Nach links ... geradeaus ... nach rechts ... geradeaus ... Das Erdmännchen bewundert seine Zoonachbarn: die Schimpansen, die so tollen Quatsch machen, die Bären, die so stark sind, und natürlich den König der Tiere, den Löwen. Aber wüsste das Erdmännchen, wie sehr die Tiere es für seine Schnelligkeit bewundern, es würde vor Überraschung ins nächste Erdloch purzeln!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.201212. Der flauschige Blitz
Ist wahrscheinlich auch nicht ganz leicht, wenn dich alle so irre nett finden und süß. Das Leben als Erdmännchen also ist wahrscheinlich etwas kompliziert. Im Zoo zum Beispiel: Kaum ist man aus seiner Erdhöhle geschlüpft, hat sich aufgerichtet, Blick nach rechts, geradeaus, Blick nach links, schon kräht es von der anderen Seite des Zaunes: "Oooooohh - wie niedlich!" Und: "Kann ich den mitnehmen?" Nein, den kann man nicht mitnehmen, denn Erdmännchen sind als Haustiere ungeeignet. Graben wohl zu viel oder sind zu nervös, oder das Fell ist ganz schnell durchgestreichelt, ich weiß nicht genau, warum. Weil man also jedenfalls kein echtes Erdmännchen zu Hause haben darf, hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte Erdmännchen-Industrie entwickelt. Erdmännchen-Solarleuchten auf dem Stab für den Garten, Erdmännchen-Korkenzieher, -Kalender, -Tassen, -Schneekugeln. Und jetzt gibt es ein sehr sympathisches Kinderbuch, so für Zwei-, Dreijährige vielleicht, das das Schicksal der Streichelopfer einmal von innen heraus beschreibt und malt. Es ist nämlich so, dass Erdmännchen - also dieses hier zumindest, mit verwirrter Rentnerfrisur, Schweinenase und Augenringen - am liebsten jemand anderes wäre. Es ist also ein Buch von großer Lebensklugheit, ein Buch über die Zufriedenheit als Lebenskunst wie die Briefe Peter Handkes an Hermann Lenz, Tolstois Erzählung "Wie viel Erde braucht der Mensch" oder das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Das beliebteste Tier der Welt also möchte unbedingt mal jemand ganz anderes sein. Ein Bär zum Beispiel, um bärenstark zu werden, oder ein Löwe. Am liebsten aber ein Schimpanse: "Ich wär so gern Schimpanse, die machen so toll Quatsch!", denkt es sich und sieht dem Äffchen zu, das an einer Liane baumelt, in der Nase bohrt und einer Ameise beim Blättertransport zusieht. Ab der Hälfte des Buchs wendet sich das Blatt. Ein Schatten tritt ins Bild, mit Kanonenkugel am Seil - oder sind das nur Ballons? Jedenfalls ist es ein guter Anlass für unseren flinken Helden, das zu tun, was er am besten kann: pfeifen und in ein Erdloch schlüpfen wie ein flauschiger Blitz. So - und jetzt können Sie mal Tiere staunen sehen. Der Löwe, der Bär, der Schimpanse, die sich eben noch im Ruhme sonnten, dass das beliebteste Tier der Welt mit ihnen tauschen wollte, sie sind jetzt alle plötzlich voller Neid und Erdmännchensehnsucht. Der Bär wäre gern so schnell. Der Schimpanse wäre gern so aufmerksam. Der Löwe wäre froh, wenn alle nach seiner Pfeife tanzten, so wie bei dem Minihelden in der Höhle. Am Ende bleibt jeder, wer er ist. Ist eben kein Zauberbuch. Aber schön.
Volker Weidermann
Werner Holzwarth, Stefanie Jeschke: "Ich wär so gern . . . dachte das Erdmännchen". Gerstenberg, 40 Seiten, 12,95 Euro
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Ist wahrscheinlich auch nicht ganz leicht, wenn dich alle so irre nett finden und süß. Das Leben als Erdmännchen also ist wahrscheinlich etwas kompliziert. Im Zoo zum Beispiel: Kaum ist man aus seiner Erdhöhle geschlüpft, hat sich aufgerichtet, Blick nach rechts, geradeaus, Blick nach links, schon kräht es von der anderen Seite des Zaunes: "Oooooohh - wie niedlich!" Und: "Kann ich den mitnehmen?" Nein, den kann man nicht mitnehmen, denn Erdmännchen sind als Haustiere ungeeignet. Graben wohl zu viel oder sind zu nervös, oder das Fell ist ganz schnell durchgestreichelt, ich weiß nicht genau, warum. Weil man also jedenfalls kein echtes Erdmännchen zu Hause haben darf, hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte Erdmännchen-Industrie entwickelt. Erdmännchen-Solarleuchten auf dem Stab für den Garten, Erdmännchen-Korkenzieher, -Kalender, -Tassen, -Schneekugeln. Und jetzt gibt es ein sehr sympathisches Kinderbuch, so für Zwei-, Dreijährige vielleicht, das das Schicksal der Streichelopfer einmal von innen heraus beschreibt und malt. Es ist nämlich so, dass Erdmännchen - also dieses hier zumindest, mit verwirrter Rentnerfrisur, Schweinenase und Augenringen - am liebsten jemand anderes wäre. Es ist also ein Buch von großer Lebensklugheit, ein Buch über die Zufriedenheit als Lebenskunst wie die Briefe Peter Handkes an Hermann Lenz, Tolstois Erzählung "Wie viel Erde braucht der Mensch" oder das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Das beliebteste Tier der Welt also möchte unbedingt mal jemand ganz anderes sein. Ein Bär zum Beispiel, um bärenstark zu werden, oder ein Löwe. Am liebsten aber ein Schimpanse: "Ich wär so gern Schimpanse, die machen so toll Quatsch!", denkt es sich und sieht dem Äffchen zu, das an einer Liane baumelt, in der Nase bohrt und einer Ameise beim Blättertransport zusieht. Ab der Hälfte des Buchs wendet sich das Blatt. Ein Schatten tritt ins Bild, mit Kanonenkugel am Seil - oder sind das nur Ballons? Jedenfalls ist es ein guter Anlass für unseren flinken Helden, das zu tun, was er am besten kann: pfeifen und in ein Erdloch schlüpfen wie ein flauschiger Blitz. So - und jetzt können Sie mal Tiere staunen sehen. Der Löwe, der Bär, der Schimpanse, die sich eben noch im Ruhme sonnten, dass das beliebteste Tier der Welt mit ihnen tauschen wollte, sie sind jetzt alle plötzlich voller Neid und Erdmännchensehnsucht. Der Bär wäre gern so schnell. Der Schimpanse wäre gern so aufmerksam. Der Löwe wäre froh, wenn alle nach seiner Pfeife tanzten, so wie bei dem Minihelden in der Höhle. Am Ende bleibt jeder, wer er ist. Ist eben kein Zauberbuch. Aber schön.
Volker Weidermann
Werner Holzwarth, Stefanie Jeschke: "Ich wär so gern . . . dachte das Erdmännchen". Gerstenberg, 40 Seiten, 12,95 Euro
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