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»Ich war ein Kind, das Elend rauschte an mir vorüber.«
Bei der Vorbereitung zu einer Ausstellung über sein Werk fand Arnon Grünberg ein Manuskript seiner Mutter wieder, geschrieben in den 1990er-Jahren. Hannelore Grünberg-Klein schildert die Geschichte ihrer Flucht vor dem NS-Regime in beeindruckend klaren, um Haltung und Würde ringenden Worten. Mit 87 Jahren erhielt sie einen Buchvertrag für ihre Memoiren, sie starb kurz vor deren Veröffentlichung am 9. Februar 2015.
Für ihre Kinder schrieb Hannelore Grünberg-Klein auf, worüber sie nicht sprechen konnte. Sie schildert die Flucht ihrer
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Produktbeschreibung
»Ich war ein Kind, das Elend rauschte an mir vorüber.«

Bei der Vorbereitung zu einer Ausstellung über sein Werk fand Arnon Grünberg ein Manuskript seiner Mutter wieder, geschrieben in den 1990er-Jahren. Hannelore Grünberg-Klein schildert die Geschichte ihrer Flucht vor dem NS-Regime in beeindruckend klaren, um Haltung und Würde ringenden Worten. Mit 87 Jahren erhielt sie einen Buchvertrag für ihre Memoiren, sie starb kurz vor deren Veröffentlichung am 9. Februar 2015.

Für ihre Kinder schrieb Hannelore Grünberg-Klein auf, worüber sie nicht sprechen konnte. Sie schildert die Flucht ihrer Familie aus Berlin 1939, wo sie bis zum Alter von elf Jahren glücklich aufwuchs. Im Mai 1939 geht die Familie zusammen mit 903 anderen Emigranten an Bord der St. Louis. Das Schiff nimmt Kurs auf Kuba. Eine Woche lang ankern sie vor Havanna. Trotz flehender Appelle werden die Passagiere nicht ins Land gelassen und müssen nach Europa zurückkehren, wo das Unheil sie erwartet. Hannelore Grünberg-Klein ist die Einzige aus ihrer Familie, die Westerbork, Theresienstadt, Auschwitz und Mauthausen überlebt. Ihre Erzählung von einem Leben in Gefangenschaft besticht durch die völlige Abwesenheit von Sentimentalität und geht daher umso heftiger ans Herz.
Autorenporträt
Hannelore Grünberg-Klein, geboren 1927, lebte mit ihren Eltern in Berlin, bevor sie vor den Verbrechen des NS-Regimes flüchteten. Als Einzige der Familie Klein überlebt sie die Konzentrationslager und kehrt
nach dem Krieg nach Amsterdam zurück. In den 1990er-Jahren schreibt sie für ihre Kinder, unter anderem den bekannten niederländischen Schriftsteller Arnon Grünberg, ihre Memoiren. Hannelore Grünberg-Klein starb am 9. Februar 2015.

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York, Amsterdam und Berlin. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, 2002 erhielt er den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurt Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Es bleibt alles in der Familie
Der neue Roman des niederländischen Schriftstellers Arnon Grünberg im Spiegel der Memoiren seiner Mutter

Heute Abend wird der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg bei der Eröffnung der diesjährigen Frankfurter Buchmesse sprechen - neben seiner belgischen Kollegin Charlotte Van den Broeck, die Flandern repräsentiert. Ausgewogener geht es kaum, nicht nur betreffs der verteilten Herkunft beim gemeinsamen Ehrengastauftritt ihrer Sprachregion: ein Mann und eine Frau, ein Romancier und eine Lyrikerin, ein gestandener Erfolgsautor und ein erst fünfundzwanzigjähriges Talent. Allerdings ist der 1971 geborene Grünberg im Vergleich mit den anderen international bekannten Schriftstellern seines Heimatlandes auch noch jung. Seinen Durchbruch hatte er aber bereits vor mehr als zwanzig Jahren mit dem Roman "Blauer Montag", der 1994 in den Niederlanden und 1997 in deutscher Übersetzung erschien. Seitdem hat Grünberg mehr als ein Dutzend Bücher publiziert, und in Deutschland ist er ein Aushängeschild der niederländischen Literatur.

Mitgebracht nach Frankfurt hat er seinen neuen Roman "Muttermale", der auch im Original erst in diesem Jahr herausgekommen ist. In dessen Mittelpunkt steht der in Amsterdam in der Suizidprävention arbeitende Psychiater Otto Kadoke. Wann immer ein Mensch sich das Leben nehmen will oder dessen Umwelt es befürchtet, wird Kadoke gerufen, und das Urteil des Arztes ist entscheidend dafür, ob die betreffende Person in die Psychiatrie eingewiesen wird - auch gegen deren Willen. Manchmal auch gegen die Überzeugung der Assistenzärzte, die Kadoke auf seinen Missionen begleiten, aber der zweiundvierzigjährige Psychiater gilt als Autorität in seinem Fach.

Grünberg ist bekannt für durchaus humoristisches Erzählen, und daran hindert ihn dieses bitterernste Grundthema auch hier nicht. Zumal Kadoke ein privates Handikap hat: seine betagte Mutter, eine jüdische Überlebende der Schoa, die mittlerweile auf häusliche Betreuung angewiesen ist. Mit zwei dafür schwarz engagierten jungen Frauen aus Nepal verscherzt es sich der einmal sich selbst vergessende Arzt gleich zu Beginn des Buchs, so dass fortan alle Last auf ihm ruht. Und was man schon immer über das Verhältnis von jüdischen Müttern zu ihren Söhnen gehört hat, das wird von Grünberg weidlich ausgenutzt, um das heute so verbreitete Problem adäquater Seniorenpflege daheim nicht nur in ein Psychodrama münden zu lassen.

Darin allerdings auch, und dazu subkutan in ein persönliches Drama. Der Roman wurde kurz nach dem Tod von Grünbergs Mutter geschrieben, die selbst die deutschen Vernichtungslager überlebt hat und über diese Erlebnisse einen privaten Bericht für ihre Kinder verfasst hat, der in den Niederlanden im Vorjahr und jetzt auch auf Deutsch erschienen ist: "Ich denke oft an den Krieg, denn früher hatte ich dazu keine Zeit." Dieser Titel stammt nicht aus dem eigentlichen Text der über Jahre zusammengetragenen Erinnerungen der 1927 in Berlin geborenen Hannelore Grünberg-Klein, sondern gibt einen Satz wieder, den sie in hohem Alter ihrem Sohn gegenüber immer wieder geäußert hat. So jedenfalls erzählt es Arnon Grünberg im Nachwort, das er zu den Memoiren seiner Mutter verfasst hat.

Ohne den Ruhm des Sohnes wäre dieser schlichte, aber gerade deshalb bewegende Text, der wie eine abendliche Erzählung im engsten Familienkreis daherkommt, wohl nicht erschienen, und Arnon Grünberg weiß das. Aber die Bedeutung der Publikation für ihn selbst schätzt er denkbar hoch ein: "Das wichtigste Ergebnis meiner jahrelangen Arbeit als Autor, und das sage ich nicht mit geheuchelter Bescheidenheit, bloß mit einem realistischen Blick auf das, was ich bin und wo ich herkomme, ist, dass dieses Buch endlich erscheinen konnte." Mit einer solchen Formulierung lenkt Grünberg angesichts seines neuen Romanstoffs die Aufmerksamkeit weg vom Beruf seines Protagonisten Kadoke und auf dessen Familienkonstellation, vor allem auf die Person der betagten Mutter.

Die Parallelen sind deutlich: Frau Kadoke ist wie Hannelore Grünberg-Klein deutsche Jüdin, die aus dem niederländischen Exil in die Lager verschleppt wurde und sich nach dem Krieg in den Niederlanden ansiedelte, wo sie einen jüdischen Mann heiratete, dem die Erfahrung der Schrecken in den Lagern erspart geblieben war. Was Grünberg im Nachwort zu den Erinnerungen seiner Mutter über deren Persönlichkeit schreibt, klingt wie eine Kurzbeschreibung der Verhältnisse im fiktiven Hause Kadoke: "Meine Mutter war eine unglaublich starke Frau, so stark und aggressiv, dass wir häufig Konflikte miteinander hatten, bis die nach und nach abnahmen und eine Liebe übrig blieb, unzulänglich und mängelbehaftet, aber das ist menschliche Liebe immer."

Wobei gesagt werden muss, dass "Muttermale" einen inhaltlichen Kunstgriff vornimmt, der hier nicht verraten werden soll, weil dadurch der Clou der Handlungskonstruktion zu früh preisgegeben wäre, durch den aber jede Identifikation des Romanpersonals mit der Familie des Autors gegenstandlos wird. Die psychologische Präzision der Figurenkonstellation profitiert jedoch zweifellos von Grünbergs eigener Biographie, und wer die Erinnerungen von Hannelore Grünberg-Klein liest, wird manche im Roman nur angedeutete Charakterprägung von Frau Kadoke besser einzuschätzen wissen. Also lohnt sich deren Lektüre sogar noch über die Bedeutung hinaus, die dieses Zeugnis eines individuellen jüdischen Schicksals in der Schoa als solches bereits besitzt.

Wobei es gegen "Muttermale" spricht, dass der Roman nicht aus sich selbst heraus alle Informationen bereitstellt, die ein Leser zum Verständnis der wichtigsten Frauenfigur braucht. Das setzt sich leider fort in den zahlreichen weiteren Frauen, die Grünberg um seinen Protagonisten Kadoke versammelt: neben den beiden Pflegerinnen noch die farbige Assistenzärztin Dekha, Kadokes geschiedene Ehefrau Deborah und vor allem die neunundzwanzigjährige Suizidpatientin Michette. Sie wird von dem Psychiater als neue Hilfskraft im Haus der Mutter eingesetzt, was er als "alternative Therapie" beschönigt, obwohl der private Nutzen, den er daraus zieht, natürlich gegen alle Regeln verstößt. Dass Michette ihr Leiden am Leben durch Schmerzen übertönen will und sich deshalb regelmäßig ritzt sowie Chlorreiniger trinkt, ist für die von ihr betreute Auschwitz-Überlebende unbegreiflich. Aber auch den Lesern wird die Motivation der jungen Frau nicht klar genug. Grünbergs Stärke als Erzähler liegt mehr im Exemplarischen als im Existentiellen: Die Frauen um Kadoke sind jeweils nur Abziehbilder für bestimmte soziale und ethnische Gruppen.

Und der Psychiater selbst steht für eine Haltung gegenüber dem Leben, die in Isolation ihr Heil sucht. Zum eigenen Beruf fragt er: "Eigentlich sind wir also Kopfschmerztabletten in Menschengestalt?" Und fährt dann fort: "Ich weiß nicht, ob ich dazu da bin, das Leiden zu lindern. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich bin dazu da, um Dinge zu verhindern, soweit möglich." Sich auf die jeweiligen Ursachen seiner Patienten, sich umbringen zu wollen, einzulassen, lehnt er ab. Hauptantrieb im Umgang mit seiner Mutter, deren Tod absehbar, für ihn aber inakzeptabel ist, ist denn auch vorrangig Prävention.

Die ménage à trois im mütterlichen Haus, die für Kadoke allerlei Herausforderungen bietet, die er aber durch Selbstverleugnung zu meistern versteht, endet schließlich doch in der Abnabelung - so wie sich der Psychiater einige wuchernde Muttermale (daher der Titel des Romans) herausschneiden lässt. Arnon Grünberg hätte diesen Stoff vor dem Tod der eigenen Mutter nicht schreiben können, denn auch diese Erfahrung steckt verklausuliert mit im Buch; die Kaschierung durchs Komische vermag das nicht zu überspielen. Doch "Muttermale" ist weder Tragödie noch Komödie geworden, sondern ein unentschiedenes Buch. Das sind wir von diesem sonst so meinungsfreudigen Autor nicht gewöhnt. Heute Abend wird er zweifellos entschiedener auftreten.

ANDREAS PLATTHAUS

Arnon Grünberg: "Muttermale". Roman.

Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten und Andrea Kluitmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 442 S., geb., 24,- [Euro].

Hannelore Grünberg-Klein: "Ich denke oft an den Krieg, denn früher hatte ich dazu keine Zeit".

Nachwort von Arnon Grünberg. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 167 S., Abb., geb., 17,99 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Bereits in den neunziger Jahren hatte Hannelore Grünberg-Klein ihre Lebensgeschichte für den engsten Familienkreis aufgeschrieben, informiert Rezensent Ijoma Mangold. Dass diese nun gleichzeitig mit dem neuen Roman ihres Sohnes Arnon Grünberg erscheint, erfreut den Kritiker. Denn Grünbergs Mutter, eine in Berlin geborene Jüdin, schreibt berührend und zugleich in "stoisch-gleichmütiger Anschaulichkeit", lobt der gebannte Kritiker. Wenn er etwa liest, wie Grünberg-Klein von ihrer aus politischen Gründen gescheiterten Flucht auf dem Schiff St. Louis Richtung Kuba erzählt, erkennt der Rezensent Parallelen zur Gegenwart. Ein "kunstlos-kunstvolles" Buch, das ganz ohne Sentimentalitäten vom Überleben im KZ erzählt, staunt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Es ist ein kunstlos-kunstvolles Buch, ganz dem So war es verpflichtet, schnörkelos, pathosfrei, ergreifend. Man braucht Kraft, um sich der Härte zu stellen, mit der Hannelore Grünberg-Klein der Brutalität des Lebens ohne Weinerlichkeit ins Auge blickt. Die Tränen vergießt der Leser.« Die Zeit Literatur