Oliver ist fast fünfzehn und gerade noch Jungfrau, doch das soll sich ändern, am besten sofort. Oliver weiß alles und hat nicht den blassesten Schimmer. Seine Freundin Jordana wiederum hat eine Hautkrankheit und auch sonst eine Menge Probleme. Eines davon ist -- Oliver Tate. Oliver Tate, der selbstgerecht ist, klug, grausam und verletzlich. Der dicke Mädchen quält und Hunde hasst. Der küsst, als wolle er Zahnfüllungen spachteln, Fremdwörter sammelt und das Sexleben seiner Eltern sehr genau überwacht: Zwei Monate ohne Beischlaf, lautet sein alarmierender Befund, das Ende ihrer Beziehung steht unmittelbar bevor. Bis Oliver die Sache selbst in die Hand nimmt. Mission: Ehe der Eltern neu beleben, jedes Mittel erlaubt. Die Folgen: ebenso fatal wie absehbar. Und ihre Wirkungen: peinlich, rührend - und richtig, richtig komisch.
"Auf so brillante Weise sind die wunderbaren, knallbunten Gewissheiten der Adoleszenz kaum je ausgebreitet worden. Ein herausragendes Debüt!" (The Independent)
"Auf so brillante Weise sind die wunderbaren, knallbunten Gewissheiten der Adoleszenz kaum je ausgebreitet worden. Ein herausragendes Debüt!" (The Independent)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2009Nackte Zahlen
Joe Dunthornes Debüt wird in England als literarische Sensation gefeiert. Sein Roman über den Abschied von der eigenen Kindheit steckt voll bitterer Komik.
Auch Wörter haben einen Körper, manchmal sogar einen gutgebauten, kurvenreichen, muskulösen oder sonstwie attraktiven. "Triskaidekaphobie" etwa ist uns als Vokabel eher nicht geläufig, beeindruckt aber stark durch glatte sechssilbige Griffigkeit. Hier steht das Wort als Überschrift gleich vor dem ersten Kapitel, als solle von Beginn an klar sein, worauf wir uns als Leser eingelassen haben. Im eigentlichen Verlauf des Erzählten spielt es dann keine nennenswerte Rolle, hat es doch seine Aufgabe als strotzender Signalgeber und Schwellenhüter eingangs schon erfüllt - ganz wie der muskulöse Bouncer vor dem Eingang eines angesagten Clubs. Es bezeichnet übrigens die abergläubische Furcht vor der Zahl dreizehn, aber das ist, wie gesagt, nicht weiter von Belang. Ohnehin ist Oliver, der Held und Erzähler, dessen intimer Lebensschilderung wir hier durchweg folgen, zu Beginn schon vierzehn, beinah fünfzehn Jahre alt; da fürchtet man sich längst nicht mehr so leicht, jedenfalls nicht vor nackten Zahlen.
In einem Alter, da so vieles in der Welt mit einem Mal bestürzend unverständlich wird - das Sexleben der Eltern, die zwischenmenschlichen Beziehungen generell und ganz speziell der Matheunterricht der Schule - und da zugleich die Dringlichkeit aufklärender Erkundung täglich wächst, kann man sich wenigstens an unverstandenen Wörtern bestens festhalten, denn deren Sinn lässt sich, im Unterschied zum Sinn des Lebens, ganz einfach in der Suchmaschine oder auch im Wörterbuch ermitteln. "Pansexuell", "Abominabel", "Nephentes" und "Oskulation" lauten daher weitere Kapitelüberschriften dieses pubertären Selbstberichts. "Scrabble", das versteht sich, ist denn auch Olivers Lieblingsspiel, weil er hier mit jedem Glied eines möglichst komplizierten Worts ganz einfach punkten kann. Naturgemäß sind es ansonsten aber andere Glieder, die ihm derzeit Komplikationen schaffen.
Im amüsanten ersten Teil des Buchs ist daher alles darauf ausgerichtet, dass Oliver so schnell wie möglich seine peinlich andauernde Jungfräulichkeit verliert, was schließlich mit Hilfe einer unerschrockenen und ebenso wortverliebten Schulfreundin gelingt. Statt von "knutschen" sprechen sie von "oskulieren" und notieren den erfüllten Liebesakt, noch bevor sie zur Tat schreiten, schon mal in seinem Tagebuch, das sie mit eifersüchtigem Blick für heiße Formulierungen überwacht. Der körperliche Nachvollzug des Aufgeschriebenen gelingt nach diesem Vorspiel leidlich und zu beiderseitiger Zufriedenheit. Für alles Weitere stehen dem wackeren Helden zudem Pornoheftchen eines Freundes zur Verfügung, an denen ihn am meisten jedoch nicht die Bilder, sondern die bildhaften Ausdrücke interessieren. "Senkrechtes Lächeln", beschließt er endlich, ist der Ausdruck, der am besten trifft, was er beim Körper seiner Freundin an zentraler Stelle zu beschreiben hat.
Der zweite Teil gilt weiteren existentiellen Abenteuern, die in der Familie zu bestehen sind. Allnächtlich belauscht Oliver das Schlafzimmer der Eltern und überprüft am Morgen, ob der Lichtschalter auf Dimmereffekt steht, was ihm als untrügliches Zeichen für ehelichen Sex gilt. Sein Verdacht, dass es damit seit geraumer Zeit empfindlich hapert, erhärtet sich, als plötzlich ein alter Freund des Hauses wiederauftaucht und mit der Mutter Meditationswochenenden im Öko-Dorf verbringt sowie Selbsterfahrungs-Workshops am Strand bucht. Diesen Mann aus ihrem Leben wieder zu vertreiben und so die hergebrachte Ordnung zu retten, die von seinem Eindringen bedroht ist, wird zum neuen Lebensziel, dem Oliver sich fortan widmet. Erst spürt er dem Fremden detektivisch nach, dann dringt er verbrecherisch sogar in dessen Haus ein, bis er schließlich die Gewissheit findet, dass keine weitere Gefahr von dieser Seite zu erwarten ist. Es scheint, als wolle hier der heranwachsende Sohn eine vertraute Welt, die ihm im Grunde selbst schon längst zerbrochen ist, zum letzten Mal notdürftig kitten.
Der Roman, Anfang des vergangenen Jahres in Großbritannien erschienen und gleich in sechs Sprachen übersetzt, ist das Debüt eines fünfundzwanzigjährigen Walisers, Absolvent der University of East Anglia, der damit zum neuen Wunderkind der britischen "Creative Writing"-Szene aufgestiegen ist. Seit Ian McEwan vor mehr als drei Jahrzehnten als erster Absolvent des Programms Furore machte, gilt es als Kaderschmiede einer traditionsbewussten Literaturnation. Joe Dunthorne allerdings orientiert sich klar an anderen Modellen. Sein adoleszenter Held hat so gar nichts von der verstörenden Eindringlichkeit der Pubertätsfiguren aus McEwans "Zementgarten". Oliver Tate ist auch weniger "Fänger im Roggen" als vielmehr "Adrian Mole", jenem jugendlich-anarchischen Tagebuchschreiber nachgebildet, mit dem Sue Townsend in den frühen achtziger Jahren die vertraute Welt von unten in den Blick nahm.
In seinen besten Passagen vermittelt das Buch viel von der Sprengkraft einer respektlosen, bitteren Komik, hinter deren grausam-infantilen Scherzen zugleich die Trauer über den erzwungenen Abschied aus der unverstellten Welt der Kindheit noch zu spüren ist. Darin liegt zugleich der Reiz der Wörter, denen sich die Selbsterzählung mit rundweg fetischistischer Lust hingibt: Ihr Einsatz sorgt nicht nur für viele grotesk-komische Effekte; ihr schieres Nachsprechen bietet zugleich eine kühne Einlassung mit jener weiten, faszinierenden Welt, der sie seit je angehören und der sich bald die neue Zugehörigkeit auch des erzählenden Subjekts verdankt. Nicht erst seit Sartres Kindheitsbuch "Les Mots" ist dies das Thema großer Adoleszenzgeschichten, und es spricht für die Übersetzerin Mayela Gerhardt, dass diese Wortweltfaszination sich auch in der deutschen Fassung des Romans mitteilt.
Insgesamt jedoch enthält er mit seinem lockeren, episodenhaften Aufbau auch Leerlauf, weil die Ideen und Gestaltungsmittel nicht so weit reichen, wie er offensichtlich will. Besonders der dritte Teil, der sich an die Ehekrisenrettung anschließt, wirkt, als sei der Wörtervorrat sehr viel umfangreicher als die Geschichten, die es zu erzählen gibt. In einem Beitrag für den "Independent" schrieb der Autor, dass David Mamet, der amerikanische Dramatiker, einen guten Ratschlag für das Abfassen gelungener Bücher bereithalte. Die Regel sei dieselbe wie bei Partys: spät kommen, früh gehen. Bei seinem früh gekommenen Erfolgsdebüt ist Joe Dunthorne, wie es scheint, deutlich zu lang geblieben. Wenn er demnächst wiederkommt, sind wir gewiss wieder dabei. Denn was aus derart gut gebauten Wörtern einmal wird, will man auf keinen Fall verpassen.
TOBIAS DÖRING
Joe Dunthorne: "Ich, Oliver Tate". Roman. Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt. Rowohlt, Hamburg 2008. 380 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joe Dunthornes Debüt wird in England als literarische Sensation gefeiert. Sein Roman über den Abschied von der eigenen Kindheit steckt voll bitterer Komik.
Auch Wörter haben einen Körper, manchmal sogar einen gutgebauten, kurvenreichen, muskulösen oder sonstwie attraktiven. "Triskaidekaphobie" etwa ist uns als Vokabel eher nicht geläufig, beeindruckt aber stark durch glatte sechssilbige Griffigkeit. Hier steht das Wort als Überschrift gleich vor dem ersten Kapitel, als solle von Beginn an klar sein, worauf wir uns als Leser eingelassen haben. Im eigentlichen Verlauf des Erzählten spielt es dann keine nennenswerte Rolle, hat es doch seine Aufgabe als strotzender Signalgeber und Schwellenhüter eingangs schon erfüllt - ganz wie der muskulöse Bouncer vor dem Eingang eines angesagten Clubs. Es bezeichnet übrigens die abergläubische Furcht vor der Zahl dreizehn, aber das ist, wie gesagt, nicht weiter von Belang. Ohnehin ist Oliver, der Held und Erzähler, dessen intimer Lebensschilderung wir hier durchweg folgen, zu Beginn schon vierzehn, beinah fünfzehn Jahre alt; da fürchtet man sich längst nicht mehr so leicht, jedenfalls nicht vor nackten Zahlen.
In einem Alter, da so vieles in der Welt mit einem Mal bestürzend unverständlich wird - das Sexleben der Eltern, die zwischenmenschlichen Beziehungen generell und ganz speziell der Matheunterricht der Schule - und da zugleich die Dringlichkeit aufklärender Erkundung täglich wächst, kann man sich wenigstens an unverstandenen Wörtern bestens festhalten, denn deren Sinn lässt sich, im Unterschied zum Sinn des Lebens, ganz einfach in der Suchmaschine oder auch im Wörterbuch ermitteln. "Pansexuell", "Abominabel", "Nephentes" und "Oskulation" lauten daher weitere Kapitelüberschriften dieses pubertären Selbstberichts. "Scrabble", das versteht sich, ist denn auch Olivers Lieblingsspiel, weil er hier mit jedem Glied eines möglichst komplizierten Worts ganz einfach punkten kann. Naturgemäß sind es ansonsten aber andere Glieder, die ihm derzeit Komplikationen schaffen.
Im amüsanten ersten Teil des Buchs ist daher alles darauf ausgerichtet, dass Oliver so schnell wie möglich seine peinlich andauernde Jungfräulichkeit verliert, was schließlich mit Hilfe einer unerschrockenen und ebenso wortverliebten Schulfreundin gelingt. Statt von "knutschen" sprechen sie von "oskulieren" und notieren den erfüllten Liebesakt, noch bevor sie zur Tat schreiten, schon mal in seinem Tagebuch, das sie mit eifersüchtigem Blick für heiße Formulierungen überwacht. Der körperliche Nachvollzug des Aufgeschriebenen gelingt nach diesem Vorspiel leidlich und zu beiderseitiger Zufriedenheit. Für alles Weitere stehen dem wackeren Helden zudem Pornoheftchen eines Freundes zur Verfügung, an denen ihn am meisten jedoch nicht die Bilder, sondern die bildhaften Ausdrücke interessieren. "Senkrechtes Lächeln", beschließt er endlich, ist der Ausdruck, der am besten trifft, was er beim Körper seiner Freundin an zentraler Stelle zu beschreiben hat.
Der zweite Teil gilt weiteren existentiellen Abenteuern, die in der Familie zu bestehen sind. Allnächtlich belauscht Oliver das Schlafzimmer der Eltern und überprüft am Morgen, ob der Lichtschalter auf Dimmereffekt steht, was ihm als untrügliches Zeichen für ehelichen Sex gilt. Sein Verdacht, dass es damit seit geraumer Zeit empfindlich hapert, erhärtet sich, als plötzlich ein alter Freund des Hauses wiederauftaucht und mit der Mutter Meditationswochenenden im Öko-Dorf verbringt sowie Selbsterfahrungs-Workshops am Strand bucht. Diesen Mann aus ihrem Leben wieder zu vertreiben und so die hergebrachte Ordnung zu retten, die von seinem Eindringen bedroht ist, wird zum neuen Lebensziel, dem Oliver sich fortan widmet. Erst spürt er dem Fremden detektivisch nach, dann dringt er verbrecherisch sogar in dessen Haus ein, bis er schließlich die Gewissheit findet, dass keine weitere Gefahr von dieser Seite zu erwarten ist. Es scheint, als wolle hier der heranwachsende Sohn eine vertraute Welt, die ihm im Grunde selbst schon längst zerbrochen ist, zum letzten Mal notdürftig kitten.
Der Roman, Anfang des vergangenen Jahres in Großbritannien erschienen und gleich in sechs Sprachen übersetzt, ist das Debüt eines fünfundzwanzigjährigen Walisers, Absolvent der University of East Anglia, der damit zum neuen Wunderkind der britischen "Creative Writing"-Szene aufgestiegen ist. Seit Ian McEwan vor mehr als drei Jahrzehnten als erster Absolvent des Programms Furore machte, gilt es als Kaderschmiede einer traditionsbewussten Literaturnation. Joe Dunthorne allerdings orientiert sich klar an anderen Modellen. Sein adoleszenter Held hat so gar nichts von der verstörenden Eindringlichkeit der Pubertätsfiguren aus McEwans "Zementgarten". Oliver Tate ist auch weniger "Fänger im Roggen" als vielmehr "Adrian Mole", jenem jugendlich-anarchischen Tagebuchschreiber nachgebildet, mit dem Sue Townsend in den frühen achtziger Jahren die vertraute Welt von unten in den Blick nahm.
In seinen besten Passagen vermittelt das Buch viel von der Sprengkraft einer respektlosen, bitteren Komik, hinter deren grausam-infantilen Scherzen zugleich die Trauer über den erzwungenen Abschied aus der unverstellten Welt der Kindheit noch zu spüren ist. Darin liegt zugleich der Reiz der Wörter, denen sich die Selbsterzählung mit rundweg fetischistischer Lust hingibt: Ihr Einsatz sorgt nicht nur für viele grotesk-komische Effekte; ihr schieres Nachsprechen bietet zugleich eine kühne Einlassung mit jener weiten, faszinierenden Welt, der sie seit je angehören und der sich bald die neue Zugehörigkeit auch des erzählenden Subjekts verdankt. Nicht erst seit Sartres Kindheitsbuch "Les Mots" ist dies das Thema großer Adoleszenzgeschichten, und es spricht für die Übersetzerin Mayela Gerhardt, dass diese Wortweltfaszination sich auch in der deutschen Fassung des Romans mitteilt.
Insgesamt jedoch enthält er mit seinem lockeren, episodenhaften Aufbau auch Leerlauf, weil die Ideen und Gestaltungsmittel nicht so weit reichen, wie er offensichtlich will. Besonders der dritte Teil, der sich an die Ehekrisenrettung anschließt, wirkt, als sei der Wörtervorrat sehr viel umfangreicher als die Geschichten, die es zu erzählen gibt. In einem Beitrag für den "Independent" schrieb der Autor, dass David Mamet, der amerikanische Dramatiker, einen guten Ratschlag für das Abfassen gelungener Bücher bereithalte. Die Regel sei dieselbe wie bei Partys: spät kommen, früh gehen. Bei seinem früh gekommenen Erfolgsdebüt ist Joe Dunthorne, wie es scheint, deutlich zu lang geblieben. Wenn er demnächst wiederkommt, sind wir gewiss wieder dabei. Denn was aus derart gut gebauten Wörtern einmal wird, will man auf keinen Fall verpassen.
TOBIAS DÖRING
Joe Dunthorne: "Ich, Oliver Tate". Roman. Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt. Rowohlt, Hamburg 2008. 380 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Kai Wiegandt hat den Roman "Ich, Oliver Tate" von Joe Dunthorne sehr gern gelesen, der von den Irrungen und Wirrungen des 15-jährigen Olivers erzählt. Dem Rezensenten ist dieser Held nicht nur durch seinen Sinn für walisische Sonderlichkeiten und Klangwunder ans Herz gewachsen, sondern auch durch seine pubertäre Art: "besserwisserisch und verletzlich, fies und zugleich empfindsam". Und egal ob Oliver Tate über sein erstes Mal nachdenkt, dem Sexualleben seiner Eltern auf die Sprünge hilft oder das Tagebuch einer Mitschülerin verbrennt - Rezensent Wiegandt findet, dass Olivers jugendliche Abenteuer sich zu einer guten Mischung aus "bizarren Ideen" und "fiktiven Taten" verbinden. Etwas zu offensichtlich findet er die Pointen am Ende der Absätze, was seinen grundlegend positiven Eindruck jedoch nicht beeinflusst. Lobend äußert er sich zudem über die geschmeidige Übersetzung von Mayela Gerhardt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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