"Manchmal frage ich mich, warum ich lebe, warum Menschen überhaupt leben. Aber das erzähle ich nur Dir - ich laufe nicht mit hängendem Kopf herum, sodass es jemand sieht. Falls Du weißt, warum Menschen leben, dann schreib und erzähl es mir."
Astrid Lindgren stand 1953 am Beginn einer beispiellosen Weltkarriere. Bei einem Berlinbesuch lernte sie die Deutsche Louise Hartung kennen, etwa ein Jahr nachdem Lindgren sehr plötzlich ihren Mann verloren hatte. Aus der Begegnung entstand eine ganz besondere Freundschaft. Wie wenig andere verstand Hartung die "kleine Melancholie", die Lindgren an manchen Tagen überkam. Über elf Jahre hinweg teilten die beiden außergewöhnlichen Frauen Freude und Trauer und standen einander in über 600 Briefen bei, die sich wie ein Roman lesen. In den Briefen der Freundinnen, die die Weltschriftstellerin Astrid Lindgren von einer ganz neuen Seite zeigen, entsteht ein sehr persönliches Bild vom Leben in Deutschland und Schweden in einer Zeit des Wiederaufbausund gesellschaftlichen Umbruchs. Berührend, klug, traurig und lustig zugleich: das Porträt einer engen Freundschaft, die alle Grenzen überwindet.
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Jens Andersen und Jette Glargaard und mit einem Nachwort von Antje Rávic Strubel.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Astrid Lindgren stand 1953 am Beginn einer beispiellosen Weltkarriere. Bei einem Berlinbesuch lernte sie die Deutsche Louise Hartung kennen, etwa ein Jahr nachdem Lindgren sehr plötzlich ihren Mann verloren hatte. Aus der Begegnung entstand eine ganz besondere Freundschaft. Wie wenig andere verstand Hartung die "kleine Melancholie", die Lindgren an manchen Tagen überkam. Über elf Jahre hinweg teilten die beiden außergewöhnlichen Frauen Freude und Trauer und standen einander in über 600 Briefen bei, die sich wie ein Roman lesen. In den Briefen der Freundinnen, die die Weltschriftstellerin Astrid Lindgren von einer ganz neuen Seite zeigen, entsteht ein sehr persönliches Bild vom Leben in Deutschland und Schweden in einer Zeit des Wiederaufbausund gesellschaftlichen Umbruchs. Berührend, klug, traurig und lustig zugleich: das Porträt einer engen Freundschaft, die alle Grenzen überwindet.
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Jens Andersen und Jette Glargaard und mit einem Nachwort von Antje Rávic Strubel.
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buecher-magazin.de1953 lernte Astrid Lindgren Louise Hartung kennen, mit der sie einen zwölf Jahre langen, intensiven Briefwechsel führte. Louise Hartung war Sängerin, deren Karriere mit Hitlers Machtergreifung endete. Nach dem Krieg arbeitete sie in der Berliner Verwaltung und engagierte sich für die Leseförderung. Sie lud Lindgren daher nach Berlin ein und brachte sie in ihrer Wohnung in Wilmersdorf unter. Es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die in Liebe umschlug. Louise verliebte sich in Astrid, die diese Liebe nicht entgegnete. In den Briefen balancieren sie zwischen Freundschaft und Liebe, Zurückhaltung und Überschwang. Gleichzeitig sind diese Briefe ein Blick in die 50er- und 60er-Jahre. Eva Mattes und Oda Thormeyer lesen diesen Briefwechsel brillant. Oda Thormeyer liest in einem ausgeglichenen, zurückhaltenden Ton die sachliche, zupackende Hartung. Eva Mattes die melancholische, im Herzen immer ein Kind gebliebene Astrid Lindgren. Sie erwecken mit ihren Stimmen und ihrer Lesekunst diese außergewöhnliche Beziehung zum Leben.
© BÜCHERmagazin, Michael Knoll (kn)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2017Es kann ja gar nicht sein, dass keiner die Kleinen liebt
Ein Kompendium fürsorglicher Alltagspraktiken und mehr: Der Briefwechsel zwischen Astrid Lindgren und Louise Hartung
Dass das wirkliche Leben oft origineller ist als die Literatur, davon war Louise Hartung überzeugt. Sie ist der weniger berühmte, aber interessantere Part dieses aufregenden Briefwechsels. Ob es tatsächlich an der Originalität des Lebens liegt oder nicht eher an ihrer Beobachtungsgabe, Empfindungsfähigkeit und der umwerfenden Anschaulichkeit ihres Stils, sei dahingestellt. Auf jeden Fall liest sich der Briefwechsel zwischen Louise Hartung (1905 – 1965) und Astrid Lindgren (1907 – 2002) spannender als mancher Roman.
Die beiden lernten sich im Oktober 1953 kennen. Louise Hartung, eigentlich Sängerin, die vor Hitlers Machtergreifung eine Bohème-Existenz führte, arbeitete nach dem Krieg in der Berliner Verwaltung. Sie war maßgeblich am Wiederaufbau musikalischer Institutionen beteiligt und setzte sich später im Jugendamt höchst engagiert für die Leseförderung ein. In dieser Funktion hatte sie Astrid Lindgren nach Berlin eingeladen und in ihrer Wilmersdorfer Wohnung beherbergt. Zwölf Jahre lang, bis zu Louise Hartungs frühem Tod, wechselten die beiden Briefe, besuchten sich und unternahmen gemeinsame Reisen in Hartungs hellblauem VW Karmann Ghia Cabriolet. Dabei war ihre Beziehung beileibe nicht konfliktfrei. Vor allem in der ersten Zeit war Astrid Lindgren mehrmals drauf und dran, sie abzubrechen. Denn Louise Hartung hatte sich leidenschaftlich in Astrid Lindgren verliebt, deren Ehemann im Jahr davor gestorben war. Doch die Schriftstellerin erwiderte ihre Gefühle nicht und konnte sich auch nicht vorstellen, eine Frau zu lieben.
Louise Hartung gelingen eindrückliche Beschreibungen der düsteren Atmosphäre im Berlin der Nachkriegszeit. Sie kann die Auswirkungen ständiger Todespräsenz mit äußerst knappen Worten schildern. Nur nebenher erwähnt sie einmal, dass sie in ihrem Wochenendhaus in Caputh ein jüdisches Ehepaar vor der Deportation bewahrte.
Schon bei Lindgrens erstem Besuch hatte sie die in Deutschland noch nicht sehr bekannte Schriftstellerin, für deren Werk sie zeitlebens mit wehenden Fahnen kämpfte, zu einer nächtlichen Autofahrt in den Ostsektor eingeladen, ein zwischen Abenteuer und Unheimlichkeit changierendes Erlebnis, das in gewisser Weise zum Gründungsmythos ihrer Freundschaft wurde.
So spannend die zeitgeschichtlichen Hintergründe sind, die Beschreibungen des zerstörten Berlin, die Nervosität nach Chruschtschows Ultimatum, der Schock über den Mauerbau, der Besuch Kennedys, so interessant auch die Umstände, unter denen Astrid Lindgren ihr Werk hervorbrachte: Am aufregendsten ist doch der diffizile Balanceakt, mit dem hier zwei Menschen austarieren, in welcher Form sie miteinander umgehen können.
Louise Hartung erweist sich als Sophistin mit Galgenhumor, wenn sie Astrid Lindgrens Erklärungen, dass sie kein Begehren für sie empfindet, auseinandernimmt. Zumindest für den Leser ist es vergnüglich zu beobachten, wie die Intensität des Gefühls die Sprache zu Höhenflügen antreibt. Dagegen sind Lindgrens Entgegnungen oft matt, nicht nur von einer an Biederkeit grenzenden Bodenständigkeit, sondern auch mit weniger Verve und Esprit vorgetragen. Das hatte sicher auch charakterliche Gründe. Astrid Lindgren neigte zur Melancholie, während sich Louise Hartung als „äußerst gutgelaunter Mensch“ empfahl und sogar bereit gewesen wäre, nach Stockholm zu ziehen.
Als Karrierefrauen avant la lettre beten sie einander ihre Terminpläne vor und bekunden ihre Arbeitsüberlastung. Hartungs Vorwurf, die Schriftstellerin verwandle ihr Leben in Tinte, kann diese leicht parieren. Nicht die Arbeit halte sie davon ab, die Freundin zu treffen, es seien Menschen. Das war wohl in der Tat der größte Unterschied zwischen den beiden fast gleich alten Frauen: Lindgren hatte nicht nur neben ihrem Schriftstellerberuf einen Lektoren-Job und musste bergeweise Fanpost beantworten, sie war auch der Mittelpunkt einer großen Familie, in der sie sich um ihre beiden Kinder und die wachsende Enkelschar kümmerte und nebenbei um ihre alten Eltern in Småland.
Louise Hartungs Job war nicht weniger aufreibend, sie dachte an Frühpensionierung, litt unter Rheuma und ernsthaften Magenbeschwerden. Doch sie lebte allein und hatte keine Kinder. Allerdings konnte sie sich auf eine Weise in Kinderseelen einfühlen, die sie zur geschätzten Gesprächspartnerin machte. So berichtet sie etwa über den Schluss von „Mio“ aus der Erfahrung ihres Montags-Lesekreises, dass die aus schwierigen Verhältnissen kommenden Kinder das Ende nicht hören wollten: „Selbst Kinder, die offensichtlich so gemartert waren, dass ein vernünftiges Wesen erkennen konnte, dass sie von ihren Eltern gehasst wurden – selbst diese Kinder können einfach nicht glauben, dass niemand sie liebt, dass sie einfach nicht für die andern existieren, derart nicht, dass man nicht einmal merkt, wenn sie verschwunden sind.“
Die Klugheit der beiden Frauen, ihre Fantasie und allmähliche Annäherung, die für Louise Hartung wohl nie ganz dem entsprach, was sie sich wünschte, für Astrid Lindgren aber eine Lebenserleichterung war, macht dieses Buch zu einer auf jeder Seite anregenden Lektüre. Was Hartung über Freundschaft schreibt, über die Bedeutung von Wünschen, die man nicht aufgeben dürfe, auch wenn man um ihre Nicht-erfüllbarkeit wisse, hat philosophisches Gewicht. Auch in Gefühlsangelegenheiten sind ihre Formulierungen anschaulich und präzis, etwa, wenn sie sich darüber freut, dass Lindgren gemeinsame Reisepläne tatsächlich verwirklichen will: „plötzlich sprang diese eingekapselte Freude so jäh und hell und lodernd hoch, dass ich fast nicht begreifen kann, wie der Gedanke an einen anderen Menschen eine so reine Freude bringen kann.“
Sie plante und organisierte alles, buchte Flüge für Lindgren und holte sie am Flughafen ab. Sie schickte Blumen aus ihren beiden Stadtgärtchen, schmuggelte Weine über die Grenze oder brachte Dinge mit, die Lindgren an sie erinnerten. „Ich habe auch gelebt!“ ist ein abenteuerlicher Briefwechsel über die Spannweite zwischen Liebe und Freundschaft, ein Dokument der Nachkriegsjahre, ein Buch über kindliche Verletzlichkeit und die essenzielle Bedeutung von Literatur – und es ist nicht zuletzt ein Kompendium fürsorglicher Alltags-praktiken, mit denen Frauen sich das Leben erleichtern.
MEIKE FESSMANN
Astrid Lindgren / Louise Hartung: Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft. Ausgewählt und herausgegeben von Jens Andersen und Jette Glargaard. Aus dem Schwedischen, Dänischen, Englischen von Angelika Kutsch, Ursel Allenstein, Brigitte Jakobeit. Ullstein Verlag, Berlin 2016. 592 Seiten, 26 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Die Leseförderung führte
die beiden Frauen zusammen,
nach dem Krieg in Berlin
Die eine hätte gern geliebt,
die andere erfreute sich an eher
alltäglichen Dingen
Als sich Astrid Lindgren (1907 bis 2002) und Louise Hartung kennenlernten, hatte jene gerade in schneller Folge die Bücher zu Pippi Langstrumpf, zu Kalle Blomquist sowie die ersten drei Bullerbü-Romane veröffentlicht. Foto: dpa
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Ein Kompendium fürsorglicher Alltagspraktiken und mehr: Der Briefwechsel zwischen Astrid Lindgren und Louise Hartung
Dass das wirkliche Leben oft origineller ist als die Literatur, davon war Louise Hartung überzeugt. Sie ist der weniger berühmte, aber interessantere Part dieses aufregenden Briefwechsels. Ob es tatsächlich an der Originalität des Lebens liegt oder nicht eher an ihrer Beobachtungsgabe, Empfindungsfähigkeit und der umwerfenden Anschaulichkeit ihres Stils, sei dahingestellt. Auf jeden Fall liest sich der Briefwechsel zwischen Louise Hartung (1905 – 1965) und Astrid Lindgren (1907 – 2002) spannender als mancher Roman.
Die beiden lernten sich im Oktober 1953 kennen. Louise Hartung, eigentlich Sängerin, die vor Hitlers Machtergreifung eine Bohème-Existenz führte, arbeitete nach dem Krieg in der Berliner Verwaltung. Sie war maßgeblich am Wiederaufbau musikalischer Institutionen beteiligt und setzte sich später im Jugendamt höchst engagiert für die Leseförderung ein. In dieser Funktion hatte sie Astrid Lindgren nach Berlin eingeladen und in ihrer Wilmersdorfer Wohnung beherbergt. Zwölf Jahre lang, bis zu Louise Hartungs frühem Tod, wechselten die beiden Briefe, besuchten sich und unternahmen gemeinsame Reisen in Hartungs hellblauem VW Karmann Ghia Cabriolet. Dabei war ihre Beziehung beileibe nicht konfliktfrei. Vor allem in der ersten Zeit war Astrid Lindgren mehrmals drauf und dran, sie abzubrechen. Denn Louise Hartung hatte sich leidenschaftlich in Astrid Lindgren verliebt, deren Ehemann im Jahr davor gestorben war. Doch die Schriftstellerin erwiderte ihre Gefühle nicht und konnte sich auch nicht vorstellen, eine Frau zu lieben.
Louise Hartung gelingen eindrückliche Beschreibungen der düsteren Atmosphäre im Berlin der Nachkriegszeit. Sie kann die Auswirkungen ständiger Todespräsenz mit äußerst knappen Worten schildern. Nur nebenher erwähnt sie einmal, dass sie in ihrem Wochenendhaus in Caputh ein jüdisches Ehepaar vor der Deportation bewahrte.
Schon bei Lindgrens erstem Besuch hatte sie die in Deutschland noch nicht sehr bekannte Schriftstellerin, für deren Werk sie zeitlebens mit wehenden Fahnen kämpfte, zu einer nächtlichen Autofahrt in den Ostsektor eingeladen, ein zwischen Abenteuer und Unheimlichkeit changierendes Erlebnis, das in gewisser Weise zum Gründungsmythos ihrer Freundschaft wurde.
So spannend die zeitgeschichtlichen Hintergründe sind, die Beschreibungen des zerstörten Berlin, die Nervosität nach Chruschtschows Ultimatum, der Schock über den Mauerbau, der Besuch Kennedys, so interessant auch die Umstände, unter denen Astrid Lindgren ihr Werk hervorbrachte: Am aufregendsten ist doch der diffizile Balanceakt, mit dem hier zwei Menschen austarieren, in welcher Form sie miteinander umgehen können.
Louise Hartung erweist sich als Sophistin mit Galgenhumor, wenn sie Astrid Lindgrens Erklärungen, dass sie kein Begehren für sie empfindet, auseinandernimmt. Zumindest für den Leser ist es vergnüglich zu beobachten, wie die Intensität des Gefühls die Sprache zu Höhenflügen antreibt. Dagegen sind Lindgrens Entgegnungen oft matt, nicht nur von einer an Biederkeit grenzenden Bodenständigkeit, sondern auch mit weniger Verve und Esprit vorgetragen. Das hatte sicher auch charakterliche Gründe. Astrid Lindgren neigte zur Melancholie, während sich Louise Hartung als „äußerst gutgelaunter Mensch“ empfahl und sogar bereit gewesen wäre, nach Stockholm zu ziehen.
Als Karrierefrauen avant la lettre beten sie einander ihre Terminpläne vor und bekunden ihre Arbeitsüberlastung. Hartungs Vorwurf, die Schriftstellerin verwandle ihr Leben in Tinte, kann diese leicht parieren. Nicht die Arbeit halte sie davon ab, die Freundin zu treffen, es seien Menschen. Das war wohl in der Tat der größte Unterschied zwischen den beiden fast gleich alten Frauen: Lindgren hatte nicht nur neben ihrem Schriftstellerberuf einen Lektoren-Job und musste bergeweise Fanpost beantworten, sie war auch der Mittelpunkt einer großen Familie, in der sie sich um ihre beiden Kinder und die wachsende Enkelschar kümmerte und nebenbei um ihre alten Eltern in Småland.
Louise Hartungs Job war nicht weniger aufreibend, sie dachte an Frühpensionierung, litt unter Rheuma und ernsthaften Magenbeschwerden. Doch sie lebte allein und hatte keine Kinder. Allerdings konnte sie sich auf eine Weise in Kinderseelen einfühlen, die sie zur geschätzten Gesprächspartnerin machte. So berichtet sie etwa über den Schluss von „Mio“ aus der Erfahrung ihres Montags-Lesekreises, dass die aus schwierigen Verhältnissen kommenden Kinder das Ende nicht hören wollten: „Selbst Kinder, die offensichtlich so gemartert waren, dass ein vernünftiges Wesen erkennen konnte, dass sie von ihren Eltern gehasst wurden – selbst diese Kinder können einfach nicht glauben, dass niemand sie liebt, dass sie einfach nicht für die andern existieren, derart nicht, dass man nicht einmal merkt, wenn sie verschwunden sind.“
Die Klugheit der beiden Frauen, ihre Fantasie und allmähliche Annäherung, die für Louise Hartung wohl nie ganz dem entsprach, was sie sich wünschte, für Astrid Lindgren aber eine Lebenserleichterung war, macht dieses Buch zu einer auf jeder Seite anregenden Lektüre. Was Hartung über Freundschaft schreibt, über die Bedeutung von Wünschen, die man nicht aufgeben dürfe, auch wenn man um ihre Nicht-erfüllbarkeit wisse, hat philosophisches Gewicht. Auch in Gefühlsangelegenheiten sind ihre Formulierungen anschaulich und präzis, etwa, wenn sie sich darüber freut, dass Lindgren gemeinsame Reisepläne tatsächlich verwirklichen will: „plötzlich sprang diese eingekapselte Freude so jäh und hell und lodernd hoch, dass ich fast nicht begreifen kann, wie der Gedanke an einen anderen Menschen eine so reine Freude bringen kann.“
Sie plante und organisierte alles, buchte Flüge für Lindgren und holte sie am Flughafen ab. Sie schickte Blumen aus ihren beiden Stadtgärtchen, schmuggelte Weine über die Grenze oder brachte Dinge mit, die Lindgren an sie erinnerten. „Ich habe auch gelebt!“ ist ein abenteuerlicher Briefwechsel über die Spannweite zwischen Liebe und Freundschaft, ein Dokument der Nachkriegsjahre, ein Buch über kindliche Verletzlichkeit und die essenzielle Bedeutung von Literatur – und es ist nicht zuletzt ein Kompendium fürsorglicher Alltags-praktiken, mit denen Frauen sich das Leben erleichtern.
MEIKE FESSMANN
Astrid Lindgren / Louise Hartung: Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft. Ausgewählt und herausgegeben von Jens Andersen und Jette Glargaard. Aus dem Schwedischen, Dänischen, Englischen von Angelika Kutsch, Ursel Allenstein, Brigitte Jakobeit. Ullstein Verlag, Berlin 2016. 592 Seiten, 26 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Die Leseförderung führte
die beiden Frauen zusammen,
nach dem Krieg in Berlin
Die eine hätte gern geliebt,
die andere erfreute sich an eher
alltäglichen Dingen
Als sich Astrid Lindgren (1907 bis 2002) und Louise Hartung kennenlernten, hatte jene gerade in schneller Folge die Bücher zu Pippi Langstrumpf, zu Kalle Blomquist sowie die ersten drei Bullerbü-Romane veröffentlicht. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Cornelia Geissler liest ein Zeitbild und ein Lehrstück der Herzensbildung mit Astrid Lindgrens Briefwechsel mit der deutschen Sängerin und Bildungspolitikerin Louise Hartung aus den Jahren 1953 bis 1964. Geissler gefällt der Blickwinkel zweier kluger, emanzipierter Frauen auf diese Zeit, auf ihre persönliche Entwicklung und ihre über die Freundschaft hinausgehende Beziehung. Es geht um Buchempfehlungen, Politik und Alltag. Geissler staunt über die Offenheit Lindgrens, den Blick in ihre Seele, den sie der Leserin gewährt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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