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Er war die Stimme der Überlebenden im Land der Täter: Nachdem der 1912 geborene Heinz Galinski Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, baute er nach dem Krieg die Jüdische Gemeinde Berlins wieder auf, deren Vorsitzender er 43 Jahre lang war. Meinungsstark bezog er Stellung zur Tagespolitik und setzte sich dafür ein, dass das Unrecht, das den Juden unter der NS-Herrschaft geschehen war, nicht in Vergessenheit geriet.Die erste Biografie der bedeutendsten Figur jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Mit einer Auswahl wichtiger Texte Heinz Galinskis und Interviews mit prominenten Weggefährten.…mehr

Produktbeschreibung
Er war die Stimme der Überlebenden im Land der Täter: Nachdem der 1912 geborene Heinz Galinski Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, baute er nach dem Krieg die Jüdische Gemeinde Berlins wieder auf, deren Vorsitzender er 43 Jahre lang war. Meinungsstark bezog er Stellung zur Tagespolitik und setzte sich dafür ein, dass das Unrecht, das den Juden unter der NS-Herrschaft geschehen war, nicht in Vergessenheit geriet.Die erste Biografie der bedeutendsten Figur jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Mit einer Auswahl wichtiger Texte Heinz Galinskis und Interviews mit prominenten Weggefährten.
Autorenporträt
Juliane Berndt, geboren 1976 in Hennigsdorf, studierte Geschichte und Klassische Archäologie an der Freien Universität Berlin. Ab 1997 arbeitete sie zunächst als freie Journalistin, dann als Redakteurin beim Axel-Springer-Verlag. Heute ist sie als Redaktionsleiterin in Berlin tätig.Andreas Nachama, Dr. phil., geboren 1951, ist Geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Rabbiner der Synagoge Hüttenweg der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Professor für Holocaust Studies und Jewish Studies am Touro College Berlin/New York. 1997 bis 2001 war er Vorsitzender derJüdischen Gemeinde Berlin. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Juden in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Daniel Koerfer hat Juliane Berndts Buch über Heinz Galinski mit Gewinn gelesen. Die junge Journalistin zeichne hier Stationen seines Lebens nach, versammle seine wichtigsten Reden und lasse Weggefährten wie Klaus Schütz, Eberhard Diepgen oder Wolfgang Schäube zu Wort kommen, informiert der Kritiker. Etwas zu kurz kommt ihm dabei der Leidensweg Galinskis, der Frau und Eltern auf dem Weg nach und in Auschwitz verlor und selbst in Auschwitz, Bergen-Belsen und Buchenwald das ganze nationalsozialistische Grauen miterlebte. Mit großem Interesse und Bewunderung liest Koerfer, wie Galinski als Wiederbegründer jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 stets "glasklar und eiskalt" argumentierend gegen den Antisemitismus kämpfte, etwa wenn er die lasche Verfolgung von KZ-Ärzten anprangerte oder sich für eine wirksames Bundesentschädigungsgesetz einsetzte. Entsetzt erfährt der Rezensent, wie häufig Galinski das Ziel von Attentatsversuchen gewesen ist. Nach der Lektüre hat der Koerfer das Gefühl, den Kern dieses Mannes ein wenig besser fassen zu können.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2013

Seine Waffe war das Wort
Heinz Galinski als Wiederbegründer jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945

Nein, ein bequemer Mann war er wirklich nicht. Ganz am Ende des Bandes, den die junge Berliner Journalistin Juliane Berndt seinem Leben widmet, in dem sie die Stationen seines Weges, die Zentralpunkte seines Wirkens aufscheinen lässt, Gefährten aus der Politik wie Klaus Schütz, Eberhard Diepgen oder Wolfgang Schäuble befragt, schließlich seine wichtigsten Reden versammelt, ganz am Ende des Bandes also wird wirklich etwas vom Kern dieses Mannes fassbar. Andreas Nachama beschreibt ihn in seinem Kampf gegen Antisemitismus und Antisemiten, im Kampf zugleich immer auch für diese deutsche Demokratie, gegen ihre Gefährdungen, ihre Feinde von rechts und links: "Seine Argumentation dagegen kam aus dem Kopf: glasklar und eiskalt. Das war seine Autorität, gefürchtet von den einen, bewundert, ja, auch schaudernd bewundert von den anderen." Die Rede ist von Heinz Galinski, einem der wichtigsten Wiederbegründer jüdischen Lebens nach 1945. Dieser zierliche, schmallippig knorrige Mann, aufrecht-kerzengerade bis ins hohe Alter, immer - auch an heißen Tagen - mit Krawatte und feinem Tuch, tief bürgerlich in Umgang und Habitus, konnte in der Tat scharf und schneidend sein und wurde von all jenen gefürchtet, gegen die sein kalt auflodernder Zorn sich richtete.

Das hatte Gründe. Das hatte Wurzeln. Das Schicksal hatte ihm zugemutet, was nur die wenigsten überleben. Das hat ihn im Kern wohl tatsächlich gehärtet und zugleich glasklar werden lassen - neben den Schuldgefühlen, die Durchkommen, Überleben unter solchen Umständen auf seltsame Weise fast immer begleitet. Juliane Berndt streift diese Wurzeln nur knapp, vielleicht zu knapp. Heinz Galinski hat erlebt und durchlitten, was der deutsche Rassenwahn bis zum mörderischen Exzess seinen Opfern anzutun vermochte. Er war ab 1940 Zwangsarbeiter bei Siemens in Berlin, er wird deportiert, verliert den Vater, die Mutter, die erste Frau auf dem Weg nach und in Auschwitz. Überlebt als Zwangsarbeiter für IG Farben in Auschwitz-Monowitz, wird im Januar 1945 in einem der zahlreichen Todes- und (für die wenigen Überlebenden) Martermärsche ins KZ Mittelbau-Dora bei Buchenwald in die unterirdische V-2 Produktion "verlegt", kommt nach dessen Räumung noch ins KZ Bergen-Belsen.

Wer auch nur ein Mikroteil des Grauens hinter diesen Ortsnamen ahnen möchte, sollte Imre Kertész oder Roman Frister lesen. Ohne eine Ahnung dieses Grauens wird man Heinz Galinski nicht verstehen. Jene Zeit, als bürgerliche Umgangsformen nichts zählten und nützten, als viele Tausende Deutsche mitwirkten in der Mordmaschinerie, als sie in ihrer überwältigenden Mehrzahl geschehen ließen, was nie hätte geschehen dürfen, und zusahen, wie die zu Deportierenden, später dann die Knochen- und Muselmänner durch Deutschland getrieben wurden, hat Galinski nie vergessen. Auf dem Boden jener Jahre stand er immer, tief verwundet und unangreifbar zugleich.

Nach dem Krieg entschied er sich, in Deutschland zu bleiben - eine neue Liebe spielte mit. Die Schwiegereltern wird er nicht kennenlernen, sie wollen nie mehr einen Fuß in das "Land der Mörder" setzen. Er wird früh - ohne Jurist zu sein, obwohl ihn viele dafür halten - zum Anwalt der Opfer, hat keine Berührungsängste, sich in den "Opfer des Faschismus"-Ausschüssen zunächst auch mit KPD-Funktionären zusammenzutun. 1949 wird er erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin - und bleibt es bis zu seinem Tode 1992, ist von 1954 bis 1963 zudem erster Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Über die Jahre und Jahrzehnte wird er zur Institution. Vehement und hoch sensibel bekämpft er jedes Anzeichen für neu aufkeimendes, sich wieder ausbreitendes braunes Gedankengut, bekämpft die Elitenkontinuität nach dem Krieg, attackiert erbittert (und erfolglos) Konrad Adenauers Staatssekretär Hans Globke, der sich mit den Jahren als loyal-kluger Helfer des Bundeskanzlers erweisen sollte.

Die Deutsche Partei mit Hans-Christoph Seebohm an der Spitze ist ihm eine unverhüllte "revanchistische Organisation", die lasche Verfolgung von KZ-Ärzten wie Werner Heyde (alias Dr. Sawade) oder Hans Eisele wird beharrlich angeprangert. Die Liste der Namen und Fälle ist lang, aber Galinski kämpft auch für ein wirksames Bundesentschädigungsgesetz, kämpft nach dessen Erlass für seine kontinuierliche Novellierung, kämpft wortgewaltig für die lange außen vor gebliebene Entschädigung der Zwangsarbeiter, weiß er doch nur zu gut, wovon er spricht. Und kämpft für die Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord - ein Ziel, das 1979 erreicht wird.

In den sechziger und siebziger Jahren greift er über Deutschland und manchmal auch übers Ziel hinaus, etwa wenn er die Vereinten Nationen abschaffen will, weil sie Arafat eine Weltbühne für antiisraelische Auftritte bieten. Mit Israel hat er sich da schon versöhnt - denn dort betrachtete man lange deutsch-jüdische Patrioten wie ihn mit Argwohn, mied den Kontakt, strafte sie bei internationalen Kongressen durch Nichtbeachtung. Dafür bricht Galinski eine scharfe Fehde gegen Bundeskanzler Willy Brandt und seine Ostpolitik vom Zaun. Die Annäherung an die DDR, die lange - bis 1988, bis zum Treffen zwischen Honecker und Galinski - jede Mitverantwortung am Holocaust abstreitet, ist ihm zutiefst zuwider.

Darüber mag man heute staunen. Erschrecken muss man, wenn man liest, wie oft Galinski von 1970 an Ziel von Attentatsversuchen gewesen ist - von links, von der RAF. Ein Bombenattentat auf das neue jüdische Gemeindezentrum in der Fasanenstraße in Berlin - ausgerechnet an einem 9. November - scheitert am angerosteten Zünder. Eine Paketbombe wird rechtzeitig entschärft. Fortan bewegte sich Galinski nur in Panzerwagen und mit hohem Personenschutz fort. Was das für einen Mann mit seiner Biographie wirklich bedeutet, mag man nur ahnen. Aber er ließ sich nicht aus Deutschland vertreiben. Hier wollte er weiter wirken als Wächter und Mahner. "Ich habe dafür nur eine Waffe", sagte er - "das Wort."

DANIEL KOERFER

Juliane Berndt: "Ich weiß, ich bin kein Bequemer . . .". Heinz Galinski - Mahner, Streiter, Stimme der Überlebenden. Herausgegeben von Andreas Nachama. be.bra Verlag, Berlin 2012. 333 S., 19,95 [Euro].

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