Als Pioniere des Elektronischen Minimalismus waren Kraftwerk in den 70er und 80er Jahren Vorbild unzähliger Bands von Depeche Mode bis OMD, The Prodigy und Fat Boy Slim. Mit Stücken wie 'Autobahn', 'Wir sind die Roboter' oder 'Das Model' haben sie die Grenzen dessen durchbrochen, was man damals im Allgemeinen als Pop bezeichnete. 1973 fanden die Kraftwerk-Gründer Florian Schneider-Esleben und Ralf Hütter in Wolfgang Flür einen perfekten Drummer, der bis 1986 bei der Gruppe blieb. In diesem Buch berichtet er von seiner bewegten Zeit in einer der weltweit innovativsten Bands und erzählt aus seinem Leben, nachdem er von den Robotern Abschied genommen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Und wann fängt die Musik an?
Das ist moderner Rhythmus: Selbst der König der Trommler hätte bei Kraftwerk seine Krone eingebüßt / Von Michael Allmaier
Es war nicht die Zeit der Tasteninstrumente, als Robert Moog 1964 den ersten vollelektronischen Synthesizer konstruierte. Die Pop-Musik gehörte vor allem den Sängern und Gitarristen. Zwar waren die tonangebenden Gruppen von den Beatles bis zu den Beach Boys stets auf der Suche nach neuen Klängen. Doch vor dem innovativsten Instrument schreckten sie wohl nicht nur aus Kostengründen zurück.
Virtuos spielen hieß bis dahin, ein widerspenstiges Gerät in den Griff zu bekommen. Und gerade die Rockgitarristen der Zeit zeigten sich gern als Liebhaber oder Folterknechte ihrer Instrumente auf der Bühne. Doch mit dem Synthesizer kam ein gehorsamer Diener, der alles tat, wenn man es ihm nur verständlich machte. Seine künstlerische Nutzung verlangte einen ganz anderen und alles andere als glamourösen Menschentyp: den Tüftler.
Elektronische Musik hörte man erst, als mit den siebziger Jahren die Ära der Studiomusiker begann. In dieser Zeit liegen auch die Anfänge einer selbständigen deutschen Popmusik. Freilich versuchten Synthesizerpioniere wie Klaus Schulze oder Tangerine Dream mit weichen, meditativen Klängen der Künstlichkeit ihrer Entstehung den Schrecken zu nehmen. Heute findet man die meisten dieser Aufnahmen in den New-Age-Abteilungen der Musikgeschäfte.
Die große Ausnahme war Kraftwerk. Hier hießen die Stücke "Ruckzuck" oder "Spule 4", und so klangen sie auch. Gegen das naturfromme Liedermachertum der deutsch singenden Dylan-Adepten setzte die Gruppe Nonsenstexte und eine Technikbegeisterung, die geradewegs an den Konstruktivismus der zwanziger Jahre anzuschließen schien. Mit der gleichen eisernen Konsequenz formte sie ihr Erscheinungsbild: nicht als Maschinenmeister, sondern als schlichte Bediener - gefühlsarm, gesichtslos, austauschbar. Bis heute haben selbst eingeschworene Verehrer der Düsseldorfer Gruppe Mühe, auch nur die Namen der Musiker zu nennen.
Um so interessanter ist es, wenn einer von ihnen jetzt Zeugnis ablegt. Wolfgang Flür spielte von 1972 bis 1990 elektronisches Schlagzeug. "Ich war ein Roboter" heißt sein Buch, das in einem österreichischen Kleinverlag erschienen ist. Es ist schwer zu sagen, was man von einem solchen Buch eigentlich erwartet. Vielleicht wüsste man gerne, wie eine "Ananasymphonie" oder eine Hommage an Franz Schubert in das Gesamtwerk passen. Wie eine Gruppe, die ein ganzes Album lang "Radioaktivität" besingt, auf einem Konzert gegen Atomkraft spielen kann. Oder wie sie den Typus des Wernher-von-Braun-Deutschen so erfolgreich im Ausland in Szene setzen konnte.
Leider gehörte Wolfgang Flür nicht zum schöpferischen Kern von "Kraftwerk", der wohl nur aus Ralf Hütter und Florian Schneider besteht. Er nennt sich selbst bescheiden den Ringo Starr der Gruppe. Sein Buch ist vor allem eine Autobiographie, die mit Kindheitserinnerungen beginnt und mit der unvermeidlichen Eigenwerbung für seine neuen Vorhaben endet. Doch dank dem flotten und unprätentiösen Erzählstil des Verfassers wird man kaum versucht, diese Passagen zu überblättern.
Interessanter sind freilich die Einblicke in die Arbeit von Kraftwerk. Wo Ralf Hütter die Entwicklung der Gruppe stets als minutiös durchgeplantes Projekt darstellt, betont Flür den Zufall. Nach seinen Worten entstand das Image 1974 mit den Konzerten in den Vereinigten Staaten, wo man in Ermangelung einer Bühnenshow beschloss, das Stereotyp vom maschinenhaft kalten Deutschen auf die Spitze zu treiben. Der Erfolg der "Autobahn"-Tournee erweiterte dieses Konzept um die Erfahrung des Ruhms, die in dem Stück "Schaufensterpuppen" musikalischen Ausdruck fand. Von dort war es nicht mehr weit zum nächsten Album: "Die Menschmaschine" präsentierte die Musiker als Roboter und eine Gruppe lebensnaher Platzhalterpuppen als die eigentlichen Stars.
Auch das war laut Flür durchaus ironisch gemeint. Aber es barg doch eine bedenkliche Wahrheit: Dank des Fortschritts in der Synthesizertechnik konnten die Musiker inzwischen ganze Konzerte programmieren. Dass sie noch auf der Bühne standen und Tasten drückten, war tatsächlich nurmehr eine Showeinlage. Am härtesten traf das natürlich Flür und Karl Bartos, die Schlagzeuger, die nicht mehr gebraucht wurden.
"Ich war ein Roboter" erzählt die Geschichte eines begabten Musikers, der an Genies gerät und ihre Herablassung fühlt. Trotzdem versagt Flür sich eine der genreüblichen Abrechnungen und bleibt allem Anschein nach fair, auch wenn seine Erinnerungen an technische Pannen dem Image der Gruppe kaum förderlich sind. Fans befürchten, dass die Musiker, die schon gegen ein anderes Buch juristisch vorgegangen sind, auch diesmal die Gerichte bemühen werden. Wie heißt es in einem Liedtext von 1977? "Sogar die größten Stars / mögen sich nicht im Spiegelglas."
Anhänger der Gruppe werden in dem Buch viele Neuigkeiten finden. Man erfährt, wer das "Model" war und dass die Textzeile "Sekt? Korrekt!" aus dem Mund eines Düsseldorfer Szenekellners stammt, der damit wohl jahrelang seine Gäste malträtierte. Doch trotz solcher Schlaglichter bleibt das Bild merkwürdig unscharf, was wohl daran liegt, dass der Autor jede Auseinandersetzung mit der Philosophie von Kraftwerk unterlässt. Die Schilderung gruppendynamischer Prozesse und sexueller Eskapaden ("Karl war auch kein Kostverächter"), so amüsant sie in diesem Zusammenhang sein mag, bietet dafür keinen ausreichenden Ersatz.
Denn Musikgeschichte schrieb die Gruppe nicht so sehr mit ihren wenigen Hits, auch wenn "Fahrn auf der Autobahn" nun wohl zu den weltweit bekanntesten Versen der deutsche Sprache zählt. Es war vor allem die Idee Kraftwerk, die Musiker wie David Bowie oder den englischen New Wave beeinflusste: Wer gegen die Technik bestehen will, muss selbst Techniker sein. Die Paradoxien von den austauschbaren Stars und den Emotionen aus dem Musikcomputer, die Kraftwerk spielerisch vertrat, sind in der Popmusik von heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Ob das der Zweck der Übung war, kann man auch nach der Lektüre des Buchs nur raten. Wolfgang Flür dreht einige Schrauben aus der Maschine. Doch ihr Geist bleibt weiterhin verborgen.
Wolfgang Flür: "Kraftwerk - Ich war ein Roboter". Hannibal Verlag, St. Andrä-Wördern 1999. 298 S., br., Abb., 38,- DM.
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Das ist moderner Rhythmus: Selbst der König der Trommler hätte bei Kraftwerk seine Krone eingebüßt / Von Michael Allmaier
Es war nicht die Zeit der Tasteninstrumente, als Robert Moog 1964 den ersten vollelektronischen Synthesizer konstruierte. Die Pop-Musik gehörte vor allem den Sängern und Gitarristen. Zwar waren die tonangebenden Gruppen von den Beatles bis zu den Beach Boys stets auf der Suche nach neuen Klängen. Doch vor dem innovativsten Instrument schreckten sie wohl nicht nur aus Kostengründen zurück.
Virtuos spielen hieß bis dahin, ein widerspenstiges Gerät in den Griff zu bekommen. Und gerade die Rockgitarristen der Zeit zeigten sich gern als Liebhaber oder Folterknechte ihrer Instrumente auf der Bühne. Doch mit dem Synthesizer kam ein gehorsamer Diener, der alles tat, wenn man es ihm nur verständlich machte. Seine künstlerische Nutzung verlangte einen ganz anderen und alles andere als glamourösen Menschentyp: den Tüftler.
Elektronische Musik hörte man erst, als mit den siebziger Jahren die Ära der Studiomusiker begann. In dieser Zeit liegen auch die Anfänge einer selbständigen deutschen Popmusik. Freilich versuchten Synthesizerpioniere wie Klaus Schulze oder Tangerine Dream mit weichen, meditativen Klängen der Künstlichkeit ihrer Entstehung den Schrecken zu nehmen. Heute findet man die meisten dieser Aufnahmen in den New-Age-Abteilungen der Musikgeschäfte.
Die große Ausnahme war Kraftwerk. Hier hießen die Stücke "Ruckzuck" oder "Spule 4", und so klangen sie auch. Gegen das naturfromme Liedermachertum der deutsch singenden Dylan-Adepten setzte die Gruppe Nonsenstexte und eine Technikbegeisterung, die geradewegs an den Konstruktivismus der zwanziger Jahre anzuschließen schien. Mit der gleichen eisernen Konsequenz formte sie ihr Erscheinungsbild: nicht als Maschinenmeister, sondern als schlichte Bediener - gefühlsarm, gesichtslos, austauschbar. Bis heute haben selbst eingeschworene Verehrer der Düsseldorfer Gruppe Mühe, auch nur die Namen der Musiker zu nennen.
Um so interessanter ist es, wenn einer von ihnen jetzt Zeugnis ablegt. Wolfgang Flür spielte von 1972 bis 1990 elektronisches Schlagzeug. "Ich war ein Roboter" heißt sein Buch, das in einem österreichischen Kleinverlag erschienen ist. Es ist schwer zu sagen, was man von einem solchen Buch eigentlich erwartet. Vielleicht wüsste man gerne, wie eine "Ananasymphonie" oder eine Hommage an Franz Schubert in das Gesamtwerk passen. Wie eine Gruppe, die ein ganzes Album lang "Radioaktivität" besingt, auf einem Konzert gegen Atomkraft spielen kann. Oder wie sie den Typus des Wernher-von-Braun-Deutschen so erfolgreich im Ausland in Szene setzen konnte.
Leider gehörte Wolfgang Flür nicht zum schöpferischen Kern von "Kraftwerk", der wohl nur aus Ralf Hütter und Florian Schneider besteht. Er nennt sich selbst bescheiden den Ringo Starr der Gruppe. Sein Buch ist vor allem eine Autobiographie, die mit Kindheitserinnerungen beginnt und mit der unvermeidlichen Eigenwerbung für seine neuen Vorhaben endet. Doch dank dem flotten und unprätentiösen Erzählstil des Verfassers wird man kaum versucht, diese Passagen zu überblättern.
Interessanter sind freilich die Einblicke in die Arbeit von Kraftwerk. Wo Ralf Hütter die Entwicklung der Gruppe stets als minutiös durchgeplantes Projekt darstellt, betont Flür den Zufall. Nach seinen Worten entstand das Image 1974 mit den Konzerten in den Vereinigten Staaten, wo man in Ermangelung einer Bühnenshow beschloss, das Stereotyp vom maschinenhaft kalten Deutschen auf die Spitze zu treiben. Der Erfolg der "Autobahn"-Tournee erweiterte dieses Konzept um die Erfahrung des Ruhms, die in dem Stück "Schaufensterpuppen" musikalischen Ausdruck fand. Von dort war es nicht mehr weit zum nächsten Album: "Die Menschmaschine" präsentierte die Musiker als Roboter und eine Gruppe lebensnaher Platzhalterpuppen als die eigentlichen Stars.
Auch das war laut Flür durchaus ironisch gemeint. Aber es barg doch eine bedenkliche Wahrheit: Dank des Fortschritts in der Synthesizertechnik konnten die Musiker inzwischen ganze Konzerte programmieren. Dass sie noch auf der Bühne standen und Tasten drückten, war tatsächlich nurmehr eine Showeinlage. Am härtesten traf das natürlich Flür und Karl Bartos, die Schlagzeuger, die nicht mehr gebraucht wurden.
"Ich war ein Roboter" erzählt die Geschichte eines begabten Musikers, der an Genies gerät und ihre Herablassung fühlt. Trotzdem versagt Flür sich eine der genreüblichen Abrechnungen und bleibt allem Anschein nach fair, auch wenn seine Erinnerungen an technische Pannen dem Image der Gruppe kaum förderlich sind. Fans befürchten, dass die Musiker, die schon gegen ein anderes Buch juristisch vorgegangen sind, auch diesmal die Gerichte bemühen werden. Wie heißt es in einem Liedtext von 1977? "Sogar die größten Stars / mögen sich nicht im Spiegelglas."
Anhänger der Gruppe werden in dem Buch viele Neuigkeiten finden. Man erfährt, wer das "Model" war und dass die Textzeile "Sekt? Korrekt!" aus dem Mund eines Düsseldorfer Szenekellners stammt, der damit wohl jahrelang seine Gäste malträtierte. Doch trotz solcher Schlaglichter bleibt das Bild merkwürdig unscharf, was wohl daran liegt, dass der Autor jede Auseinandersetzung mit der Philosophie von Kraftwerk unterlässt. Die Schilderung gruppendynamischer Prozesse und sexueller Eskapaden ("Karl war auch kein Kostverächter"), so amüsant sie in diesem Zusammenhang sein mag, bietet dafür keinen ausreichenden Ersatz.
Denn Musikgeschichte schrieb die Gruppe nicht so sehr mit ihren wenigen Hits, auch wenn "Fahrn auf der Autobahn" nun wohl zu den weltweit bekanntesten Versen der deutsche Sprache zählt. Es war vor allem die Idee Kraftwerk, die Musiker wie David Bowie oder den englischen New Wave beeinflusste: Wer gegen die Technik bestehen will, muss selbst Techniker sein. Die Paradoxien von den austauschbaren Stars und den Emotionen aus dem Musikcomputer, die Kraftwerk spielerisch vertrat, sind in der Popmusik von heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Ob das der Zweck der Übung war, kann man auch nach der Lektüre des Buchs nur raten. Wolfgang Flür dreht einige Schrauben aus der Maschine. Doch ihr Geist bleibt weiterhin verborgen.
Wolfgang Flür: "Kraftwerk - Ich war ein Roboter". Hannibal Verlag, St. Andrä-Wördern 1999. 298 S., br., Abb., 38,- DM.
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