Im Frühsommer fuhr Hans Traxler in den Urlaub mit der Absicht, "ein paar kleine Landschaftsbilder zu malen". Doch unverhofft kommt oft: Schon am ersten Morgen beim Frühstück fiel dem Zeichner ein Vierzeiler ein, und von da an brachte jeder Tag ein neues Gedicht. Knappe und längere, über Katzen und Päpste, Banker und Bauchtänzerinnen, Künstler und Bischöfe, kurz, Gedichte über Gott und die Welt: "Das ging 20 Tage so, ganz ohne mein Zutun, und dann war plötzlich Schluss."
Schluss mit dem Dichten. Aber in den darauffolgenden Monaten wollten die solchermaßen entstandenen Verse durchaus noch illustriert werden - pro Zeile ein Bild. Das Ergebnis sind 20 komische Bildergedichte, mit 210 wunderschönen farbigen Zeichnungen, in bedrucktes Leinen gebunden, mit einem respektlosen Nachwort des Dichters, Malers und Zeichners über Hochkunst und Karikatur.
Schluss mit dem Dichten. Aber in den darauffolgenden Monaten wollten die solchermaßen entstandenen Verse durchaus noch illustriert werden - pro Zeile ein Bild. Das Ergebnis sind 20 komische Bildergedichte, mit 210 wunderschönen farbigen Zeichnungen, in bedrucktes Leinen gebunden, mit einem respektlosen Nachwort des Dichters, Malers und Zeichners über Hochkunst und Karikatur.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2010Krone der Erschöpfung
Die Erschaffung der Welt aus dem Geist der Komik: Hans Traxlers neue Bildergedichte
Irgendetwas, das hat sich herumgesprochen, ist bei der biblischen Darstellung der Schöpfung schiefgelaufen. Gottes Fähigkeiten wurden entweder maßlos überzeichnet, oder es gilt, was Berufene seit langem behaupten: „SIE ist schwarz.“ Hans Traxler lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Ihm, dem Künstler, geht es um Gottes Werk, und das ließ nun zumindest anfangs auch zu wünschen übrig.
Daraus ergibt sich eines der neuen „Bildergedichte“, die Traxler jetzt in einem ausnehmend schön gemachten Band publiziert hat. Es heißt: „Berliner Genesis - aus der Sicht von Emma Niembsch, Feministische Frauengruppe Knesebeckstraße“:
Am letzten Schöpfungstach
Hat ER den Mann jeschaffen
Jleich nach dem Menschenaffen
Man konnt’ det ooch erkenn’
Der sah ja aus zum flenn’
Ja, und denn?
Gott läuft durchs hohe Gras und denkt – man kennt diese Haltung von Sartre: die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Körper vorgebeugt, stemmt er sich gegen den unsichtbaren Wind des Schicksals, das IHN einen solchen Fehlgriff hat tun lassen. Was ist er schon, der Mensch, zumal in diesem Stadium der Schöpfung?
Denn stand er da im Wannsee
Halb Mensch und halb Schimpanse
Und wurde ausgezischt!
Nee, nee, det war wohl nischt
Ja, und denn?
Denn hat ER dreimal kurz jelacht
Und hat im zwoten Anlauf
Den ersten Mensch jemacht!
Der echte „erste Mensch“, man sieht es oben im Bild, ist wohlgelungen. Emma Niembsch ist offenbar eine höchst moderne Feministin: Gegen den lieben Gott hat sie eigentlich nichts und gegen Schönheit, weibliche zumal, schon gleich gar nicht. Darin gleicht Emma Niembsch ihrem Schöpfer: Der Zeichner Hans Traxler hat die Welt lieb. Allen seinen Bildgeschichten sieht man es an. Und selbst Leute, die er in der wahren Welt verachtet, weil sie ihren Mitmenschen mit Kleingeisterei, Eigensucht oder dem pontifikalen Verbot von Kondomen das Leben schwermachen, bedenkt er nicht mit Zorn: er macht sie einfach nur lächerlich. Das gilt für Benedikt XVI. ebenso wie für Regietheaterregisseure. Seine Figuren, ob Tier, ob Mensch, erinnern an die liebenswürdige Ernsthaftigkeit der Käthe-Kruse-Puppen und alter Steifftiere.
Traxler sucht, wie Oliver M. Schmitt in einem biographischen Essay geschrieben hat, „nach der reinen, perfekten und idealen Linie, der sagenhaften ligne claire, die jede andere Strichführung unmöglich macht. Seine Zeichnungen wirken so „einfach“ wie ein gelungener „Ballon“-Sprung im Ballett. Traxler legt größten Wert auf historische und soziologische Akkuratesse im Detail. Seine Männerfiguren blicken oft schüchtern, knurrig, deppert – seine Frauen: stolz, nachsichtig, lieblich, je nachdem. Und er besitzt eine Gabe, die manche Künstler mit einem Talent zur Melancholie auszeichnet: Seine Werke sind heiter. Wenige zeigen den Irrsinn der Welt so subtil, so gekonnt und so komisch wie Hans Traxler. FRANZISKA AUGSTEIN
HANS TRAXLER: Ich, Gott und die Welt. Neue Bildergedichte. Philipp Reclam jr., Stuttgart 2010. 127 S., 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Erschaffung der Welt aus dem Geist der Komik: Hans Traxlers neue Bildergedichte
Irgendetwas, das hat sich herumgesprochen, ist bei der biblischen Darstellung der Schöpfung schiefgelaufen. Gottes Fähigkeiten wurden entweder maßlos überzeichnet, oder es gilt, was Berufene seit langem behaupten: „SIE ist schwarz.“ Hans Traxler lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Ihm, dem Künstler, geht es um Gottes Werk, und das ließ nun zumindest anfangs auch zu wünschen übrig.
Daraus ergibt sich eines der neuen „Bildergedichte“, die Traxler jetzt in einem ausnehmend schön gemachten Band publiziert hat. Es heißt: „Berliner Genesis - aus der Sicht von Emma Niembsch, Feministische Frauengruppe Knesebeckstraße“:
Am letzten Schöpfungstach
Hat ER den Mann jeschaffen
Jleich nach dem Menschenaffen
Man konnt’ det ooch erkenn’
Der sah ja aus zum flenn’
Ja, und denn?
Gott läuft durchs hohe Gras und denkt – man kennt diese Haltung von Sartre: die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Körper vorgebeugt, stemmt er sich gegen den unsichtbaren Wind des Schicksals, das IHN einen solchen Fehlgriff hat tun lassen. Was ist er schon, der Mensch, zumal in diesem Stadium der Schöpfung?
Denn stand er da im Wannsee
Halb Mensch und halb Schimpanse
Und wurde ausgezischt!
Nee, nee, det war wohl nischt
Ja, und denn?
Denn hat ER dreimal kurz jelacht
Und hat im zwoten Anlauf
Den ersten Mensch jemacht!
Der echte „erste Mensch“, man sieht es oben im Bild, ist wohlgelungen. Emma Niembsch ist offenbar eine höchst moderne Feministin: Gegen den lieben Gott hat sie eigentlich nichts und gegen Schönheit, weibliche zumal, schon gleich gar nicht. Darin gleicht Emma Niembsch ihrem Schöpfer: Der Zeichner Hans Traxler hat die Welt lieb. Allen seinen Bildgeschichten sieht man es an. Und selbst Leute, die er in der wahren Welt verachtet, weil sie ihren Mitmenschen mit Kleingeisterei, Eigensucht oder dem pontifikalen Verbot von Kondomen das Leben schwermachen, bedenkt er nicht mit Zorn: er macht sie einfach nur lächerlich. Das gilt für Benedikt XVI. ebenso wie für Regietheaterregisseure. Seine Figuren, ob Tier, ob Mensch, erinnern an die liebenswürdige Ernsthaftigkeit der Käthe-Kruse-Puppen und alter Steifftiere.
Traxler sucht, wie Oliver M. Schmitt in einem biographischen Essay geschrieben hat, „nach der reinen, perfekten und idealen Linie, der sagenhaften ligne claire, die jede andere Strichführung unmöglich macht. Seine Zeichnungen wirken so „einfach“ wie ein gelungener „Ballon“-Sprung im Ballett. Traxler legt größten Wert auf historische und soziologische Akkuratesse im Detail. Seine Männerfiguren blicken oft schüchtern, knurrig, deppert – seine Frauen: stolz, nachsichtig, lieblich, je nachdem. Und er besitzt eine Gabe, die manche Künstler mit einem Talent zur Melancholie auszeichnet: Seine Werke sind heiter. Wenige zeigen den Irrsinn der Welt so subtil, so gekonnt und so komisch wie Hans Traxler. FRANZISKA AUGSTEIN
HANS TRAXLER: Ich, Gott und die Welt. Neue Bildergedichte. Philipp Reclam jr., Stuttgart 2010. 127 S., 20 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2011Plauderei mit dem Tod
Grundgütiger Spötter: Hans Traxlers Bildergedichte
Irgendwann einmal, in einer Zeit weit nach unserer, werden die Menschen über den Büchern von Hans Traxler sitzen und in deren Bildern das Liebenswerte wiederentdecken. Das wird dann ein Korrektiv sein zu dem, was unsere Epoche sonst ausmacht: Überfremdungsdebatte, Euro-Krise, Krieg und Mord und Totschlag. Bei Hans Traxler werden vielmehr noch die schlimmsten Dinge erträglich. Hänsel und Gretel verbrennen die Hexe? Bei Traxler, dem Mann, der schon vor bald fünfzig Jahren die Wahrheit über das Geschwisterpaar herausfand, tun sie es mit so gütigem Lächeln, dass keiner ihnen übelwollen könnte. Ein ruinierter Investmentbanker stürzt sich aus dem Fenster? Im Hintergrund lässt Traxler ihn wie einen Vogel davonfliegen. Der Tod tritt ins Atelier des Künstlers? Mit Freund Hein kann man doch vernünftig reden. (Zumindest Traxler kann es, und wer den Frankfurter Zeichner persönlich kennt, der weiß, dass diese Bildvision geradezu fotorealistisch genannt werden darf; Hans Traxler ist von einer Wort- und Witzgewandtheit, die jeden Gesprächspartner die Zeit vergessen lässt.)
Märchenmenschen, Geldanleger, Knochenmänner - sie alle findet man in "Ich, Gott und die Welt", dem jüngsten in der seit 1963 nicht abreißenden Kette von illustren illustrierten Geniestreichen. Man staunt, und wenn man weiß, dass Traxler gerade erst zweiundachtzig Jahre alt geworden ist und trotzdem zeichnet wie ein junger Gott (den es allerdings in seinem Werk nicht gibt, weil er es liebt, die Klischees satirisch zu überspitzen, weshalb Gott schon im Titelbild mit Rauschebart und langer Kutte auftritt), dann ist das Staunen noch viel größer.
Im Kontext der Neuen Frankfurter Schule, zu deren Zentraloktett Traxler zählt, ist er der Bilderdichter - noch vor den Kollegen Robert Gernhardt und FW Bernstein, die aus dieser Form gleichermaßen eine Kunst entwickelt haben. Und nun hat er seinen zahllosen früheren Klassikern noch einmal zwanzig neue Bildergedichte zugesellt, vom Vierzeiler zum Auftakt ("Manche hegen starke Zweifel / am Dogma und am Höllenteufel, / doch aus Liebe zur Folklore / folgen sie dem Monsignore") bis zum dreizehnseitigen Selbstporträt in einem Versrhythmus à la Wilhelm Busch ("Die Morgensonne wirft den Schatten, / die Künstlersgattin zürnt dem Gatten"), der dann aber im entscheidenden Moment durch einen Prosaeinschub gebrochen wird, ist hier der Wort- und Zeichenkünstler mit erkennbar größter Lust bei der Sache.
Milde war Hans Traxler immer schon in seinen Bildergedichten. Wer sie mit den Arbeiten des Zeichners in dem von ihm 1979 mitbegründeten Satiremagazin "Titanic" vergleicht, wird schnell sehen, dass hinter dem bösen Satiriker ein grundgütiger Spötter steckt - und umgekehrt. Das neue Buch verwendet nun Farben und Figuren, die wie in sanftes Abendlicht getaucht sind, die pastellfarbene Palette des Zeichners Traxler setzt selbst den Mord von Kain an Abel wie im Weichzeichner in Szene, ohne dass darunter der Witz litte, denn Abel hat sich zuvor reichlich ungeniert benommen. Ob man allerdings die schlechten Witze, die Adams und Evas Sohn reißt, tatsächlich als Todsünde bewerten muss, wie Kain es konkludent tut, das bleibt sehr die Frage. Aber wem könnte man solche Verachtung schlechten Humors weniger verübeln als Hans Traxler?
ANDREAS PLATTHAUS
Hans Traxler: "Ich, Gott und die Welt". Neue Bildergedichte.
Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 128 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grundgütiger Spötter: Hans Traxlers Bildergedichte
Irgendwann einmal, in einer Zeit weit nach unserer, werden die Menschen über den Büchern von Hans Traxler sitzen und in deren Bildern das Liebenswerte wiederentdecken. Das wird dann ein Korrektiv sein zu dem, was unsere Epoche sonst ausmacht: Überfremdungsdebatte, Euro-Krise, Krieg und Mord und Totschlag. Bei Hans Traxler werden vielmehr noch die schlimmsten Dinge erträglich. Hänsel und Gretel verbrennen die Hexe? Bei Traxler, dem Mann, der schon vor bald fünfzig Jahren die Wahrheit über das Geschwisterpaar herausfand, tun sie es mit so gütigem Lächeln, dass keiner ihnen übelwollen könnte. Ein ruinierter Investmentbanker stürzt sich aus dem Fenster? Im Hintergrund lässt Traxler ihn wie einen Vogel davonfliegen. Der Tod tritt ins Atelier des Künstlers? Mit Freund Hein kann man doch vernünftig reden. (Zumindest Traxler kann es, und wer den Frankfurter Zeichner persönlich kennt, der weiß, dass diese Bildvision geradezu fotorealistisch genannt werden darf; Hans Traxler ist von einer Wort- und Witzgewandtheit, die jeden Gesprächspartner die Zeit vergessen lässt.)
Märchenmenschen, Geldanleger, Knochenmänner - sie alle findet man in "Ich, Gott und die Welt", dem jüngsten in der seit 1963 nicht abreißenden Kette von illustren illustrierten Geniestreichen. Man staunt, und wenn man weiß, dass Traxler gerade erst zweiundachtzig Jahre alt geworden ist und trotzdem zeichnet wie ein junger Gott (den es allerdings in seinem Werk nicht gibt, weil er es liebt, die Klischees satirisch zu überspitzen, weshalb Gott schon im Titelbild mit Rauschebart und langer Kutte auftritt), dann ist das Staunen noch viel größer.
Im Kontext der Neuen Frankfurter Schule, zu deren Zentraloktett Traxler zählt, ist er der Bilderdichter - noch vor den Kollegen Robert Gernhardt und FW Bernstein, die aus dieser Form gleichermaßen eine Kunst entwickelt haben. Und nun hat er seinen zahllosen früheren Klassikern noch einmal zwanzig neue Bildergedichte zugesellt, vom Vierzeiler zum Auftakt ("Manche hegen starke Zweifel / am Dogma und am Höllenteufel, / doch aus Liebe zur Folklore / folgen sie dem Monsignore") bis zum dreizehnseitigen Selbstporträt in einem Versrhythmus à la Wilhelm Busch ("Die Morgensonne wirft den Schatten, / die Künstlersgattin zürnt dem Gatten"), der dann aber im entscheidenden Moment durch einen Prosaeinschub gebrochen wird, ist hier der Wort- und Zeichenkünstler mit erkennbar größter Lust bei der Sache.
Milde war Hans Traxler immer schon in seinen Bildergedichten. Wer sie mit den Arbeiten des Zeichners in dem von ihm 1979 mitbegründeten Satiremagazin "Titanic" vergleicht, wird schnell sehen, dass hinter dem bösen Satiriker ein grundgütiger Spötter steckt - und umgekehrt. Das neue Buch verwendet nun Farben und Figuren, die wie in sanftes Abendlicht getaucht sind, die pastellfarbene Palette des Zeichners Traxler setzt selbst den Mord von Kain an Abel wie im Weichzeichner in Szene, ohne dass darunter der Witz litte, denn Abel hat sich zuvor reichlich ungeniert benommen. Ob man allerdings die schlechten Witze, die Adams und Evas Sohn reißt, tatsächlich als Todsünde bewerten muss, wie Kain es konkludent tut, das bleibt sehr die Frage. Aber wem könnte man solche Verachtung schlechten Humors weniger verübeln als Hans Traxler?
ANDREAS PLATTHAUS
Hans Traxler: "Ich, Gott und die Welt". Neue Bildergedichte.
Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 128 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
82, aber zeichnen tut er wie ein junger Gott, äh Deifi, findet Andreas Platthaus und legt nicht nur altgedienten Titanic-Lesern diesen Band mit Bildgedichten, klassisch-alt und neu, sehr ans Herz. Den Traxler Hans kennt er als wortgewandten bösen Satiriker der Neuen Frankfurter Schule. Doch etwas Altersmilde steht ihm laut Platthaus auch ganz gut. Erscheinen Euro-Krise, biblischer Brudermord und Hans und Grete erst im pastellfarbenen Abendlicht, ist's nochmal so schön. Wenn dereinst die Nachgeborenen zurückschauen und den Traxler entdecken, denkt sich der Rezensent, werden sie neben Mord und Totschlag schließlich auch das Liebenswerte der Epoche erkennen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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