Janis Jaunsudrabins (1877-1962) gehört zu den großen Klassikern der lettischen Literatur, dessen Lebensgeschichte zugleich eng mit Deutschland verwoben ist. In der autobiographischen Erzählung Ich erzähle meiner Frau (Es stastu savai sievai) schildert er seine bewegende Fluchtgeschichte von Lettland nach Westfalen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit diesem Buch erscheint die Geschichte 56 Jahre nach der lettischen Erstveröffentlichung erstmalig in deutscher ÜberSetzung. Die anregende Erzählung nähert sich dem ambivalenten Verhältnis von anekdotischem Humor im tragischen Schicksal und von Heimat in der Fremde an. So spiegeln sich bei Janis Jaunsudrabins nicht nur Elemente lettischer (Erzähl-)Kultur wider, sondern ebenso ist dieses Buch ein Zeitdokument für die westfälische Nachkriegsgeschichte."Erzähl doch etwas Lustiges", sagte Nate Jaunsudrabins, als sie der Heimat fern zusammensitzen. "Gut", antwortet Janis, ich werde dir erzählen, wie wir unser Zuhause verließen." Seine Frau kann sich an nichts Lustiges auf der beschwerlichen Reise erinnern, aber er entgegnet, dass man mit etwas gutem Willen sogar unter so widrigen Umständen auf Heiteres stoßen kann. Daraufhin Nate: "Nun erzähl schon mal, ohne lange Umschweife. Ich bin neugierig darauf zu erfahren, wie man aus einer Zwiebel Marmelade kochen kann."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2007Buch und Butter
Von Lettland nach Westfalen
Zunächst scheint dies wie noch ein persönlich gefärbter Bericht über Vertreibung, Flucht, Neubeginn. Die Erinnerungen des bedeutendsten Schriftstellers Lettlands der zwanziger Jahre heben sich aber ab nicht nur wegen der Bedeutung von Janis Jaunsudrabins für die lettische Geistesgeschichte. Sie bieten einen Blick auf das Empfinden in der deutschen Provinz in den Nachkriegsjahren, gewürzt mit Wendungen, die zum Schmunzeln anregen: Der Autor vergaß auch im Leid seinen Humor nicht. So schreibt er, Deutschland habe in Lettland als Hungerland gegolten, weil schon in Friedenszeiten dorthin lettische Butter und Holz ausgeführt wurden. Daher nahm Jaunsudrabins alles denkbar Essbare in sein Fluchtgepäck und ließ stattdessen seine Bücher - neunzig Titel aus seiner Feder waren bis dahin erschienen - zurück und seine Bilder: Er war 1908 Meisterschüler bei Lovis Corinth in Berlin.
Seine heitere Gelassenheit - trotz Sätzen wie "Es verstehen sich nur die, deren Leid das gleiche ist" - half ihm und seiner Frau, sich rasch in Körbecke am Möhnesee wiedereinzufinden. Jaunsudrabins zählt wie der Übersetzer, der münstersche Journalist Ojars Rozitis, zur Minderheit der 200 000 Letten, die nach ihrer Flucht vor russischer Besetzung des Baltikums 1944 in Deutschland blieben: Westfalen erinnerte ihn an die lettische Landschaft. Die meisten zogen weiter nach Nordamerika, so wie die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga, die 1997 zur Totenfeier im Dom zu Riga kam, als er seinem Wunsch gemäß in die Heimaterde umgebettet wurde nach der Befreiung. Anfangs lehrte er in der lettischen Lagerschule und später am Lettischen Gymnasium Kunstgeschichte, dann wurde er Journalist. Rasch knüpfte er an frühere Erfolge an - schon drei Jahre nach Kriegsende waren 18 seiner Bücher in lettischen Exilverlagen in den Westzonen wieder veröffentlicht. 1952 ehrte ihn der Internationale Pen-Club in Stockholm für sein Lebenswerk. Es dauerte, bis auch Deutsche merkten, dass bis zu seinem Tod 1962 der meistgelesene Schriftsteller Lettlands und der bedeutendste im Exil in ihren Reihen lebte - und 56 Jahre seit der Erstveröffentlichung, dass seine mit Deutschland eng verwobene Lebensgeschichte deutschen Lesern zugänglich ist.
ROBERT VON LUCIUS.
Janis Jaunsudrabins: Ich erzähle meiner Frau. Von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006. 230 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Lettland nach Westfalen
Zunächst scheint dies wie noch ein persönlich gefärbter Bericht über Vertreibung, Flucht, Neubeginn. Die Erinnerungen des bedeutendsten Schriftstellers Lettlands der zwanziger Jahre heben sich aber ab nicht nur wegen der Bedeutung von Janis Jaunsudrabins für die lettische Geistesgeschichte. Sie bieten einen Blick auf das Empfinden in der deutschen Provinz in den Nachkriegsjahren, gewürzt mit Wendungen, die zum Schmunzeln anregen: Der Autor vergaß auch im Leid seinen Humor nicht. So schreibt er, Deutschland habe in Lettland als Hungerland gegolten, weil schon in Friedenszeiten dorthin lettische Butter und Holz ausgeführt wurden. Daher nahm Jaunsudrabins alles denkbar Essbare in sein Fluchtgepäck und ließ stattdessen seine Bücher - neunzig Titel aus seiner Feder waren bis dahin erschienen - zurück und seine Bilder: Er war 1908 Meisterschüler bei Lovis Corinth in Berlin.
Seine heitere Gelassenheit - trotz Sätzen wie "Es verstehen sich nur die, deren Leid das gleiche ist" - half ihm und seiner Frau, sich rasch in Körbecke am Möhnesee wiedereinzufinden. Jaunsudrabins zählt wie der Übersetzer, der münstersche Journalist Ojars Rozitis, zur Minderheit der 200 000 Letten, die nach ihrer Flucht vor russischer Besetzung des Baltikums 1944 in Deutschland blieben: Westfalen erinnerte ihn an die lettische Landschaft. Die meisten zogen weiter nach Nordamerika, so wie die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga, die 1997 zur Totenfeier im Dom zu Riga kam, als er seinem Wunsch gemäß in die Heimaterde umgebettet wurde nach der Befreiung. Anfangs lehrte er in der lettischen Lagerschule und später am Lettischen Gymnasium Kunstgeschichte, dann wurde er Journalist. Rasch knüpfte er an frühere Erfolge an - schon drei Jahre nach Kriegsende waren 18 seiner Bücher in lettischen Exilverlagen in den Westzonen wieder veröffentlicht. 1952 ehrte ihn der Internationale Pen-Club in Stockholm für sein Lebenswerk. Es dauerte, bis auch Deutsche merkten, dass bis zu seinem Tod 1962 der meistgelesene Schriftsteller Lettlands und der bedeutendste im Exil in ihren Reihen lebte - und 56 Jahre seit der Erstveröffentlichung, dass seine mit Deutschland eng verwobene Lebensgeschichte deutschen Lesern zugänglich ist.
ROBERT VON LUCIUS.
Janis Jaunsudrabins: Ich erzähle meiner Frau. Von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006. 230 S., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erfreut zeigt sich Robert von Lucius über diese Erinnerungen von Janis Jaunsudrabins, den er als einen der wichtigsten Schriftsteller Lettlands würdigt. Das Buch scheint ihm nicht nur als Bericht über die Vertreibung aus Lettland, die Flucht und den Neubeginn in Westfalen bedeutend. Er findet es auch reizvoll, weil es einen Einblick in die deutsche Provinz in den Nachkriegsjahren bietet. Er unterstreicht den Humor des Autors, die die Lektüre der Erinnerungen oft vergnüglich machen. Wegen seiner "heiteren Gelassenheit" habe sich Jaunsudrabins zügig in Westfalen zurecht gefunden, als Lehrer am Gymnasium und Journalist gearbeitet und bald auch an seine früheren literarischen Erfolge anknüpfen können. Allerdings habe es gedauert, bis auch Deutsche merkten, "dass bis zu seinem Tod 1962 der meistgelesene Schriftsteller Lettlands und der bedeutendste im Exil in ihren Reihen lebte".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Erinnerungen des bedeutendsten Schriftstellers Lettlands der zwanziger Jahre heben sich [...] nicht nur wegen der Bedeutung von Janis Jaunsudrabins für die lettische Geistesgeschichte [ab]. Sie bieten einen Blick auf das Empfinden in der deutschen Provinz in den Nachkriegsjahren, gewürzt mit Wendungen, die zum Schmunzeln anregen [...]. - Robert von Lucius, in: FAZ vom 30. August 2007.