Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.1999Ehen im klassischen Altertum
Nachkriegstroja: John Erskine beschert Helena ein Nachleben
Für seinen Faust war dem Dichter Goethe das Beste gerade gut genug: Die schönste Frau des Altertums bescherte er ihm dank mephistophelischer Magie in Fleisch und Blut. So allgewaltig ist der New Yorker Romancier und Professor John Erskine nicht verfahren. Er verläßt sich auf die Magie des Erzählens: "Indem ich Helenas Charakter auf meine Weise auslegte, folgte ich Homers Beispiel." So erfindet und erzählt er die "Nachkriegszeit" des Trojanischen Krieges. Die einst mit Paris durchgebrannte Helena kommt mit ihrem "unzulänglichen" Ehemann Menelaos zurück ins traute Heim. Er hatte sich bei der Eroberung Trojas als zu schwach erwiesen, der Ungetreuen als verdiente Strafe das Schwert in den dargebotenen Busen zu stoßen - und nun hat sie leichtes Spiel mit ihm: "Wärst du Manns genug gewesen, mich in jener Nacht in Troja zu töten, so wäre ich nie mit Paris entflohen. Darin steckt unsere ganze Ehegeschichte."
Eine Ehegeschichte, das war's, was John Erskine in den zwanziger Jahren einen Bestsellererfolg bescherte. Den Autor treibt das damals mächtig aufkommende Bedürfnis, "den allgemein gültigen Unterschied zwischen Mann und Frau aufzuzeigen". Keine Frage, daß die Frau, hier immerhin Helena, die bessere Rolle gewählt zu haben scheint: Sie gibt uns in langen lebhaften Dialogen ihre Liebes- und Lebenslehren nach der Art primitiver Filmdramaturgie, die immer abwechselnd sprechende Köpfe zeigt: "Wenn wir doch nur von vornherhein wüßten, daß Glück das letzte ist, was wir von der Liebe fordern können!" So luzide ist diese Helena und so modern: "Der Mann, der eine Frau am glücklichsten machen kann, ist der, der viele Frauen lieben könnte, der sogar mit mehreren Frauen gelebt hat." Und so eine Frau bleibt bei ihrem Menelaos, von dem sie ungerührt sagt: "Das Schlimme bei Menelaos ist, daß er zu weich ist."
Der ungewarnte Leser denkt vielleicht wirklich, daß die im Impressum genannte Originalausgabe in New York 1957 erschienen sei (da war der Autor aber schon seit sechs Jahren tot), und er denkt wohl auch, daß diese Übersetzung aus dem Amerikanischen von Helene Meyer-Franck für das Buch gemacht worden ist, das er da in der Hand hat, und ahnt nicht, daß er es mit einem Wiedergänger zu tun hat, denn "The Private Life of Helen of Troy" erschien 1925, und schon 1927 (danach noch öfter) lag "Das Privatleben der schönen Helena", betreut vom trendbestimmenden Münchener Kurt Wolff Verlag und schick gedruckt von J. B. Hirschfeld in Leipzig, in den deutschen Buchhandlungen. Nur ein paar Kommafehler sind korrigiert. Wer einen großelterlichen gutbürgerlichen Bücherschrank sein eigen nennt, hat es also vielleicht schon. Der Werbetext verspricht, daß hier "amüsant und heutig die Geschichte der schönsten Frau des Altertums neu" erzählt werde - amüsant ist sie immer noch, mit ihrem gealterten Charme aus der Jugendzeit des Jahrhunderts. HANS-HERBERT RÄKEL
John Erskine: "Ich, Helena von Troja". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helene Meyer-Franck. Matthes & Seitz Verlag, München 1998. 325 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nachkriegstroja: John Erskine beschert Helena ein Nachleben
Für seinen Faust war dem Dichter Goethe das Beste gerade gut genug: Die schönste Frau des Altertums bescherte er ihm dank mephistophelischer Magie in Fleisch und Blut. So allgewaltig ist der New Yorker Romancier und Professor John Erskine nicht verfahren. Er verläßt sich auf die Magie des Erzählens: "Indem ich Helenas Charakter auf meine Weise auslegte, folgte ich Homers Beispiel." So erfindet und erzählt er die "Nachkriegszeit" des Trojanischen Krieges. Die einst mit Paris durchgebrannte Helena kommt mit ihrem "unzulänglichen" Ehemann Menelaos zurück ins traute Heim. Er hatte sich bei der Eroberung Trojas als zu schwach erwiesen, der Ungetreuen als verdiente Strafe das Schwert in den dargebotenen Busen zu stoßen - und nun hat sie leichtes Spiel mit ihm: "Wärst du Manns genug gewesen, mich in jener Nacht in Troja zu töten, so wäre ich nie mit Paris entflohen. Darin steckt unsere ganze Ehegeschichte."
Eine Ehegeschichte, das war's, was John Erskine in den zwanziger Jahren einen Bestsellererfolg bescherte. Den Autor treibt das damals mächtig aufkommende Bedürfnis, "den allgemein gültigen Unterschied zwischen Mann und Frau aufzuzeigen". Keine Frage, daß die Frau, hier immerhin Helena, die bessere Rolle gewählt zu haben scheint: Sie gibt uns in langen lebhaften Dialogen ihre Liebes- und Lebenslehren nach der Art primitiver Filmdramaturgie, die immer abwechselnd sprechende Köpfe zeigt: "Wenn wir doch nur von vornherhein wüßten, daß Glück das letzte ist, was wir von der Liebe fordern können!" So luzide ist diese Helena und so modern: "Der Mann, der eine Frau am glücklichsten machen kann, ist der, der viele Frauen lieben könnte, der sogar mit mehreren Frauen gelebt hat." Und so eine Frau bleibt bei ihrem Menelaos, von dem sie ungerührt sagt: "Das Schlimme bei Menelaos ist, daß er zu weich ist."
Der ungewarnte Leser denkt vielleicht wirklich, daß die im Impressum genannte Originalausgabe in New York 1957 erschienen sei (da war der Autor aber schon seit sechs Jahren tot), und er denkt wohl auch, daß diese Übersetzung aus dem Amerikanischen von Helene Meyer-Franck für das Buch gemacht worden ist, das er da in der Hand hat, und ahnt nicht, daß er es mit einem Wiedergänger zu tun hat, denn "The Private Life of Helen of Troy" erschien 1925, und schon 1927 (danach noch öfter) lag "Das Privatleben der schönen Helena", betreut vom trendbestimmenden Münchener Kurt Wolff Verlag und schick gedruckt von J. B. Hirschfeld in Leipzig, in den deutschen Buchhandlungen. Nur ein paar Kommafehler sind korrigiert. Wer einen großelterlichen gutbürgerlichen Bücherschrank sein eigen nennt, hat es also vielleicht schon. Der Werbetext verspricht, daß hier "amüsant und heutig die Geschichte der schönsten Frau des Altertums neu" erzählt werde - amüsant ist sie immer noch, mit ihrem gealterten Charme aus der Jugendzeit des Jahrhunderts. HANS-HERBERT RÄKEL
John Erskine: "Ich, Helena von Troja". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helene Meyer-Franck. Matthes & Seitz Verlag, München 1998. 325 S., geb., 39,80 DM.
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