Gibt es die menschliche Freiheit? Ist unsere gesamte Lebensform nur eine Illusion? Reicht das Vorhandensein eines Gehirns, um ein geistiges Lebewesen zu sein? Von den Naturwissenschaften ausgehend hat sich in den letzten Jahren ein Neurozentrismus herausgebildet, der auf der Annahme basiert, dass Ich gleich Gehirn ist. Markus Gabriel hingegen hegt begründete Zweifel, dass wir uns auf diese Weise selbst erkennen können. Er greift das wissenschaftliche Weltbild an und lädt ein zur Selbstreflexion anhand zentraler Begriffe wie Ich, Bewusstsein oder Freiheit mit Hilfe von Kant, Schopenhauer und Nagel, aber auch Dr. Who, The Walking Dead und Fargo.
Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer gegen den Neurozentrismus stellt Markus Gabriel eine neue Verteidigung des freien Willens vor und gibt eine zeitgemäße Anleitung zum philosophischen Nachdenken über uns selbst - mit Verve, Humor und blitz-gescheiten Erkenntnissen.
Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer gegen den Neurozentrismus stellt Markus Gabriel eine neue Verteidigung des freien Willens vor und gibt eine zeitgemäße Anleitung zum philosophischen Nachdenken über uns selbst - mit Verve, Humor und blitz-gescheiten Erkenntnissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2016Unbewusstes bitte nur in kleinen Dosen
Philipp Hübl und Markus Gabriel zerlegen populäre Unterbietungen unserer Denk- und Handlungsfreiheit
Werden wir durch komplexe unbewusste Prozesse gesteuert? Wohl doch eher nicht. Nachdem die Welle von populären Büchern über die Macht neuronaler Kausalketten im Gehirn abgeflacht ist, rollt längst die zweite Welle: Wissenschaftstheoretiker und Philosophien erklären handfest, was Vernunft bedeutet und wie groß der Spielraum menschlicher Erkenntnis und auch des Handelns tatsächlich ist.
So ist das Thema zweier einschlägiger Neuerscheinungen nahezu identisch: Philipp Hübl, Theoretischer Philosoph aus Stuttgart, will in "Der Untergrund des Denkens" das klassische Bild des vernünftigen Menschen "gegen seine Kritiker" verteidigen. Markus Gabriel, Theoretischer Philosoph aus Bonn, möchte "neue Perspektiven für die Philosophie des Geistes eröffnen", denn nur dann sei zu durchschauen, "wo wir aufs Glatteis geführt werden, wenn man uns etwa versichern möchte, es gebe eigentlich keinen freien Willen oder der menschliche Geist (das Bewusstsein) sei lediglich eine Art Oberflächenspannung des Gehirns". Gabriels Buch trägt den plakativen Titel "Ich ist nicht Gehirn".
Beide Autoren schreiten im Stil einer lockeren Einführung psychologische Fallbeispiele ab, setzen sich mit kursierenden Gedankenexperimenten auseinander und sichten von hier aus die Debatten der Philosophy of Mind - "Philosophie des Geistes" genannt, auch wenn das Thema, präziser gesprochen, das menschliche "Bewusstsein" ist. Wenig überraschend, aber gut lesbar legen Hübl und Gabriel dar, dass Bewusstseinsprozesse für die Forschung etwas äußerst Vertracktes sind. Noch diesseits gängiger Debatten-Stichworte wie "erste Person-Perspektive" oder "Qualia" ist der Gegenstand recht kompliziert.
Robust ist Bewusstsein freilich ebenfalls, auch gegenüber unbemerkten Manipulationen. Zwar irren wir uns immer mal wieder. Zumeist aber haben unterschwellige Werbebotschaften oder andere, unbewusst wirkende Täuschungsversuche kaum Wirkungen, zumal wenn wir diesbezüglich einigermaßen aufmerksam sind. Überhaupt taugt die Kombination der Vorstellungen, erstens "determiniert" zu sein und dies zweitens nicht zu merken, allenfalls fürs Gruselkino. So warnen beide Autoren vor der Mehrdeutigkeit des Wortes "unbewusst", beide rücken Freud in ein kritisches Licht, beide wenden sich gegen Naturalismus und Neurodeterminismus, und beide kritisieren die empirischen Studien einer unseriösen Kognitionsforschung, deren breit herausposaunte "erste" Ergebnisse fast immer Tragfähigkeit vermissen lassen. Was wäre die differenziert verfahrende Alternative zu grobschlächtigen "Ismen"? Für Hübl sind es vor allem empirische Belege, samt unaufgeregtem Alltagsverstand, die man gegen den Neuro-Hype ins Feld führen kann. Für Gabriel zählen dagegen vor allem die theoretischen Schwächen; dazu attackiert er die Neurophilosophie als "Ideologie".
Wo Thema und Stoßrichtung einander derart gleichen, tritt dafür die Verschiedenheit der Argumentationspfade umso deutlicher hervor. Hübl arbeitet kleinteilige Themenpäckchen ab, die der aktuellen Diskussionslage entnommen sind. Gabriel gliedert sein (kürzeres) Buch in Kapitel wie "Bewusstsein", "Selbstbewusstsein", "Freiheit", und in ihnen geht es zuweilen umschweifig zu. Hübl verbindet Plauderton mit Vorsicht: Seine eigenen Überlegungen zum Bewusstsein - er legt sie in Gestalt einer "Hügeltheorie" vor - kennzeichnet er unmissverständlich als bloßes Modell. Bei Gabriel hingegen geht es gleich ums philosophische "Selbstporträt" des Menschen. Er bekennt sich zur "Ideologiekritik" - und haut drauf. Eher unkonzentrierte Problemreferate werden durch Polemik aufgepeppt, bis das Buch schließlich in einer Suada gegen "Neuromanie" und "Darwinitis" und mit vielen Ich-Bekenntnissen zur Freiheit endet. Der vollmundige Anspruch einer "Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert" wird - abgesehen von wiederholten Hinweisen auf Gabriels bereits erschienenes Buch über spekulativen Realismus - nicht eingelöst. Launigkeit beschädigt vielmehr auch die vielleicht richtigen Argumente. Zwar erhalten auch bei Hübl Thesen Kindernamen wie die "Keiner-hat-eine-Ahnung-Position", aber bei Gabriel wimmelt es nur so von "Containermärchen", "Bauklötzchenmetaphysik", "Legozentrismus" (frei nach dem bekannten Steckspiel) oder Anmerkungen zur "Toilettentheorie des Denkens". Dass Gabriels Buch auch eine beachtliche Menge an Tippfehlern und Sprachschludrigkeiten enthält ("Bestreitung" des Ich, "die absolut zentrale Hauptthese von Kant") sei nur am Rande erwähnt.
Was Gabriel zu Recht einfordert, ist Rückbindung an klassische Theoriebildung. Diskussionen über "Bewusstsein" bleiben flach, verknüpft man sie nicht mit den vielen anspruchsvollen Einsichten, welche die kontinentale Philosophie diesbezüglich längst hat. Hübl orientiert sich dagegen an aktueller Empirie und hält philosophische Wissensbestände, etwa aus Phänomenologie oder dem klassischen Idealismus, zugunsten von Psychologie zurück. Bei Gabriel kann man ahnen: Die "Philosophy of Mind" argumentiert in vielen Punkten tatsächlich vormodern. Hübl aber hat schlicht das informativere, gründlichere und auch sprachlich bessere Buch geschrieben.
Eine Beobachtung führt allerdings auf die öffentlichen Aufmerksamkeitswellen, die dem Gehirn gelten, zurück: Beide Bücher zitieren viel, Klassisches wie auch Nebensächliches. Aber weder Hübl noch Gabriel beziehen sich auf ihresgleichen. Eine Fülle deutschsprachiger Arbeiten zu Ansprüchen und Grenzen der Kognitions- und Neuroforschung hat aber bereits die aktuelle Diskussion durch philosophisch-kritische Thesen bereichert: Autoren wie Thomas Fuchs, Michael Hagner, Peter Janich, Michael Pauen, Stephan Schleim, Jan Slaby etwa - und keiner von ihnen findet sich bei Hübl und Gabriel auch nur im Literaturverzeichnis genannt. Eine ganze Diskussionslandschaft wird unterschlagen. Populär gehaltene Bücher befördern eine Verengung des Diskussionsfeldes. Das kennt man, nämlich von der Neuroforschung selbst.
PETRA GEHRING.
Philipp Hübl: "Der Untergrund des Denkens". Eine Philosophie des Unbewussten.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015. 478 S., geb., 19,95 [Euro].
Markus Gabriel: "Ich ist nicht Gehirn". Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert.
Ullstein Verlag, Berlin 2015. 350 S., geb., 18,- [Euro].
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Philipp Hübl und Markus Gabriel zerlegen populäre Unterbietungen unserer Denk- und Handlungsfreiheit
Werden wir durch komplexe unbewusste Prozesse gesteuert? Wohl doch eher nicht. Nachdem die Welle von populären Büchern über die Macht neuronaler Kausalketten im Gehirn abgeflacht ist, rollt längst die zweite Welle: Wissenschaftstheoretiker und Philosophien erklären handfest, was Vernunft bedeutet und wie groß der Spielraum menschlicher Erkenntnis und auch des Handelns tatsächlich ist.
So ist das Thema zweier einschlägiger Neuerscheinungen nahezu identisch: Philipp Hübl, Theoretischer Philosoph aus Stuttgart, will in "Der Untergrund des Denkens" das klassische Bild des vernünftigen Menschen "gegen seine Kritiker" verteidigen. Markus Gabriel, Theoretischer Philosoph aus Bonn, möchte "neue Perspektiven für die Philosophie des Geistes eröffnen", denn nur dann sei zu durchschauen, "wo wir aufs Glatteis geführt werden, wenn man uns etwa versichern möchte, es gebe eigentlich keinen freien Willen oder der menschliche Geist (das Bewusstsein) sei lediglich eine Art Oberflächenspannung des Gehirns". Gabriels Buch trägt den plakativen Titel "Ich ist nicht Gehirn".
Beide Autoren schreiten im Stil einer lockeren Einführung psychologische Fallbeispiele ab, setzen sich mit kursierenden Gedankenexperimenten auseinander und sichten von hier aus die Debatten der Philosophy of Mind - "Philosophie des Geistes" genannt, auch wenn das Thema, präziser gesprochen, das menschliche "Bewusstsein" ist. Wenig überraschend, aber gut lesbar legen Hübl und Gabriel dar, dass Bewusstseinsprozesse für die Forschung etwas äußerst Vertracktes sind. Noch diesseits gängiger Debatten-Stichworte wie "erste Person-Perspektive" oder "Qualia" ist der Gegenstand recht kompliziert.
Robust ist Bewusstsein freilich ebenfalls, auch gegenüber unbemerkten Manipulationen. Zwar irren wir uns immer mal wieder. Zumeist aber haben unterschwellige Werbebotschaften oder andere, unbewusst wirkende Täuschungsversuche kaum Wirkungen, zumal wenn wir diesbezüglich einigermaßen aufmerksam sind. Überhaupt taugt die Kombination der Vorstellungen, erstens "determiniert" zu sein und dies zweitens nicht zu merken, allenfalls fürs Gruselkino. So warnen beide Autoren vor der Mehrdeutigkeit des Wortes "unbewusst", beide rücken Freud in ein kritisches Licht, beide wenden sich gegen Naturalismus und Neurodeterminismus, und beide kritisieren die empirischen Studien einer unseriösen Kognitionsforschung, deren breit herausposaunte "erste" Ergebnisse fast immer Tragfähigkeit vermissen lassen. Was wäre die differenziert verfahrende Alternative zu grobschlächtigen "Ismen"? Für Hübl sind es vor allem empirische Belege, samt unaufgeregtem Alltagsverstand, die man gegen den Neuro-Hype ins Feld führen kann. Für Gabriel zählen dagegen vor allem die theoretischen Schwächen; dazu attackiert er die Neurophilosophie als "Ideologie".
Wo Thema und Stoßrichtung einander derart gleichen, tritt dafür die Verschiedenheit der Argumentationspfade umso deutlicher hervor. Hübl arbeitet kleinteilige Themenpäckchen ab, die der aktuellen Diskussionslage entnommen sind. Gabriel gliedert sein (kürzeres) Buch in Kapitel wie "Bewusstsein", "Selbstbewusstsein", "Freiheit", und in ihnen geht es zuweilen umschweifig zu. Hübl verbindet Plauderton mit Vorsicht: Seine eigenen Überlegungen zum Bewusstsein - er legt sie in Gestalt einer "Hügeltheorie" vor - kennzeichnet er unmissverständlich als bloßes Modell. Bei Gabriel hingegen geht es gleich ums philosophische "Selbstporträt" des Menschen. Er bekennt sich zur "Ideologiekritik" - und haut drauf. Eher unkonzentrierte Problemreferate werden durch Polemik aufgepeppt, bis das Buch schließlich in einer Suada gegen "Neuromanie" und "Darwinitis" und mit vielen Ich-Bekenntnissen zur Freiheit endet. Der vollmundige Anspruch einer "Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert" wird - abgesehen von wiederholten Hinweisen auf Gabriels bereits erschienenes Buch über spekulativen Realismus - nicht eingelöst. Launigkeit beschädigt vielmehr auch die vielleicht richtigen Argumente. Zwar erhalten auch bei Hübl Thesen Kindernamen wie die "Keiner-hat-eine-Ahnung-Position", aber bei Gabriel wimmelt es nur so von "Containermärchen", "Bauklötzchenmetaphysik", "Legozentrismus" (frei nach dem bekannten Steckspiel) oder Anmerkungen zur "Toilettentheorie des Denkens". Dass Gabriels Buch auch eine beachtliche Menge an Tippfehlern und Sprachschludrigkeiten enthält ("Bestreitung" des Ich, "die absolut zentrale Hauptthese von Kant") sei nur am Rande erwähnt.
Was Gabriel zu Recht einfordert, ist Rückbindung an klassische Theoriebildung. Diskussionen über "Bewusstsein" bleiben flach, verknüpft man sie nicht mit den vielen anspruchsvollen Einsichten, welche die kontinentale Philosophie diesbezüglich längst hat. Hübl orientiert sich dagegen an aktueller Empirie und hält philosophische Wissensbestände, etwa aus Phänomenologie oder dem klassischen Idealismus, zugunsten von Psychologie zurück. Bei Gabriel kann man ahnen: Die "Philosophy of Mind" argumentiert in vielen Punkten tatsächlich vormodern. Hübl aber hat schlicht das informativere, gründlichere und auch sprachlich bessere Buch geschrieben.
Eine Beobachtung führt allerdings auf die öffentlichen Aufmerksamkeitswellen, die dem Gehirn gelten, zurück: Beide Bücher zitieren viel, Klassisches wie auch Nebensächliches. Aber weder Hübl noch Gabriel beziehen sich auf ihresgleichen. Eine Fülle deutschsprachiger Arbeiten zu Ansprüchen und Grenzen der Kognitions- und Neuroforschung hat aber bereits die aktuelle Diskussion durch philosophisch-kritische Thesen bereichert: Autoren wie Thomas Fuchs, Michael Hagner, Peter Janich, Michael Pauen, Stephan Schleim, Jan Slaby etwa - und keiner von ihnen findet sich bei Hübl und Gabriel auch nur im Literaturverzeichnis genannt. Eine ganze Diskussionslandschaft wird unterschlagen. Populär gehaltene Bücher befördern eine Verengung des Diskussionsfeldes. Das kennt man, nämlich von der Neuroforschung selbst.
PETRA GEHRING.
Philipp Hübl: "Der Untergrund des Denkens". Eine Philosophie des Unbewussten.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015. 478 S., geb., 19,95 [Euro].
Markus Gabriel: "Ich ist nicht Gehirn". Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert.
Ullstein Verlag, Berlin 2015. 350 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Andrea Roedig hält das Buch des Philosophen Markus Gabriel für ein Werk zur richtigen Zeit. Gabriels Kritik an den materiell orientierten Naturwissenschaften im Sinne eines "Neuen Realismus" leuchtet ihr ein. Laientauglich, so Roedig, breitet der Autor die Positionen der gegenwärtigen analytischen Philosophy of Mind aus, bietet einen Ritt durch die Tradition nichtanalytischer Bewusstseinsphilosophie, kritisiert die "Darwinitis" und mündet schließlich in ein Plädoyer für die Geisteswissenschaften, das naturwissenschaftliche Erkenntnisse durchaus berücksichtigt, wie Roedig meint. Weil der Autor leichtfüßig schreibt, Argumente exemplarisch unterlegt und nur manchmal den Faden verliert, verbucht die Rezensentin das Buch als Gewinn und eher seltenes Ereignis aus der philosophischen Abteilung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Könnte die Debatte über den freien Willen auf ein höheres Niveau heben.", Der Spiegel, Johannes Saltzwedel, 31.10.2015