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"In den Aufzeichnungen von Canetti fand ich einmal den Satz: ,Er schrieb seine Romane nicht, er ging sie.' Ich überlegte mir, woher Canetti das über mich wissen konnte." Zu Papier gebracht hat Walter Kappacher seine Gedanken über das Gehen und Schreiben jedenfalls erst viel später. Sie sind in diesem Jubiläumsband nachzulesen, genauso wie zahlreiche Notizen, Fundstücke und andere Prosatexte, in denen man dem Schriftsteller ziemlich nahe kommt. Das Schreiben, erfährt man, ist für den gelernten Motorrad-Mechaniker stets ein zu erlernendes Handwerk gewesen, bloß dass die Lehrzeit des Autors…mehr

Produktbeschreibung
"In den Aufzeichnungen von Canetti fand ich einmal den Satz: ,Er schrieb seine Romane nicht, er ging sie.' Ich überlegte mir, woher Canetti das über mich wissen konnte." Zu Papier gebracht hat Walter Kappacher seine Gedanken über das Gehen und Schreiben jedenfalls erst viel später. Sie sind in diesem Jubiläumsband nachzulesen, genauso wie zahlreiche Notizen, Fundstücke und andere Prosatexte, in denen man dem Schriftsteller ziemlich nahe kommt. Das Schreiben, erfährt man, ist für den gelernten Motorrad-Mechaniker stets ein zu erlernendes Handwerk gewesen, bloß dass die Lehrzeit des Autors niemals endet. Im amerikanischen Reisetagebuch schildert Kappacher das Nachhause-Kommen ins Land der roten Steine. Ein Gefühl, das ihm als Kind oft verwehrt blieb: Der Vater war ihm zeitlebens ein Fremder. Ausgerechnet dem Sohn Goethes,
August, legt er ein über zwanzig Jahre reichendes Tagebuch in den Mund ...
"Ich erinnere mich" ist das persönliche Zeugnis des bislang letzten österreichischen Büchner-Preisträgers, das sich in wohldosierten Portionen zu einem Ganzen fügt - lapidar und voll feinem Humor erzählt.
Autorenporträt
Kappacher, Walter
Walter Kappacher, geboren 1938 in Salzburg, seit 1978 freier Schriftsteller. Bei Müry Salzmann erschienen "Schönheit des Vergehens" (2009) und "Vom Anfang und vom Ende" (2012) sowie "Die Amseln von Parsch" (2013) und "Trakls letzte Tage & Mahlers Heimkehr" (2014). 2004 Hermann-Lenz-Preis, 2009 Georg-Büchner-Preis. Walter Kappacher lebt in Salzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2018

Karriere? In seinem Kopf
In neuen Prosastücken schaut Walter Kappacher auf Leben und Schreiben

Rund hundert Seiten des Buches "Ich erinnere mich" nimmt eine Sammlung von Notaten ein, die denselben schlichten Titel tragen: "Ich erinnere mich". Darin greift der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher Momente seines Lebens auf und setzt sie zu einem autobiographischen Mosaik zusammen - große und kleine, wichtige und beiläufige Beobachtungen, alles nebeneinander, so dass sich statt einer Chronologie ein Muster ergibt, das nur mit der Sache selbst zu tun hat: Ein Schriftsteller, heute vor achtzig Jahren geboren, schaut zurück, läuft durch seine Erinnerungen wie durch eine Landschaft und versichert sich auf die unfeierlichste Weise des zurückgelegten Wegs. Mit dem Vater hat er kaum je ein Wort gewechselt. Keine geistige Anregung kam von den Eltern. Die Nachkriegsjahre in Salzburg: Es gab ein "Judenlager", ein "Jugoslawenlager", es gab Baracken mit Menschen, die das allein herumlaufende Kind als freundlich empfand, Rumänen, Bulgaren, Sudetendeutsche, und als das irgendwann vorbei war und die kleine Familie wieder in die eigene Behausung zurück durfte, die 1945 von den Amerikanern requiriert worden war, wurde es nicht besser, eher langweiliger. So wuchs ein einsamer junger Mensch heran, der nicht nur schnelle Motorräder, sondern irgendwann auch das Lesen entdeckte, die Schauspielerei, die Literatur.

"Ich erinnere mich", diesen Halbsatz muss man sich bei den Notaten immer dazudenken. "Wie ich in den letzten Kriegsjahren im Radio Lili Marleen hörte und es nicht mehr aus dem Kopf kriegte." - "Wie ich mir zu Weihnachten einen Packen Schreibpapier wünschte und Schriftsteller werden wollte." - "Wie ich in der Tanzschule zuerst leicht Partnerinnen gewann, doch dann immer an andere Burschen verlor, weil ich beim Tanzen nicht reden wollte oder konnte. . ."

Denn der junge Mann ist schweigsam aus Scheu, ahnt ein inneres Leben, das er dem äußeren vorzieht, und plötzlich stehen da auch Sätze wie dieser: "Wie ich 1963 den ganzen mir erreichbaren Adalbert Stifter las." Hier schreibt jemand, dem das Handwerk über alles geht, der keinen "Betrieb" braucht und deswegen auch keine Betriebskarriere gemacht hat, sondern immer ein Einzelgänger geblieben ist. Martin Walser hat ihn früh gefördert, danach wurde es wieder still. Dabei wirken auch Romane wie "Morgen" (1975) oder "Rosina" (1978) zeitlos, sind diszipliniert und sicher geschrieben, Berichte von einsamen Menschen auf der Suche nach Sinn. Ohne seinen russischen Freund Wolodja, der auch schreibt, das ahnt Walter Kappacher, wäre er wohl "in die Falle Frau - Hochzeit - Kind - Geldverdienen getappt". Also zieht er sich aus dem Angestelltendasein im Reisebüro zurück und versucht es allein. Mit Schreiben, doch ohne Selbstüberhebung. "Was ich am besten konnte, war Gehen. Im Nachhinein scheint mir, außer dem Lesen war das Gehen das einzig Bedeutende in meinem Leben."

Später Ruhm erreicht ihn, als er 2009 den Büchner-Preis erhält. Großer Beifall für die originelle Wahl. Seine kapitalen Romanen "Selina oder Das andere Leben" und "Der Fliegenpalast" werden enthusiastisch besprochen. Der Deuticke Verlag startet eine Werkausgabe, die Kappacher-Titel gehen ins Taschenbuch, seine Texte werden bei den Salzburger Festspielen öffentlich gelesen. Hat der Betrieb den Außenseiter doch noch eingeholt und verschluckt? Mitnichten. Heute, nur einige Jahre später, ist wieder alles still, ein bisschen wie der See, nachdem der fette Stein hineingeworfen wurde und auf den Grund gesunken ist. Die Bücher, die Kappacher in den letzten Jahren bei dem Salzburger Verlag Müry Salzmann veröffentlicht - Erzählungen, Essays, kleine Prosa, die man Fragmente einer Autobiographie nennen könnte -, werden wenig rezensiert, weiß der Himmel, wer sie überhaupt wahrnimmt. Dabei sagen diese Gedankenskizzen gerade in der Konzentration auf den Augenblick viel über sein denkerisches Temperament.

Durchstreift man das Gesamtwerk aus Romanen und Erzählungen, das bald ein halbes Jahrhundert umfasst, fällt auf, wie klar, wie unostentativ und auf seine Art klassisch Kappacher von Anfang an gewesen ist. "Die Beschäftigung mit Sprache und Dichtung", heißt es in diesem schönen Buch, "war mir ab einem bestimmten Zeitpunkt das Wichtigste im Leben, also Lesen und Schreiben. Kafka, Kleist, Karl-Philipp Moritz waren die Vorbilder, auch Beckett." Selbst in die Heiratsfalle ist er noch getappt, zu seinem Glück. In einem lustigen Abschnitt vergleicht er sich mit Raymond Chandler, der genau wie Kappacher als ewiger Junggeselle lange bei seiner Mutter gelebt hat. "Allerdings ist meine Frau nicht wie bei Chandler achtzehn Jahre älter, sondern fünfzehn Jahre jünger." Glück gehabt, wie gesagt.

PAUL INGENDAAY

Walter Kappacher: "Ich erinnere mich". Und andere Prosa.

Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2018. 184 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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