Diese Korrespondenz ist ein außergewöhnliches Dokument: Gustav Chomed (1920-2002) war ein Schulkamerad und enger Freund Celans seit etwa 1932. Der zwischen beiden geführte Briefwechsel der Jahre 1938-1970 überbrückt die größte Zeitspanne aller Celan-Briefwechsel und ist zwischen beiden Briefpartnern ausgewogen wie kein zweiter. 1938 beginnt die Korrespondenz mit einem langen Brief Celans aus Tours, einem der frühesten bekannten Briefe des Dichters überhaupt. Am Ende stehen Briefe aus den letzten Lebensmonaten 1970, in denen Celan seine verzweifelte Situation zu erkennen gibt und zugleich noch einmal wichtige Positionen seiner späten Poetik formuliert. Aus Chomeds Briefen wiederum erfahren wir nicht nur von der Situation der im sowjetischen Czernowitz zurückgebliebenen Freunde Celans. In ihnen berichtet er auch von seinem Weg als Soldat der Roten Armee, der Auschwitz und die verkohlte Leiche von Goebbels im eroberten Berlin mit eigenen Augen gesehen und der als Dolmetscher an den Nürnberger Prozessen teilgenommen hat.Die Ausgabe dieser Briefe mit Nachwort und Kommentar läßt eine im Leben Paul Celans selten enge, vertrauensvolle und dauerhafte Beziehung vor dem katastrophischen Hintergrund des 20. Jahrhunderts lebendig werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2010Meridionale
Sehnsüchte
Der Briefwechsel zwischen
Paul Celan und Gustav Chomed
„Nicht nur die Töpfergasse war menschlich“, schreibt der deutsche jüdische Dichter Paul Celan im Jahre 1962 aus Paris an den ebenfalls deutschsprachigen Juden Gustav Chomed in Tschernowzy in der Sowjetunion – die an einem Hang gelegene Töpfergasse am Rande der Czernowitzer Innenstadt war in der Jugend der beiden 1920 Geborenen Schauplatz von Schlittenfahrten, und man spielte vor der Kulisse von Kastanienbäumen und alten Ziehbrunnen. 1962 nimmt Celan, der sich von allen Seiten bedrängt fühlt, wieder Kontakt zu seiner früheren Heimat auf.
Zwei Gleichaltrige aus Czernowitz ragen dabei heraus: Erich Einhorn, der mittlerweile in Moskau lebte, und Gustav Chomed, der wieder in Czernowitz wohnte und Buchhalter in einem Krankenhaus war. Wie Einhorn, dessen Briefwechsel mit Celan vor einigen Jahren erschien, entschied sich auch Gustav Chomed in einer historischen Schlüsselsituation anders als Celan: Als die sowjetischen Truppen während des Zweiten Weltkriegs zunächst Czernowitz besetzt hatten, sich dann aber wieder zurückziehen mussten, blieb Celan in seiner Heimatstadt, während Einhorn und Chomed in die Sowjetunion gingen. Wie intensiv die Jugendfreundschaft mit Gustav Chomed gewesen sein muss, zeigt ein Brief, den Celan 1938 als Achtzehnjähriger aus seinem Studienjahr im französischen Tours nach Czernowitz schrieb. Er ist in seiner ungestümen jugendlichen Trauer, seiner Sehnsucht, seiner Einsamkeit in der ihn umgebenden Fremde ein unvergleichliches Zeugnis. Wer will, kann im Pathos dieser Einsamkeit schon Vorzeichen dessen sehen, was den Dichter Paul Celan ausmachen wird.
Es sind 24 meist kurze Briefe, gleichmäßig auf beide Absender verteilt. Nur wenige gehen durch ihren Ton und die darin berichteten Erlebnisse und Gefühle über allgemeine Nachfragen und Formeln hinaus. Doch gerade in dieser Vorsicht und Unsicherheit drücken sich spezifische Prägungen im 20. Jahrhundert aus. Nach den existenziell einschneidenden Ereignissen in Czernowitz 1944 haben sich die beiden nie mehr gesehen. Der eigentliche Briefwechsel setzt 1962 ein, bricht aber immer wieder für lange Zeit ab, bedingt durch Celans Krankenhausaufenthalte.
Chomed gegenüber macht Celan zwar etwas konkretere Andeutungen als gegenüber Einhorn, was seine psychischen Krisenzustände anbelangt – aber angesichts der Ereignisse (der Mordversuche an seiner Frau, die Einweisung in die Psychiatrie) fällt auf, wie viel er auch diesem Jugendfreund verschweigt. Der Grundton Chomed gegenüber ist herzlicher als der gegenüber Einhorn, eine gewisse Rolle spielen gemeinsame Bekannte.
Allerdings schien sich Celan Einhorn in einer Hinsicht mehr zu öffnen: Hier gab es eine literarische Verbindung, Einhorn war Übersetzer. Ein Austausch über russische Schriftsteller war mit Chomed so nicht denkbar. Dafür aber kristallisiert sich in dieser fernen Bezugsperson Celans Sehnsucht nach etwas Persönlichem, nach einer meridionalen Verbindung, nach Heimat. Sie wird, im Bewusstsein einer Unmöglichkeit, kurz vor Celans Selbstmord 1970 am intensivsten. Hier schreibt Celan den Satz: „Ich brauche Deine Briefe.“
HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN / GUSTAV CHOMED: „Ich brauche Deine Briefe“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 94 Seiten, mit 8 Fotos und 4 Faksimiles, 14,90 Euro.
Nach 1944 haben sich die
beiden Czernowitzer Freunde
nicht mehr gesehen
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Sehnsüchte
Der Briefwechsel zwischen
Paul Celan und Gustav Chomed
„Nicht nur die Töpfergasse war menschlich“, schreibt der deutsche jüdische Dichter Paul Celan im Jahre 1962 aus Paris an den ebenfalls deutschsprachigen Juden Gustav Chomed in Tschernowzy in der Sowjetunion – die an einem Hang gelegene Töpfergasse am Rande der Czernowitzer Innenstadt war in der Jugend der beiden 1920 Geborenen Schauplatz von Schlittenfahrten, und man spielte vor der Kulisse von Kastanienbäumen und alten Ziehbrunnen. 1962 nimmt Celan, der sich von allen Seiten bedrängt fühlt, wieder Kontakt zu seiner früheren Heimat auf.
Zwei Gleichaltrige aus Czernowitz ragen dabei heraus: Erich Einhorn, der mittlerweile in Moskau lebte, und Gustav Chomed, der wieder in Czernowitz wohnte und Buchhalter in einem Krankenhaus war. Wie Einhorn, dessen Briefwechsel mit Celan vor einigen Jahren erschien, entschied sich auch Gustav Chomed in einer historischen Schlüsselsituation anders als Celan: Als die sowjetischen Truppen während des Zweiten Weltkriegs zunächst Czernowitz besetzt hatten, sich dann aber wieder zurückziehen mussten, blieb Celan in seiner Heimatstadt, während Einhorn und Chomed in die Sowjetunion gingen. Wie intensiv die Jugendfreundschaft mit Gustav Chomed gewesen sein muss, zeigt ein Brief, den Celan 1938 als Achtzehnjähriger aus seinem Studienjahr im französischen Tours nach Czernowitz schrieb. Er ist in seiner ungestümen jugendlichen Trauer, seiner Sehnsucht, seiner Einsamkeit in der ihn umgebenden Fremde ein unvergleichliches Zeugnis. Wer will, kann im Pathos dieser Einsamkeit schon Vorzeichen dessen sehen, was den Dichter Paul Celan ausmachen wird.
Es sind 24 meist kurze Briefe, gleichmäßig auf beide Absender verteilt. Nur wenige gehen durch ihren Ton und die darin berichteten Erlebnisse und Gefühle über allgemeine Nachfragen und Formeln hinaus. Doch gerade in dieser Vorsicht und Unsicherheit drücken sich spezifische Prägungen im 20. Jahrhundert aus. Nach den existenziell einschneidenden Ereignissen in Czernowitz 1944 haben sich die beiden nie mehr gesehen. Der eigentliche Briefwechsel setzt 1962 ein, bricht aber immer wieder für lange Zeit ab, bedingt durch Celans Krankenhausaufenthalte.
Chomed gegenüber macht Celan zwar etwas konkretere Andeutungen als gegenüber Einhorn, was seine psychischen Krisenzustände anbelangt – aber angesichts der Ereignisse (der Mordversuche an seiner Frau, die Einweisung in die Psychiatrie) fällt auf, wie viel er auch diesem Jugendfreund verschweigt. Der Grundton Chomed gegenüber ist herzlicher als der gegenüber Einhorn, eine gewisse Rolle spielen gemeinsame Bekannte.
Allerdings schien sich Celan Einhorn in einer Hinsicht mehr zu öffnen: Hier gab es eine literarische Verbindung, Einhorn war Übersetzer. Ein Austausch über russische Schriftsteller war mit Chomed so nicht denkbar. Dafür aber kristallisiert sich in dieser fernen Bezugsperson Celans Sehnsucht nach etwas Persönlichem, nach einer meridionalen Verbindung, nach Heimat. Sie wird, im Bewusstsein einer Unmöglichkeit, kurz vor Celans Selbstmord 1970 am intensivsten. Hier schreibt Celan den Satz: „Ich brauche Deine Briefe.“
HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN / GUSTAV CHOMED: „Ich brauche Deine Briefe“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 94 Seiten, mit 8 Fotos und 4 Faksimiles, 14,90 Euro.
Nach 1944 haben sich die
beiden Czernowitzer Freunde
nicht mehr gesehen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2011Unwiederbringlich
Zu Zeiten, in denen Briefe fast nur noch maschinell erstellt werden, darf man sich angesichts der zahlreichen, in den vergangenen Jahren erschienenen Editionen mit Korrespondenzen Paul Celans ruhig einmal über dessen Schreibeifer wundern. Im Vergleich mit umfangreicheren, wie etwa dem mit Ingeborg Bachmann oder Klaus Demus, fällt der hier vorliegende Briefwechsel mit dem Czernowitzer Jugendfreund Gustav Chomed knapper aus. Doch er spiegelt in 24 Briefen das Lebensdrama der beiden Korrespondierenden. Im Dezember 1938 schreibt Celan dem Freund aus Tours, wo er ein Medizinstudium begonnen hatte. Er spricht von Einsamkeit und rührt an das, was ihn zeitlebens umtreiben wird: sein Leiden an Deutschland und die Sehnsucht nach der seiner Erfahrung angemessenen Sprache. "Deutschland . . . Ich will Dir alles noch einmal erzählen, aber diesmal kann ich's nicht tun, glaub mir, ich kann's nicht", heißt es im ersten Brief des Bandes. Erst 25 Jahre später setzt die Korrespondenz wieder ein. Auch Chomed kämpft mit traumatischen Erinnerungen, gegen die Einsamkeit. Als Soldat der Roten Armee zunächst zu "den Trümmern des Warschauer Ghettos, in die Bunker der Berliner Reichskanzlei, zu Goebbels halbverkohlter Leiche" gelangt, dolmetschte er später bei den Nürnberger Prozessen, ehe er nach Czernowitz zurückkehrte. Nach der Schließung des Eisernen Vorhangs konnte er seinen Traum von der Emigration nach Deutschland nicht mehr realisieren. Seine Frau, deren Eltern vor ihren Augen in einem transnistrischen Arbeitslager ermordet worden waren, wollte nie wieder Deutsch sprechen. Obwohl die Korrespondenz über längere Zeiträume stockte, war sie den Briefpartnern bis zu Celans Freitod im Jahr 1970 ein Erinnerungsort für Unwiederbringliches. (Paul Celan, Gustav Chomed: "Ich brauche Deine Briefe". Der Briefwechsel. Herausgegeben von Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 111 S., br., 14,90 [Euro].) btro
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Zu Zeiten, in denen Briefe fast nur noch maschinell erstellt werden, darf man sich angesichts der zahlreichen, in den vergangenen Jahren erschienenen Editionen mit Korrespondenzen Paul Celans ruhig einmal über dessen Schreibeifer wundern. Im Vergleich mit umfangreicheren, wie etwa dem mit Ingeborg Bachmann oder Klaus Demus, fällt der hier vorliegende Briefwechsel mit dem Czernowitzer Jugendfreund Gustav Chomed knapper aus. Doch er spiegelt in 24 Briefen das Lebensdrama der beiden Korrespondierenden. Im Dezember 1938 schreibt Celan dem Freund aus Tours, wo er ein Medizinstudium begonnen hatte. Er spricht von Einsamkeit und rührt an das, was ihn zeitlebens umtreiben wird: sein Leiden an Deutschland und die Sehnsucht nach der seiner Erfahrung angemessenen Sprache. "Deutschland . . . Ich will Dir alles noch einmal erzählen, aber diesmal kann ich's nicht tun, glaub mir, ich kann's nicht", heißt es im ersten Brief des Bandes. Erst 25 Jahre später setzt die Korrespondenz wieder ein. Auch Chomed kämpft mit traumatischen Erinnerungen, gegen die Einsamkeit. Als Soldat der Roten Armee zunächst zu "den Trümmern des Warschauer Ghettos, in die Bunker der Berliner Reichskanzlei, zu Goebbels halbverkohlter Leiche" gelangt, dolmetschte er später bei den Nürnberger Prozessen, ehe er nach Czernowitz zurückkehrte. Nach der Schließung des Eisernen Vorhangs konnte er seinen Traum von der Emigration nach Deutschland nicht mehr realisieren. Seine Frau, deren Eltern vor ihren Augen in einem transnistrischen Arbeitslager ermordet worden waren, wollte nie wieder Deutsch sprechen. Obwohl die Korrespondenz über längere Zeiträume stockte, war sie den Briefpartnern bis zu Celans Freitod im Jahr 1970 ein Erinnerungsort für Unwiederbringliches. (Paul Celan, Gustav Chomed: "Ich brauche Deine Briefe". Der Briefwechsel. Herausgegeben von Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 111 S., br., 14,90 [Euro].) btro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Noch ein Celan-Briefwechsel. Helmut Böttiger bemüht sich redlich, eine Lektüreempfehlung zu geben. Leicht hat er es nicht. Was gibt es zu lesen in den 24 Briefen zwischen Celan und seinem Czernowitzer Jugendfreund? Außer formelhaften Gefühls- und Erlebnisschilderungen mitunter immerhin schon das Pathos der Trauer und der Einsamkeit des Dichters Paul Celan, wie Böttiger versichert. In der Vorsicht und der Unsicherheit der Formulierungen erkennt er sogar die "spezifische Prägung" eines ganzen Jahrhunderts! Der Rest ist Schweigen und möglicherweise noch die für den Rezensenten spürbare Sehnsucht nach einer "meridionalen Verbindung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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