vater unterstützt, setzt sie die klandestine Tätigkeit aber fort und kann sogar ihre Freundin Barbara dafür gewinnen. Diese wird deswegen an Trinas Hochzeitstag verhaftet und in der Folge verbannt.

Trina gibt den heimlichen Deutschunterricht auf, hält aber noch über zehn Jahre später fest: "Gleich nach der Hochzeit hatten wir ja auch mit meinem Lehrerinnengehalt gerechnet, da wir dachten, dass ich, Faschismus hin oder her, auf die eine oder andere Weise unterrichten könnte." Damit nicht genug. Ein Junge kriegt in der Schule Schläge, weil er kein Italienisch kann. Trina gibt ihm Nachhilfe. Aber 1940, als die italienischen Bekanntmachungen zum Bau des Staudamms aushängen? "Wenige in Graun konnten lesen, aber keiner verstand diese Sprache, die nur die Sprache des Hasses war." Sicher, das Vorgehen ist dadurch besonders perfide, die Darstellung der Sprachkampagne aber auch hübsch verschwurbelt.

Das Verhältnis beider Staaten zueinander bleibt ausgeblendet, der Stahlpakt von 1939 unerwähnt. Hitler ist als ferne Größe Gegenspieler zu Mussolini. "Auf Adolf Hitler zu hoffen war die einzige Rebellion." Das ändert sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg, als Erich sieht, wie die Soldaten verheizt werden. Er geht mit Trina in die Berge, um dort den Krieg abzuwarten. Hier gelingen Balzano gute Szenen, die jedoch einzig das Grauen des Krieges, nicht aber die spezifische Situation der nationalen Minderheit beleuchten.

Mit dem Staudamm wird dann die verlorene Tochter Marica wieder auf den Plan gerufen. "Mit dir hätten wir die Kraft gefunden, woandershin zu gehen. Neu anzufangen." Nach der letzten Messe vor der Flutung wollen sie indes nur noch in Graun bleiben: "Ohne Interesse an der Zukunft und ohne irgendeine Gewissheit. Nur bleiben."

Weniger wäre mehr gewesen. Und anregender.

CHRISTIANE PÖHLMANN

Marco Balzano: "Ich bleibe hier". Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Diogenes Verlag, Zürich 2020. 288 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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