Produktdetails
- edition münchen
- Verlag: Bibliothek der Provinz
- Seitenzahl: 26
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 172g
- ISBN-13: 9783901862106
- ISBN-10: 3901862102
- Artikelnr.: 11831885
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2004Der Liebhaber
Ein Jahrhundertleben: Neues von und über George Tabori
In seiner eigenen Darstellung glänzt der Darstellungskünstler am schönsten: George Tabori, nun mit neunzig Jahren der dienstälteste Theatermacher der Welt - "Shakespeare hat sich schon mit vierundfünfzig Jahren zurückgezogen" -, gab ein getipptes Manuskript frei, das in der kleinen Bibliothek der Provinz als Faksimile samt handschriftlichen Korrekturen, Einfügungen, Umstellungen erschienen ist. In der anmutig-absurden Petitesse treibt eine deutsche Übersetzung von Shakespeares Sonett Nummer 130 eine Frau in den Selbstmord, weil sie einige Zeilen fatalerweise auf sich bezieht: "Wenn Schnee weiß ist, so ist ihr Busen fahl." Der zuständige Dolmetscher wird zum Tode verurteilt und landet im Himmel zur Linken des verehrten William Shakespeare, dem er beglückt seine Nachdichtung vorträgt, worauf dieser lakonisch antwortet: "Sorry, old boy, ich versteh' nix deutsch."
Kunst und Leben überschneiden sich auf diesen sechsundzwanzig Seiten wie das Erhabene und das Lächerliche. Die große Liebe des einen ist dem anderen ein Buch mit sieben Siegeln und alles zusammen der Stoff, aus dem die Träume und vermutlich auch das kosmische, schwebende, abgründige Gelächter George Taboris sind. Dem hübschen Manuskript attestierte der Schwarzhumorist tiefstaplerisch selbst "Küchen-Deutsch", da er sonst ausschließlich auf englisch zu schreiben pflege, gleichwohl die meisten seiner Stücke übersetzt in Deutschland uraufgeführt wurden.
"Ungarisch ist meine Muttersprache, Englisch ist meine Vatersprache, Deutsch ist meine Tantensprache", wird Tabori von Anat Feinberg in der Biographie zitiert, die sie für die dtv-Reihe verfaßt hat. Die aus Tel Aviv stammende Literaturwissenschaftlerin schildert darin so wohlwollend wie nüchtern sein bewegtes Jahrhundertleben: Von der Geburt des Sonntagskindes am 24. Mai 1914 in Budapest als zweitem Sohn akkulturierter jüdischer Eltern, denen dieser Wochentag und nicht der Sabbat heilig war, über die Emigration 1935 nach London bis zur endgültigen Rückkehr nach Europa 1971, wo er, nach Engagements etwa in Bremen, München und Wien, seit 1999 am Berliner Ensemble tätig ist.
Anhand der kompakt aufbereiteten Chronologie entfaltet sie Taboris künstlerisches OEuvre und erhellt die historischen Konstellationen für dessen Entstehung. Das können die ökonomischen Zwänge in der von Tabori als "Salatsystem" mißbilligten Glamourfabrik Hollywood sein, wo zwischen 1947 und 1970 seine Filmprojekte inklusive einer Adaption von Thomas Manns "Zauberberg" mit Greta Garbo und Montgomery Clift scheiterten. Oder der Holocaust, der Taboris Familie weitgehend vernichtet hatte. Aus der unaufhörlichen Beschäftigung mit diesem Trauma entwickelte er sein Theater, das kraftvoll ungeniert den Freudschen Dreisprung aus "Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten" vollzieht. Bereits 1952 formulierte er anläßlich der Uraufführung seines ersten Bühnenstücks "Flight to Egypt" durch Elia Kazan in New York als ästhetisches Credo: "Ich hatte nicht vor zu gefallen. Ich wollte irritieren, stören und schockieren; die Zuschauer in Spannung halten, sie nach Hause schicken, ungeläutert, mit der Erinnerung an den Schmerz."
In Deutschland gelang Tabori mit fast sechzig Jahren der Durchbruch. Die Zeit begann, ungeachtet diverser politischer wie stammtischtrüber Attacken, reif für seine persönliche wie experimentelle Art zu werden, über Schuld, Verantwortung, die Dialektik von Täter und Opfer zu reflektieren. Allerdings weist Feinberg auch darauf hin, daß Tabori, dem seit den neunziger Jahren als "Everybody's darling" mit Etiketten wie Theater-Guru, Magier, Altmeister gehuldigt wird, gut zehn Jahre zuvor noch "zeitweilig einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe" stellen mußte, während seine Münchener Schauspieltruppe von ABM-Geldern lebte.
Zusammen mit der Zeittafel, einem Werkverzeichnis, einer soliden Auswahlbibliographie, einer knappen, aber beredten Fotoauswahl sowie mannigfachen Anmerkungen vermittelt Anat Feinberg ein so facettenreiches wie, allen anekdotischen Ausschweifungen des souverän zwischen Dichtung und Wahrheit wechselnden Causeurs Tabori zum Trotz, präzises Porträt. Jedoch ist es in einem derart hölzernen Trockendeutsch geschrieben, daß die Qualitäten hinsichtlich Recherchen und Quellenstudium manchmal zu verschwinden drohen: Schlecht zu lesen, gut zum Nachschlagen.
Nicht als Regisseur - damit assoziiert er "Regime und Regierung" -, sondern als "Playmaker" bezeichnet George Tabori seine Funktion am Theater. "Der Spielmacher" heißt nun auch die von Wend Kässens herausgegebene Gesprächssammlung, die der Wagenbach Verlag statt des angekündigten zweiten Teils von Taboris Autobiographie herausgebracht hat. Die Annäherung des Feuilletons an den Künstler läßt sich in diesen zwischen 1976 und 2000 entstandenen Interviews ebenso verfolgen wie die Verschiebung des öffentlichen Interesses vom Staunen über den kühnen, bunten Vogel zur Bewunderung seiner gezielten Tabubrüche, seiner kreativ-vitalen Vielfalt.
George Tabori bleibt sich in den über die Jahre verstreuten Beiträgen insofern treu, als stets die Liebe, Neugier und Kompetenz zu merken ist, mit denen er Menschen wie Dingen begegnet - egal, ob es um das deutsche System der Stadttheater geht oder um Samuel Beckett, den er "die einfachste Stimme, die ich kenne", nennt, ob er über seine Art der antiautoritären Schauspielermotivation spricht, mit Hilfe deren er "Sein und Schein organisch zusammenbringen" will, oder über den Wunsch, Shakespeares "König Lear" zu inszenieren. Deswegen kratze es ihn nicht, als "Amateur" tituliert zu werden, was ja nichts anderes als Liebhaber bedeute. Solche Betrachtungen, mit Noblesse und Charme artikuliert, machen das sorgsam bebilderte, mit einem Glossar und einer Vita dezent ergänzte Buch, das nur leider kein Register aufweist, zu einem gescheiten Lesevergnügen.
Dieses bieten auch die nun gemeinsam wieder aufgelegten vier wichtigsten Romane Taboris, die zwischen 1992 und 1999 sukzessive auf deutsch erschienen. Übersetzt von seiner zweiten Ehefrau, Ursula Grützmacher-Tabori - seit 1985 ist er mit der Schauspielerin Ursula Höpfner verheiratet -, und ebenso von Wend Kässens ediert, frischen sie das Bild vom großen Fabulierer Tabori auf. Denn seit Beginn seiner Regie-Karriere hat er der Prosa den Rücken gekehrt und überwiegend Dramen geschrieben. Schade eigentlich, wie Peter Zadek 1992 betonte, der Taboris Kriminalroman "Ein guter Mord" (1947) etwa deshalb lobte, weil Tabori jede Situation "wie eine Szene mit Theatereklat" gestalte: "Dichte Atmosphäre, erregende Langeweile, gelegentlich Albernheit, natürlich immer Humor und Witz." Ähnlicher Beifall gebührte den anderen, desgleichen existentialistisch grundierten Romanen, die sich auf unterhaltsam-spannende Weise zudem mit der aktuellen politischen Lage beschäftigen. Sei es "Das Opfer" (1945), in dem sich im besetzten Slowenien ein Nazi-Offizier seiner moralischen Verantwortung stellt, "Gefährten zur linken Hand" (1946), in dem die Bevölkerung eines italienischen Badeortes gegen die faschistische Regierung revoltiert, oder "Tod in Port Aarif" (1951) über eine fiktive nahöstliche Provinzstadt und die Unabhängigkeitskämpfe nach 1945.
George Tabori, der Ausnahmekünstler, der wie ein amüsierter Bote zu den Deutschen kam und sie mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen suchte, indem er sie unsentimental damit konfrontierte, der sich die Welt als Spielwiese bewahren möchte und das Theater als Laboratorium für grenzüberschreitende Wahrhaftigkeit, der als erster nicht primär deutsch schreibender Autor 1992 den Georg-Büchner-Preis erhielt, nimmt so herzlich wie entschlossen, aber nie habgierig oder pädagogisch die Sprache ganz einfach beim Wort. Oder nimmt das Wort die Sprache beim Tabori? Verdient haben's alle beide.
IRENE BAZINGER
George Tabori: "Ich versteh' nix deutsch". Ein Manuskript. edition münchen, Bibliothek der Provinz, Weitra 2003. 26 S., geb., 12,- [Euro].
George Tabori: "Die Romane". Ein guter Mord, Tod in Port Aarif, Gefährten zur linken Hand, Das Opfer. Herausgegeben von Wend Kässens. Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori. Steidl Verlag, Göttingen 2004. 1072 S., geb., 49,- [Euro] .
Anat Feinberg: "George Tabori". Deutscher Taschenbuch Verlag München 2003. 189 S., br., 10,- [Euro].
"Der Spielmacher". Gespräch mit George Tabori. Herausgegeben von Wend Kässens. Wagenbach Verlag, Berlin 2004. 158 S., geb., 20,10 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Jahrhundertleben: Neues von und über George Tabori
In seiner eigenen Darstellung glänzt der Darstellungskünstler am schönsten: George Tabori, nun mit neunzig Jahren der dienstälteste Theatermacher der Welt - "Shakespeare hat sich schon mit vierundfünfzig Jahren zurückgezogen" -, gab ein getipptes Manuskript frei, das in der kleinen Bibliothek der Provinz als Faksimile samt handschriftlichen Korrekturen, Einfügungen, Umstellungen erschienen ist. In der anmutig-absurden Petitesse treibt eine deutsche Übersetzung von Shakespeares Sonett Nummer 130 eine Frau in den Selbstmord, weil sie einige Zeilen fatalerweise auf sich bezieht: "Wenn Schnee weiß ist, so ist ihr Busen fahl." Der zuständige Dolmetscher wird zum Tode verurteilt und landet im Himmel zur Linken des verehrten William Shakespeare, dem er beglückt seine Nachdichtung vorträgt, worauf dieser lakonisch antwortet: "Sorry, old boy, ich versteh' nix deutsch."
Kunst und Leben überschneiden sich auf diesen sechsundzwanzig Seiten wie das Erhabene und das Lächerliche. Die große Liebe des einen ist dem anderen ein Buch mit sieben Siegeln und alles zusammen der Stoff, aus dem die Träume und vermutlich auch das kosmische, schwebende, abgründige Gelächter George Taboris sind. Dem hübschen Manuskript attestierte der Schwarzhumorist tiefstaplerisch selbst "Küchen-Deutsch", da er sonst ausschließlich auf englisch zu schreiben pflege, gleichwohl die meisten seiner Stücke übersetzt in Deutschland uraufgeführt wurden.
"Ungarisch ist meine Muttersprache, Englisch ist meine Vatersprache, Deutsch ist meine Tantensprache", wird Tabori von Anat Feinberg in der Biographie zitiert, die sie für die dtv-Reihe verfaßt hat. Die aus Tel Aviv stammende Literaturwissenschaftlerin schildert darin so wohlwollend wie nüchtern sein bewegtes Jahrhundertleben: Von der Geburt des Sonntagskindes am 24. Mai 1914 in Budapest als zweitem Sohn akkulturierter jüdischer Eltern, denen dieser Wochentag und nicht der Sabbat heilig war, über die Emigration 1935 nach London bis zur endgültigen Rückkehr nach Europa 1971, wo er, nach Engagements etwa in Bremen, München und Wien, seit 1999 am Berliner Ensemble tätig ist.
Anhand der kompakt aufbereiteten Chronologie entfaltet sie Taboris künstlerisches OEuvre und erhellt die historischen Konstellationen für dessen Entstehung. Das können die ökonomischen Zwänge in der von Tabori als "Salatsystem" mißbilligten Glamourfabrik Hollywood sein, wo zwischen 1947 und 1970 seine Filmprojekte inklusive einer Adaption von Thomas Manns "Zauberberg" mit Greta Garbo und Montgomery Clift scheiterten. Oder der Holocaust, der Taboris Familie weitgehend vernichtet hatte. Aus der unaufhörlichen Beschäftigung mit diesem Trauma entwickelte er sein Theater, das kraftvoll ungeniert den Freudschen Dreisprung aus "Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten" vollzieht. Bereits 1952 formulierte er anläßlich der Uraufführung seines ersten Bühnenstücks "Flight to Egypt" durch Elia Kazan in New York als ästhetisches Credo: "Ich hatte nicht vor zu gefallen. Ich wollte irritieren, stören und schockieren; die Zuschauer in Spannung halten, sie nach Hause schicken, ungeläutert, mit der Erinnerung an den Schmerz."
In Deutschland gelang Tabori mit fast sechzig Jahren der Durchbruch. Die Zeit begann, ungeachtet diverser politischer wie stammtischtrüber Attacken, reif für seine persönliche wie experimentelle Art zu werden, über Schuld, Verantwortung, die Dialektik von Täter und Opfer zu reflektieren. Allerdings weist Feinberg auch darauf hin, daß Tabori, dem seit den neunziger Jahren als "Everybody's darling" mit Etiketten wie Theater-Guru, Magier, Altmeister gehuldigt wird, gut zehn Jahre zuvor noch "zeitweilig einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe" stellen mußte, während seine Münchener Schauspieltruppe von ABM-Geldern lebte.
Zusammen mit der Zeittafel, einem Werkverzeichnis, einer soliden Auswahlbibliographie, einer knappen, aber beredten Fotoauswahl sowie mannigfachen Anmerkungen vermittelt Anat Feinberg ein so facettenreiches wie, allen anekdotischen Ausschweifungen des souverän zwischen Dichtung und Wahrheit wechselnden Causeurs Tabori zum Trotz, präzises Porträt. Jedoch ist es in einem derart hölzernen Trockendeutsch geschrieben, daß die Qualitäten hinsichtlich Recherchen und Quellenstudium manchmal zu verschwinden drohen: Schlecht zu lesen, gut zum Nachschlagen.
Nicht als Regisseur - damit assoziiert er "Regime und Regierung" -, sondern als "Playmaker" bezeichnet George Tabori seine Funktion am Theater. "Der Spielmacher" heißt nun auch die von Wend Kässens herausgegebene Gesprächssammlung, die der Wagenbach Verlag statt des angekündigten zweiten Teils von Taboris Autobiographie herausgebracht hat. Die Annäherung des Feuilletons an den Künstler läßt sich in diesen zwischen 1976 und 2000 entstandenen Interviews ebenso verfolgen wie die Verschiebung des öffentlichen Interesses vom Staunen über den kühnen, bunten Vogel zur Bewunderung seiner gezielten Tabubrüche, seiner kreativ-vitalen Vielfalt.
George Tabori bleibt sich in den über die Jahre verstreuten Beiträgen insofern treu, als stets die Liebe, Neugier und Kompetenz zu merken ist, mit denen er Menschen wie Dingen begegnet - egal, ob es um das deutsche System der Stadttheater geht oder um Samuel Beckett, den er "die einfachste Stimme, die ich kenne", nennt, ob er über seine Art der antiautoritären Schauspielermotivation spricht, mit Hilfe deren er "Sein und Schein organisch zusammenbringen" will, oder über den Wunsch, Shakespeares "König Lear" zu inszenieren. Deswegen kratze es ihn nicht, als "Amateur" tituliert zu werden, was ja nichts anderes als Liebhaber bedeute. Solche Betrachtungen, mit Noblesse und Charme artikuliert, machen das sorgsam bebilderte, mit einem Glossar und einer Vita dezent ergänzte Buch, das nur leider kein Register aufweist, zu einem gescheiten Lesevergnügen.
Dieses bieten auch die nun gemeinsam wieder aufgelegten vier wichtigsten Romane Taboris, die zwischen 1992 und 1999 sukzessive auf deutsch erschienen. Übersetzt von seiner zweiten Ehefrau, Ursula Grützmacher-Tabori - seit 1985 ist er mit der Schauspielerin Ursula Höpfner verheiratet -, und ebenso von Wend Kässens ediert, frischen sie das Bild vom großen Fabulierer Tabori auf. Denn seit Beginn seiner Regie-Karriere hat er der Prosa den Rücken gekehrt und überwiegend Dramen geschrieben. Schade eigentlich, wie Peter Zadek 1992 betonte, der Taboris Kriminalroman "Ein guter Mord" (1947) etwa deshalb lobte, weil Tabori jede Situation "wie eine Szene mit Theatereklat" gestalte: "Dichte Atmosphäre, erregende Langeweile, gelegentlich Albernheit, natürlich immer Humor und Witz." Ähnlicher Beifall gebührte den anderen, desgleichen existentialistisch grundierten Romanen, die sich auf unterhaltsam-spannende Weise zudem mit der aktuellen politischen Lage beschäftigen. Sei es "Das Opfer" (1945), in dem sich im besetzten Slowenien ein Nazi-Offizier seiner moralischen Verantwortung stellt, "Gefährten zur linken Hand" (1946), in dem die Bevölkerung eines italienischen Badeortes gegen die faschistische Regierung revoltiert, oder "Tod in Port Aarif" (1951) über eine fiktive nahöstliche Provinzstadt und die Unabhängigkeitskämpfe nach 1945.
George Tabori, der Ausnahmekünstler, der wie ein amüsierter Bote zu den Deutschen kam und sie mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen suchte, indem er sie unsentimental damit konfrontierte, der sich die Welt als Spielwiese bewahren möchte und das Theater als Laboratorium für grenzüberschreitende Wahrhaftigkeit, der als erster nicht primär deutsch schreibender Autor 1992 den Georg-Büchner-Preis erhielt, nimmt so herzlich wie entschlossen, aber nie habgierig oder pädagogisch die Sprache ganz einfach beim Wort. Oder nimmt das Wort die Sprache beim Tabori? Verdient haben's alle beide.
IRENE BAZINGER
George Tabori: "Ich versteh' nix deutsch". Ein Manuskript. edition münchen, Bibliothek der Provinz, Weitra 2003. 26 S., geb., 12,- [Euro].
George Tabori: "Die Romane". Ein guter Mord, Tod in Port Aarif, Gefährten zur linken Hand, Das Opfer. Herausgegeben von Wend Kässens. Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori. Steidl Verlag, Göttingen 2004. 1072 S., geb., 49,- [Euro] .
Anat Feinberg: "George Tabori". Deutscher Taschenbuch Verlag München 2003. 189 S., br., 10,- [Euro].
"Der Spielmacher". Gespräch mit George Tabori. Herausgegeben von Wend Kässens. Wagenbach Verlag, Berlin 2004. 158 S., geb., 20,10 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.05.2003Der wahre Name
„Ich versteh’ nix Deutsch”: Wenn
Shakespeare Tabori zulächelt
Nehmen wir an, einer heißt Emilio Lopez-Leibowitz, dann kann es natürlich sein, dass er so heißt. Aber nicht, wenn er in einer Geschichte vorkommt, die George Tabori erzählt. Nehmen wir an, eine heißt Esmeralda Wurst, dann kann es natürlich sein, dass sie so heißt. Aber nicht, wenn sie in einer Geschichte vorkommt, die George Tabori erzählt. Also steht hinter beiden, in Klammern: „(der wahre Name ist aus religiösen Gründen geändert)”.
Es geht aber gar nicht um Religion. Es geht um ein Sonett von Shakespeare, das Emilio Lopez-Leibowitz übersetzt. Es geht um Esmeraldas Pulsader, nachdem sie die Zeile WENN SCHNEE WEISS IST / SO IST IHR BUSEN FAHL angehört hat. Es geht um Geheimagenten und die Hinrichtung des Übersetzers und darum, dass Shakespeare kein Deutsch versteht.
Und es geht um das Deutsch, das George Tabori von Kindheit an umgeben hat und in dem er hier im Alter zum ersten Mal schreibt. Auf der Schreibmaschine, mit handschriftlichen Korrekturen: alles getreulich faksimiliert.
Am meisten geht es um den 89. Geburtstag des George Tabori am heutigen 24. Mai 2003. Und darum, das einem Shakespeare zulächelt, wenn man in den Himmel kommt.
lmue
GEORGE TABORI: Ich versteh’ nix Deutsch. Ein Manuskript. edition münchen/bibliothek der Provinz, München 2003. 26 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
„Ich versteh’ nix Deutsch”: Wenn
Shakespeare Tabori zulächelt
Nehmen wir an, einer heißt Emilio Lopez-Leibowitz, dann kann es natürlich sein, dass er so heißt. Aber nicht, wenn er in einer Geschichte vorkommt, die George Tabori erzählt. Nehmen wir an, eine heißt Esmeralda Wurst, dann kann es natürlich sein, dass sie so heißt. Aber nicht, wenn sie in einer Geschichte vorkommt, die George Tabori erzählt. Also steht hinter beiden, in Klammern: „(der wahre Name ist aus religiösen Gründen geändert)”.
Es geht aber gar nicht um Religion. Es geht um ein Sonett von Shakespeare, das Emilio Lopez-Leibowitz übersetzt. Es geht um Esmeraldas Pulsader, nachdem sie die Zeile WENN SCHNEE WEISS IST / SO IST IHR BUSEN FAHL angehört hat. Es geht um Geheimagenten und die Hinrichtung des Übersetzers und darum, dass Shakespeare kein Deutsch versteht.
Und es geht um das Deutsch, das George Tabori von Kindheit an umgeben hat und in dem er hier im Alter zum ersten Mal schreibt. Auf der Schreibmaschine, mit handschriftlichen Korrekturen: alles getreulich faksimiliert.
Am meisten geht es um den 89. Geburtstag des George Tabori am heutigen 24. Mai 2003. Und darum, das einem Shakespeare zulächelt, wenn man in den Himmel kommt.
lmue
GEORGE TABORI: Ich versteh’ nix Deutsch. Ein Manuskript. edition münchen/bibliothek der Provinz, München 2003. 26 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Von wegen: Natürlich versteht er Deutsch und spricht es auch. Nur geschrieben hat er bisher nicht in Deutsch, sondern in Englisch. Dies aber ist, veröffentlicht als Gabe zum 89. Geburtstag, George Taboris erster deutscher Text und drum, wie Peter Roos unumwunden feststellt, "eine kleine literarische Sensation". Aber nicht nur darum, denn auch als literarischer Text habe dieses Dramolett von 15 Seiten großen Reiz. Ein hingerichteter Übersetzer landet im Himmel, trifft Shakespeare, der aber, kann nur sagen: "Sorry, ich versteh' nix Deutsch." In diesem Faksimile, das alle Tippfehler und handschriftlichen Notizen abbildet, steckt, meint Roos, der ganze Tabori drin: "ein ganzes Text- und Theater-Leben kondensiert". Scherz, der mit dem Ernst getrieben wird, das Produkt, das seine Entstehung mit vorführt, eine wunderbare "Wiener Melange", so Roos, dem das eine "Gänsehaut" bereitet hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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