Ein kleines Hotelzimmer, das ein Fenster zur Welt wird
Eine Frau, die hat, was nach gängigen Kategorien eine geglückte Biographie ausmacht, sitzt in einem Hotelzimmer und denkt darüber nach, alles hinter sich zu lassen: ihren Mann, ihre Kinder, ihre Existenz, möglicherweise ihr Leben insgesamt. Zerrissen von einer unbestimmten Unzufriedenheit, getrieben von Überforderung nimmt sie einen Übersetzungsauftrag an, der alles verändert. Historische Briefe von deutschen Auswanderern zerschmettern ihr Hotel-Vakuum und im Austausch mit fremden Toten, mit unerwarteten Wegen stellt sich die Frage nach dem guten Leben überraschend anders.
Bereits Slata Roschals Debüt war 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Mit »Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten« beweist sie sich als eine der interessantesten jungen Stimmen in der deutschsprachigen Literatur.
Eine Frau, die hat, was nach gängigen Kategorien eine geglückte Biographie ausmacht, sitzt in einem Hotelzimmer und denkt darüber nach, alles hinter sich zu lassen: ihren Mann, ihre Kinder, ihre Existenz, möglicherweise ihr Leben insgesamt. Zerrissen von einer unbestimmten Unzufriedenheit, getrieben von Überforderung nimmt sie einen Übersetzungsauftrag an, der alles verändert. Historische Briefe von deutschen Auswanderern zerschmettern ihr Hotel-Vakuum und im Austausch mit fremden Toten, mit unerwarteten Wegen stellt sich die Frage nach dem guten Leben überraschend anders.
Bereits Slata Roschals Debüt war 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Mit »Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten« beweist sie sich als eine der interessantesten jungen Stimmen in der deutschsprachigen Literatur.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Mareen Linnartz findet Slata Roschals "soghaften" Monolog über das Weh einer Mutter fabelhaft und originell. Vor allem die atemlose Sprache scheint ihr bemerkenswert zu sein. Dass alle so wiedergegebenen Gedanken über berechtigte Wünsche und Enttäuschungen des Mutterseins uns zu "keinem erlösenden Schluss" führen, stört Linnartz nicht besonders.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2024Ist da ein Land für mich?
Slata Roschals neuer Roman ist hochpolitisch
Maria Nowak, die Icherzählerin des scheinfatalistisch betitelten Romans "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten", ist als Kind aus Polen in die Bundesrepublik gekommen, jetzt verheiratet mit einem zehn Jahre älteren Deutschen und Mutter von zwei kleinen Kindern. Diese Charakterisierung der Hauptfigur greift indes zu kurz, denn die bei Rostock lebende studierte Literaturwissenschaftlerin ist promoviert und mittlerweile Übersetzerin; aktuell arbeitet sie mit deutschen Auswandererbriefen. Während der zweitägigen Handlungszeit des Romans bringt sie ein Übersetzerseminar in Berlin zu Ende, das ihr endlich einmal Abstand zum Alltag bescheren sollte - und professionelle Arbeitsbedingungen.
"Ich habe eine Entscheidung getroffen", stellt sie in ihrem Berliner Hotelzimmer fest, "und jetzt sitze ich da und trinke Tee und bin zu nichts fähig. Vielleicht schob ich diesen Moment vor mir her, weil ich vorausahnte, dass ich dann auf mich selbst gestellt, im eigenen Zimmer, weit weg, dass ich dann feststelle, dass ich zu gar nichts fähig bin einfach und meine Hoffnungen und Aggressionen, alles, ungerechtfertigt waren." Hier wird nicht prokrastiniert, sondern grundlegend gezweifelt, denn Maria Nowak ist eine jener exzellent ausgebildeten Akademikerinnen, die sich in der Doppelbelastung durch Familie und Beruf aufreiben. Und wissen um das Unverständnis von Männern oder kinderlosen Frauen für Zweifel, ob beiden Rollen gerecht zu werden ist.
Slata Roschal, die Autorin des Romans, erfüllt ebenfalls beide Rollen, aber sie und die Icherzählerin haben nur bedingt miteinander zu tun. Roschal kam zwar auch als Kind nach Deutschland, aber aus Russland, sie lebt in München, und sie ist vor allem schon das, was Maria Nowak erst für sich erhofft: viel beachtet. Ihr Debütroman, "153 Formen des Nichtseins" (F.A.Z. vom 9. April 2022), kam auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis, mit dem Nachfolger ist sie vom bisherigen Klein- zu einem Konzernverlag gewechselt, was zumindest die beruflichen Rahmenbedingungen als Schriftstellerin verbessert haben wird. Aber Roschals Porträt einer berufstätigen Mutter darf Gültigkeit über den publizistischen Bereich hinaus beanspruchen, wie es vor zwei Jahren schon für Heike Geißlers thematisch vergleichbaren Roman "Die Woche" galt. Wobei darin die politische Selbstverpflichtung der Protagonistin im Vordergrund stand - eine Lebensfacette, die in Roschals Roman nur am Rande präsent ist, aber dafür umso aktueller: "Nur die, die rechtzeitig, schnell genug, die kleinen Koffer aus dem Keller, die werden es überleben, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich alles wiederholt, es ist kein Zufall mit den frohen AfD-Plakaten entlang der Straße, von Jahr zu Jahr, und allem Drumherum, es wird was kommen, sag ich dir, wir müssen bereit sein und dann sofort, sofort nach -"
Der ratlose Abbruch des Satzes ist ebenso bezeichnend wie die Auslassung des Verbs zu dessen Beginn: Diese Maria Nowak spricht nicht nur hier atemlos assoziativ, unter höchstem Druck. Der auch dem Unwohlsein einer Zugewanderten vor deutschidentitären Parolen geschuldet ist, nicht nur real- und zeitökonomischen Nöten sowie dem Gefühl, nicht zu genügen. Was sie erträumt, formuliert sie einmal so: "Es muss ein Land geben, wo man mich annimmt, bedingungslos, unabhängig von der Höhe des monatlichen Gehaltes oder der Fähigkeit, witzig und charmant zu sein, mit braunen oder blauen oder geschorenen Haaren, wo man mich schätzt für meine deprimierte Art und meine Gestik und alles auf so natürliche, ehrliche Weise, dass ich daran zu glauben und fremde Leute auf der Straße anzulächeln beginne." Eine Utopie, wie sie selbst weiß, weshalb sie auch fortfährt: "Dann erscheint Christus auf einer Wolke, verteilt Glitzer und alle singen Halleluja."
Pikanterweise gibt Maria Nowaks aktueller Übersetzerauftrag dem Roman seine Form: Nicht nur sind authentische Briefe eines vor hundert Jahren in die USA Ausgewanderten an eine zurückgebliebene Bekannte namens Maria in die Handlung integriert; die heutige Maria antwortet mit ihrer Erzählung diesem ihr fremden Mann. Das ist ein Kunstgriff, der sich wie vieles erst nach und nach offenbart in diesem Buch, dessen gesellschaftspolitische Komponente sich als umso dringlicher erweist. Sie ist (noch) zeitlos. ANDREAS PLATTHAUS
Slata Roschal: "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten". Roman.
Claassen Verlag, Berlin 2024. 170 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Slata Roschals neuer Roman ist hochpolitisch
Maria Nowak, die Icherzählerin des scheinfatalistisch betitelten Romans "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten", ist als Kind aus Polen in die Bundesrepublik gekommen, jetzt verheiratet mit einem zehn Jahre älteren Deutschen und Mutter von zwei kleinen Kindern. Diese Charakterisierung der Hauptfigur greift indes zu kurz, denn die bei Rostock lebende studierte Literaturwissenschaftlerin ist promoviert und mittlerweile Übersetzerin; aktuell arbeitet sie mit deutschen Auswandererbriefen. Während der zweitägigen Handlungszeit des Romans bringt sie ein Übersetzerseminar in Berlin zu Ende, das ihr endlich einmal Abstand zum Alltag bescheren sollte - und professionelle Arbeitsbedingungen.
"Ich habe eine Entscheidung getroffen", stellt sie in ihrem Berliner Hotelzimmer fest, "und jetzt sitze ich da und trinke Tee und bin zu nichts fähig. Vielleicht schob ich diesen Moment vor mir her, weil ich vorausahnte, dass ich dann auf mich selbst gestellt, im eigenen Zimmer, weit weg, dass ich dann feststelle, dass ich zu gar nichts fähig bin einfach und meine Hoffnungen und Aggressionen, alles, ungerechtfertigt waren." Hier wird nicht prokrastiniert, sondern grundlegend gezweifelt, denn Maria Nowak ist eine jener exzellent ausgebildeten Akademikerinnen, die sich in der Doppelbelastung durch Familie und Beruf aufreiben. Und wissen um das Unverständnis von Männern oder kinderlosen Frauen für Zweifel, ob beiden Rollen gerecht zu werden ist.
Slata Roschal, die Autorin des Romans, erfüllt ebenfalls beide Rollen, aber sie und die Icherzählerin haben nur bedingt miteinander zu tun. Roschal kam zwar auch als Kind nach Deutschland, aber aus Russland, sie lebt in München, und sie ist vor allem schon das, was Maria Nowak erst für sich erhofft: viel beachtet. Ihr Debütroman, "153 Formen des Nichtseins" (F.A.Z. vom 9. April 2022), kam auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis, mit dem Nachfolger ist sie vom bisherigen Klein- zu einem Konzernverlag gewechselt, was zumindest die beruflichen Rahmenbedingungen als Schriftstellerin verbessert haben wird. Aber Roschals Porträt einer berufstätigen Mutter darf Gültigkeit über den publizistischen Bereich hinaus beanspruchen, wie es vor zwei Jahren schon für Heike Geißlers thematisch vergleichbaren Roman "Die Woche" galt. Wobei darin die politische Selbstverpflichtung der Protagonistin im Vordergrund stand - eine Lebensfacette, die in Roschals Roman nur am Rande präsent ist, aber dafür umso aktueller: "Nur die, die rechtzeitig, schnell genug, die kleinen Koffer aus dem Keller, die werden es überleben, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich alles wiederholt, es ist kein Zufall mit den frohen AfD-Plakaten entlang der Straße, von Jahr zu Jahr, und allem Drumherum, es wird was kommen, sag ich dir, wir müssen bereit sein und dann sofort, sofort nach -"
Der ratlose Abbruch des Satzes ist ebenso bezeichnend wie die Auslassung des Verbs zu dessen Beginn: Diese Maria Nowak spricht nicht nur hier atemlos assoziativ, unter höchstem Druck. Der auch dem Unwohlsein einer Zugewanderten vor deutschidentitären Parolen geschuldet ist, nicht nur real- und zeitökonomischen Nöten sowie dem Gefühl, nicht zu genügen. Was sie erträumt, formuliert sie einmal so: "Es muss ein Land geben, wo man mich annimmt, bedingungslos, unabhängig von der Höhe des monatlichen Gehaltes oder der Fähigkeit, witzig und charmant zu sein, mit braunen oder blauen oder geschorenen Haaren, wo man mich schätzt für meine deprimierte Art und meine Gestik und alles auf so natürliche, ehrliche Weise, dass ich daran zu glauben und fremde Leute auf der Straße anzulächeln beginne." Eine Utopie, wie sie selbst weiß, weshalb sie auch fortfährt: "Dann erscheint Christus auf einer Wolke, verteilt Glitzer und alle singen Halleluja."
Pikanterweise gibt Maria Nowaks aktueller Übersetzerauftrag dem Roman seine Form: Nicht nur sind authentische Briefe eines vor hundert Jahren in die USA Ausgewanderten an eine zurückgebliebene Bekannte namens Maria in die Handlung integriert; die heutige Maria antwortet mit ihrer Erzählung diesem ihr fremden Mann. Das ist ein Kunstgriff, der sich wie vieles erst nach und nach offenbart in diesem Buch, dessen gesellschaftspolitische Komponente sich als umso dringlicher erweist. Sie ist (noch) zeitlos. ANDREAS PLATTHAUS
Slata Roschal: "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten". Roman.
Claassen Verlag, Berlin 2024. 170 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Slata Roschal ist ein ungewöhnliches Buch gelungen. In variantenreicher Prosa liefert es das schonungslose Protokoll eines ungreifbaren Weltschmerzes, der sich durch nichts beruhigen lässt. Es gibt, schreibt sie an einer Stelle, 'keine Hashtags für das, was ich sagen will'. Aber doch, möchte man hinzufügen, dieses bemerkenswerte Buch.« Dirk Hohnsträter WDR 20240627