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  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Bastei Lübbe
  • Seitenzahl: 656
  • Gewicht: 988g
  • ISBN-13: 9783785707487
  • Artikelnr.: 24064496
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1995

Krankengeschichte aus Peking
Die Erinnerungen des Leibarztes von Mao Tse-tung

Li Zhisui: Ich war Maos Leibarzt. Aus dem Amerikanischen von Annette Burkhardt, Gabriele Burkhardt, Karin Schuler und Cornelia Stoll. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1994. 688 Seiten, 22 Abbildungen, gebunden, 58,- Mark.

Die Memoiren des Li Zhisui, Leibarzt von Mao Tse-tung, sind faszinierend, erschreckend, ernüchternd und traurig. Das Buch schildert Maos Leben und seine Person in der Zeit von 1954 bis zu seinem Tode im Jahre 1976 - mit vielen Einzelheiten, da Zhisui ihn fast täglich sah und zum intimen Kenner seiner Physis und Psyche wurde. Es beginnt mit den Tagen um Maos Tod, den skurrilen und makabren Bemühungen, seinen Leichnam zu konservieren. Die Einbalsamierung wurde vom Politbüro plötzlich angeordnet und stellte damals den Autor und sein Beraterteam vor Schwierigkeiten. Sie war von Fehlschlägen begleitet. So sollte Maos Antlitz nicht verändert werden. Da schon die ersten Versuche fehlschlugen, wurde vorausschauend eine wächserne Kopie der Leiche zu Zwecken der Zurschaustellung angefertigt. Sicher eine weise Entscheidung, denn der Leser erfährt, daß weder der Leichnam von Ho Tschi Minh noch der von Lenin perfekt konserviert worden waren und schon nach wenigen Jahren Schimmelspuren aufwiesen. Dem medizinisch Gebildeten wird in diesem Kapitel ein gröberer (Übersetzungs-?)Fehler auffallen, weil bei der Darstellung der bei Mao zum Tode führenden amyotrophen Lateralsklerose ein Verlust der Nervenzellen im Knochenmark (richtig wäre Rückenmark) angeführt wird.

Nicht minder ausführlich beschreibt Li Zhisui Eifersüchteleien, Rankünen und Geltungsstreben einzelner (besonders Maos letzter Ehefrau Jiang Qing) und ganzer Gruppen an Maos Hofstaat. Der Verfasser lebte in dem Wissen, daß er sich weder medizinische noch politische Fehler erlauben durfte. So lavierte er jahrelang in der politischen Umgebung Maos; er verlor seine Illusionen und wurde doch gleichzeitig ein engeres Mitglied des Führungszirkels. Welch ein Kontrast zu den Erinnerungen des Architekten Albert Speer, der in Hitlers Hofstaat aktiv am Geschehen teilnahm, selbständiger urteilte und handelte, als es ein Leibarzt wie Zhisui unter vergleichbaren Umständen wohl konnte! Dennoch gleichen sich die Verhaltensmuster in solchen engen Zirkeln absoluter Macht, wie Speer und Zhisui sie in ihren ganz unterschiedlichen Büchern beschreiben. Sowohl Hitler als auch Mao schufen offenbar eine Atmosphäre um sich, die es anderen schwer- oder unmöglich machte, sich ihr wieder zu entziehen. Ost und West, links und rechts - in der Sphäre uneingeschränkter Macht gibt es offenbar keine prinzipiellen Unterschiede.

Das ist nicht die einzige ernüchternde Bilanz dieses Buches. Das Bild Mao Tse-tungs, von der chinesischen Propaganda, aber auch von vielen Gutgläubigen im Westen verbreitet, zeigte einen erhabenen und weisen Denker, Poeten und rastlos für das Wohlergehen der Arbeiterklasse Tätigen. In Li Zhisuis Buch wird Mao hingegen als alternder Frauenheld geschildert, der sich nicht die Zähne putzte, an Schlaflosigkeit litt und unzählige Gespielinnen aus den Reihen der Partei für sein speziell angefertigtes Bett requirierte. Dabei betätigte er sich nebenbei als Überbringer einschlägiger Krankheiten, deren Behandlung dann Li Zhisui anvertraut wurde.

Es wird heute niemand mehr bestreiten, daß Millionen von Menschen unter der Kulturrevolution zu leiden hatten und daß dieser "große Sprung nach vorn" unzählige Menschenleben gekostet hat. Die vom Autor beschriebenen Fakten sind nicht grundsätzlich neu. Neu hingegen ist, daß die Opfer Mao nicht einmal rührten. Diese Mißachtung des Lebens und der Gesundheit anderer zeigt sich auch an folgendem Beispiel, das Li Zhisui berichtet: Als Mao sich einer Staroperation unterziehen mußte, wurde einfach eine größere Zahl von Greisen ausgewählt und in zwei Gruppen gesondert, an denen jeweils eine westliche und eine chinesische Operationsmethode ausprobiert wurde. Die Ergebnisse des Vergleichs wurden Mao vorgelegt, um ihm eine Entscheidungsgrundlage zu geben (er wählte die chinesische Technik).

So interessant das Buch auch ist: leider zu selten erlaubt sich der Autor persönliche Wertungen, Folgerungen aus seinem Erfahrungsschatz. Erst im letzten Absatz seiner Erinnerungen benennt er die Opfer, die er für das Buch (damit meint er sein Leben, eine interessante Gleichsetzung) gebracht habe. Sein Traum, ein bedeutender Neurologe zu werden, wurde nicht wahr, seine Hoffnung auf ein neues China ward zunichte, und in den vielen Jahren des Dienstes konnte er kein ungestörtes Familienleben führen. Eine traurige Bilanz. Li Zhisuis Buch liest sich wie eine ausführliche Krankengeschichte der Führungsclique um Mao. Doch gibt es nur Befunde - aber keine Diagnose und auch keine Therapie.

UDO SCHUMACHER

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