Keine einfachen Fragen - Ein sehr kluges, lesenswertes Buch
In „Ich warte noch immer auf eine Entschuldigung“ von Michela Marzano begegnen wir der Ich-Erzählerin Anna, einer Italienerin, die in Paris lebt und als Journalistin beim Radio sowie als Dozentin an der Uni arbeitet. Sie stellt sich in
der Zeit nach #metoo Fragen über ihre eigenen Erfahrungen in Bezug auf Sexualität, Macht und das…mehrKeine einfachen Fragen - Ein sehr kluges, lesenswertes Buch
In „Ich warte noch immer auf eine Entschuldigung“ von Michela Marzano begegnen wir der Ich-Erzählerin Anna, einer Italienerin, die in Paris lebt und als Journalistin beim Radio sowie als Dozentin an der Uni arbeitet. Sie stellt sich in der Zeit nach #metoo Fragen über ihre eigenen Erfahrungen in Bezug auf Sexualität, Macht und das anerzogene Rollenverständnis als Frau.
Der autofiktional anmutende Roman liest sich eher wie ein Essay und hält dabei keine einfachen Antworten bereit. Vielmehr geht es hier um sehr kluge Fragen - und ich muss sagen, dass mich diese Fragen sowie auch das gesamte Buch noch lange Zeit beschäftigen werden. Keine leichte Kost, aber auf jeden Fall ein sehr lesenswertes Buch mit einer ganz anderen Herangehensweise an das Thema #metoo.
"Runter mit der Maske. Ich bin nicht immer nur nett und vernünftig. Wobei.
Nett und vernünftig bin ich schon, und wenn ich mir Mühe gebe, bekomme ich sogar ganz brauchbare Ratschläge hin.
Aber ich bin auch verlogen. Kaputt. Und schuldig.
Zum Beispiel wenn ich ihnen gegenüber nachgebe. Was nicht dasselbe ist wie einwilligen. Aber wann und wie erklärt man sich tatsächlich einverstanden? Wie lernt man das?"
"Aber warum schwieg ich? Warum sprach nicht auch ich darüber, was mir passiert war?
Tja, weil ich eben nichts Konkretes vorzubringen hatte. Was hätte ich auf Twitter oder Facebook schon schreiben können? Was erzählen? Ich war ja schließlich nicht missbraucht oder vergewaltigt worden wie all die anderen. Oder hatte doch auch ich ein Schwein, dass ich hätte verpfeifen können?
Ich konnte die Gunst der Stunde nicht nutzen, um jemanden anzuklagen. Und weshalb hätte ich das auch tun sollen? Ich war ja schließlich kein Opfer.
Alles, was mir je passiert war, war meine Schuld gewesen."
"Aber wenn ich gar nicht akzeptiere, sondern nur zulasse, ist das dann auch noch Einwilligung? Oder bloß Duldung? Und wenn ich etwas dulde, bin ich dann damit einverstanden, oder gebe ich nach? Und wenn ich nur nachgebe, was soll das für ein Einverständnis sein?"
"Wo beginnt und endet Gewalt?
Gibt es verschiedene Grade des Schreckens?
Gibt es Fälle, in denen das Opfer nur zu 50, 40 oder 30 Prozent Opfer ist oder eben zu 100 Prozent?"
„Wie schaffen die anderen das bloß, dass sie immer respektiert werden?“