Thomas Blubacher erzählt diese wechselvolle Schauspielerinnen-Biographie spannend, temporeich und mit großartiger Genauigkeit als ein Kaleidoskop der Theatergeschichte im 20. Jahrhundert.Fast ein ganzes Jahrhundert stand Ruth Hellberg auf der Bühne oder vor der Kamera -mit Kollegen wie Therese Giehse, Heinz Rühmann und Zarah Leander, Götz George, Margarethe von Trotta und Barbara Auer. Sie arbeitete unter Regisseuren von Max Reinhardt und Leopold Jessner bis Friedrich Dürrenmatt und Volker Schlöndorff.Elisabeth Bergner empfahl Ruth Hellberg als ihre Nachfolgerin zu Otto Falckenberg an die Münchener Kammerspiele, wo sie sich mit Bertolt Brecht anfreundete. Mit siebzehn erwartete sie ein Kind vom späteren Hollywoodstar Oskar Homolka und pflegte ein Schwangerschaftskränzchen mit Brechts Geliebter Helene Weigel und mit den Ehefrauen von Caspar Neher und Fritz Kortner.Bald feierte sie Triumphe in Hamburg, Berlin, Leipzig und Wien, wirkte in Fritz Langs Science-Fiction-Film »Metropolis« mit und war das Gretchen neben Alexander Moissis Faust.Für Gustaf Gründgens leidenschaftlich schwärmend, zog sie kurzerhand zu ihm in die Wohnung und strapazierte die Nerven seiner Ehefrau Erika Mann, weil sie deren Geliebte Pamela Wedekind heftig begehrte. Klaus Mann machte aus ihr eine Figur in seinem Schlüsselroman »Mephisto« (1936), den Fritz H. Landshoff, der Vater ihres Sohns Andreas, im Exilverlag »Querido« in Amsterdam herausbrachte - während sie mit Gründgens im Staatstheater Berlin auf der Bühne stand. Vier Jahrzehnte später wird sie ihrem Protegé Klaus Maria Brandauer die Freundschaft kündigen, weil er die Hauptrolle in der Verfilmung von »Mephisto« angenommen hat.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.06.2018Im Schutze der Kulissen
Sie spielte unter Max Reinhardt, wohnte bei Gründgens, kannte Brecht gut: Endlich gibt es eine Biografie von Ruth Hellberg
Als die Ruth Hellberg 2001 im oberbayerischen Feldafing starb, mit Blick über den Starnberger See in die Alpen, da staunten die Feuilletons über diese Schauspielerin, die fast ein Jahrhundert lang, durch zwei Weltkriege hindurch und in die neue Republik hinein nichts als Theater spielte und Fratzen schnitt und Texte aufsagte, als wären es ihr eigenen. Erstaunlich eigentlich, dass erst jetzt eine Ruth-Hellberg-Biografie erschienen ist.
Der Lebensgefährte der Großmutter wollte sie einst erschlagen, das hätte auch eine Wedekind-Szene sein können, da war sie noch ein Kind, und der Opa kam in die Psychiatrie. Die lernte sie später selbst von innen kennen. Die Zeiten waren so, dass es einen zerriss. Wie soll man während der Hitlerzeit seine Familie schauspielernd ernähren, ohne sich zu arrangieren, während die Stiefmutter nach Auschwitz gebracht wird? Da muss der Eskapismus schon so sehr Routine geworden sein, dass man ihn nicht mehr wahrnimmt. Eine Kulisse, die einen Wald darstellt, sei ihr lieber als der Wald selbst, sagte sie in einem Interview. Sie brauche den Wald nicht, die Kulisse liebe sie, mehr als das Original. Mehr Theaterliebe geht nicht; vielleicht war sie sich selbst auch der treueste Fan. Fast acht Jahrzehnte stand sie auf den Bühnen der fürstlichen Hoftheater, der Weimarer Stummfilmstädte, der bundesrepublikanischen Synchronstudios, der neuen Staatsschauspiele und städtischen Kammerspiele.
Mit Therese Giehse natürlich, mit Heinz Rühmann, Gustaf Gründgens, Zarah Leander, von der sie nicht viel hielt, mit Heinrich George, unter der Regie von Max Reinhardt und Leopold Jessner, Friedrich Dürrenmatt und Volker Schlöndorff. Kann man das noch toppen? Natürlich. Befreundet war sie mit Ernst Toller, Klaus Mann, Bertolt Brecht, verliebt in Pamela Wedekind, aber unglücklich. Die war schließlich mit Erika Mann liiert, die zudem mit Gustaf Gründgens verheiratet war, und als Ruth Hellberg kurzerhand in die Gründgens-Wohnung einzog, als Gründgens-Verehrerin – na ja, den Rest kann man in Klaus Manns „Mephisto“ nachlesen. Ein Buch, zu dem sie offenbar ein zwiespältiges Verhältnis hatte, das zudem vom Vater ihres Sohnes, Fritz Landshoff, 1936 im Amsterdamer Exil verlegt wurde. Ihrem Protegé Klaus Maria Brandauer kündigte sie die Freundschaft, als dieser die Gründgens-Rolle in der „Mephisto“-Verfilmung übernahm.
Das Freundschafts- und Liebesleben ist ein Roman im Roman, natürlich gab es eine erste große, tragisch gescheiterte Liebe: zu Erich Ponto; zwei weitere kommen dafür noch in Betracht, sie selber nennt später den Schauspieler Erich Nowack; neben Fritz H. Landshoff gibt es den späteren Hollywoodstar Oskar Homolka in der Rolle als weiterer Kindsvater, als Ehemann wäre Ufa-Chef Wolfgang Liebeneiner aufzubieten, als Liebhaber Otto Falckenberg. Um nur mal die prominentesten zu nennen. Trotzdem hat sie nie ein Buch geschrieben über die Wichtigkeit ihrer Person im Spiegel noch wichtigerer Personen. Aber sie hat, und das ist dann doch anrührend, nachts im Bett liegend Tonbandkassetten besprochen, über ihr langes, buntes, grelles und graues Leben geredet, das kein Ende nehmen wollte.
Für den Sohn Andreas hat sie das alles erzählt, und der wollte es dann doch in einem Buch lesen, mit nachprüfbaren Fakten, um aus den vielen großen, verworrenen Geschichten eine Erzählung zu bündeln, an die man sich halten kann. Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher hat diese Biografie nun geschrieben. Sie beginnt mit der Kindheit in jüdisch-großbürgerlicher Umgebung in Posen und Berlin, und endet erst einmal in der Erziehungshölle des Johannaheims in den 1930er-Jahren. Mädchen in kratzender grauer Wolluniform, sadistische Diakonissinnen, lesbische Erotik-Katastrophen.
Eigentlich hieß sie ja Anna Margarethe Gribbohm, kam aus einer Lübecker
Bürgerfamilie, nicht so groß und so reich wie die Manns, aber immerhin. Lübeck. Und auch München. Auch hier nicht Bogenhausen, sondern Augustenstraße, Lustspielhaus. Falckenberg spricht sie vor, mit echten Tränen, die Falckenberg persönlich mit seinem Batisttaschentuch trocknet: „Du bist auf drei Jahre engagiert.“ Brecht probt auf der Hauptbühne das Leben Eduards II.
Die Schwierigkeiten kommen noch. Hellberg dreht für die Ufa Kurzspielfilme, tourt mit Heinz Rühmann, spielt Theater; die Gauzeitung Der Angriff lobt ihr Lächeln und ihre Echtheit. Sie spielt im Admiralspalast, in einem Stück des Gauleiters, der die Vorstellung mit einem dreifachen „Sieg Heil“ beendet. Sie ist verwirrt, zeigt sich menschlich, hilft homosexuellen Kollegen vor der Verfolgung durch die Nazis, spielt weiter, wird in der Presse gelobt, bevor Joseph Goebbels die „wertende Kunstkritik“ verbietet und den „Kunstbericht“ fordert, schließlich sei dies „fördernde produktive Kunstbetrachtung“. Hellbergs Ehe mit dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner verschafft ihr regelmäßig Aufträge, aber nicht nur das Theater, auch der Film ist inzwischen in Nazi-Händen. Viele ihrer Freunde und Kollegen sind bereits emigriert, die jüdischen unter ihnen sowieso, der Sohn ist bei ihr sicherer als im besetzten Amsterdam beim jüdischen Vater.
Die Beerdigung des befreundeten prominenten Schauspielers Joachim Gottschalk, der sich, seine jüdische Frau und seinKind tötet, wird zur Mutprobe; Goebbels hatte die Teilnahme verboten, die Gestapo fotografiert. Weitere Freunde werden Opfer des Regimes, von der Deportation ihrer Stiefmutter nach Auschwitz erfährt Hellberg erst nach dem Krieg.
Thomas Blubacher, der schon über die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn sowie über das schreibende It-Girl der 1920er-Jahre, Ruth Landshoff-Yorck, ausführlich und spannend berichtet hat, findet auch für Ruth Hellberg den richtigen Tonfall zwischen Empathie und wissenschaftlicher Distanz. Blubacher ehrt die Künstler – die er in seiner nüchternen Prosa doch so romanhaft-mitreißend beschreibt, indem er eine persönliche Distanz strikt einhält; selbst, wenn er intimste Details berichtet. Die sind dann auch nicht peinlich, und der Leser muss sich nicht als Voyeur fühlen. Kann er aber natürlich, macht ja auch Spaß.
HELMUT MAURÓ
Thomas Blubacher: „Ich jammere nicht, ich schimpfe.“ Ruth Hellberg. Ein Jahrhundert Theater. Wallstein-Verlag, Göttingen 2018. 392 Seiten, 28 Euro.
Sie stammte aus einer Lübecker
Bürgerfamilie, nicht so reich
wie die Manns, aber immerhin
Die Schauspielerin Ruth Hellberg.
Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sie spielte unter Max Reinhardt, wohnte bei Gründgens, kannte Brecht gut: Endlich gibt es eine Biografie von Ruth Hellberg
Als die Ruth Hellberg 2001 im oberbayerischen Feldafing starb, mit Blick über den Starnberger See in die Alpen, da staunten die Feuilletons über diese Schauspielerin, die fast ein Jahrhundert lang, durch zwei Weltkriege hindurch und in die neue Republik hinein nichts als Theater spielte und Fratzen schnitt und Texte aufsagte, als wären es ihr eigenen. Erstaunlich eigentlich, dass erst jetzt eine Ruth-Hellberg-Biografie erschienen ist.
Der Lebensgefährte der Großmutter wollte sie einst erschlagen, das hätte auch eine Wedekind-Szene sein können, da war sie noch ein Kind, und der Opa kam in die Psychiatrie. Die lernte sie später selbst von innen kennen. Die Zeiten waren so, dass es einen zerriss. Wie soll man während der Hitlerzeit seine Familie schauspielernd ernähren, ohne sich zu arrangieren, während die Stiefmutter nach Auschwitz gebracht wird? Da muss der Eskapismus schon so sehr Routine geworden sein, dass man ihn nicht mehr wahrnimmt. Eine Kulisse, die einen Wald darstellt, sei ihr lieber als der Wald selbst, sagte sie in einem Interview. Sie brauche den Wald nicht, die Kulisse liebe sie, mehr als das Original. Mehr Theaterliebe geht nicht; vielleicht war sie sich selbst auch der treueste Fan. Fast acht Jahrzehnte stand sie auf den Bühnen der fürstlichen Hoftheater, der Weimarer Stummfilmstädte, der bundesrepublikanischen Synchronstudios, der neuen Staatsschauspiele und städtischen Kammerspiele.
Mit Therese Giehse natürlich, mit Heinz Rühmann, Gustaf Gründgens, Zarah Leander, von der sie nicht viel hielt, mit Heinrich George, unter der Regie von Max Reinhardt und Leopold Jessner, Friedrich Dürrenmatt und Volker Schlöndorff. Kann man das noch toppen? Natürlich. Befreundet war sie mit Ernst Toller, Klaus Mann, Bertolt Brecht, verliebt in Pamela Wedekind, aber unglücklich. Die war schließlich mit Erika Mann liiert, die zudem mit Gustaf Gründgens verheiratet war, und als Ruth Hellberg kurzerhand in die Gründgens-Wohnung einzog, als Gründgens-Verehrerin – na ja, den Rest kann man in Klaus Manns „Mephisto“ nachlesen. Ein Buch, zu dem sie offenbar ein zwiespältiges Verhältnis hatte, das zudem vom Vater ihres Sohnes, Fritz Landshoff, 1936 im Amsterdamer Exil verlegt wurde. Ihrem Protegé Klaus Maria Brandauer kündigte sie die Freundschaft, als dieser die Gründgens-Rolle in der „Mephisto“-Verfilmung übernahm.
Das Freundschafts- und Liebesleben ist ein Roman im Roman, natürlich gab es eine erste große, tragisch gescheiterte Liebe: zu Erich Ponto; zwei weitere kommen dafür noch in Betracht, sie selber nennt später den Schauspieler Erich Nowack; neben Fritz H. Landshoff gibt es den späteren Hollywoodstar Oskar Homolka in der Rolle als weiterer Kindsvater, als Ehemann wäre Ufa-Chef Wolfgang Liebeneiner aufzubieten, als Liebhaber Otto Falckenberg. Um nur mal die prominentesten zu nennen. Trotzdem hat sie nie ein Buch geschrieben über die Wichtigkeit ihrer Person im Spiegel noch wichtigerer Personen. Aber sie hat, und das ist dann doch anrührend, nachts im Bett liegend Tonbandkassetten besprochen, über ihr langes, buntes, grelles und graues Leben geredet, das kein Ende nehmen wollte.
Für den Sohn Andreas hat sie das alles erzählt, und der wollte es dann doch in einem Buch lesen, mit nachprüfbaren Fakten, um aus den vielen großen, verworrenen Geschichten eine Erzählung zu bündeln, an die man sich halten kann. Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher hat diese Biografie nun geschrieben. Sie beginnt mit der Kindheit in jüdisch-großbürgerlicher Umgebung in Posen und Berlin, und endet erst einmal in der Erziehungshölle des Johannaheims in den 1930er-Jahren. Mädchen in kratzender grauer Wolluniform, sadistische Diakonissinnen, lesbische Erotik-Katastrophen.
Eigentlich hieß sie ja Anna Margarethe Gribbohm, kam aus einer Lübecker
Bürgerfamilie, nicht so groß und so reich wie die Manns, aber immerhin. Lübeck. Und auch München. Auch hier nicht Bogenhausen, sondern Augustenstraße, Lustspielhaus. Falckenberg spricht sie vor, mit echten Tränen, die Falckenberg persönlich mit seinem Batisttaschentuch trocknet: „Du bist auf drei Jahre engagiert.“ Brecht probt auf der Hauptbühne das Leben Eduards II.
Die Schwierigkeiten kommen noch. Hellberg dreht für die Ufa Kurzspielfilme, tourt mit Heinz Rühmann, spielt Theater; die Gauzeitung Der Angriff lobt ihr Lächeln und ihre Echtheit. Sie spielt im Admiralspalast, in einem Stück des Gauleiters, der die Vorstellung mit einem dreifachen „Sieg Heil“ beendet. Sie ist verwirrt, zeigt sich menschlich, hilft homosexuellen Kollegen vor der Verfolgung durch die Nazis, spielt weiter, wird in der Presse gelobt, bevor Joseph Goebbels die „wertende Kunstkritik“ verbietet und den „Kunstbericht“ fordert, schließlich sei dies „fördernde produktive Kunstbetrachtung“. Hellbergs Ehe mit dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner verschafft ihr regelmäßig Aufträge, aber nicht nur das Theater, auch der Film ist inzwischen in Nazi-Händen. Viele ihrer Freunde und Kollegen sind bereits emigriert, die jüdischen unter ihnen sowieso, der Sohn ist bei ihr sicherer als im besetzten Amsterdam beim jüdischen Vater.
Die Beerdigung des befreundeten prominenten Schauspielers Joachim Gottschalk, der sich, seine jüdische Frau und seinKind tötet, wird zur Mutprobe; Goebbels hatte die Teilnahme verboten, die Gestapo fotografiert. Weitere Freunde werden Opfer des Regimes, von der Deportation ihrer Stiefmutter nach Auschwitz erfährt Hellberg erst nach dem Krieg.
Thomas Blubacher, der schon über die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn sowie über das schreibende It-Girl der 1920er-Jahre, Ruth Landshoff-Yorck, ausführlich und spannend berichtet hat, findet auch für Ruth Hellberg den richtigen Tonfall zwischen Empathie und wissenschaftlicher Distanz. Blubacher ehrt die Künstler – die er in seiner nüchternen Prosa doch so romanhaft-mitreißend beschreibt, indem er eine persönliche Distanz strikt einhält; selbst, wenn er intimste Details berichtet. Die sind dann auch nicht peinlich, und der Leser muss sich nicht als Voyeur fühlen. Kann er aber natürlich, macht ja auch Spaß.
HELMUT MAURÓ
Thomas Blubacher: „Ich jammere nicht, ich schimpfe.“ Ruth Hellberg. Ein Jahrhundert Theater. Wallstein-Verlag, Göttingen 2018. 392 Seiten, 28 Euro.
Sie stammte aus einer Lübecker
Bürgerfamilie, nicht so reich
wie die Manns, aber immerhin
Die Schauspielerin Ruth Hellberg.
Foto: imago stock&people
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2019Ruth Hellbergs langes Theaterleben
Max Reinhardt holte sie für die Uraufführung von Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" an die Berliner Kammerspiele, in Königsberg spielte sie in einer bahnbrechenden Inszenierung von Leopold Jessner die "heilige Johanna" - die Schauspielerin Ruth Hellberg, deren Leben fast das gesamte zwanzigste Jahrhundert umfasst. Sie hat die fürstlichen Hoftheater der Kaiserzeit noch miterlebt, in Fritz Langs Stummfilm "Metropolis" gespielt, war kurz ein Star im nationalsozialistischen Deutschland und später dann gerngesehener Gast im bundesrepublikanischen Fernsehspiel. Sie, die beide Geschlechter liebte, mit Bertolt Brecht, Ernst Toller, Erika und Klaus Mann befreundet und unsterblich in Pamela Wedekind verliebt war, später mit dem jüdischen Verleger Fritz H. Landshoff zusammenkam und die Geliebte des Münchner Intendanten Otto Falckenberg wurde, die an der Seite von Alexander Moissi, Gustaf Gründgens, Therese Giehse, Heinz Rühmann, Zarah Leander und Götz George spielte, hat vieles erlebt, was das vergangene Jahrhundert an Lustspiel und Drama zu bieten hatte.
Das Kriegsende erlebt sie in Berlin, in einer Waffenfabrik vor den Toren der Stadt. Danach lebt sie in München, am Viktualienmarkt, besucht die verschiedenen Schauspielhäuser und lässt sich haufenweise neue Theatertexte zuschicken. Aber häufig besetzt wird sie zu ihrem Leidwesen von der neuen Regiegeneration am Theater nicht mehr. Also betätigt sie sich neben ihrer Fernsehkarriere als Förderin vielversprechender Talente: Beate Finckh gehört zu ihren Entdeckungen und insbesondere auch der junge Klaus Maria Brandauer, der ihr seine Rollen im Wohnzimmer vorspricht. Als der dann aber in der Verfilmung von Klaus Manns Roman "Mephisto" spielt, ein Buch, in dem Hellberg nichts als eine Diffamierung des von ihr vergötterten Gustaf Gründgens sieht, bricht sie sofort und für immer mit ihm. Der Theaterhistoriker und Regisseur Thomas Blubacher hat das Leben Ruth Hellbergs in einer umfassenden Biographie nachverfolgt und dicht beschrieben. Als Quelle dienten ihm Kassetten, die Hellberg nachts, im Bett liegend und sich an die Stationen ihrer Karriere erinnernd, für ihren Sohn Andreas aufnahm. Ein Buch, das den ganzen Reichtum vergangener Theatergeschichte vor Augen führt und daran erinnert, wie sehr sich eine Zeitlang das wechselnde Tagesgeschehen auf der Bühne und im Leben der Bühnenmenschen spiegelte.
stra.
Thomas Blubacher: "Ich jammere nicht, ich schimpfe". Ruth Hellberg. Ein Jahrhundert Theater. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 392 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Max Reinhardt holte sie für die Uraufführung von Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" an die Berliner Kammerspiele, in Königsberg spielte sie in einer bahnbrechenden Inszenierung von Leopold Jessner die "heilige Johanna" - die Schauspielerin Ruth Hellberg, deren Leben fast das gesamte zwanzigste Jahrhundert umfasst. Sie hat die fürstlichen Hoftheater der Kaiserzeit noch miterlebt, in Fritz Langs Stummfilm "Metropolis" gespielt, war kurz ein Star im nationalsozialistischen Deutschland und später dann gerngesehener Gast im bundesrepublikanischen Fernsehspiel. Sie, die beide Geschlechter liebte, mit Bertolt Brecht, Ernst Toller, Erika und Klaus Mann befreundet und unsterblich in Pamela Wedekind verliebt war, später mit dem jüdischen Verleger Fritz H. Landshoff zusammenkam und die Geliebte des Münchner Intendanten Otto Falckenberg wurde, die an der Seite von Alexander Moissi, Gustaf Gründgens, Therese Giehse, Heinz Rühmann, Zarah Leander und Götz George spielte, hat vieles erlebt, was das vergangene Jahrhundert an Lustspiel und Drama zu bieten hatte.
Das Kriegsende erlebt sie in Berlin, in einer Waffenfabrik vor den Toren der Stadt. Danach lebt sie in München, am Viktualienmarkt, besucht die verschiedenen Schauspielhäuser und lässt sich haufenweise neue Theatertexte zuschicken. Aber häufig besetzt wird sie zu ihrem Leidwesen von der neuen Regiegeneration am Theater nicht mehr. Also betätigt sie sich neben ihrer Fernsehkarriere als Förderin vielversprechender Talente: Beate Finckh gehört zu ihren Entdeckungen und insbesondere auch der junge Klaus Maria Brandauer, der ihr seine Rollen im Wohnzimmer vorspricht. Als der dann aber in der Verfilmung von Klaus Manns Roman "Mephisto" spielt, ein Buch, in dem Hellberg nichts als eine Diffamierung des von ihr vergötterten Gustaf Gründgens sieht, bricht sie sofort und für immer mit ihm. Der Theaterhistoriker und Regisseur Thomas Blubacher hat das Leben Ruth Hellbergs in einer umfassenden Biographie nachverfolgt und dicht beschrieben. Als Quelle dienten ihm Kassetten, die Hellberg nachts, im Bett liegend und sich an die Stationen ihrer Karriere erinnernd, für ihren Sohn Andreas aufnahm. Ein Buch, das den ganzen Reichtum vergangener Theatergeschichte vor Augen führt und daran erinnert, wie sehr sich eine Zeitlang das wechselnde Tagesgeschehen auf der Bühne und im Leben der Bühnenmenschen spiegelte.
stra.
Thomas Blubacher: "Ich jammere nicht, ich schimpfe". Ruth Hellberg. Ein Jahrhundert Theater. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 392 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Buch, das den ganzen Reichtum vergangener Theatergeschichte vor Augen führt« (Simon Strauß, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.06.2019) »Blubacher ehrt die Künstler - die er in seiner nüchternen Prosa doch so romanhaft-mitreißend beschreibt.« (Helmut Mauró, Süddeutsche Zeitung, 06.06.2018) »Ein wundervolles, unterhaltsames und zugleich lehrreiches Buch über eine Ausnahme-Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts! Oder mit anderen Worten: ganz großes Theater!« (Ralph Krüger, kulturbuchtipps.de, 16.04.2018) »eine pralle, detailreiche Geschichte.« (Renate Wagner, onlinemerker.com, 15.03.2018) »Thomas Blubacher hat hervorragend recherchiert, in den Anmerkungen (...) findet man viele interessante Kurzbiografien.« (Hans Helmut Prinzler, hhprinzler.de, 12.05.2018) »Blubachers Lebensgeschichte der Ruth Hellberg ist ein lesenswerter Einblick durch die deutsche Theater- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts.« (Klaus Völker, Theater heute, Oktober 2018)