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Produktdetails
  • Dokumente, Texte, Materialien, ZfA Bd.29
  • Verlag: Metropol
  • 1999.
  • Seitenzahl: 287
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 640g
  • ISBN-13: 9783932482076
  • ISBN-10: 3932482077
  • Artikelnr.: 08124202
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1999

Im Räderwerk des Terrors
Schicksale deutscher Frauen im GULag

Meinhard Stark: "Ich muß sagen, wie es war". Deutsche Frauen des GULag. Metropol Verlag, Berlin 1999, 288 Seiten, Abbildungen, 38,- Mark.

Die Schicksale, die der Berliner Kulturwissenschaftler Meinhard Stark in seinem Band erhellt, sind die von Frauen, die er den "einfachen Leuten" zuzählt, und der GULag erscheint als nur eine Station ihrer bewegten Lebensgeschichten. Was die siebzehn Frauen, die er interviewte, in Stalins Lagern und der anschließenden Verbannung "auf ewig" erlebten, gehörte jahrzehntelang zu den "weißen Flecken" in ihren Biographien. Als DDR-Bürgerinnen waren sie zum Schweigen verdammt oder hatten es sich als "Genossinnen" selbst auferlegt.

In den Gesprächen, die Stark zwischen 1989 und 1997 führte, stellten sich die Betroffenen aufwühlenden Erinnerungen. Doch Unmittelbarkeit ging nur als Spurenelement in das Buch ein. Das ist der Absicht des Autors geschuldet, der anhand der Lebensgeschichten ein Jahrhundert der sozialen und politischen Umbrüche spiegeln wollte. Fixiert auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, gliedert er beispielsweise den Abschnitt, in dem er Kindheit und Jugend der Frauen beschreibt, in Kapitel wie "Soziale Erfahrungen" oder "Politische Anschauungen". Für den Autor mag das zwingend sein. Doch erscheinen die Frauen dadurch häufig nur als Stichwortgeber, deren Aussagen Stark einordnet und wertet. Wenn sich eine seiner Gesprächspartnerinnen erinnert, daß zu Hause von Politik nie die Rede war, sondern nur "von Sorgen, wie meine Mutter uns alle satt kriegt", schließt der Autor, daß die "Sicherung des materiellen Einkommens" und "die Bewältigung eines anstrengenden Arbeitsalltags" für "politische Betätigung" keine "Zeit und Kraft" ließ.

So entstehen gewissermaßen Porträts im gesellschaftlichen Rahmen, deren Konturen noch zusätzlich verblassen, da sie zum Gesamtbild einer "Kollektiven Biographie" arrangiert werden. Dennoch berührt die Lektüre auch emotional, weil nachvollziehbar wird, wie gering der Preis eines Lebens im Räderwerk der kommunistischen Macht war. Das gilt sowohl für die Terrormaschinerie Stalins, in die die Frauen gerieten, weil sie sich des Verbrechens der Ehegemeinschaft mit "Volksfeinden" schuldig gemacht hatten, als auch für die Verlogenheit, mit der die DDR sie später als Opfer "rehabilitierte".

Einmal faßt Stark die siebzehn Schicksale der Frauen in einer Statistik zusammen. Sie weist aus, daß nur einer ihrer Ehemänner und Lebensgefährten nicht erschossen wurde oder im Lager umkam. Von den 15 Kindern der zehn Mütter, liest man weiter, verbrachten zehn die Haftzeit in sowjetischen Kinderheimen, fünf bei Angehörigen. Während der Haft verstarb ein Kind, ein weiteres ist bis heute verschollen. Das Alter der Frauen, die 1954/55 aus der Verbannung entlassen wurden, belief sich bei der Übersiedlung in die DDR auf 44 bis 59 Lebensjahre. Neun traten in die SED ein, sieben blieben parteilos, alle wurden offiziell zu "Verfolgten des Naziregimes" erklärt und erhielten auf diese Weise eine finanzielle Unterstützung.

SIEGFRIED STADLER

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