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Ein schalldichter Raum. Draußen die Großstadt. Osman Engels übt Cello. Er spielt an gegen unsichtbare Hindernisse, die irgendwo in seiner Vergangenheit liegen und denen er auf dem Fußballfeld besser ausweichen kann. In seiner Welt ersetzt Musik schon lange die Worte. Er kann selbst nicht gut zuhören, nichts festhalten, ohne Kontaktlinsen auch schlecht sehen.Als er ein zufällig gefundenes Aufnahmegerät abhört, wird er zum Ohrenzeugen einer Beziehung, die auf ganz andere Art laut ist. Seine Mitbewohnerin Luise lernt derweil im Nebenzimmer für ihre Prüfung, manchmal rauchen sie gemeinsam am…mehr

Produktbeschreibung
Ein schalldichter Raum. Draußen die Großstadt. Osman Engels übt Cello. Er spielt an gegen unsichtbare Hindernisse, die irgendwo in seiner Vergangenheit liegen und denen er auf dem Fußballfeld besser ausweichen kann. In seiner Welt ersetzt Musik schon lange die Worte. Er kann selbst nicht gut zuhören, nichts festhalten, ohne Kontaktlinsen auch schlecht sehen.Als er ein zufällig gefundenes Aufnahmegerät abhört, wird er zum Ohrenzeugen einer Beziehung, die auf ganz andere Art laut ist. Seine Mitbewohnerin Luise lernt derweil im Nebenzimmer für ihre Prüfung, manchmal rauchen sie gemeinsam am offenen Fenster, kochen Knoblauchnudeln, bringen Altglas zum Container. Sie verstehen sich, ohne sich richtig anzufassen, denn auch mit der Liebe fangen sie gerade erst an.Als sein türkischer Vater, ebenfalls Musiker, sich das Handgelenk bricht und Tante Elide, seine Ziehmutter, nach fast zwanzig Jahren in Deutschland plötzlich nach Paris gehen will, ist Osman gezwungen, ein paar Dinge aufzuräumen, ein paar Fragen zu stellen.Der Roman erzählt von einem jungen Mann, dem Augen und Ohren geöffnet werden, und von einer Frau, die in der Stille lebt. Es geht um Vater-, Mutter- und Gebärdensprache und um die berührende Kraft von Musik. Ungewöhnliche Themen, eindringliche Bilder. Ein großes Talent.
Autorenporträt
Katharina Mevissen ist 1991 geboren und bei Aachen aufgewachsen. An der Universität Bremen hat sie Kulturwissenschaft und transnationale Literaturwissenschaft studiert und in Berlin eine Drehbuch-Ausbildung absolviert. Bis 2017 war sie Heinrich-Böll-Studienstipendiatin. Für ihr Romanmanuskript erhielt sie das Bremer Autorenstipendium 2016. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Berlin, zudem leitet sie die von ihr mitgegründete gebärdensprachliche Literaturinitiative »handverlesen«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2019

Lied
der Welten
In Katharina Mevissens Debüt findet die Hauptfigur
ein Aufnahmegerät und lauscht einem anderen Leben
VON EKATERINA KEL
Osman Engels ist am Hamburger Hauptbahnhof, sein Blick fällt auf etwas Kleines auf dem Boden, ein Diktiergerät. Er hebt es auf und steckt es in seine Tasche. Auf dem Gerät ist die Stimme von Ella abgespeichert, die Osman immer und immer wieder abhört und die zu seinem einzigen Halt wird, während er eine tiefe persönliche Krise erlebt, die seinen Blick auf das eigene Leben für immer verändern wird. In diesem kleinen Augenblick bindet die Autorin Katharina Mevissen in ihrem Debütroman „Ich kann dich hören“ die Schicksale zweier junger Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, in einem erzählerischen Knoten zusammen. Beim Lesen kann man ihn nach und nach aufschnüren, bis sich eine tiefsinnige, reflektierte Erzählung über die grundsätzliche Distanz der Menschen und über das Hören als eine Möglichkeit des Näherkommens offenbart.
Osman Engels ist 24, studiert Cello in Hamburg und berichtet aus der Ich-Perspektive über seinen Frust an der Musik, sein Unbehagen am Vater und zwischen den Zeilen auch über seine Einsamkeit. Der Reiz seiner Monologe besteht in ihrer Lückenhaftigkeit. Man weiß, dass ein Trauma Narben bei Osman hinterlassen haben muss, aber was ist genau passiert? Mevissen erzählt nicht linear, sondern nimmt diverse Abzweigungen und lässt die Figuren über längere Passagen ebenfalls aus der Ich-Perspektive erzählen: Osmans Tante Elide, die unter der Sprachlosigkeit und der Hierarchie der Familie leidet und sich in die Rolle der Hausfrau fügt, und Ellas Stimme vom Diktiergerät.
Osmans türkischer Vater Suat ist Profigeiger in Essen. Aber seit er sich das Handgelenk gebrochen hat, drängt alles Unausgesprochene in Osmans Bewusstsein und verunsichert den jungen Studenten, so als ob ein Knochenbruch all die anderen, seelischen Brüche sichtbar machen könnte. Deprimiert und ausgebrannt schleppt er sich von der WG-Küche zum Cellounterricht, von der U-Bahn ins Bett. Auch bei Osmans Tante Elide kommen einige verdrängte Dinge ans Tageslicht, ihre Ich-Erzählung ist die einer aus dem Tiefschlaf erwachenden Träumerin aus der Türkei, durchtränkt von falschen Satzstellungen und sprachlichen Unreinheiten, sie hat Deutsch erst spät gelernt.
Und dann ist da noch Ellas Stimme. Osman hört tagelang Track für Track die Aufnahmen, schwänzt die Uni, ignoriert die Anrufe der Tante. Eine Flucht in eine fremde Welt, in die ihn niemand eingeladen hat, und in der Ella und ihre gehörlose Schwester Jo gemeinsam nach Irland fahren, Ella Selbstgespräche führt und dem Gerät ihre innersten Ängste offenbart, in der sich die Schwestern auf Gebärdensprache streiten, wovon auf dem Band nur unverständliche Geräusche übrig bleiben.
Osman, der Musiker, hört den Geräuschen fasziniert zu, leidet mit Ella und verdrängt die Gedanken an den Vater. Spürt man manche Leerstelle im Leben möglicherweise, ohne je von ihr gewusst zu haben? Wie ein schwerer Schicksalsschlag, der die ganze Familie belastet, auch noch viele Jahre später, und auch ohne, dass Osman das jemals bewusst war. Bis er kurz vor Ende des Romans ein Foto findet, das die Wahrheit herausfordert.
„Ich kann dich hören“ ist im besten Sinne konstruiert. Spürbar ist auch Mevissens Freude an der spielerischen Formulierung, an Sätzen wie: „Aber Tante Elides Mund bewegt sich längst, nimmt Essen auf und gibt Worte aus.“ In den Dialogen verliert der Roman seine reizvolle Rhythmik, wirkt stellenweise etwas verkrampft jugendlich. Aber immer dann, wenn man merkt, wie raffiniert Mevissen die verschiedenen sprachlichen und zeitlichen Perspektiven übereinander legen kann, um die Mehrschichtigkeit der Wirklichkeit zu betonen, macht das Buch großen Spaß.
Mevissen, Jahrgang 1991, hat transnationale Literaturwissenschaft studiert und mit einer Freundin eine Literaturinitiative in Berlin gegründet, die gehörlose Literaten stärker in die „hörende Literaturwelt“ einbinden will, was eine neue Übersetzungsarbeit notwendig macht.
Der Ansatz einer brückenschlagenden Übersetzerin findet sich subkutan auch in diesem Roman. Osman hört in der ersten Hälfte des Buches einen Streit zwischen Ella und Jo folgendermaßen: „Klatschen, Pusten, dazwischen kehlige Laute und helle, hohe Obertöne, Schnalzen, Silben und Wortstücke.“ Am Ende kann man lesen, was Ella versteht, wenn sie das Band an derselben Stelle abhört: „Doch! Was, doch?! Hast du Angst? Warum?“ Mevissen macht den Moment greifbar und hält gleichzeitig seine Polyphonie fest.
Osman ist ein junges, vor Welt zurückweichendes, aber trotziges und hochbegabtes Ich. Dank Mevissens Sensibilität für die poetischen Merkwürdigkeiten des Lebens erinnert er an die Ich-Erzählerin Mascha in Olga Grjasnowas „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ oder auch Sascha in Alina Bronskys „Scherbenpark“. Bei allen findet man eine ähnliche Erzählintelligenz, eine jugendliche Energie, die selbst ein gewisses Pathos nicht scheut, und ein junges, traumatisiertes Ich.
Die Reihe illustriert außerdem, wie sich der Blick auf migrantische Identitäten in der deutschen Literatur innerhalb weniger Jahre verändert hat: Während Sascha im Jahr 2008 noch eine unangepasste Migrantin war, die sich vor allem als Ausländerin verstand, ist Mascha 2012 schon eine, die zwischen den Heimaten schwebt und zwischen zwei Identitäten hin- und hergerissen ist. Osman hingegen ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, sein türkischer Hintergrund fast nur noch im Namen erkennbar: Er spricht kaum Türkisch und hat zu dem Land seines Vaters keinen besonderen Bezug. Trotzdem hat er wegen seines Namens in Deutschland stets mit Vorurteilen zu kämpfen.
Diesem Osman stellt Mevissen eine selbstbewusste Gehörlose zur Seite, die sich von der Welt der Hörenden emanzipieren will und weil auch zwischen hörenden Menschen oft sehr viel Ungesagtes steht, das sie zum Schweigen bringt. Und über allem schwebt eine grundsätzliche Verunsicherung in der Welt, die aber, das zeigt Mevissen sehr schön, allen Menschen eigen ist.
Der erste Satz, „Ich bin einer von denen, die atmen“, ist nicht nur ein Beispiel von vielen solcher schnörkellosen, klaren Sätze, die Mevissen zur Verfügung hat und die ihre Stärke aus einer poetischen Präzision beziehen. Dieser Einstieg sagt auch: Zuallererst ist Osman ein Mensch. Und auch wenn der Roman am Ende rührselig wird und gegen die vieldeutige Kraft der Erzählung zuvor absackt, und auch wenn die vielen Ich-Erzähler manchmal einfach zu reflektiert sind, überzeugt der Roman durch den Gedanken, dass sowohl das Unvermögen zu kommunizieren als auch die Unermüdlichkeit, es trotzdem immer wieder zu versuchen, allen Menschen eigen sind. So ist Mevissens Roman im Grunde ein zutiefst universalistischer, ohne das Partikulare kleinzumachen.
Katharina Mevissen: Ich kann dich hören. Roman. Verlag Wagenbach, Berlin 2019. 168 Seiten, 19 Euro.
Als der Vater, ein Violinist, sich
das Handgelenk bricht,
brechen auch die Traumata auf
Katharina Mevissen, Jahrgang 1991, hat in Berlin eine Initiative für gehörlose Literaten gegründet.
Foto: Denise Sterr / PR
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Cornelius Wüllenkemper entdeckt alternative Weltzugriffe und einen originären literarischen Blick auf die Wirklichkeit in Katharina Mevissens Debütroman. Wie die Autorin Beziehungen jenseits von Sprache thematisiert, indem sie einen maulfaulen Cellisten, zwei Gebärdensprecher und seine eigenwillig kommunizierende Tante als Figuren einführt und miteinander in Kontakt treten lässt, findet Wüllenkemper neu und aufregend. Nicht nur unterläuft der Text laut Rezensent mutig wie gekonnt Erwartungshaltungen, das Thema der nonverbalen Kommunikation und die Repräsentation Unterrepräsentierter geht Mevissen für Wüllenkemper auch literarisch eindrucksvoll an.

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