Nur wenige sorgfältig gewählte Worte benötigt Milena Michiko Flasar, um ihre Figuren zum Leben zu erwecken,nur wenige Szenen, um ganze Schicksale zu erzählen.Ein junger Mann verlässt sein Zimmer, in dem er offenbar lange Zeit eingeschlossen war, tastet sich durch eine fremde Welt. Eine Bank im Park wird ihmZuflucht und Behausung, dort öffnet er die Augen, beginnt zu sprechen und teilt mit einem wildfremden Menschen seine Erinnerungen.Der andere ist viele Jahre älter, ein im Büro angestellter Salaryman wie Tausende. Er erzählt seinerseits, über Tage und Wochen hinweg, Szenen eines Lebensvoller Furcht und Ohnmacht, Hoffnung und Glück. Beide sind Außenseiter, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, die alleinin der Verweigerung aktiv werden. Aus der Erfahrung, dass Zuneigung in Nahrung verpackt, Trauer im Lachen verborgen werden kann und Freundschaftenmöglich sind, stärken sie sich für einen endgültigen Abschied und einen Anfang.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Die Krise
buddhistisch
Der eine hat sich jahrelang nach Hause verkrochen, weil er sich mitschuldig am Suizid einer Mitschülerin fühlt, der andere verlässt das Haus, um Beschäftigung vorzugaukeln. So begegnen sie sich auf der Parkbank, wo sie sich öfter aufhalten, weil sie dort ohne Gefahr, in irgendetwas einbezogen zu werden, unbeteiligt bleiben können. Vorsichtig entfaltet sich ein Dialog. Die Situation ist klassisch, Albees „Zoostory“ oder Dieter Kühns „Op der Parkbank“ wären Beispiele. Milena Michiko Flašar nutzt die neutrale, für alles offene Situation des zufälligen Begegnens, um zwei Facetten einer Welt aneinander zu halten. Diese Welt hat es in sich: Es ist die japanische Leistungsgesellschaft. Zwei Fundamentalhaltungen stoßen aufeinander, dem europäischen Leser begegnen zwei Phänomene japanischer Kultur. Milena Michiko Flašar hätte das mit pointenreichem Radau gestalten können, doch sie lässt es behutsam angehen, man entwickelt Empathie für die zwei Außenseiter und beginnt, in deren Radikalität eigene, verwandte Ansätze zu entdecken. Der Roman, eher ein Kammerspiel, hat es auf einige Theaterinszenierungen gebracht.
RUDOLF VON BITTER
Milena Michiko Flašar:
Ich nannte ihn Krawatte.
Roman, Wagenbach
Verlag, Berlin 2020.
144 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Krise
buddhistisch
Der eine hat sich jahrelang nach Hause verkrochen, weil er sich mitschuldig am Suizid einer Mitschülerin fühlt, der andere verlässt das Haus, um Beschäftigung vorzugaukeln. So begegnen sie sich auf der Parkbank, wo sie sich öfter aufhalten, weil sie dort ohne Gefahr, in irgendetwas einbezogen zu werden, unbeteiligt bleiben können. Vorsichtig entfaltet sich ein Dialog. Die Situation ist klassisch, Albees „Zoostory“ oder Dieter Kühns „Op der Parkbank“ wären Beispiele. Milena Michiko Flašar nutzt die neutrale, für alles offene Situation des zufälligen Begegnens, um zwei Facetten einer Welt aneinander zu halten. Diese Welt hat es in sich: Es ist die japanische Leistungsgesellschaft. Zwei Fundamentalhaltungen stoßen aufeinander, dem europäischen Leser begegnen zwei Phänomene japanischer Kultur. Milena Michiko Flašar hätte das mit pointenreichem Radau gestalten können, doch sie lässt es behutsam angehen, man entwickelt Empathie für die zwei Außenseiter und beginnt, in deren Radikalität eigene, verwandte Ansätze zu entdecken. Der Roman, eher ein Kammerspiel, hat es auf einige Theaterinszenierungen gebracht.
RUDOLF VON BITTER
Milena Michiko Flašar:
Ich nannte ihn Krawatte.
Roman, Wagenbach
Verlag, Berlin 2020.
144 Seiten, 10 Euro.
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»Das Buch verweigert sich auf höchst eigensinnige Weise dem sattsam bekannten Realismus der Arbeitswelt und findet einen sehr besonderen, ganz ruhigen und beinahe lyrischen Ton, um etwas zu beschreiben, das weit über die bloße Gegenwart hinausreicht.« Paul Jandl, Die Welt