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Eine Sammlung seiner Texte zum Theater wollte Barthes bereits seit Mitte der siebziger Jahre herausgeben, verschob dieses Vorhaben jedoch immer wieder auf später; nach seinem Unfalltod wurde die Veröffentlichung der Texte von verschiedenen Seiten mehrfach verhindert. Hier liegt als "Weltpremiere" eine Auswahl, die der Herausgeber mit Barthes noch zu dessen Lebzeiten zusammengestellt hat, in einem Band vor. "Wie kann man eine zugleich zugängliche und anspruchsvolle Kunst machen? Hier liegt ein Widerspruch, den man immer als unaufhebbar hingestellt hat. Brecht hat ihn aufgehoben. Entdeckt hinter…mehr

Produktbeschreibung
Eine Sammlung seiner Texte zum Theater wollte Barthes bereits seit Mitte der siebziger Jahre herausgeben, verschob dieses Vorhaben jedoch immer wieder auf später; nach seinem Unfalltod wurde die Veröffentlichung der Texte von verschiedenen Seiten mehrfach verhindert. Hier liegt als "Weltpremiere" eine Auswahl, die der Herausgeber mit Barthes noch zu dessen Lebzeiten zusammengestellt hat, in einem Band vor.
"Wie kann man eine zugleich zugängliche und anspruchsvolle Kunst machen? Hier liegt ein Widerspruch, den man immer als unaufhebbar hingestellt hat. Brecht hat ihn aufgehoben. Entdeckt hinter der Regel den Mißbrauch: ich sah in unserem Theater, als ich es verlassen habe, zu viele mißbräuchliche Regeln, um mich weiterhin daran zu erfreuen, was auch eine Brechtsche Empfehlung ist." (Roland Barthes)
Autorenporträt
Roland Barthes (1915-80), einer der bedeutendsten Kritiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist als einer der Initiatoren und Vorkämpfer der semiologischen Revolution bekannt geworden und für ein Werk, in dem sich biographisches Material und wissenschaftlicher Ansatz miteinander verflechten. Einen heute relativ unbekannten Teil seines Werkes verfasste er in den fünfziger Jahren. Zu dieser Zeit war Roland Barthes aktiv beteiligt an der Gründung und dem Erscheinen der Zeitschrift 'Teatre populaire', eines ebenso ästhetischen wie politischen Phänomens. Anfang der sechziger Jahre gibt Barthes das Theater auf, er besucht es nicht mehr, er schreibt so gut wie keinen Artikel mehr über Aufführungen. Aber er ist langfristig von seiner Erfahrung geprägt 'Im Herzen meines Werks, das Theater'. Er starb am 26. März 1980 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Zuletzt hatte er am Collège de France einen Lehrstuhl für Semiologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2002

Brechts Fernschüler
Kein Kostüm ohne Moral: Roland Barthes' Schriften zum Theater

Er unterhielt sich mit Autos, mit Beefsteaks, mit Einsteins Gehirn, sogar mit Kosmetika und Reinigungsmitteln: Wie ein neuzeitlicher Franz von Assisi, der mit allem, was redet, und sogar mit allem, was gewöhnlich als stumm gilt, amüsant zu kommunizieren verstand, dechiffrierte der französische Philosoph und Literaturwissenschaftler Roland Barthes die geheime Sprache der Objekte, der Emotionen, des Alltags, einfach "die allgemeine Semiologie unserer bürgerlichen Welt". Er konnte eben, wie er selbstironisch feststellte, sogar aus einer "Saubohne die Welt herauslesen".

Diese erstaunliche Fähigkeit, mit der Barthes ingeniös hinter die Oberfläche der Dinge und die Faktur ihrer Bedeutungen zu blicken vermochte, das Bezeichnete hinter dem Zeichen und den Wert hinter dem Preis erkannte, fand im Theater mit seinen polyvalenten Konnotationsketten naturgemäß ein vortreffliches Ressort. Ausgehend von der kulturellen Nachkriegssituation in Frankreich entstanden zwischen 1953 und 1960 vor allem für die von Barthes mitgegründete linkstheoretische Zeitschrift Théâtre populaire rund achtzig ästhetische und kunstkritische Essays. Auf deutsch sind sie unter dem Titel "Ich habe das Theater immer sehr geliebt, und dennoch gehe ich fast nie mehr hin" erschienen. Es ist zugleich der erste Satz in dem von Jean-Loup Rivière edierten Sammelband.

Als der Dramaturg und Autor Ende der siebziger Jahre in einem Seminar mit der Bitte an Roland Barthes herantrat, die verstreuten und meist vergessenen Beiträge neu zu publizieren, hatte dieser "mit seiner üblichen Freundlichkeit zugestimmt, aber ohne jeden Enthusiasmus: Er war durchaus empfänglich für das Interesse, das ein junger Student diesen alten Texten entgegenbrachte, hatte aber keine rechte Lust, sich nochmals mit ihnen auseinanderzusetzen." Das änderte sich rasch. Barthes traf eine Auswahl, notierte selbstkritische Anmerkungen ("Zu moralisch, zu richterhaft", "nicht sympathisch"), doch bevor das Projekt beendet war, starb er an den Folgen eines Autounfalls im März 1980. Es dauerte danach rund zwanzig Jahre, bis das Buch realisiert werden konnte, das leider nur über wenige, knappe Kommentierungen verfügt, was das Verständnis mancher Bezüge erschwert. Ansonsten nämlich haben sich Barthes' Aufsätze eine erstaunliche Frische bewahrt.

Verfaßt im Umfeld der volksbühnenhaft ausgerichteten Bewegung um das Théâtre National Populaire von Jean Vilar, dem es zumal darum ging, die Kunst vom bourgeoisen Kopf auf allerseits nützliche Füße zu stellen, atmen sie ein lebhaftes Engagement und verraten eine unglaubliche Sehnsucht nach dem schöpferisch Guten, existentiell Wahren und politisch Relevanten: "Schluß gemacht werden muß jedoch mit der konformistischen und satten Ästhetik der Geldtheater." Ausgerüstet mit marxistisch spitzgefeiltem Handwerkszeug und streitbarem Erkenntnisdrang, untersucht Barthes mannigfache Aspekte des Theaters von der Antike bis zur Gegenwart, fernöstliche, volkstümliche, kleinbürgerliche Spielarten, die Ideologie diverser Erzählstile, Autoren von Aischylos bis Adamov, das Bühnenbild, die Szenenfotografie, die Musik, die Bühnentechnik, die Komparserie, die "Avantgarde als Impfstoff", die Soziologie der Besucher, die Ontologie des Schauspielers und "die Moral" eines Kostüms. Es gibt für ihn keine intellektuellen Abwege, höchstens produktive Umwege. Er will alles verstehen, um keine Lappalie, keine Schlamperei, keine "superlativische Langeweile" und keine "Surrogate, die letztlich ein kleinherziges Theater ergeben", zu übersehen, gar zu verzeihen. Indem er die Ahistorizität der meisten Aufführungen attackiert, die das Publikum einlullen und ihm "das Denken ersparen", bemüht sich Barthes, den Zuschauer "von der Ebene der Zerstreuung" zu derjenigen der "Gewißheit" zu leiten.

Was ihm vorschwebt, ist das griechische, kollektiv getragene Theater der Polis mit seiner staatsbürgerlichen Dimension, welches das reihum verbreitete, profane "bürgerliche Theater" ersetzen soll. Unbefangen verlangt er gleichzeitig mehr öffentliche Zuschüsse, gerade für Häuser, die ein "kulturell anspruchsvolles Repertoire" erarbeiten, und billigere Eintrittskarten, um weitere Gesellschaftskreise zu erreichen. Statt des roten möchte er allerdings keinen eisernen, sondern am liebsten gar keinen Vorhang - und eine nach allen Seiten unverstellte Bühne, denn "die Tragiker aller Länder" hätten "immer nur für einen offenen Raum geschrieben". Einzig die "Nacktheit eines Ortes" - in der Moderne bloß noch im Sportstadion oder im Boxring existent - vermittle die "Triebfeder der Tragödie".

"In jeder zivilisierten Kunst", betont Barthes 1953, "ist die Intelligenz die Grundvoraussetzung der Emotion." Mit solchen Sätzen verrät er natürlich seine Parteilichkeit. Dank einer geradezu verwegen erscheinenden Chuzpe läßt er Kategorien wie linker Querkopf oder idealistischer Weltverbesserer rechts liegen und stützt sich ausschließlich auf die "kollektive Intelligenz des Publikums". Er plädiert für Demystifizierung, um diesem einen distanzierten Blick, ein breites Panorama zu ermöglichen, und für die Klarheit der Semantik, um ideologisches Gemauschel zu verhindern: "In Mutter Courage ist das Verhängnis auf der Bühne, die Freiheit im Saal, und die Rolle der Dramaturgie besteht darin, eines vom anderen zu trennen."

Brecht wird ihm zur Offenbarung, zur "Erleuchtung". Mit den Gastspielen des Berliner Ensembles Anfang der fünfziger Jahre findet Barthes endlich in der Praxis, was er nicht müde wurde, schriftlich zu beschwören. Als er Brechts Ästhetik, den szenisch angewandten Verfremdungseffekt, die "Perfektion" und "die unerhörte Sorgfalt der Inszenierungen" erlebt, in denen sich politisches und semantisches Denken verbinden, erfüllt sich sein Traum vom Theater der Zukunft. Also wendet er sich in der Folge anderen Gegenständen zu und verabschiedet sich außerdem vom Marxismus.

Roland Barthes' frühe Essays sind, bei aller Leidenschaft und Überzeugungswut, tiefenscharf in der Analyse, luzide in der Argumentation, freimütig in den Vorlieben und manchmal durchaus unakademisch verschmitzt. Seinen reich verzweigten Zeichencode und die Fülle der Erkenntnisse aber zeigte Barthes stets als historisch bedingt, womit er sich erst recht als Brechts tüchtiger und vielleicht nonchalantester Fernschüler bestätigte.

IRENE BAZINGER

Roland Barthes: "Ich habe das Theater immer sehr geliebt, und dennoch gehe ich fast nie mehr hin". Schriften zum Theater. Herausgegeben von Jean-Loup Rivière. Aus dem Französischen übersetzt von Dieter Hornig. Alexander Verlag, Berlin 2001. 348 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Brechts "nonchalantester Fernschüler" erweist sich Roland Barthes für Irene Bazinger, denn, so meint die Rezensentin, als Anfang der 50er Jahre das Berliner Ensemble in Paris gastierte, wurden ihm seine Inszenierungen zur Offenbarung und Erfüllung all dessen, wofür Barthes in Sachen Theater eintrat: Demystifizierung, Klarheit der Semantik, die Verbindung von politischem und semantischem Denken. Barthes' Theaterbegriff orientierte sich an der Bewegung des Théâtre National Populaire von Vean Vilar, berichtet Bazinger, und ist diesbezüglich natürlich seiner Zeit verhaftet; dennoch, so sagt sie, hätten Barthes' Aufsätze und Kritiken, die aus den Jahren 1953 bis 1960 stammen, "eine erstaunliche Frische bewahrt". Nichts, womit sich dieser "neuzeitliche Franz von Assisi", wie Bazinger sehr hübsch schreibt, nicht auseinandergesetzt hätte: Autoren, Inszenierungsstile, Bühnentechnik, Bühnenmusik, Szenenfotografie, ja selbst die Komparserie oder die "Moral eines Kostüms" waren ihm eine Erörterung wert. Bei aller politischen Leidenschaft ging bei Barthes, so Bazinger, nie die Argumentation und der Verstand verloren, außerdem bekannte er freimütig seine Vorlieben und lebte diese ganz unakademisch aus.

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