An die Macht gekommen ist er wie alle Alleinherrscher, durch kluges Taktieren und Intrigieren. Doch ist er alles andere als die sture machthungrige Beschränktheit. Er ist der allseits Gebildete: seinen Rousseau und seinen Montesquieu, seinen Sade und seinen Montaigne hat er gelesen. Die Französische Revolution hat er studiert, und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung betrachtet er quasi als seine eigene Charta. Er will das ein für allemal Richtige für Staat, Gesellschaft und Familie, bis hin zum letzten Glied. Hier spricht er selbst, der Ewige Diktator. Er, der monoman Diktierende, ist auch der Reflektierende, und seine höllische Suada ist zugleich eine Reflexion über das Schreiben. So ist "Ich der Allmächtige" ein Roman des Kontinents Lateinamerika, seiner Leiden und tiefen Demütigungen, seiner fundamentalen Vermischungen, seiner tropischen Inbrunst von Leben und Tod.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2000Diktators Delirium
Roa Bastos' Meisterwerk, neu übersetzt / Von Paul Ingendaay
Wie die meisten Kinder in Paraguay hatte auch der heute dreiundachtzigjährige Schriftsteller Augusto Roa Bastos unter Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia zu leiden. Dabei ist der glänzend begabte Jurist, den der Doktortitel wie eine Gloriole umgibt, schon lange tot. In seiner von 1814 bis 1840 währenden Diktatur führte er Paraguay zur Selbständigkeit, düpierte die expansionslüsternen Nachbarn Argentinien und Brasilien und baute sich zum gottähnlichen Alleinherrscher über ein nahezu vergessenes Land auf. So sprichwörtlich war seine Macht, dass der schillernde Despot in den Mahn- und Warngeschichten für Kinder schon bald nach seinem Tod den "Schwarzen Mann"ersetzt hatte. Bei dem geringsten Vergehen, so erinnert sich Roa Bastos, "zermalmte mich unbarmherzig der strenge Zeigefinger meines Vaters: ,Da habt ihr den künftigen Tyrannen!' . . . In die Ecke getrieben, bis ins Mark verängstigt durch diese Beschwörung, die mich gleichzeitig in die düstere Vergangenheit und die unerforschliche Zukunft schleuderte, kam ich schließlich dazu, meinen leiblichen Über-Ich-Vater mit dem obersten Vater der Volksgemeinschaft ohne Vergangenheit und ohne Zukunft zu identifizieren."
Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass der Schatten des Diktators auch auf die frühen, beim Licht der Glühwürmchen unternommenen Schreibversuche des Dreizehnjährigen fiel. Doch erst der Mittfünfziger lieferte mit "Ich der Allmächtige" (Yo el Supremo, 1974) sein persönliches Hauptwerk - und neben "Der Herbst des Patriarchen" von Gabriel García Márquez und "Die Methode der Macht" von Alejo Carpentier einen der bedeutenden Diktatorenromane der lateinamerikanischen Literatur. Die deutsche Ausgabe, die 1977 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschien, blieb wohl auch wegen der teigigen Übersetzung weitgehend ungelesen.
Elke Wehr hat den Klotz von fast sechshundert Seiten jetzt noch einmal übertragen, kühl, elegant und mit bestechendem Sinn für die Stilregister des Originals. Wenn demnächst wieder jemand Lust hat, sich mit preiswertem Spott über die "Suhrkamp-Kultur" zu erheben, sollte er einen Blick in diesen Roman werfen und anschließend verraten, von wem wir solche übersetzerische und verlegerische Sorgfalt in Zukunft erwarten dürfen. Gaspar de Francia ist eine historische Figur, aber "Ich der Allmächtige" ist kein historischer Roman. Dabei sind zahlreiche Fakten so glaubhaft erzählt und dokumentarisch untermauert, dass wir sie nur für authentisch halten können. Es ist durchaus nichts Unwahrscheinliches daran, dass der Diktator eines bevölkerungsarmen Landes in einer Weltgegend mit Putscherfahrung alle wichtigen Ämter selbst bekleiden muss, um seiner Herrschaft sicher zu sein, vom Kriegsminister über den Obersten Richter bis zum Direktor der Waffenfabrik. Und der Stolz, Asunción zur Hauptstadt mit den meisten Musikkapellen der ganzen Welt gemacht zu haben, lässt auch eine "allerhöchste Verfügung" plausibel erscheinen, mit der Dr. Francia bei brasilianischen Händlern in präzisen Stückzahlen Trompeten, Waldhörner, Pauken und Triangeln bestellt. Nicht anders werden Massaker begangen, Verträge ausgehandelt oder fremde Diplomaten getäuscht: Ein einziger Wille regiert das Land.
Doch Roa Bastos lässt die chronologische Abfolge der ebenso grotesken wie schaurigen Ereignisse in der Polyphonie seines Romans verschwimmen, und was er damit erreicht, weist ihn als Schriftsteller von hohen Graden aus: Er zerlegt das geschichtsbuchtaugliche Herrscherleben von innen und außen, um daran das Verhältnis von Regierungschef und Privatperson, Kalkül und Zufall, Macht und Ohnmacht sowie die Entstehungsbedingungen eines nationalen Mythos zu ergründen.
An diesem Mythos haben alle Teil: der Herrscher, der seinem Sekretär die Erinnerungen, Rechtfertigungen und Abgefeimtheiten seiner Amtsführung in die Feder diktiert, das Todesurteil über den Sekretär eingeschlossen; der Autor, der hier als "Kompilator" auftritt und dem Monolog des Diktators die abweichenden Versionen aus Dokumenten und Zeugenberichten entgegenstellt; und der staunende Leser, der die Wörterflut steigen sieht, bevor er sich entschlossen ins Boot setzt und mit unbekanntem Ziel davontragen lässt.
Sinnfällig wird der kollektive Charakter des Romans an der von allerhand Merkwürdigkeiten geprägten Erzählform. Nicht nur, dass der Sekretär Patiño sich häufig verschreibt und den Diktator zu Abschweifungen verleitet, von denen nicht immer ein Weg zurückführt. Der Text selbst ist ein kunstvolles Gemisch aus Verlautbarungen, Beschimpfungen, geschichtlichem Kommentar und privaten Notizen. Welchen Status das alles hat, was es verrät oder verschweigt, warum es genau so dasteht und nicht anders, enthüllt sich nur stückweise. Zudem enthält das Skript ausufernde Fußnoten, die den Diktator einmal bestätigen, dann wieder ins Unrecht setzen. Und schließlich wartet es mit Bemerkungen auf wie "unbekannte Schrift", "das folgende Blatt fehlt" oder "das Folgende zerrissen, verbrannt". Statt eines prallen Historienschinkens baut sich vor unseren Augen eine mit allen Wassern der Moderne gewaschene Fiktionsmaschine auf.
Entsprechend scheint der Stil, in dem die Figuren miteinander agieren, einem absurden Theater unter der Regie des Cervantes zu entstammen. "Worin besteht für dich der Gegensatz Allmächtiger Diktator/Allmächtiger Mensch? Worin siehst du den Unterschied?", möchte der Herrscher von seinem Schreiber wissen. "Im Ton, Señor. Der Ton Ihrer Worte diktiert nach unten oder nach oben; sagen wir, mit Ihrer Erlaubnis, je nachdem, wie böig der tadelnde Wind weht, der aus Ihrem Munde kommt. Nur Euer Exzellenz beherrschen eine Art zu sprechen, deren Art für sich spricht . . . Sie leiten mich. Sie lenken mich. Sie haben mich das Schreiben gelehrt. Sie führen meine Hand. Ich kann dich auch mitten durchschneiden, du schreibender Wurm! Sehr richtig, Exzellenz. Wie auch nicht. Sie sind völlig frei, es zu tun, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Dann werden wir zwei Schreiber in Ihren Diensten sein."
Schreiber sind sie beide, Herr und Sekretär, und nichts humanisiert den Herrscher mehr als der quecksilbrige Selbstzweifel des schreibenden Intellektuellen, vor dem die tönenden Reformideen zum Wohl Paraguays ganz klein und blass werden. Schwört Dr. Francia im einen Augenblick auf die Ideale der amerikanischen Verfassungsväter oder zitiert Montesquieu über die föderative Republik, verfällt er schon im nächsten in Hamletsche Grübeleien, die Hand auf dem Totenschädel, und sieht sich "im Licht einer Kerze das knochige Gehäuse erforschen". Zwar hat er keinerlei Skrupel, die Religion zu manipulieren und Dissidenten bei Bedarf erschießen zu lassen, doch spielt ihm sein schlauer rationalistischer Kopf nicht nur ein Ich vor, sondern viele. Das brüchige Selbstverständnis eines Diktators, dessen Taten so unmissverständlich wie Hammerschläge auf sein Land niedersausen, wird so zum eigentlichen Thema des Romans. Derlei nachsichtiges Interesse und freundlicher Relativismus könnten überraschen bei einem Autor, der rund die Hälfte seines Lebens im Exil verbrachte und dem die paraguayische Staatsbürgerschaft von General Stroessner persönlich aberkannt wurde. Doch Roa Bastos hat seine Bücher nie so oberflächlich politisch gefärbt, wie es die Geschichte seines Heimatlandes, das jüngst wieder einen Putsch abwenden musste, nahe gelegt hätte.
Als politischer Zeitgenosse forderte er im vergangenen Jahr, dass der "Tyrannosaurier" Stroessner wie sein Kollege Pinochet für Mord und Folter vor Gericht gestellt würde. Als Künstler, scheint es, zieht er weniger eindeutige Lösungen vor. Mit "Ich der Allmächtige" kann Roa Bastos für sich in Anspruch nehmen, unter den uniformierten Marionetten und wohlgenährten Zynikern, die der lateinamerikanische Diktatorenroman kennt, die menschlich komplexeste Figur geschaffen zu haben. Das ist keine Kleinigkeit. "Mit drei oder vier Leben oder womöglich hundert Leben hätte ich es auf diesem undankbaren Stück Erde zu etwas bringen können", hadert sein Dr. Francia. "Wissen können, was ich zu viel oder zu wenig tat. Was ich schlecht tat. Wissen, wissen, wissen! Obwohl wir aus der Heiligen Schrift schon wissen, dass Wissen Schmerz mit sich bringt."
Die Anstrengungslosigkeit, mit der Roa Bastos von der Schilderung politischer Winkelzüge in das Murmeln seiner Nachtmonologe hinübergleitet, ist bemerkenswert. Dass Details aus allzu fetten Geschichtsbüchern den Roman gelegentlich zu überwuchern drohen, mag nicht nur an der Menge des Stoffs liegen, sondern auch am fernen Paraguay, das für die übrige Welt literarisch ja erst erfunden werden musste. Genau das hat der große Roa Bastos getan.
Augusto Roa Bastos: "Ich der Allmächtige". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 560 S., geb., 58,- DM.
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Roa Bastos' Meisterwerk, neu übersetzt / Von Paul Ingendaay
Wie die meisten Kinder in Paraguay hatte auch der heute dreiundachtzigjährige Schriftsteller Augusto Roa Bastos unter Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia zu leiden. Dabei ist der glänzend begabte Jurist, den der Doktortitel wie eine Gloriole umgibt, schon lange tot. In seiner von 1814 bis 1840 währenden Diktatur führte er Paraguay zur Selbständigkeit, düpierte die expansionslüsternen Nachbarn Argentinien und Brasilien und baute sich zum gottähnlichen Alleinherrscher über ein nahezu vergessenes Land auf. So sprichwörtlich war seine Macht, dass der schillernde Despot in den Mahn- und Warngeschichten für Kinder schon bald nach seinem Tod den "Schwarzen Mann"ersetzt hatte. Bei dem geringsten Vergehen, so erinnert sich Roa Bastos, "zermalmte mich unbarmherzig der strenge Zeigefinger meines Vaters: ,Da habt ihr den künftigen Tyrannen!' . . . In die Ecke getrieben, bis ins Mark verängstigt durch diese Beschwörung, die mich gleichzeitig in die düstere Vergangenheit und die unerforschliche Zukunft schleuderte, kam ich schließlich dazu, meinen leiblichen Über-Ich-Vater mit dem obersten Vater der Volksgemeinschaft ohne Vergangenheit und ohne Zukunft zu identifizieren."
Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass der Schatten des Diktators auch auf die frühen, beim Licht der Glühwürmchen unternommenen Schreibversuche des Dreizehnjährigen fiel. Doch erst der Mittfünfziger lieferte mit "Ich der Allmächtige" (Yo el Supremo, 1974) sein persönliches Hauptwerk - und neben "Der Herbst des Patriarchen" von Gabriel García Márquez und "Die Methode der Macht" von Alejo Carpentier einen der bedeutenden Diktatorenromane der lateinamerikanischen Literatur. Die deutsche Ausgabe, die 1977 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschien, blieb wohl auch wegen der teigigen Übersetzung weitgehend ungelesen.
Elke Wehr hat den Klotz von fast sechshundert Seiten jetzt noch einmal übertragen, kühl, elegant und mit bestechendem Sinn für die Stilregister des Originals. Wenn demnächst wieder jemand Lust hat, sich mit preiswertem Spott über die "Suhrkamp-Kultur" zu erheben, sollte er einen Blick in diesen Roman werfen und anschließend verraten, von wem wir solche übersetzerische und verlegerische Sorgfalt in Zukunft erwarten dürfen. Gaspar de Francia ist eine historische Figur, aber "Ich der Allmächtige" ist kein historischer Roman. Dabei sind zahlreiche Fakten so glaubhaft erzählt und dokumentarisch untermauert, dass wir sie nur für authentisch halten können. Es ist durchaus nichts Unwahrscheinliches daran, dass der Diktator eines bevölkerungsarmen Landes in einer Weltgegend mit Putscherfahrung alle wichtigen Ämter selbst bekleiden muss, um seiner Herrschaft sicher zu sein, vom Kriegsminister über den Obersten Richter bis zum Direktor der Waffenfabrik. Und der Stolz, Asunción zur Hauptstadt mit den meisten Musikkapellen der ganzen Welt gemacht zu haben, lässt auch eine "allerhöchste Verfügung" plausibel erscheinen, mit der Dr. Francia bei brasilianischen Händlern in präzisen Stückzahlen Trompeten, Waldhörner, Pauken und Triangeln bestellt. Nicht anders werden Massaker begangen, Verträge ausgehandelt oder fremde Diplomaten getäuscht: Ein einziger Wille regiert das Land.
Doch Roa Bastos lässt die chronologische Abfolge der ebenso grotesken wie schaurigen Ereignisse in der Polyphonie seines Romans verschwimmen, und was er damit erreicht, weist ihn als Schriftsteller von hohen Graden aus: Er zerlegt das geschichtsbuchtaugliche Herrscherleben von innen und außen, um daran das Verhältnis von Regierungschef und Privatperson, Kalkül und Zufall, Macht und Ohnmacht sowie die Entstehungsbedingungen eines nationalen Mythos zu ergründen.
An diesem Mythos haben alle Teil: der Herrscher, der seinem Sekretär die Erinnerungen, Rechtfertigungen und Abgefeimtheiten seiner Amtsführung in die Feder diktiert, das Todesurteil über den Sekretär eingeschlossen; der Autor, der hier als "Kompilator" auftritt und dem Monolog des Diktators die abweichenden Versionen aus Dokumenten und Zeugenberichten entgegenstellt; und der staunende Leser, der die Wörterflut steigen sieht, bevor er sich entschlossen ins Boot setzt und mit unbekanntem Ziel davontragen lässt.
Sinnfällig wird der kollektive Charakter des Romans an der von allerhand Merkwürdigkeiten geprägten Erzählform. Nicht nur, dass der Sekretär Patiño sich häufig verschreibt und den Diktator zu Abschweifungen verleitet, von denen nicht immer ein Weg zurückführt. Der Text selbst ist ein kunstvolles Gemisch aus Verlautbarungen, Beschimpfungen, geschichtlichem Kommentar und privaten Notizen. Welchen Status das alles hat, was es verrät oder verschweigt, warum es genau so dasteht und nicht anders, enthüllt sich nur stückweise. Zudem enthält das Skript ausufernde Fußnoten, die den Diktator einmal bestätigen, dann wieder ins Unrecht setzen. Und schließlich wartet es mit Bemerkungen auf wie "unbekannte Schrift", "das folgende Blatt fehlt" oder "das Folgende zerrissen, verbrannt". Statt eines prallen Historienschinkens baut sich vor unseren Augen eine mit allen Wassern der Moderne gewaschene Fiktionsmaschine auf.
Entsprechend scheint der Stil, in dem die Figuren miteinander agieren, einem absurden Theater unter der Regie des Cervantes zu entstammen. "Worin besteht für dich der Gegensatz Allmächtiger Diktator/Allmächtiger Mensch? Worin siehst du den Unterschied?", möchte der Herrscher von seinem Schreiber wissen. "Im Ton, Señor. Der Ton Ihrer Worte diktiert nach unten oder nach oben; sagen wir, mit Ihrer Erlaubnis, je nachdem, wie böig der tadelnde Wind weht, der aus Ihrem Munde kommt. Nur Euer Exzellenz beherrschen eine Art zu sprechen, deren Art für sich spricht . . . Sie leiten mich. Sie lenken mich. Sie haben mich das Schreiben gelehrt. Sie führen meine Hand. Ich kann dich auch mitten durchschneiden, du schreibender Wurm! Sehr richtig, Exzellenz. Wie auch nicht. Sie sind völlig frei, es zu tun, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Dann werden wir zwei Schreiber in Ihren Diensten sein."
Schreiber sind sie beide, Herr und Sekretär, und nichts humanisiert den Herrscher mehr als der quecksilbrige Selbstzweifel des schreibenden Intellektuellen, vor dem die tönenden Reformideen zum Wohl Paraguays ganz klein und blass werden. Schwört Dr. Francia im einen Augenblick auf die Ideale der amerikanischen Verfassungsväter oder zitiert Montesquieu über die föderative Republik, verfällt er schon im nächsten in Hamletsche Grübeleien, die Hand auf dem Totenschädel, und sieht sich "im Licht einer Kerze das knochige Gehäuse erforschen". Zwar hat er keinerlei Skrupel, die Religion zu manipulieren und Dissidenten bei Bedarf erschießen zu lassen, doch spielt ihm sein schlauer rationalistischer Kopf nicht nur ein Ich vor, sondern viele. Das brüchige Selbstverständnis eines Diktators, dessen Taten so unmissverständlich wie Hammerschläge auf sein Land niedersausen, wird so zum eigentlichen Thema des Romans. Derlei nachsichtiges Interesse und freundlicher Relativismus könnten überraschen bei einem Autor, der rund die Hälfte seines Lebens im Exil verbrachte und dem die paraguayische Staatsbürgerschaft von General Stroessner persönlich aberkannt wurde. Doch Roa Bastos hat seine Bücher nie so oberflächlich politisch gefärbt, wie es die Geschichte seines Heimatlandes, das jüngst wieder einen Putsch abwenden musste, nahe gelegt hätte.
Als politischer Zeitgenosse forderte er im vergangenen Jahr, dass der "Tyrannosaurier" Stroessner wie sein Kollege Pinochet für Mord und Folter vor Gericht gestellt würde. Als Künstler, scheint es, zieht er weniger eindeutige Lösungen vor. Mit "Ich der Allmächtige" kann Roa Bastos für sich in Anspruch nehmen, unter den uniformierten Marionetten und wohlgenährten Zynikern, die der lateinamerikanische Diktatorenroman kennt, die menschlich komplexeste Figur geschaffen zu haben. Das ist keine Kleinigkeit. "Mit drei oder vier Leben oder womöglich hundert Leben hätte ich es auf diesem undankbaren Stück Erde zu etwas bringen können", hadert sein Dr. Francia. "Wissen können, was ich zu viel oder zu wenig tat. Was ich schlecht tat. Wissen, wissen, wissen! Obwohl wir aus der Heiligen Schrift schon wissen, dass Wissen Schmerz mit sich bringt."
Die Anstrengungslosigkeit, mit der Roa Bastos von der Schilderung politischer Winkelzüge in das Murmeln seiner Nachtmonologe hinübergleitet, ist bemerkenswert. Dass Details aus allzu fetten Geschichtsbüchern den Roman gelegentlich zu überwuchern drohen, mag nicht nur an der Menge des Stoffs liegen, sondern auch am fernen Paraguay, das für die übrige Welt literarisch ja erst erfunden werden musste. Genau das hat der große Roa Bastos getan.
Augusto Roa Bastos: "Ich der Allmächtige". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 560 S., geb., 58,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Friedhelm Rathjen hat sich hinreißen lassen von der "Wucht" dieses Romans, der einerseits im Gewand des historischen Romans daherkomme, andererseits aber ein an Borges und Beckett geschultes, mit mehrfach gebrochenen Perspektiven operierendes "Sprachkunstwerk" darstelle. Seltsamer Held des Buchs ist der paraguyanische Diktator Francia, der im vorigen Jahrhundert sein Land isolierte und wie ein aufgeklärter absoluter Monarch regierte. Im Kopf des Regenten herrscht ein Allmachtsdenken, das im Verlauf der Geschichte arg beschädigt wird. Bastos Roman spiegelt den Versuch wider, schreibt Rathjen, die Widersprüche im Denken dieses Diktators herauszuarbeiten und seinen Protagonisten darüber vom Sockel zu stürzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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