"Dieses Buch wird mein Leben wohl nicht verändern. Aber wer weiß, was es mit Ihrem anstellt..." Oliver Tate
Oliver Tate ist fast fünfzehn und noch Jungfrau. Doch das soll sich ändern, am besten sofort. Seine Freundin hat allerdings andere Probleme. Eines davon: Oliver, der küsst, als wolle er Zahnfüllungen spachteln, der außerdem Fremdwörter sammelt und das Liebesleben seiner Eltern genauestens überwacht. Zwei Monate ohne Beischlaf, lautet der alarmierende Befund. Olivers dringlichste Mission: Die Ehe der Eltern neu beleben, jedes Mittel erlaubt!
"Das glänzende Debüt eines
geradezu grausam talentierten
jungen Komikers." The Times
-Oliver Tate
Oliver Tate ist fast fünfzehn und noch Jungfrau. Doch das soll sich ändern, am besten sofort. Seine Freundin hat allerdings andere Probleme. Eines davon: Oliver, der küsst, als wolle er Zahnfüllungen spachteln, der außerdem Fremdwörter sammelt und das Liebesleben seiner Eltern genauestens überwacht. Zwei Monate ohne Beischlaf, lautet der alarmierende Befund. Olivers dringlichste Mission: Die Ehe der Eltern neu beleben, jedes Mittel erlaubt!
"Das glänzende Debüt eines
geradezu grausam talentierten
jungen Komikers." The Times
-Oliver Tate
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2009Die Fliehkraft der Jugend
Lob der Buntstifte: Joe Dunthornes Roman „Ich, Oliver Tate”
Der Adoleszenzroman ist ein zeitloses Genre, das sein Zielpublikum immer neu findet, aber auch dazu tendiert, die immer gleichen Muster zu wiederholen. Der junge in London lebende Schriftsteller Joe Dunthorne ist nicht der Erste, der vom „ersten Mal” erzählt, aber er versteht es, die rites de passage des Erwachsenwerdens in ungewohntem Licht zu zeigen. Apostasie, Diuretikum, Llangennith oder Triskaidekaphobie heißen die Kapitelüberschriften seines Debütromans „Ich, Oliver Tate”, der das Erwachsenwerden als Alphabetisierungsgeschichte erzählt. Ort des Geschehens ist Swansea und die walisische Sprache ein exzellenter Fundus, aus dem der Ich-Erzähler Oliver Sonderbarkeiten und Klangwunder zutage fördert, mit denen er seine Umwelt nicht etwa beschreiben, sondern buntschreiben will, er will sie mit Hilfe der Worte anders als die anderen wahrnehmen. Wenn die Dinge das sind, wozu man sie durch Worte macht, dann können die Worte für Oliver nicht extravagant genug sein.
Auf der anderen Seite schlägt sich der bald fünfzehnjährige Oliver mit Problemen herum, die auch andere Heranwachsende betreffen. Mit Jordana Bevan ist er in eine Art Vertrautheit hineingeraten, die womöglich bedeutet, dass er ihr Freund ist. Er weiß es nicht genau, und nun denkt er so methodisch, wie ein Innendekorateur an seine Aufgabe herangehen mag, darüber nach, wie er den ersten Sex mit ihr zu einer schönen Sache machen kann. Seine Eltern warten ungeduldig darauf, dass er das nächste Abnabelungsmanöver unternimmt, statt ihm das Rebellieren durch Verbote leichtzumachen. Um ihre eigene Beziehung steht es nicht zum Besten – seit zwei Monaten kein Sex, hat Oliver herausgefunden –, und so versucht er, froh, sich einmal mit den Problemen anderer befassen zu können, die beiden wieder zueinander zu führen. Als er von einem früheren Freund der Mutter erfährt, der in der Stadt aufgetaucht ist, fälscht er Liebesbriefe seines Vaters an die Mutter.
Aus Olivers leicht verschobenem Blickwinkel erzählt Dunthorne die folgenden Verwicklungen so unorthodox wie – auch dank der geschmeidigen Übersetzung – eingängig in lose verbundenen Episoden. Listen und Exzerpte aus erfundenen Enzyklopädien und Lehrbüchern reichern die Erzählung an, ebenso ein Tagebuch, in dem Oliver die Regeln des Tagebuchschreibens auf den Kopf stellt. Er zeigt Jordana die neuen Einträge, bei denen er sich zudem nicht immer an die Wahrheit hält.
Umgekehrt entpuppen sich scheinbar erfundene Anekdoten als Ereignisse, die tatsächlich passiert sind, wie der Bericht über Olivers Begegnung mit dem siebenjährigen Keiron, von dem er sich masturbieren lässt. Bei allem Verwirrspiel aber mit Fiktion und Wahrscheinlichkeiten verliert Dunthorne nie den Plot aus den Augen und bleibt handwerklich solide, allenfalls stehen seine Pointen zu erwartbar an den Absatzenden.
Bizarre Ideen, fiktive Taten
Nicht vorhersehbar ist zum Glück der widersprüchliche, besserwisserische und verletzliche, fiese und zugleich empfindsame Oliver. Gemeinsam mit Schulkameraden verbrennt er das Tagebuch von Zoe, der gefoppten Klassendicken. Schuldig fühlt er sich lange nicht, und als er so weit ist, schreibt er einen Miniratgeber für sie, in dem steht, sie selbst sei an ihrer Opferrolle schuld. Das ist grausam, andererseits tatsächlich geschrieben, um ihr zu helfen. Oliver selbst lernt die Opferrolle kennen, als Jordana ihn verlässt, und als er Zoe, die nach dem Tagebuch-Eklat die Schule gewechselt hat, nach vielen Monaten wieder trifft, ist sie nicht mehr die Person, die er in Erinnerung hatte.
Den Roman durchziehen Anspielungen auf das Phänomen der kognitiven Dissonanz, bei der neue Informationen über bekannte Personen zu einer Änderungen der eigenen Sichtweise führen oder aber so zurechtgeredet werden, dass sie zu verinnerlichten Vorurteilen passen. Das Erwachsenwerden erscheint hier als das permanente Erleben dieser Dissonanz. Am besten ist der Roman, wenn Olivers eigensinnige Wahrnehmung dazu führt, dass sich wie in der Zoe-Geschichte Scherz und Ernst, Gut und Böse ineinander verschränken und Dinge, die nicht lustig sind, mit leichter Hand erzählt sind, ohne ins Lächerliche gezogen zu werden.
Was Dunthorne aber vor allem anzutreiben scheint, ist die Lust, bizarre Ideen in die fiktive Tat umzusetzen. Wie Sinnbilder für dieses Begehren stehen die ausufernden Kirmes-Szenen da, in denen die Erfahrungen des Schwindels und des Ekels bis an die Grenze der Glaubwürdigkeit gesteigert sind. Seinen depressiven Vater versucht Oliver zu animieren, indem er ihn auf einen nachgebildeten elektrischen Stuhl setzt, der fauchend Funken sprüht– vor kurzem hat er erfahren, dass Elektroschocktherapie die größten Heilungschancen bei Patienten besitzt, die auf Medikamente nicht ansprechen. Er selbst hat vor dem Kirmesbesuch Tabletten seines Vaters geschluckt und fährt mit einem monströsen Gefährt, dessen Schleudergang ihm beinahe das Gesicht herunterreißt. Sollte die Welt eine Berechtigung besitzen, so legt Joe Dunthorne mit diesem Roman nahe, dann besteht diese Berechtigung in ihrer übersteigerten Wiedergabe. KAI WIEGANDT
JOE DUNTHORNE: Ich, Oliver Tate. Roman. Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 380 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Lob der Buntstifte: Joe Dunthornes Roman „Ich, Oliver Tate”
Der Adoleszenzroman ist ein zeitloses Genre, das sein Zielpublikum immer neu findet, aber auch dazu tendiert, die immer gleichen Muster zu wiederholen. Der junge in London lebende Schriftsteller Joe Dunthorne ist nicht der Erste, der vom „ersten Mal” erzählt, aber er versteht es, die rites de passage des Erwachsenwerdens in ungewohntem Licht zu zeigen. Apostasie, Diuretikum, Llangennith oder Triskaidekaphobie heißen die Kapitelüberschriften seines Debütromans „Ich, Oliver Tate”, der das Erwachsenwerden als Alphabetisierungsgeschichte erzählt. Ort des Geschehens ist Swansea und die walisische Sprache ein exzellenter Fundus, aus dem der Ich-Erzähler Oliver Sonderbarkeiten und Klangwunder zutage fördert, mit denen er seine Umwelt nicht etwa beschreiben, sondern buntschreiben will, er will sie mit Hilfe der Worte anders als die anderen wahrnehmen. Wenn die Dinge das sind, wozu man sie durch Worte macht, dann können die Worte für Oliver nicht extravagant genug sein.
Auf der anderen Seite schlägt sich der bald fünfzehnjährige Oliver mit Problemen herum, die auch andere Heranwachsende betreffen. Mit Jordana Bevan ist er in eine Art Vertrautheit hineingeraten, die womöglich bedeutet, dass er ihr Freund ist. Er weiß es nicht genau, und nun denkt er so methodisch, wie ein Innendekorateur an seine Aufgabe herangehen mag, darüber nach, wie er den ersten Sex mit ihr zu einer schönen Sache machen kann. Seine Eltern warten ungeduldig darauf, dass er das nächste Abnabelungsmanöver unternimmt, statt ihm das Rebellieren durch Verbote leichtzumachen. Um ihre eigene Beziehung steht es nicht zum Besten – seit zwei Monaten kein Sex, hat Oliver herausgefunden –, und so versucht er, froh, sich einmal mit den Problemen anderer befassen zu können, die beiden wieder zueinander zu führen. Als er von einem früheren Freund der Mutter erfährt, der in der Stadt aufgetaucht ist, fälscht er Liebesbriefe seines Vaters an die Mutter.
Aus Olivers leicht verschobenem Blickwinkel erzählt Dunthorne die folgenden Verwicklungen so unorthodox wie – auch dank der geschmeidigen Übersetzung – eingängig in lose verbundenen Episoden. Listen und Exzerpte aus erfundenen Enzyklopädien und Lehrbüchern reichern die Erzählung an, ebenso ein Tagebuch, in dem Oliver die Regeln des Tagebuchschreibens auf den Kopf stellt. Er zeigt Jordana die neuen Einträge, bei denen er sich zudem nicht immer an die Wahrheit hält.
Umgekehrt entpuppen sich scheinbar erfundene Anekdoten als Ereignisse, die tatsächlich passiert sind, wie der Bericht über Olivers Begegnung mit dem siebenjährigen Keiron, von dem er sich masturbieren lässt. Bei allem Verwirrspiel aber mit Fiktion und Wahrscheinlichkeiten verliert Dunthorne nie den Plot aus den Augen und bleibt handwerklich solide, allenfalls stehen seine Pointen zu erwartbar an den Absatzenden.
Bizarre Ideen, fiktive Taten
Nicht vorhersehbar ist zum Glück der widersprüchliche, besserwisserische und verletzliche, fiese und zugleich empfindsame Oliver. Gemeinsam mit Schulkameraden verbrennt er das Tagebuch von Zoe, der gefoppten Klassendicken. Schuldig fühlt er sich lange nicht, und als er so weit ist, schreibt er einen Miniratgeber für sie, in dem steht, sie selbst sei an ihrer Opferrolle schuld. Das ist grausam, andererseits tatsächlich geschrieben, um ihr zu helfen. Oliver selbst lernt die Opferrolle kennen, als Jordana ihn verlässt, und als er Zoe, die nach dem Tagebuch-Eklat die Schule gewechselt hat, nach vielen Monaten wieder trifft, ist sie nicht mehr die Person, die er in Erinnerung hatte.
Den Roman durchziehen Anspielungen auf das Phänomen der kognitiven Dissonanz, bei der neue Informationen über bekannte Personen zu einer Änderungen der eigenen Sichtweise führen oder aber so zurechtgeredet werden, dass sie zu verinnerlichten Vorurteilen passen. Das Erwachsenwerden erscheint hier als das permanente Erleben dieser Dissonanz. Am besten ist der Roman, wenn Olivers eigensinnige Wahrnehmung dazu führt, dass sich wie in der Zoe-Geschichte Scherz und Ernst, Gut und Böse ineinander verschränken und Dinge, die nicht lustig sind, mit leichter Hand erzählt sind, ohne ins Lächerliche gezogen zu werden.
Was Dunthorne aber vor allem anzutreiben scheint, ist die Lust, bizarre Ideen in die fiktive Tat umzusetzen. Wie Sinnbilder für dieses Begehren stehen die ausufernden Kirmes-Szenen da, in denen die Erfahrungen des Schwindels und des Ekels bis an die Grenze der Glaubwürdigkeit gesteigert sind. Seinen depressiven Vater versucht Oliver zu animieren, indem er ihn auf einen nachgebildeten elektrischen Stuhl setzt, der fauchend Funken sprüht– vor kurzem hat er erfahren, dass Elektroschocktherapie die größten Heilungschancen bei Patienten besitzt, die auf Medikamente nicht ansprechen. Er selbst hat vor dem Kirmesbesuch Tabletten seines Vaters geschluckt und fährt mit einem monströsen Gefährt, dessen Schleudergang ihm beinahe das Gesicht herunterreißt. Sollte die Welt eine Berechtigung besitzen, so legt Joe Dunthorne mit diesem Roman nahe, dann besteht diese Berechtigung in ihrer übersteigerten Wiedergabe. KAI WIEGANDT
JOE DUNTHORNE: Ich, Oliver Tate. Roman. Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 380 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de