»Nur von den Dichtern erwarten wir Wahrheit (nicht von den Philosophen, von denen wir Gedachtes erwarten)«, schrieb Hannah Arendt in ihrem »Denktagebuch«. Doch was bisher nur Kennern des Werkes der berühmten Theoretikerin bekannt war: Sie verfasste neben ihren politischen Schriften jahrzehntelang auch selbst Lyrik. Dieser Band versammelt nun erstmals sämtliche Gedichte Arendts, die sie zwischen 1923 und 1961 schrieb, darunter acht bislang völlig unbekannte Werke. Arendts Poesie wirft ein neues Licht auf ihr Denken und Fühlen und muss wie ein sprachlich betörender, oftmals poetisch origineller Kommentar eines Schaffens gelesen werden, das sich ganz dem leuchtenden Widerstand gegen finstere Zeiten verschrieben hatte. Eine seltene Neuentdeckung.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rolf Hochhuth erinnert sich an seine Begegnungen mit Hannah Arendt und an ihre Liebe zur Literatur, die es für den Rezensenten so wenig überraschend machte, als er das erste mal Gedichte Arendts zu lesen bekam. Vierzig Jahre nach ihrem Tod sind sie jetzt in "Ich selbst, auch ich tanze" erschienen, berichtet Hochhuth, aber auch wenn einige von ihnen den Rezensenten berühren, besonders die frühen, kann Hochhuth doch keinen wirklich eigenen Stil ausmachen. Wie schön wäre es gewesen, so der Rezensent, hätte Arendt ihr politisches Herz mehr Blut in ihre Dichtung pumpen lassen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2015Wohin ich auch blicke sich türmendes Land
Warum so spät? Erst jetzt, vierzig Jahre nach ihrem Tod, erscheint der erste Gedichtband von Hannah Arendt
Vierzig Jahre nach dem Tod der Sozialphilosophin Hannah Arendt erscheint nun ihr erster Gedichtband. Die Kenner wussten natürlich, dass sie Gedichte geschrieben hat. Wer sie aber lesen wollte, musste sie sich entweder aus der Biographie von Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendts "Denktagebüchern", aus den mittlerweile veröffentlichten Briefwechseln mit Martin Heidegger, Hermann Broch, Kurt Blumenfeld und Heinrich Blücher herausklauben oder sich den von Barbara Hahn und Marie-Luise Knott herausgegebenen Katalog "Von den Dichtern erwarten wir die Wahrheit" besorgen, der eine Ausstellung im Literaturhaus Berlin begleitet hat.
Das Interesse, um es vorwegzusagen, hielt sich vierzig Jahre lang in Grenzen. Keine "Frankfurter Anthologie", keine Sammlung dichtender Philosophinnen hat einen von Arendts Texten aufgenommen. Liegt das an der Qualität ihrer Gedichte oder daran, dass sie, als konzentrierte Botschaften an bestimmte Adressaten, ohne den Kontext der Briefe nicht verständlich sind?
Natürlich fragt man sich, ob Hannah Arendt selbst kein Interesse daran hatte, diese lyrischen Beilagen und Geschenke in einem Band zusammenzufassen, obwohl sie die Texte, zum Teil in mehreren Fassungen, sorgfältig aufbewahrt hat. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges wäre der Plan eines solchen Bandes sicher nicht zurückgewiesen worden. Aber man muss eben nicht alles veröffentlichen, was man geschrieben hat. Oder man überlässt es den Nachlassverwaltern, die über die wüsten Halden des Nochnichtgedruckten ziehen und nach Nahrung suchen.
Da eine brauchbare Gesamtausgabe der Schriften Hannah Arendts noch nicht existiert, bleiben ohnehin viele editorische Fragen offen. Der vorliegende Band verzichtet ganz auf einen Herausgeber. Dafür geben sich Karin Biro, Dozentin an einem nicht näher bezeichneten Institut für politische Wissenschaften in Paris, die diesen Band angeregt hat, und die Verfasserin des Nachworts, Irmela von der Lühe, mit Erfolg alle Mühe, so wenig wie möglich zu den Gedichten zu sagen. Warum hat Karin Biro, von der im Impressum behauptet wird, sie sei Verfasserin einer offenbar titellosen Studie zur Dichtung Hannah Arendts, nicht ein kenntnisreiches Nachwort geschrieben? So darf also Irmela von der Lühe schreiben: "In der Konstellation mit Heidegger, der ihr seinerseits in Gedichtform schrieb, haben Hannah Arendts Gedichte selbstverständlich einen anderen Gehalt als in Fällen, da ein Naturereignis fixiert oder eines Toten gedacht wird."
Selbstverständlich, kann man da nur sagen. Wenn man das ambitionierte Nachwort zuerst gelesen hat, in der Hoffnung, etwas über die Entstehung dieses eigentümlichen Bandes zu erfahren, hat man schon fast die Lust auf die Gedichte verloren. "Hannah Arendt hat auch ihre ,abstrakten' Texte aus einem sicheren Gespür für Spannungssteigerung und Aufmerksamkeitslenkung komponiert; auch in Werken der politischen Theorie oder solchen, die der philosophischen Tradition gewidmet sind, pflegt sie gelegentlich Neugier durch rhetorische Effekte zu befriedigen und Erkenntnis durch geschickt plazierte Exempel zu vermitteln. In all dem zeigt sie sich antiker Rhetorik und Stilistik verpflichtet, zudem aber einer philosophischen Argumentationslehre, die dem analytischen Erzählen, also einem Denken in Anekdoten, sehr verbunden ist. Ohne dass sie es explizit gemacht hätte, bewegt sie sich damit in einer literarischen Tradition, deren frühe Kodifizierung in der aristotelischen Poetik erfolgte." So weit, so gut, besser kann man nicht charakterisieren, was Hannah Arendt geschrieben hat.
Und die Gedichte selbst? Meines Erachtens wäre es besser gewesen, die Texte in ihrem Kontext zu belassen. Die von ihrer tiefen Liebe zu Heidegger zeugenden Gedichte entfalten nur im Zusammenhang der Korrespondenz ihre Wucht; die Epitaphe auf Benjamin und Broch und Erich Neumann oder ein langes Gedicht zum siebzigsten Geburtstag ihres Freundes Kurt Blumenfeld sind Gelegenheitsarbeiten, wenn auch aus ernstem Anlass. Es gibt Gedichte, die im Hölderlin-Maß dahinschreiten, und andere, die Hannah Arendts Lektüre von Heine verraten oder auch von Morgenstern. Nur in den ganz frühen Gedichten trifft sie manchmal einen Ton, der wirklich aufhorchen lässt und den man nicht vergisst. So lautet das erste erhaltene Gedicht der damals Siebzehnjährigen:
Kein Wort bricht ins Dunkel
Kein Gott hebt die Hand -
Wohin ich auch blicke
Sich türmendes Land.
Keine Form, die sich löset,
Kein Schatten, der schwebt.
Und immer noch hör ich's:
Zu spät,zu spät.
MICHAEL KRÜGER
Hannah Arendt: "Ich selbst, auch ich tanze".
Die Gedichte.
Herausgegeben von Karin Biro. Piper Verlag, München 2015. 144 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum so spät? Erst jetzt, vierzig Jahre nach ihrem Tod, erscheint der erste Gedichtband von Hannah Arendt
Vierzig Jahre nach dem Tod der Sozialphilosophin Hannah Arendt erscheint nun ihr erster Gedichtband. Die Kenner wussten natürlich, dass sie Gedichte geschrieben hat. Wer sie aber lesen wollte, musste sie sich entweder aus der Biographie von Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendts "Denktagebüchern", aus den mittlerweile veröffentlichten Briefwechseln mit Martin Heidegger, Hermann Broch, Kurt Blumenfeld und Heinrich Blücher herausklauben oder sich den von Barbara Hahn und Marie-Luise Knott herausgegebenen Katalog "Von den Dichtern erwarten wir die Wahrheit" besorgen, der eine Ausstellung im Literaturhaus Berlin begleitet hat.
Das Interesse, um es vorwegzusagen, hielt sich vierzig Jahre lang in Grenzen. Keine "Frankfurter Anthologie", keine Sammlung dichtender Philosophinnen hat einen von Arendts Texten aufgenommen. Liegt das an der Qualität ihrer Gedichte oder daran, dass sie, als konzentrierte Botschaften an bestimmte Adressaten, ohne den Kontext der Briefe nicht verständlich sind?
Natürlich fragt man sich, ob Hannah Arendt selbst kein Interesse daran hatte, diese lyrischen Beilagen und Geschenke in einem Band zusammenzufassen, obwohl sie die Texte, zum Teil in mehreren Fassungen, sorgfältig aufbewahrt hat. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges wäre der Plan eines solchen Bandes sicher nicht zurückgewiesen worden. Aber man muss eben nicht alles veröffentlichen, was man geschrieben hat. Oder man überlässt es den Nachlassverwaltern, die über die wüsten Halden des Nochnichtgedruckten ziehen und nach Nahrung suchen.
Da eine brauchbare Gesamtausgabe der Schriften Hannah Arendts noch nicht existiert, bleiben ohnehin viele editorische Fragen offen. Der vorliegende Band verzichtet ganz auf einen Herausgeber. Dafür geben sich Karin Biro, Dozentin an einem nicht näher bezeichneten Institut für politische Wissenschaften in Paris, die diesen Band angeregt hat, und die Verfasserin des Nachworts, Irmela von der Lühe, mit Erfolg alle Mühe, so wenig wie möglich zu den Gedichten zu sagen. Warum hat Karin Biro, von der im Impressum behauptet wird, sie sei Verfasserin einer offenbar titellosen Studie zur Dichtung Hannah Arendts, nicht ein kenntnisreiches Nachwort geschrieben? So darf also Irmela von der Lühe schreiben: "In der Konstellation mit Heidegger, der ihr seinerseits in Gedichtform schrieb, haben Hannah Arendts Gedichte selbstverständlich einen anderen Gehalt als in Fällen, da ein Naturereignis fixiert oder eines Toten gedacht wird."
Selbstverständlich, kann man da nur sagen. Wenn man das ambitionierte Nachwort zuerst gelesen hat, in der Hoffnung, etwas über die Entstehung dieses eigentümlichen Bandes zu erfahren, hat man schon fast die Lust auf die Gedichte verloren. "Hannah Arendt hat auch ihre ,abstrakten' Texte aus einem sicheren Gespür für Spannungssteigerung und Aufmerksamkeitslenkung komponiert; auch in Werken der politischen Theorie oder solchen, die der philosophischen Tradition gewidmet sind, pflegt sie gelegentlich Neugier durch rhetorische Effekte zu befriedigen und Erkenntnis durch geschickt plazierte Exempel zu vermitteln. In all dem zeigt sie sich antiker Rhetorik und Stilistik verpflichtet, zudem aber einer philosophischen Argumentationslehre, die dem analytischen Erzählen, also einem Denken in Anekdoten, sehr verbunden ist. Ohne dass sie es explizit gemacht hätte, bewegt sie sich damit in einer literarischen Tradition, deren frühe Kodifizierung in der aristotelischen Poetik erfolgte." So weit, so gut, besser kann man nicht charakterisieren, was Hannah Arendt geschrieben hat.
Und die Gedichte selbst? Meines Erachtens wäre es besser gewesen, die Texte in ihrem Kontext zu belassen. Die von ihrer tiefen Liebe zu Heidegger zeugenden Gedichte entfalten nur im Zusammenhang der Korrespondenz ihre Wucht; die Epitaphe auf Benjamin und Broch und Erich Neumann oder ein langes Gedicht zum siebzigsten Geburtstag ihres Freundes Kurt Blumenfeld sind Gelegenheitsarbeiten, wenn auch aus ernstem Anlass. Es gibt Gedichte, die im Hölderlin-Maß dahinschreiten, und andere, die Hannah Arendts Lektüre von Heine verraten oder auch von Morgenstern. Nur in den ganz frühen Gedichten trifft sie manchmal einen Ton, der wirklich aufhorchen lässt und den man nicht vergisst. So lautet das erste erhaltene Gedicht der damals Siebzehnjährigen:
Kein Wort bricht ins Dunkel
Kein Gott hebt die Hand -
Wohin ich auch blicke
Sich türmendes Land.
Keine Form, die sich löset,
Kein Schatten, der schwebt.
Und immer noch hör ich's:
Zu spät,zu spät.
MICHAEL KRÜGER
Hannah Arendt: "Ich selbst, auch ich tanze".
Die Gedichte.
Herausgegeben von Karin Biro. Piper Verlag, München 2015. 144 S., geb., 20,- [Euro].
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»Arendt zeigt hier eine ganz andere, durchaus aufschlussreiche Seite ihres Wesens und Schaffens, die für ihre publizistische Arbeit stests wichtig war.« Pforzheimer Kurier 20170104