Die Ikone der afroamerikanischen Literatur, ihr epochemachendes Werk: Maya Angelou wächst in den Dreißigerjahren im Kramerladen ihrer Großmutter am Rande einer Baumwollplantage auf. Für sie und ihren Bruder ein Ort des Zaubers und des Spiels inmitten einer schwarzen Gemeinde, die der Hass und die Armut auszulöschen droht ... Dieses Buch erzählt die Geschichte eines trotzigen Mädchens im Kampf gegen unvorstellbare Widerstände. Und zur gleichen Zeit singt es die schönste Hymne auf die weltverändernde Kraft der Worte, der Fantasie, der Zärtlichkeit im Angesicht des Grauens.
»Eine brillante Autorin, eine leidenschaftliche Freundin, eine sagenhafte Frau.« Barack Obama
»Sie hatte neunzehn Talente, gebrauchte zehn und war ein richtiges Original.« Toni Morrison
»Markiert den Anfang einer neuen Ära.« James Baldwin
»Das erste Buch, das ich als Jugendliche gelesen habe.« Rihanna
»Eine phänomenale Frau!« Beyoncé
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2019Die Furchtlose
Wie Maya Angelou ihre erschütternden Erinnerungen an ihre Kindheit im Amerika der dreißiger Jahre in große Literatur verwandelt: "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt"
Ihr Kleid raschelte, wenn sie einatmete, wie das Krepppapier hinten an einem Leichenwagen. Sie hatte ein Gedicht aufsagen wollen, aber bereits die dritte Zeile vergessen. Es war Ostern, die Kirche war voll, alle lachten. Und das Mädchen rennt nach draußen, während ihm die Blase platzt, der Urin ihm an den Beinen herunterrinnt, und ein Traum zunichte wird. Der Traum, es sei aus dem Albtraum erwacht, ein schwarzes Mädchen im amerikanischen Süden zu sein.
Maya Angelous Kindheitserinnerungen aus dem Amerika der dreißiger Jahre, um die es sich bei diesem Buch handelt, beginnen mit dieser Szene. Vieles, was "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt", in den Vereinigten Staaten 1969 erschienen, zu einem Klassiker der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts macht, ist auf diesen ersten Seiten bereits da. Der Ton, in dem sie aus dem Abstand vieler Jahre erzählt, und dennoch die Gefühle aus der frühen Zeit lebendig werden lässt, als wären sie nicht Erinnerung, sondern Gegenwart. Der Widerstand, den das Mädchen mit seinen Mitteln - dem Verstand, dem Lerneifer, dem Durchhaltevermögen und Trotz - den Verhältnissen entgegensetzt. Die ungeheure Aufmerksamkeit, mit der die Autorin aus ihrem Gedächtnis und ihrer Vorstellungskraft jene Details formt, welche die Geschichte überhaupt erst zur Geschichte machen: Onkel Willie, der nicht richtig laufen konnte und ein schiefes Gesicht hatte und deshalb vor den weißen Lumpenkindern in Sicherheit gebracht werden musste, und zwar in einer leeren Zwiebelkiste. Den Laden der Großmutter, der ihr als "Tollhaus der Waren" erschien und in dem jene Zwiebelkiste stand; das Geräusch der leeren Baumwollsäcke, von den Pflückern matt über den Boden geschleift; die "Bitterkeit des schwarzen Lebens im Süden, die am Morgen von den Gaben der Natur, der Müdigkeit, dem Vergessen und dem sanften Lampenlicht gemildert schienen".
All dies ist Teil des Lebens geworden, das zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buchs zunehmend geprägt ist von Maya Angelous Engagement in der Bürgerrechtsbewegung. Sie ist einundvierzig Jahre alt. Nach Jahren als Calypso-Tänzerin, nach einer Zeit in New York, in der sie ernsthaft zu schreiben begann, nach ihrer Bekanntschaft mit Martin Luther King und dem südafrikanischen Freiheitskämpfer Vusumzi Make, den sie für eine Weile nach Ägypten und Ghana begleitete, wo sie als Journalistin arbeitete, nach den Morden an Malcolm X und später an King, begann sie, ermutigt auch von James Baldwin, der ein wichtiger Freund wurde, mit der Arbeit an dem Buch, das sie berühmt machte. Und mit dem sie Vorbild für mindestens zwei Generationen amerikanischer Schriftsteller wurde und Lieblingsautorin mindestens zweier Präsidenten, Bill Clinton und Barack Obama. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ein wesentlicher Teil des Landes in Trauer lag, als Maya Angelou 2014 starb.
Während Momma, die Großmutter, das Kleid aus hellblauem Taft für den Ostergottesdienst nähte, das später so morbide raschelte, hatte Maya sich vorgestellt, sie würde darin wie ein Filmstar aussehen. Die Menschen würden sich vor ihr verneigen und um ihre Gunst buhlen, ihr Haar wäre blond und glatt, ihre Haut weiß. Doch als sie es an Ostern anzog, "war das Kleid nichts weiter als ein gewöhnlicher, hässlicher Verschnitt aus dem weggeworfenen Purpur einer weißen Frau". Kein Stoff für Träume. Das ist die erste Enttäuschung des Mädchens, das eigentlich Marguerite heißt und ein paar Jahre zuvor mit ihrem ein Jahr älteren heißgeliebten Bruder Bailey nach der Scheidung der Eltern aus Long Beach in Kalifornien nach Stamps in Arkansas gekommen war. "Viel von dieser Reise habe ich nicht in Erinnerung behalten, aber als wir den rassengetrennten Süden erreichten, müssen sich die Verhältnisse für uns wohl gebessert haben. Mitreisende Schwarze, die stets mit vollgepackten Esspaketen fahren, hatten Mitleid mit ,den armen kleinen mutterlosen Lieblingen' und versorgten uns mit kaltem Huhn und Kartoffelsalat."
Selbst als die große Depression kommt, von der sie lange dachten, sie sei eine Sache der Weißen und hätte nichts mit ihnen zu tun, haben sie aus dem Laden der Großmutter immer genug zu essen. Eines Tages erscheint der Vater. Er fährt ein großes Auto, redet in gepflegtem Englisch, entspricht aber in keiner Weise den grandiosen Phantasien Mayas über ihn. Sie vermutet, er sei vielleicht der einzige Weiße mit brauner Haut. Noch ein zerplatzter Traum. Der Vater besitzt kein Schloss, sondern war Portier in einem Luxushotel gewesen, und obwohl er fett aussieht und Maya unschlüssig ist, ob sie mit ihm nach Kalifornien gehen soll, geht sie schließlich. Vor allem, weil sie keine Wahl hat. Dass der Vater sie und Bailey unterwegs in San Louis bei der Mutter lässt, ist erst ein Glück, dann eine Katastrophe.
Maya ist acht, als sie vergewaltigt wird. Es ist der Freund der Mutter, Freeman heißt er, von allen Namen trägt er diesen. Zuerst erscheint er ihr wie ein großer Braunbär, freundlich und stumm. "Er wartete nur auf Mutter, doch das unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Er las nie Zeitung, legte weder die Füße hoch, noch hörte er Radio. Er wartete. Nichts weiter." Als er sich eines Morgens zu Maya legt und sagt, "ich tu dir nicht weh", hat sie keine Angst. Das erste Mal bleibt es bei Berührungen, die sie teilweise eklig findet, doch die Nähe zu einem anderen Körper gefällt ihr. Es ist etwas Neues, sie wartet darauf, dass Mr. Freeman nach Hause kommt und sein Herz wieder für sie schlagen würde, wie sie das nennt. Ohne Scham erzählt Maya Angelou von diesen widersprüchlichen Gefühlen zu einem Zeitpunkt, da die Gewalt noch nicht auf körperliche Versehrung zielt. Das geschieht erst Monate später. "Dann kam der Schmerz. Ein Bruch, das Eindringen, das die Sinne nahm. Die Vergewaltigung eines achtjährigen Körpers: das Nadelöhr, durch das ein Kamel nicht gehen kann. Das Kind gibt, denn der Körper ist fähig dazu, und nur das Bewusstsein des Peinigers ist blind."
Freeman befiehlt Maya zu schweigen, um den Preis des Lebens ihres geliebten Bruders. Und Maya schweigt. Wird krank. Schließlich kommt die Sache heraus, Freeman kommt vor Gericht. Was darf Maya sagen? Darf sie erzählen, dass Freeman sie vor aller Gewalt "ein paar Minuten lang geliebt hatte", oder würde sie dann wie die "Hure in der Bibel gesteinigt" werden? Freeman muss seine Strafe nicht antreten. Aber kurz darauf liegt er erschlagen im Rinnstein. Maya schweigt weiter. Jahrelang.
Nach den zahlreichen Missbrauchsgeschichten, die wir im letzten Jahr gehört und gelesen haben, nach so vielen Opfererzählungen und den Widerreden der Beschuldigten, nimmt einem die Furchtlosigkeit der Maya Angelou beinahe den Atem. Nicht nur, weil sie vor fünfzig Jahren von ihrem Schmerz, ihrer Sehnsucht, ihrem Schweigen und ihrem Schrecken erzählt hat, sondern weil und wie sie das Erlebte in Literatur verwandelt hat.
In Deutschland erschien dieses Buch erstmals 1980, damals im Verlag Stroemfeld / Roter Stern, die Auflage ist längst vergriffen. Der Suhrkamp-Verlag hat die Übersetzung von Harry Oberländer, die sich immer noch gut liest, übernommen und weiter nichts getan, als sie im Taschenbuchformat noch einmal zu drucken. Es ist unwahrscheinlich, dass damit eine späte Entdeckung der Werke von Maya Angelou - neben Gedichtsammlungen umfasst allein ihr autobiographisches Konvolut fünf weitere Bände - eingeläutet wird, wie das mit den Büchern von James Baldwin seit einiger Zeit geschieht. Der Verlag hätte sich etwas mehr Mühe geben können, seine Wertschätzung dieser Autorin gegenüber zu beweisen, und so ist es kein Wunder, dass "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt" nach wie vor ein bei uns nahezu unbekanntes Buch geblieben ist. Es wäre ein Glück, vor allem für die Leserinnen und Leser, wenn sich das änderte.
VERENA LUEKEN
Maya Angelou: "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt". Aus dem Englischen von Harry Oberländer. Suhrkamp, 321 Seiten, 12 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Maya Angelou ihre erschütternden Erinnerungen an ihre Kindheit im Amerika der dreißiger Jahre in große Literatur verwandelt: "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt"
Ihr Kleid raschelte, wenn sie einatmete, wie das Krepppapier hinten an einem Leichenwagen. Sie hatte ein Gedicht aufsagen wollen, aber bereits die dritte Zeile vergessen. Es war Ostern, die Kirche war voll, alle lachten. Und das Mädchen rennt nach draußen, während ihm die Blase platzt, der Urin ihm an den Beinen herunterrinnt, und ein Traum zunichte wird. Der Traum, es sei aus dem Albtraum erwacht, ein schwarzes Mädchen im amerikanischen Süden zu sein.
Maya Angelous Kindheitserinnerungen aus dem Amerika der dreißiger Jahre, um die es sich bei diesem Buch handelt, beginnen mit dieser Szene. Vieles, was "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt", in den Vereinigten Staaten 1969 erschienen, zu einem Klassiker der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts macht, ist auf diesen ersten Seiten bereits da. Der Ton, in dem sie aus dem Abstand vieler Jahre erzählt, und dennoch die Gefühle aus der frühen Zeit lebendig werden lässt, als wären sie nicht Erinnerung, sondern Gegenwart. Der Widerstand, den das Mädchen mit seinen Mitteln - dem Verstand, dem Lerneifer, dem Durchhaltevermögen und Trotz - den Verhältnissen entgegensetzt. Die ungeheure Aufmerksamkeit, mit der die Autorin aus ihrem Gedächtnis und ihrer Vorstellungskraft jene Details formt, welche die Geschichte überhaupt erst zur Geschichte machen: Onkel Willie, der nicht richtig laufen konnte und ein schiefes Gesicht hatte und deshalb vor den weißen Lumpenkindern in Sicherheit gebracht werden musste, und zwar in einer leeren Zwiebelkiste. Den Laden der Großmutter, der ihr als "Tollhaus der Waren" erschien und in dem jene Zwiebelkiste stand; das Geräusch der leeren Baumwollsäcke, von den Pflückern matt über den Boden geschleift; die "Bitterkeit des schwarzen Lebens im Süden, die am Morgen von den Gaben der Natur, der Müdigkeit, dem Vergessen und dem sanften Lampenlicht gemildert schienen".
All dies ist Teil des Lebens geworden, das zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buchs zunehmend geprägt ist von Maya Angelous Engagement in der Bürgerrechtsbewegung. Sie ist einundvierzig Jahre alt. Nach Jahren als Calypso-Tänzerin, nach einer Zeit in New York, in der sie ernsthaft zu schreiben begann, nach ihrer Bekanntschaft mit Martin Luther King und dem südafrikanischen Freiheitskämpfer Vusumzi Make, den sie für eine Weile nach Ägypten und Ghana begleitete, wo sie als Journalistin arbeitete, nach den Morden an Malcolm X und später an King, begann sie, ermutigt auch von James Baldwin, der ein wichtiger Freund wurde, mit der Arbeit an dem Buch, das sie berühmt machte. Und mit dem sie Vorbild für mindestens zwei Generationen amerikanischer Schriftsteller wurde und Lieblingsautorin mindestens zweier Präsidenten, Bill Clinton und Barack Obama. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ein wesentlicher Teil des Landes in Trauer lag, als Maya Angelou 2014 starb.
Während Momma, die Großmutter, das Kleid aus hellblauem Taft für den Ostergottesdienst nähte, das später so morbide raschelte, hatte Maya sich vorgestellt, sie würde darin wie ein Filmstar aussehen. Die Menschen würden sich vor ihr verneigen und um ihre Gunst buhlen, ihr Haar wäre blond und glatt, ihre Haut weiß. Doch als sie es an Ostern anzog, "war das Kleid nichts weiter als ein gewöhnlicher, hässlicher Verschnitt aus dem weggeworfenen Purpur einer weißen Frau". Kein Stoff für Träume. Das ist die erste Enttäuschung des Mädchens, das eigentlich Marguerite heißt und ein paar Jahre zuvor mit ihrem ein Jahr älteren heißgeliebten Bruder Bailey nach der Scheidung der Eltern aus Long Beach in Kalifornien nach Stamps in Arkansas gekommen war. "Viel von dieser Reise habe ich nicht in Erinnerung behalten, aber als wir den rassengetrennten Süden erreichten, müssen sich die Verhältnisse für uns wohl gebessert haben. Mitreisende Schwarze, die stets mit vollgepackten Esspaketen fahren, hatten Mitleid mit ,den armen kleinen mutterlosen Lieblingen' und versorgten uns mit kaltem Huhn und Kartoffelsalat."
Selbst als die große Depression kommt, von der sie lange dachten, sie sei eine Sache der Weißen und hätte nichts mit ihnen zu tun, haben sie aus dem Laden der Großmutter immer genug zu essen. Eines Tages erscheint der Vater. Er fährt ein großes Auto, redet in gepflegtem Englisch, entspricht aber in keiner Weise den grandiosen Phantasien Mayas über ihn. Sie vermutet, er sei vielleicht der einzige Weiße mit brauner Haut. Noch ein zerplatzter Traum. Der Vater besitzt kein Schloss, sondern war Portier in einem Luxushotel gewesen, und obwohl er fett aussieht und Maya unschlüssig ist, ob sie mit ihm nach Kalifornien gehen soll, geht sie schließlich. Vor allem, weil sie keine Wahl hat. Dass der Vater sie und Bailey unterwegs in San Louis bei der Mutter lässt, ist erst ein Glück, dann eine Katastrophe.
Maya ist acht, als sie vergewaltigt wird. Es ist der Freund der Mutter, Freeman heißt er, von allen Namen trägt er diesen. Zuerst erscheint er ihr wie ein großer Braunbär, freundlich und stumm. "Er wartete nur auf Mutter, doch das unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Er las nie Zeitung, legte weder die Füße hoch, noch hörte er Radio. Er wartete. Nichts weiter." Als er sich eines Morgens zu Maya legt und sagt, "ich tu dir nicht weh", hat sie keine Angst. Das erste Mal bleibt es bei Berührungen, die sie teilweise eklig findet, doch die Nähe zu einem anderen Körper gefällt ihr. Es ist etwas Neues, sie wartet darauf, dass Mr. Freeman nach Hause kommt und sein Herz wieder für sie schlagen würde, wie sie das nennt. Ohne Scham erzählt Maya Angelou von diesen widersprüchlichen Gefühlen zu einem Zeitpunkt, da die Gewalt noch nicht auf körperliche Versehrung zielt. Das geschieht erst Monate später. "Dann kam der Schmerz. Ein Bruch, das Eindringen, das die Sinne nahm. Die Vergewaltigung eines achtjährigen Körpers: das Nadelöhr, durch das ein Kamel nicht gehen kann. Das Kind gibt, denn der Körper ist fähig dazu, und nur das Bewusstsein des Peinigers ist blind."
Freeman befiehlt Maya zu schweigen, um den Preis des Lebens ihres geliebten Bruders. Und Maya schweigt. Wird krank. Schließlich kommt die Sache heraus, Freeman kommt vor Gericht. Was darf Maya sagen? Darf sie erzählen, dass Freeman sie vor aller Gewalt "ein paar Minuten lang geliebt hatte", oder würde sie dann wie die "Hure in der Bibel gesteinigt" werden? Freeman muss seine Strafe nicht antreten. Aber kurz darauf liegt er erschlagen im Rinnstein. Maya schweigt weiter. Jahrelang.
Nach den zahlreichen Missbrauchsgeschichten, die wir im letzten Jahr gehört und gelesen haben, nach so vielen Opfererzählungen und den Widerreden der Beschuldigten, nimmt einem die Furchtlosigkeit der Maya Angelou beinahe den Atem. Nicht nur, weil sie vor fünfzig Jahren von ihrem Schmerz, ihrer Sehnsucht, ihrem Schweigen und ihrem Schrecken erzählt hat, sondern weil und wie sie das Erlebte in Literatur verwandelt hat.
In Deutschland erschien dieses Buch erstmals 1980, damals im Verlag Stroemfeld / Roter Stern, die Auflage ist längst vergriffen. Der Suhrkamp-Verlag hat die Übersetzung von Harry Oberländer, die sich immer noch gut liest, übernommen und weiter nichts getan, als sie im Taschenbuchformat noch einmal zu drucken. Es ist unwahrscheinlich, dass damit eine späte Entdeckung der Werke von Maya Angelou - neben Gedichtsammlungen umfasst allein ihr autobiographisches Konvolut fünf weitere Bände - eingeläutet wird, wie das mit den Büchern von James Baldwin seit einiger Zeit geschieht. Der Verlag hätte sich etwas mehr Mühe geben können, seine Wertschätzung dieser Autorin gegenüber zu beweisen, und so ist es kein Wunder, dass "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt" nach wie vor ein bei uns nahezu unbekanntes Buch geblieben ist. Es wäre ein Glück, vor allem für die Leserinnen und Leser, wenn sich das änderte.
VERENA LUEKEN
Maya Angelou: "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt". Aus dem Englischen von Harry Oberländer. Suhrkamp, 321 Seiten, 12 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt [ist] nach wie vor ein bei uns nahezu unbekanntes Buch geblieben. Es wäre ein Glück, vor allem für die Leserinnen und Leser, wenn sich das änderte.« Verena Lueken Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20190203