Wer war Wilhelm Busch? Jedes Kind kennt Max und Moritz und die fromme Helene. Doch wer war der heiter-bissige Humorist, der sie erfand? Mit Witz und Verve zeichnet Gudrun Schury ein facettenreiches Porträt, das den meistgelesenen deutschen Dichter erstmals auch als Avantgardisten und künstlerischen Neuerer des 20. Jahrhunderts zeigt. Seine Zeichenkunst nimmt den Comic vorweg und beeinflusste Walt Disney, seine Gedichte und Erzählungen sind das Gegenteil biedermeierlicher Behaglichkeit, in seinem malerischen Spätwerk stößt er zum Expressionismus vor. Aus ungewöhnlicher Perspektive schaut Gudrun Schury dem Künstler in die Karten. Sie fragt nach Buschs Verhältnis zu den Frauen, zu den Kindern, zu den Tieren, zum Tabak- und Alkoholkonsum ("Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank!"). Sie verfolgt den Weg seiner Bilder vom Bleistift über den Holzstich bis aufs bedruckte Papier. Sie betrachtet Prügelszenen und Todesarten seiner Figuren. Und sie befreit den populären Zeichner und Versemacher von Vorurteilen. Nur eines bestätigt sich am Ende: Wilhelm Busch bleibt einzigartig.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2008Rings um Busch ist ein Gedrängel
Zum Doppeljubiläum von Wilhelm Busch sind gleich zwei Biographien erschienen. Perfekt ergänzt werden sie von Gert Uedings revidierter Studie zu Leben und Werk.
Aus einer Zeit vor wenigen Monaten, als der hessische Landtagswahlkampf noch bestimmt war vom Thema Bildung, stammt ein Wahlplakat der Grünen, das unter der Parole "Die neue Schule" den Lehrer Lämpel aus Wilhelm Buschs "Max und Moritz" zeigt - aber mit den geschickt in Holzstich-Ästhetik hineinmontierten Gesichtszügen von Roland Koch. Eine Erklärung braucht das Plakat gar nicht: Jedem Betrachter ist klar, dass erstens über Koch gespottet werden soll und er zweitens aus Sicht der Grünen für ein veraltetes Bildungsideal steht. Denn die Figuren von Wilhelm Busch sind auch hundertdreiundvierzig Jahre nach deren erstem Auftritt und genau hundert Jahre nach dem Tod des Zeichners (F.A.Z. vom 9. Januar) so präsent, dass einem die Zeilen dazu sofort einfallen: "Also lautet ein Beschluß: / Daß der Mensch was lernen muß. / ... / Daß dies mit Verstand geschah / War Herr Lehrer Lämpel da. / Max und Moritz, diese beiden, / Mochten ihn darum nicht leiden."
Verblüffend, dass dieses Plakat funktioniert. Denn Wilhelm Busch hat Max und Moritz ja keineswegs als Ideale gezeichnet und bedichtet, sondern als rechte Lausbuben, die am Ende eine Strafe erfahren, die gewiss auch Roland Koch als weitaus zu radikal erschiene. Lehrer Lämpel ist in der Bildergeschichte ein aufrechter Pädagoge mit den besten Absichten, dem übel mitgespielt wird. Und dennoch: Er gilt als Zerrbild des Lehrerstands. Das verdankt sich einmal Buschs unfassbarem Talent als karikierender Zeichner, der in Lämpel, welcher als Licht der Aufklärung sogar einen sprechenden Namen trägt, das grandiose Zerrbild eines unausgesprochen selbstherrlichen Schulmeisters schuf - spinnenfingrig, nickelbebrillt, schmaläugig -, und zum anderen der Sympathie, die die Lausbuben seit ihrem Debüt bei den Lesern genießen. Man mag es wenden, wie man will: Wir stehen immer auf der Seite von Max und Moritz.
Damit ist die spezifische Leistung von Buschs Bildergeschichten angesprochen: Sie stürzen uns in einen moralischen Zwiespalt, der aber gar nicht explizit aufgelöst werden muss, weil wir über das Erzählte lachen können. Lachen bedeutet immer einen Triumph, und wen interessierte schon noch, welche Schlachten im Gemüt zuvor geschlagen werden mussten? Nun, einige gibt es allerdings, die das interessiert. Es sind die Interpreten von Wilhelm Busch, diejenigen also, die sich auf die Ausdruckskraft seiner Reime einen Reim und von der Wirkungsmächtigkeit seiner Bilder ein Bild machen müssen.
In den nicht einmal neun Monaten zwischen dem 175. Geburtstag am 15. April 2007 und dem hundertsten Todestag am 9. Januar 2008 sind gleich mehrere Studien über Busch neu oder überarbeitet erschienen. Selbstverständlich lockt die natürliche Überlegenheit des Dezimalsystems, die gleich zweifach Grund zum Erinnern bescherte; aber diese Bücher sind auch die ersten, die auf die Ergebnisse der 2002 abgeschlossenen historisch-kritischen Werkausgabe zurückgreifen können. Besonders in deren gleichfalls vor wenigen Monaten neu aufgelegtem dreibändigen Teil, der sich Buschs Bildergeschichten widmet (F.A.Z. vom 28. Juli 2007), hat Bearbeiter Hans Ries eine solche Fülle an Material zusammengetragen, dass man aus den Essays und Digressionen des Kommentars unschwer eine Biographie zusammenstellen könnte, die jedes konkurrierende Werk an Umfang und Informationsdichte überträfe - aber, und dies ist der Zug der Zeit, nicht zugleich an Lesbarkeit.
Deshalb ist es hocherfreulich, dass gleich zwei ganz neue Biographien zu Wilhelm Busch erschienen sind, zudem beide von Frauen geschrieben, während die Busch-Forschung bislang eine Domäne der Männerwelt war. Unterschiedlicher indes hätten die Biographien im Tenor nicht ausfallen können: Die Musikwissenschaftlerin und Germanistin Eva Weissweiler führt uns den dunklen Busch vor, einen, den auch Thomas Kluge im Nachwort zu seiner Textauswahl "Wilhelm Busch für Boshafte" im Blick hat, wenn er bei dem Dichter "durchgängig Inszenierungen von Boshaftigkeit" feststellt. Eva Weissweiler nennt ihn einen "lachenden Pessimisten", dessen Gelächter aber nur eines der Schadenfreude und des Hohns ist. Als Leitmotiv von Buschs Schaffen hält sie fest: "Der Mensch ist im Kern seines Wesens vielleicht nicht durchweg schlecht. Aber er ist unerziehbar und bleibt immer das Wesen, als das er geboren wurde."
Jeder auch nur oberflächliche Kenner von Buschs Werk weiß, dass diese Einschätzung durch Hunderte von Bemerkungen und Verse gedeckt ist. Eine, die Kluge ausgewählt hat, möge genügen: "Man ist ja von Natur kein Engel, / Vielmehr ein Welt- und Menschenkind. / Und ringsumher ist ein Gedrängel / Von solchen, die dasselbe sind." Deshalb würde die Literaturwissenschaftlerin Gudrun Schury als zweite aktuelle Busch-Biographin der Kollegin und Konkurrentin Weissweiler hier nicht widersprechen, doch ihr Buch stellt dennoch einen ganz anderen Künstler vor: den lichten Busch. Ist der Dichter und Zeichner bei Frau Weissweiler ein Misanthrop (und speziell ein misogyner), der seiner Familie, bei der er sich in den letzten dreißig Jahren seines Lebens einnistete, das Leben ebenso vergällt hat wie all den Freunden, die er sich vom Leibe hielt, und den Frauen, die er verachtete (Liebe habe er nur im Bordell gesucht), so ist Wilhelm Busch in Frau Schurys Augen ein liebenswürdiger Familienmensch, der seinen Neffen und Großneffen gegenüber wie ein gütiger Großvater auftrat, seinen Freunden als treue Seele und den Frauen als ein Charmeur. Was stimmt denn nun?
Das ist Auslegungs- und nicht zuletzt Geschmackssache. Geschmack deshalb, weil man sich eben entscheiden muss, ob man etwa Buschs Freundschaft zu dem Dirigenten Hermann Levi als Zeichen dafür deuten will, dass der Künstler generell kein Antisemit (so Gudrun Schury) oder nur in diesem Fall frei von Antisemitismus (so Eva Weissweiler) war. Wobei Weissweilers Buch immer zunächst nach dem Schlimmsten sucht und, wo es eben geht, eine kritische Position einnimmt, während Schurys Biographie eher dazu neigt, heikle Fragen mit einem eleganten Federstrich beiseitezuschieben.
Das Überraschende nun ist, dass Frau Schurys Buch trotzdem das deutlich bessere ist. Es ist erst einmal viel flüssiger geschrieben, nämlich mit erkennbarem Spaß an der Sache und etlichen klugen Interpretationen zu Einzelwerken, während sich Frau Weissweiler mit ihrem ach so unerquicklichen Gegenstand bisweilen selbst quält und kaum einmal eine erhellende Bemerkung zu einem der Werke macht. Ausgerechnet über "Max und Moritz" etwa erfahren wir, dass dem Buch zunächst kein großer Erfolg beim Publikum beschieden war. Das stimmt - aber nur für zwei Jahre. Mehr dazu ist aber nicht zu lesen. Dafür gibt es einen Exkurs über die Hexenverbrennungen in Buschs Heimatdorf Wiedensahl. Dass deren letzte 1660 durchgeführt wurde, also 172 Jahre vor Buschs Geburt, muss man bei Gudrun Schury nachlesen. Eva Weissweiler dagegen beschließt ihre entsprechende Abschweifung mit dem Satz: "Die letzte Hinrichtung hatte 1832 - das Geburtsjahr Wilhelm Buschs - stattgefunden." Gemeint ist damit jedoch die letzte Hinrichtung eines Verurteilten im Königreich Hannover, gesagt wird das leider nicht.
Geht Frau Weissweiler schön brav chronologisch vor, hat sich Frau Schury das Prinzip von Modest Mussorgskys Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" zum Vorbild genommen: Bei ihr wechseln "Passagen" (im Präteritum erzählte Rückblicke aufs Leben) mit "Bildern" ab, die als biographische Schwerpunkte im Präsens geschrieben sind. So kommt noch mehr Leben in den Text, und die Qualität der Abbildungen ist bei Gudrun Schury auch höher als im Buch von Eva Weissweiler.
Beide haben aber noch eine weitere Konkurrenz: die schon vor dreißig Jahren erschienene Wilhelm-Busch-Studie des Tübinger Literaturwissenschaftlers Gert Ueding, die nun überarbeitet neu aufgelegt worden ist. Bei Erscheinen provozierte sie mit ihrer psychoanalytischen Deutung viel Widerspruch, deren Nachwirkungen bis in die Kommentare von Hans Ries in der Busch-Gesamtausgabe zu finden sind. Für Weissweiler und Schury ist Ueding keine bestimmende Bezugsgröße mehr; das rächt sich, denn in seinem Buch wird Busch wohlbegründet zum exemplarischen Künstler des neunzehnten Jahrhunderts erklärt - und diese Interpretation ist auch heute noch die radikalste, weil sie in Busch einen "Optimisten für die Zukunft" erkennt. Biographisch ist bei Ueding nicht so viel zu holen, dafür aber kunstgeschichtlich und literarisch. Und das ist bei Wilhelm Busch immer noch die Hauptsache.
ANDREAS PLATTHAUS
Gudrun Schury: "Ich wollt, ich wär ein Eskimo". Das Leben des Wilhelm Busch. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 412 S., 16 Tafeln, Abb., geb., 24,95 [Euro].
Eva Weissweiler: "Wilhelm Busch - Der lachende Pessimist". Eine Biographie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 381 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Gert Ueding: "Wilhelm Busch". Das 19. Jahrhundert en miniature. Erweiterte und revidierte Neuausgabe. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 429 S., Abb., geb., 26,80 [Euro].
"Wilhelm Busch für Boshafte". Ausgewählt von Thomas Kluge. Insel Taschenbuch, Frankfurt am Main 2007. 138 S., br., 6,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Doppeljubiläum von Wilhelm Busch sind gleich zwei Biographien erschienen. Perfekt ergänzt werden sie von Gert Uedings revidierter Studie zu Leben und Werk.
Aus einer Zeit vor wenigen Monaten, als der hessische Landtagswahlkampf noch bestimmt war vom Thema Bildung, stammt ein Wahlplakat der Grünen, das unter der Parole "Die neue Schule" den Lehrer Lämpel aus Wilhelm Buschs "Max und Moritz" zeigt - aber mit den geschickt in Holzstich-Ästhetik hineinmontierten Gesichtszügen von Roland Koch. Eine Erklärung braucht das Plakat gar nicht: Jedem Betrachter ist klar, dass erstens über Koch gespottet werden soll und er zweitens aus Sicht der Grünen für ein veraltetes Bildungsideal steht. Denn die Figuren von Wilhelm Busch sind auch hundertdreiundvierzig Jahre nach deren erstem Auftritt und genau hundert Jahre nach dem Tod des Zeichners (F.A.Z. vom 9. Januar) so präsent, dass einem die Zeilen dazu sofort einfallen: "Also lautet ein Beschluß: / Daß der Mensch was lernen muß. / ... / Daß dies mit Verstand geschah / War Herr Lehrer Lämpel da. / Max und Moritz, diese beiden, / Mochten ihn darum nicht leiden."
Verblüffend, dass dieses Plakat funktioniert. Denn Wilhelm Busch hat Max und Moritz ja keineswegs als Ideale gezeichnet und bedichtet, sondern als rechte Lausbuben, die am Ende eine Strafe erfahren, die gewiss auch Roland Koch als weitaus zu radikal erschiene. Lehrer Lämpel ist in der Bildergeschichte ein aufrechter Pädagoge mit den besten Absichten, dem übel mitgespielt wird. Und dennoch: Er gilt als Zerrbild des Lehrerstands. Das verdankt sich einmal Buschs unfassbarem Talent als karikierender Zeichner, der in Lämpel, welcher als Licht der Aufklärung sogar einen sprechenden Namen trägt, das grandiose Zerrbild eines unausgesprochen selbstherrlichen Schulmeisters schuf - spinnenfingrig, nickelbebrillt, schmaläugig -, und zum anderen der Sympathie, die die Lausbuben seit ihrem Debüt bei den Lesern genießen. Man mag es wenden, wie man will: Wir stehen immer auf der Seite von Max und Moritz.
Damit ist die spezifische Leistung von Buschs Bildergeschichten angesprochen: Sie stürzen uns in einen moralischen Zwiespalt, der aber gar nicht explizit aufgelöst werden muss, weil wir über das Erzählte lachen können. Lachen bedeutet immer einen Triumph, und wen interessierte schon noch, welche Schlachten im Gemüt zuvor geschlagen werden mussten? Nun, einige gibt es allerdings, die das interessiert. Es sind die Interpreten von Wilhelm Busch, diejenigen also, die sich auf die Ausdruckskraft seiner Reime einen Reim und von der Wirkungsmächtigkeit seiner Bilder ein Bild machen müssen.
In den nicht einmal neun Monaten zwischen dem 175. Geburtstag am 15. April 2007 und dem hundertsten Todestag am 9. Januar 2008 sind gleich mehrere Studien über Busch neu oder überarbeitet erschienen. Selbstverständlich lockt die natürliche Überlegenheit des Dezimalsystems, die gleich zweifach Grund zum Erinnern bescherte; aber diese Bücher sind auch die ersten, die auf die Ergebnisse der 2002 abgeschlossenen historisch-kritischen Werkausgabe zurückgreifen können. Besonders in deren gleichfalls vor wenigen Monaten neu aufgelegtem dreibändigen Teil, der sich Buschs Bildergeschichten widmet (F.A.Z. vom 28. Juli 2007), hat Bearbeiter Hans Ries eine solche Fülle an Material zusammengetragen, dass man aus den Essays und Digressionen des Kommentars unschwer eine Biographie zusammenstellen könnte, die jedes konkurrierende Werk an Umfang und Informationsdichte überträfe - aber, und dies ist der Zug der Zeit, nicht zugleich an Lesbarkeit.
Deshalb ist es hocherfreulich, dass gleich zwei ganz neue Biographien zu Wilhelm Busch erschienen sind, zudem beide von Frauen geschrieben, während die Busch-Forschung bislang eine Domäne der Männerwelt war. Unterschiedlicher indes hätten die Biographien im Tenor nicht ausfallen können: Die Musikwissenschaftlerin und Germanistin Eva Weissweiler führt uns den dunklen Busch vor, einen, den auch Thomas Kluge im Nachwort zu seiner Textauswahl "Wilhelm Busch für Boshafte" im Blick hat, wenn er bei dem Dichter "durchgängig Inszenierungen von Boshaftigkeit" feststellt. Eva Weissweiler nennt ihn einen "lachenden Pessimisten", dessen Gelächter aber nur eines der Schadenfreude und des Hohns ist. Als Leitmotiv von Buschs Schaffen hält sie fest: "Der Mensch ist im Kern seines Wesens vielleicht nicht durchweg schlecht. Aber er ist unerziehbar und bleibt immer das Wesen, als das er geboren wurde."
Jeder auch nur oberflächliche Kenner von Buschs Werk weiß, dass diese Einschätzung durch Hunderte von Bemerkungen und Verse gedeckt ist. Eine, die Kluge ausgewählt hat, möge genügen: "Man ist ja von Natur kein Engel, / Vielmehr ein Welt- und Menschenkind. / Und ringsumher ist ein Gedrängel / Von solchen, die dasselbe sind." Deshalb würde die Literaturwissenschaftlerin Gudrun Schury als zweite aktuelle Busch-Biographin der Kollegin und Konkurrentin Weissweiler hier nicht widersprechen, doch ihr Buch stellt dennoch einen ganz anderen Künstler vor: den lichten Busch. Ist der Dichter und Zeichner bei Frau Weissweiler ein Misanthrop (und speziell ein misogyner), der seiner Familie, bei der er sich in den letzten dreißig Jahren seines Lebens einnistete, das Leben ebenso vergällt hat wie all den Freunden, die er sich vom Leibe hielt, und den Frauen, die er verachtete (Liebe habe er nur im Bordell gesucht), so ist Wilhelm Busch in Frau Schurys Augen ein liebenswürdiger Familienmensch, der seinen Neffen und Großneffen gegenüber wie ein gütiger Großvater auftrat, seinen Freunden als treue Seele und den Frauen als ein Charmeur. Was stimmt denn nun?
Das ist Auslegungs- und nicht zuletzt Geschmackssache. Geschmack deshalb, weil man sich eben entscheiden muss, ob man etwa Buschs Freundschaft zu dem Dirigenten Hermann Levi als Zeichen dafür deuten will, dass der Künstler generell kein Antisemit (so Gudrun Schury) oder nur in diesem Fall frei von Antisemitismus (so Eva Weissweiler) war. Wobei Weissweilers Buch immer zunächst nach dem Schlimmsten sucht und, wo es eben geht, eine kritische Position einnimmt, während Schurys Biographie eher dazu neigt, heikle Fragen mit einem eleganten Federstrich beiseitezuschieben.
Das Überraschende nun ist, dass Frau Schurys Buch trotzdem das deutlich bessere ist. Es ist erst einmal viel flüssiger geschrieben, nämlich mit erkennbarem Spaß an der Sache und etlichen klugen Interpretationen zu Einzelwerken, während sich Frau Weissweiler mit ihrem ach so unerquicklichen Gegenstand bisweilen selbst quält und kaum einmal eine erhellende Bemerkung zu einem der Werke macht. Ausgerechnet über "Max und Moritz" etwa erfahren wir, dass dem Buch zunächst kein großer Erfolg beim Publikum beschieden war. Das stimmt - aber nur für zwei Jahre. Mehr dazu ist aber nicht zu lesen. Dafür gibt es einen Exkurs über die Hexenverbrennungen in Buschs Heimatdorf Wiedensahl. Dass deren letzte 1660 durchgeführt wurde, also 172 Jahre vor Buschs Geburt, muss man bei Gudrun Schury nachlesen. Eva Weissweiler dagegen beschließt ihre entsprechende Abschweifung mit dem Satz: "Die letzte Hinrichtung hatte 1832 - das Geburtsjahr Wilhelm Buschs - stattgefunden." Gemeint ist damit jedoch die letzte Hinrichtung eines Verurteilten im Königreich Hannover, gesagt wird das leider nicht.
Geht Frau Weissweiler schön brav chronologisch vor, hat sich Frau Schury das Prinzip von Modest Mussorgskys Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" zum Vorbild genommen: Bei ihr wechseln "Passagen" (im Präteritum erzählte Rückblicke aufs Leben) mit "Bildern" ab, die als biographische Schwerpunkte im Präsens geschrieben sind. So kommt noch mehr Leben in den Text, und die Qualität der Abbildungen ist bei Gudrun Schury auch höher als im Buch von Eva Weissweiler.
Beide haben aber noch eine weitere Konkurrenz: die schon vor dreißig Jahren erschienene Wilhelm-Busch-Studie des Tübinger Literaturwissenschaftlers Gert Ueding, die nun überarbeitet neu aufgelegt worden ist. Bei Erscheinen provozierte sie mit ihrer psychoanalytischen Deutung viel Widerspruch, deren Nachwirkungen bis in die Kommentare von Hans Ries in der Busch-Gesamtausgabe zu finden sind. Für Weissweiler und Schury ist Ueding keine bestimmende Bezugsgröße mehr; das rächt sich, denn in seinem Buch wird Busch wohlbegründet zum exemplarischen Künstler des neunzehnten Jahrhunderts erklärt - und diese Interpretation ist auch heute noch die radikalste, weil sie in Busch einen "Optimisten für die Zukunft" erkennt. Biographisch ist bei Ueding nicht so viel zu holen, dafür aber kunstgeschichtlich und literarisch. Und das ist bei Wilhelm Busch immer noch die Hauptsache.
ANDREAS PLATTHAUS
Gudrun Schury: "Ich wollt, ich wär ein Eskimo". Das Leben des Wilhelm Busch. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 412 S., 16 Tafeln, Abb., geb., 24,95 [Euro].
Eva Weissweiler: "Wilhelm Busch - Der lachende Pessimist". Eine Biographie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 381 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Gert Ueding: "Wilhelm Busch". Das 19. Jahrhundert en miniature. Erweiterte und revidierte Neuausgabe. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 429 S., Abb., geb., 26,80 [Euro].
"Wilhelm Busch für Boshafte". Ausgewählt von Thomas Kluge. Insel Taschenbuch, Frankfurt am Main 2007. 138 S., br., 6,- [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2008Die Nase dreht sich mehre Male und bildet eine Qualspirale
In seinem Werk sind alle Dämonen des 19. Jahrhunderts versammelt – Zum hundertsten Todestag des großen Zeichners und Dichters Wilhelm Busch
Niemand im deutschen Sprachraum, der sich zu Wilhelm Busch äußern will, kann dies mit Unbefangenheit tun. Wie die Erkältung, die sich ein sonst gesunder Erwachsener zuzieht, in ihm die Gedächtnisschleusen zu den fiebrigen Erkrankungen seiner Kindheit öffnet, so scheint durch die Belustigung, mit der er heute Buschs Bildergeschichten durchblättert, der tiefe Eindruck einer frühen Zeit. Wer Buschs gedenkt, sollte den Anfang mit Max und Moritz machen, einem Buch, das nicht oder jedenfalls nicht ganz als Kinderbuch gedacht war, aber wie kein anderes das Buch der Kinder geworden ist.
Kein Kind hätte Max oder Moritz, wie sie steckbriefhaft auf der ersten Seite prangen, für seinesgleichen angesehen; für Kollegen des Froschkönigs und des Rumpelstilzchens musste es sie halten, für, ohne dass es ein Wort dafür gehabt hätte, Dämonen. Die Frage, warum sie taten, was sie taten, stellte sich gar nicht. Ganz überflüssig, dass mehrere Generationen von Erziehern sich Sorgen um die Folgen für das kindliche Gemüt machten, erst weil ihnen Max und Moritz als verdammenswertes Vorbild zu wirken schien (die Regierung der Steiermark verbot den Verkauf des Buchs noch 1929), später weil sie die verkrüppelnde Gewalt der „Schwarzen Pädagogik” fürchteten. Für ein Kind verstanden sich Max und Moritz so sehr von selbst und blieben zugleich so gänzlich außerhalb seiner eigenen Lebenssphäre, dass ihm daraus weder Angst noch das Bedürfnis zur Nachahmung erwuchsen, sondern ein Erlebnis ganz eigener Art.
Es sind zwei antinaturalistische Stilprinzipien, die sich in Buschs Zeichnungen befehden und durchdringen: Er setzt das Bild als Zeichen wie die Kunst des Mittelalters, mit den immer wieder gleichen Floskeln für Schreck und Verletzung, für Nachttopf und Stiefelknecht und Brezel (mit nur zwei statt den heute üblichen drei Ösen), besonders fassbar in der Gequetschtheit der Räume und den falschen Proportionen zwischen Mensch und Ding – wie groß geraten ihm die Maikäfer und wie klein die Häuser! Und er zielt, zweitens, auf die groteske Übertreibung, die Wert darauf legt, dass sie bei allem Eigensinn rein anatomisch „auch” möglich wäre; sie will als Virtuosität gewürdigt sein. Dem erwachsenen Blick wird sich beides ohne weiteres amalgamieren; nicht so dem Kind, von dessen Blick nur das Zeichenhafte erfasst wird (auch in der kindlichen Kunst beginnt das Zeichnen ja mit dem Zeichen). In diesem aber ruht es mit solchem Bildvertrauen, dass es auch dann nicht irre wird, wenn es die Bewegungsmuster, in welchen sich die Groteske konzentriert, nicht begreift. Aus den Moriskentänzen des Schneiders Böck, den die Leibschmerzen quälen, und des Onkels Fritz in seiner Panikattacke förderte es ganz andere Gestalten zutage, als dem erwachsenen Auge selbstverständlich wäre, mit des Onkels Ferse und Wade als Kopf und Hals eines unvermittelten Rätselwesens - und fand doch nichts daran fraglich.
Als eigentliches Gegenstück zu Max und Moritz, so weit es die volkstümliche Rezeption betrifft, kann der Struwwelpeter gelten. Der Struwwelpeter will von vornherein ein Kinderbuch sein und ist kein schlechtes; aber seinen Vorsatz bezahlt er mit einer gewissen Plattheit, die höchstens von der Perspektive des fliegenden Roberts ein Stück weit überwunden wird. Max und Moritz aber steckt voll eines erwachsenen Augenzwinkerns, von dem ein Kind kaum versteht, dass es hier etwas nicht versteht. Der unverwertbare Überschuss bietet sich ihm als Geheimnis dar. Geheimnisse sind gut für Kinder. Schlimmstenfalls passieren sie das kindliche System als unverdauter Ballaststoff, im günstigen Falle aber verleihen sie der Fläche des Augenscheinlichen (und nichts ist flacher als eine Zeichnung!) eine Tiefendimension, die auszuschöpfen ein ganzes erwachsenes Leben kaum hinreicht; und dieser Vorgang ist besetzt mit der Lust der Phantasie.
Solche Tiefe erstreckt sich notwendig in die einzige Dimension, die offen steht, in die Vergangenheit. Sie ist die erste große Neuigkeit für die Kinder, wenn sie hören, wie das Märchen anhebt: Es war einmal . . . Die Verschiedenheit des Einst vom Jetzt entdecken sie mit einer Inbrunst wie erst später wieder, in der Pubertät, die Geschlechtlichkeit. Wie bedeutungsvoll insinuiert das Märchen hinter allem Altem stets das noch Ältere!
Busch steht in Verbindung mit vielen Überlieferungen – mit dem Münchner Künstlerbetrieb seiner Jugend, einschließlich Kneipzeitung und Fliegender Blätter; mit der biedermeierlichen Idylle und der sentimentalen Ironie Heinrich Heines; mit der Malerei des 17. Jahrhunderts in ihrer festlich flämischen und ihrer bummlig holländischen Variante; mit Breughel und mit dem Holzschnitt des 16. Jahrhunderts; mit der alterslosen Tierfabel, die sich seit dreitausend Jahren immer neu einkleidet. Doch dürfte das Märchen die einzige Tradition in Buschs Werk sein, die von einem breiten und jungen Publikum noch immer auf Anhieb erfasst wird.
Und wie das Märchen vermittelt auch Busch das Gefühl, dass er letztmalig ein sich schon Entziehendes erwischt, gewissermaßen beim hinten herauslugenden Sacktuch, das bei ihm so oft den Umriss der Voranstrebenden bereichert. Busch ist vermutlich der letzte Dichter deutscher Zunge, der, wenngleich ironisch gebrochen, noch weiß, dass die Maikäfer mit vollem Recht den Vögeln zugerechnet werden, insofern sie fliegen; und ebenso der letzte, der mit Verständnis des Systems das unregelmäßige Zahlwort „zwei” beugt: zwei maskulin, zwo feminin, zwee neutral.
Für die Mühle und die Backstube hegt er einen uralten Schauder und einen uralten Groll: Hier geschieht grundhafte Umerschaffung, feurig und zermalmend, höllischer mehr als segensreicher Art. „Rickeracke! Rickeracke / Geht die Mühle mit Geknacke . . . ”. Hier auch haben die ländlichen Reichen ihren Platz, die dank dem Mahlzwang und ähnlichen obrigkeitlich eingesetzten Privilegien dick und fett geworden sind. Ihnen steht das Bäuerlein gegenüber, eine Gestalt von äußerster Magerkeit. Ihm, dem verachteten „Parzellenbauer”, wollte Buschs Zeitgenosse Karl Marx keinen Platz im Gang der Geschichte gönnen, diese Klasse kam für ihn gar nicht in Betracht, obwohl ihr damals noch bestimmt die Hälfte der Bevölkerung Europas angehörte. Busch jedoch hält ihm und seiner Armut die physiognomische Treue.
Diesem Werk lässt sich ein unvordenkliches Darben ablesen, mit den Wänsten der dörflichen Oberschicht als lächerlichem, eigentlich aber empörendem Widerspiel. Die ewigen Ringkämpfe drehen sich um Äpfel, Schinkenbeine und Brezel; und die Katastrophen, wenn Betrunkene sich irrtümlich in die Teigmulde betten, dicke Gesäße auf dem Buttervorrat Platz nehmen, der Korb mit den Eiern fällt, für uns als reiner Slapstick belachbar, werden von den Beteiligten deswegen so schrill beklagt, weil es einen Raub an ihrer knappsten und gehegtesten Ressource bedeutet, den Barren aus Fett und Protein, ohne die aus ihrem Winter leicht ein Hungerwinter wird. Vier der sieben Streiche von Max und Moritz haben es mit Nahrungsmitteln zu tun.
Wenn einer ins Fettnäpfchen tritt oder wenn es um die Wurst geht, so sind das für uns spaßige Redewendungen; bei Busch geraten sie zum höchst realen Handgemenge. „Teuer” ist das jedesmalige, unreine und doch triftige Reimwort auf „Eier”; ohne dieses können sie gar nicht gedacht werden. Man denke, was heute ein Ei kostet – und ermesse daran, wie weit wir in so kurzer Zeit der Urgeschichte, wie sie uns Wilhelm Busch erzählt, entronnen sind!
Freilich wird dies bei ihm alles nur sagbar im Modus der Lustigkeit. Lustig ist nicht identisch mit heiter. Lustig ist bei Wilhelm Busch überall und vor allem – die Gewalt. Mehr als jeder andere Umstand bestimmt sie das zeichnerische Werk und dessen Handlungsgänge. Kein Missgeschick, kein Erziehungsakt und keine Exekution (vielleicht mit Ausnahme des Schlusses von Fipps dem Affen), bei dem Busch auch nur einen Hauch von Mitgefühl für seine Opfer erkennen ließe. Stets wird dem Leser und Betrachter eingeflüstert, es seien doch nur Puppen eines Papiertheaters, er solle doch bitte seiner Schadenfreude keinen Zwang antun.
Es ist oft bemerkt worden, dass sich bei Busch die Nasenverletzungen in so monomanischer Weise häufen. Die Nase ist ein merkwürdiges Organ; anders als ihre Nachbarn im Gesicht, Mund und Augen vor allem, daneben Wangen, Stirn und selbst Kinn, scheint sie gänzlich ohne Poesie, zum niedrigen Stil verdammt. Sie gibt den bevorzugten Henkel ab, bei dem der Karikaturist sein Opfer packt; schutzlos ragt sie, obwohl eins der am feinsten innervierten Organe, in die Welt hinein. Mehr als jedes andere Organ ist sie der Schadenfreude affin. Keiner kommt umhin, selbst zusammenzuzucken, wenn der fremden Nase ein Stich oder eine Schraubendrehung angetan wird; und um den sympathetischen Schmerz zu verringern, muss er den Affekt, unter Aufbietung erheblicher psychischer Energien, um- und abwenden.
Jenem Schmerz, den Busch vorzugsweise einen „peinlichen” nennt, insofern er neben dem Leiden selbst auch das Mitempfinden des Beobachters meint, entgeht nur das Lachen; ein schönes Geräusch ist es nicht. „Die Nase dreht sich mehre Male / Und bildet eine Qualspirale.” Wenn man es laut liest, widersteht man kaum der Versuchung, die Vokale in die Länge zu ziehen und die Qual, statt sie abzukürzen, gewissermaßen noch zu dehnen; man findet sich wieder als Komplize dieser exquisiten Folterung, an deren Ende eine Nasenhälfte von der Elastizität eines Zweigs abgetrennt und hochgeschnellt wird. Und zu allem Überfluss trägt die grausame Szene auch noch die Unschuldsmiene des pädagogischen Zwecks zur Schau: Das wird dich lehren, nach Affenfleisch zu trachten! Dies nämlich hatte der verstümmelte Mohr im Schilde geführt. Buschs Strafen gehorchen dem Gesetz der absurden Überbietung jenes Vergehens, für das sie verhängt werden. Er und sein willig-unwilliger Vertrauter, der Leser, genießen jede Missetat zweimal: einmal wenn sie getan und einmal wenn sie geahndet wird.
Man hat das Phänomen Busch auf die Kälte seiner Kindheit und die damals erlittenen, nie wieder gutzumachenden Beschädigungen zurückführen wollen; und sicher zu Recht. Selbst in der herunterspielenden Art, wie Busch von einigen Schlüsselgeschehnissen berichtet, ahnt man, dass hier Dinge passiert sind, von denen sich ein Mensch das ganze Leben nicht mehr erholt: Wie sein Vater, nachdem der kleine Wilhelm Schießpulver für einen max- und moritzhaften Streich entwendet hatte, ihn prügelte, am Ohr packte und immer im Kreis um das bestohlene Gefäß herumführte; wie er, offenbar ohne Vorwarnung, aus der Familie gerissen und einem Onkel zur Erziehung übergeben wurde; wie er, als er nach Jahren das wieder heimkam, seiner Mutter im Feld begegnete und sie ihn nicht wiedererkannte. Wie setzt man sich zur Wehr gegen solche verkrüppelnde Erlebnisse? Natürlich indem man tut, als wäre nichts gewesen; oder, wenn das nicht gelingt, als wäre es jedenfalls nicht der Rede wert und fiele ins Spektrum der Normalität.
Auf die Frage: Du armes Kind, was hat man dir getan? kann Busch, der niemals Freiheit erlangt, keine Antwort geben als eine kecke, nicht anders als seine verhärteten Lausbuben. Man mag sich kaum vorstellen, was dieses unausgesetzte Prügeln als der pädagogisch intensivste Umgang mit dem kindlichen Selbst damals wirklich bedeutet hat, für die Kinder und die Erwachsenen, die aus ihnen hervorgingen. Eine ganze Epoche scheint sich darauf verständigt zu haben, dass dies „noch keinem geschadet hat”. Jedenfalls konnte Busch auf breite Zustimmung rechnen, wenn er den Umkreis des gesellschaftlich Üblichen und Akzeptablen hier so weit wie möglich dehnte, damit auch die von ihm erfahrene Gewalt noch darin Platz fand und seine Biographie sozusagen ein Dach über dem Kopf bekam. Die Welt muss wesenhaft bös sein, auch und gerade die Kinder (die von ihnen kaum geschiedenen Tiere sowieso): Sonst wäre ihm, dem einzelnen Kind, ein beispielloses, ihn gänzlich vereinsamendes Unrecht widerfahren; und das wäre schlimmer, als sich selbst für verworfen erklären müssen.
Die Hornhaut musste sich der Künstler Busch zulegen, damit sie die alten Striemen bedeckte und vor schmerzender neuer Berührung schützte; hier liegt die Wurzel seiner Lustigkeit, wie auch (denn da befindet er sich in breiter Gesellschaft) des elenden Humors im 19. Jahrhundert insgesamt. Wo Wilhelm Busch diese Dinge, die er unausgesetzt gestaltet, leibhaftig tut, da sind sie nicht lustig, sondern verbreiten um sich den peinlichen Schrecken: Als er 1881 seine Münchner Freunde besucht, zieht er der Schwester Franz Lenbachs den Stuhl weg, dass sie auf den Hintern fällt, und wirft über die Köpfe der Anwesenden plötzlich einen Käse an die Wand. Danach geht er und kehrt nie wieder. Er muss sich in Grund und Boden, er muss sich zu Tode geschämt haben.
Solchen vernichtenden Gefühlen antworten die Todesarten, die er für seine Figuren findet. Nicht zufrieden damit, ihnen das Leben zu nehmen, tilgt er die erkennbare Gestalt vom Angesicht der Erde, sie wird mit einem wahren Ingrimm von Mühlsteinen zermalmt wie Max und Moritz, platt ausgewalzt wie die bösen Buben von Korinth, zu Asche verbrannt wie die fromme Helene, zu zackigen Eisgebilden transformiert und dann amorph zerschmolzen wie der Eispeter. Dies unterscheidet Busch grundsätzlich vom Comic, als dessen Ahnherr er verdientermaßen in Anspruch genommen wird. Wenn dem Koyoten Karl ein Amboss auf den Kopf fällt, ist er im nächsten Panel, trotz einiger Heftpflaster, wieder wohlauf. Bei Busch aber bleiben die Toten tot. Der Tod bei Busch stellt den Grenz- und Testfall des Lustigen dar, auf den er mit Entschiedenheit hinarbeitet.
Muss das sein? haben Wohlmeinende mit Entsetzen gefragt und die dramaturgische Notwendigkeit in Zweifel gezogen, die den armen Kater Schnipps nach den Klauen auch noch den Schwanz einbüßen lässt und den skelettierten Rest dem Betrachter als mit jedem Wirbelchen liebevoll ausgeführte Miniatur empfiehlt. Als Gegenfrage sei erlaubt: Was bliebe von Busch, wenn man ihm die Häme seiner Peinlichkeiten abzöge? Er würde zurückgeworfen auf das, worauf er parodistisch reagiert, auf Ludwig Richter. Man tut Busch kein Unrecht, wenn man ihn als Parodisten in einem ähnlichen Sinn versteht wie Cervantes . Das biedermeierliche Idyll braucht man so wenig zu kennen wie den spanischen Ritterroman, um Busch und Cervantes zu begreifen. Und doch bergen beide ihren verjährten Anreiz in sich wie die Perle das Sandkorn. Von Ludwig Richter, diesem deutschen Verhängnis mit der klaustrophobischen Innerlichkeit und dem schwunglos gleichförmigen Zeichenstrich wie zu Laubsägevorlagen, ist Busch nie so weit weg, wie es scheint; er erbt von ihm die Geschlossenheit der Kontur und die Enge als Familienschicksal.
So oft Busch seiner Sehnsucht nach Versöhnung die Zügel schießen lässt, etwa bei der Geschichte vom braven Lenchen (keinesfalls mit der frommen Helene zu verwechseln!), erliegt er der Gravitation des Kitschs wie einer Naturkonstante. Aber sein Werk ist vom Aufbegehren gegen so viel Bravheit geprägt. Dass Max und Moritz ausgerechnet im Verlag von Richters Sohn erscheint, hat das Zweideutige an sich, das Akte der Vergeltung bei Busch stets aufweisen: Ist es die Rache Buschs an Richter? Oder die Rache Richters an Busch?
Zum Furchtbarsten der kindlichen Kälteschäden gehört es, dass ihr Opfer nicht einmal mehr zu einer klaren Vorstellung des möglichen Anderen, des Glücks, imstande ist. Bei Busch zeigt sich das krass beim einzigen Gegenstand, wo man ihm wirklich zeichnerische Mängel nachsagen kann, beim Bild der schönen Frau. Erkennbar sucht er sie in ihrer Lieblichkeit aus dem karikaturistischen Umfeld inselhaft herauszuheben. Man betrachte die Porträtbüste der Christine Dralle in „Schnurrdiburr”: Wie hier Anmut als Kindchenschema vonstatten geht, wie der angestrebte Silberblick zum Ausdruck des bekümmerten Schwachsinns gerinnt! Alle anderen Figuren um sie herum sind sozusagen karikaturistische Skelette; sie allein hat vor lauter Holdseligkeit keinen einzigen Knochen im Leib und ähnelt in der Durchführung dem ungebackenen Brotteig, der in Buschs Geschichten eine so auffallende Rolle spielt.
Auszunehmen wäre hier allein die Fromme Helene, die es wohl verdient, Buschs „erwachsenstes” Werk genannt zu werden. Auch sie freilich folgt dem Muster der sinkenden Biographie, das für viele der Bildergeschichten gilt; aber hier springt Busch einmal über seinen Schatten, er identifiziert sich feinfühlig mit dem andersartigen Wesen Frau; und so ist es, was bei Busch nicht oft vorkommt, ein Buch voll sozialen Takts geworden – ein Eindruck, den er durch die abschließende Höllenfahrt allerdings so weit wie möglich wieder auslöscht. Soweit auf deutschem Boden eine Madame Bovary erblühen konnte: Das ist sie.
Über Busch und die Frauen ist viel geschrieben worden; es hat für ihn zweifellos hier viel Angst, Enttäuschung und Demütigung gegeben, auch, wie es scheint, einiges an Ausflucht und Verrat von seiner Seite. Die Ehe stellt das große ungelöste Problem in seinem Leben und Werk dar. Wenn man den „Tobias Knopp” liest, speziell den ersten Teil der Trilogie, worin er suchend die Welt durchreist und auf mancherlei beweibte und unbeweibte Lebensmuster stößt, fühlt man sich an Buschs älteren Zeitgenossen Kierkegaard und dessen sehr ernst gemeintes Wort erinnert: Heirate, und du wirst es bereuen; heirate nicht, und du wirst es auch bereuen. Als Knopp, desillusioniert und wie aus einer verlorenen Schlacht, heimkehrt, macht er schließlich seiner Dienstmagd einen Antrag: „ ,Mädchen‘, spricht er, ,sag mir, ob . . . ‘/ Und sie lächelt: ,Ja, Herr Knopp!‘” Ein kleinmütigeres Happyend lässt sich nicht gut vorstellen. Auch wo Busch das Liebesglück grafisch festzuhalten strebt, erscheint eine zwiespältige Hieroglyphe: das küssende Paar im Profil, deutlich geschieden, wobei die rüsselförmig vorgeschobenen Lippen zu einer Art gemeinschaftlich genutzter Pipette werden, die sprödestmögliche Verschmelzung der Geschlechter. Zu guter oder schlechter Letzt läuft es für den Menschen Busch auf das Junggesellenleben hinaus, ohne „tugendsamen Vorgesetzten”, wie er die Gestalt der Hausfrau mit Schalkheit und Argwohn fasst. Dazu singt er sich, wie ein Wiegenlied, den Refrain: „Schön ist‘s, Junggeselle sein!” Die letzte Strophe lautet, in einer Resignation, die erschreckend wüste Züge annimmt: „Heut stolziert er auf und ab, / Morgen scheißt der Hund aufs Grab, / Dies ist dann sein Leichenstein – / Schön ist‘s, Junggeselle sein!”
Zwischen den Übeln des familiären Erstickungstods und der völligen Vereinsamung wählt Busch die Onkelschaft – sowohl in seinem Privatleben als auch für viele seiner Geschichten. Onkel sein ist das mittlere Übel und das mittlere Gut; es inhäriert schon dem bloßen Wort eine gewisse und von Busch weidlich genutzte Komik. Seine Onkelpflichten nahm Busch so ernst, wie er den Vaterpflichten aus dem Wege ging. „Vater werden ist nicht schwer, / Vater sein dagegen sehr”, lautet eins seiner geflügelten Worte, die selbst in der zitatarmen heutigen Zeit noch kursieren; und doch gilt ebenso: „Onkel heißt er bestenfalles, / Aber dieses ist auch alles.”
In einem umfassenden Sinn ist Wilhelm Busch unser aller Onkel geblieben. Als ein glückliches Resultat wird man das nicht bezeichnen wollen, eher als eine typisch familiäre Notlösung (mehr Not als Lösung, möchte man sagen). Der Preis, den er für die Duldung im Schoß seiner Lieben zu zahlen hat, liegt in der Anmutung der Lustigkeit, die er seiner doch eigentlich traurigen Existenz zu geben hat. Es eignet dieser pläsierlichen Haltung, wie einem Gähnen, eine ansteckende Kraft, die bis heute zu spüren ist: Die Mechanismen, an denen Busch sich formte und von denen er verformt wurde, können nicht gänzlich verschollen sein.
Und so hat man bei der WilhelmBusch-Rezeption oft den Eindruck, auch nach hundert Jahren, dass hier weniger die Nachwelt als eine verschleppte Mitwelt zugange ist. Man hat die vielen Momente seiner zeichnerischen Technik betont, die in die Moderne bis hin zu Film und Abstraktion vorausweisen, gewiss mit gutem Grund. Als machtvoller aber erweist sich sein Potential, uns zum Rückfall zu ermuntern. Wir halten uns für Bürger des 21. Jahrhunderts. Aber so unverlierbar wie Knopp, wenn er seine eleganten Tanzfiguren aufs Parkett legt, der heimlich angenähte Schweineschwanz, haftet uns immer noch das vorvergangene Säculum an; in ihm suchen wir Behagen, seine gereimten Ohrwürmer üben immer noch schmeichelnde Gewalt über unser Gehör und Gedächtnis. In keinem anderen Autor verkörpert sich für uns so machtvoll ein lasterhaft süßes Heimweh nach dem 19. Jahrhundert. Mit Verwunderung über die ungebrochene Lebenskraft eines so gebrochenen Phänomens und nicht ohne Respekt sei es gesagt: Den habt ihr noch nicht hinter euch! BURKHARD MÜLLER
Für die Mühle und die Backstube hegt er einen uralten Schauder und einen uralten Groll.
Lustig ist bei Wilhelm Busch überall und vor allem – die Gewalt.
Ausstellungen und Bücher zu Busch
Eine kompetente Einführung bietet Michaela Diers: Wilhelm Busch. Leben und Werk. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2007. 194 Seiten, 14,60 Euro.
Wiederaufgelegt wurde Gerd Ueding: Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 429 S., 26,80 Euro. Auch nach drei Jahrzehnten hat Uedings Buch nichts von seiner Kraft verloren und kann als Standardwerk gelten. Es bettet Busch in den kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext ein.
Eine neue Biographie, die sich ihres problematischen Gegenstands ohne falsche Schonung, doch voller Zuneigung annimmt, legt Eva Weissweiler vor: Wilhelm Busch. Der lachende Pessimist. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 381 Seiten, 19,90 Euro.
Außerdem Gudrun Schury: Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 412 S., 24,95 Euro.
Und natürlich Ausstellungen. Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover zeigt Wilhelm Busch: Erotisch, komisch, gnadenlos vom 13.1. bis zum 9.11. In der Ludwig Galerie in Schloss Oberhausen ist Herzenspein und Nasenschmerz bis zum 24.2. zu sehen. Schloss Gottorf in Schleswig zeigt So viel Busch war nie bis zum 27. April.
„ ,Mädchen‘, spricht er, ,sag mir, ob . . . ‘/ Und sie lächelt: ,Ja, Herr Knopp!‘”
In einem umfassenden Sinn ist Wilhelm Busch unser aller Onkel geblieben.
Der Metzger sticht, der Bauer lacht, / Das Schwein wird jetzt zu Wurst gemacht.
Ein gutes, altes Bäuerlein / Treibt vor sich her sein fettes Schwein. Und als er an ein Wirthshaus kam, / Er einen Schnapsen zu sich nahm.
Schau schau! Der Nachbar und sein Sohn / Die warten auf die Knödel schon. Da hebt die Sau in vollem Lauf / Die Frau mitsammt der Suppe auf.
Der Bauer will die Sau gern fassen, / Er muss sie aber laufen lassen.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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In seinem Werk sind alle Dämonen des 19. Jahrhunderts versammelt – Zum hundertsten Todestag des großen Zeichners und Dichters Wilhelm Busch
Niemand im deutschen Sprachraum, der sich zu Wilhelm Busch äußern will, kann dies mit Unbefangenheit tun. Wie die Erkältung, die sich ein sonst gesunder Erwachsener zuzieht, in ihm die Gedächtnisschleusen zu den fiebrigen Erkrankungen seiner Kindheit öffnet, so scheint durch die Belustigung, mit der er heute Buschs Bildergeschichten durchblättert, der tiefe Eindruck einer frühen Zeit. Wer Buschs gedenkt, sollte den Anfang mit Max und Moritz machen, einem Buch, das nicht oder jedenfalls nicht ganz als Kinderbuch gedacht war, aber wie kein anderes das Buch der Kinder geworden ist.
Kein Kind hätte Max oder Moritz, wie sie steckbriefhaft auf der ersten Seite prangen, für seinesgleichen angesehen; für Kollegen des Froschkönigs und des Rumpelstilzchens musste es sie halten, für, ohne dass es ein Wort dafür gehabt hätte, Dämonen. Die Frage, warum sie taten, was sie taten, stellte sich gar nicht. Ganz überflüssig, dass mehrere Generationen von Erziehern sich Sorgen um die Folgen für das kindliche Gemüt machten, erst weil ihnen Max und Moritz als verdammenswertes Vorbild zu wirken schien (die Regierung der Steiermark verbot den Verkauf des Buchs noch 1929), später weil sie die verkrüppelnde Gewalt der „Schwarzen Pädagogik” fürchteten. Für ein Kind verstanden sich Max und Moritz so sehr von selbst und blieben zugleich so gänzlich außerhalb seiner eigenen Lebenssphäre, dass ihm daraus weder Angst noch das Bedürfnis zur Nachahmung erwuchsen, sondern ein Erlebnis ganz eigener Art.
Es sind zwei antinaturalistische Stilprinzipien, die sich in Buschs Zeichnungen befehden und durchdringen: Er setzt das Bild als Zeichen wie die Kunst des Mittelalters, mit den immer wieder gleichen Floskeln für Schreck und Verletzung, für Nachttopf und Stiefelknecht und Brezel (mit nur zwei statt den heute üblichen drei Ösen), besonders fassbar in der Gequetschtheit der Räume und den falschen Proportionen zwischen Mensch und Ding – wie groß geraten ihm die Maikäfer und wie klein die Häuser! Und er zielt, zweitens, auf die groteske Übertreibung, die Wert darauf legt, dass sie bei allem Eigensinn rein anatomisch „auch” möglich wäre; sie will als Virtuosität gewürdigt sein. Dem erwachsenen Blick wird sich beides ohne weiteres amalgamieren; nicht so dem Kind, von dessen Blick nur das Zeichenhafte erfasst wird (auch in der kindlichen Kunst beginnt das Zeichnen ja mit dem Zeichen). In diesem aber ruht es mit solchem Bildvertrauen, dass es auch dann nicht irre wird, wenn es die Bewegungsmuster, in welchen sich die Groteske konzentriert, nicht begreift. Aus den Moriskentänzen des Schneiders Böck, den die Leibschmerzen quälen, und des Onkels Fritz in seiner Panikattacke förderte es ganz andere Gestalten zutage, als dem erwachsenen Auge selbstverständlich wäre, mit des Onkels Ferse und Wade als Kopf und Hals eines unvermittelten Rätselwesens - und fand doch nichts daran fraglich.
Als eigentliches Gegenstück zu Max und Moritz, so weit es die volkstümliche Rezeption betrifft, kann der Struwwelpeter gelten. Der Struwwelpeter will von vornherein ein Kinderbuch sein und ist kein schlechtes; aber seinen Vorsatz bezahlt er mit einer gewissen Plattheit, die höchstens von der Perspektive des fliegenden Roberts ein Stück weit überwunden wird. Max und Moritz aber steckt voll eines erwachsenen Augenzwinkerns, von dem ein Kind kaum versteht, dass es hier etwas nicht versteht. Der unverwertbare Überschuss bietet sich ihm als Geheimnis dar. Geheimnisse sind gut für Kinder. Schlimmstenfalls passieren sie das kindliche System als unverdauter Ballaststoff, im günstigen Falle aber verleihen sie der Fläche des Augenscheinlichen (und nichts ist flacher als eine Zeichnung!) eine Tiefendimension, die auszuschöpfen ein ganzes erwachsenes Leben kaum hinreicht; und dieser Vorgang ist besetzt mit der Lust der Phantasie.
Solche Tiefe erstreckt sich notwendig in die einzige Dimension, die offen steht, in die Vergangenheit. Sie ist die erste große Neuigkeit für die Kinder, wenn sie hören, wie das Märchen anhebt: Es war einmal . . . Die Verschiedenheit des Einst vom Jetzt entdecken sie mit einer Inbrunst wie erst später wieder, in der Pubertät, die Geschlechtlichkeit. Wie bedeutungsvoll insinuiert das Märchen hinter allem Altem stets das noch Ältere!
Busch steht in Verbindung mit vielen Überlieferungen – mit dem Münchner Künstlerbetrieb seiner Jugend, einschließlich Kneipzeitung und Fliegender Blätter; mit der biedermeierlichen Idylle und der sentimentalen Ironie Heinrich Heines; mit der Malerei des 17. Jahrhunderts in ihrer festlich flämischen und ihrer bummlig holländischen Variante; mit Breughel und mit dem Holzschnitt des 16. Jahrhunderts; mit der alterslosen Tierfabel, die sich seit dreitausend Jahren immer neu einkleidet. Doch dürfte das Märchen die einzige Tradition in Buschs Werk sein, die von einem breiten und jungen Publikum noch immer auf Anhieb erfasst wird.
Und wie das Märchen vermittelt auch Busch das Gefühl, dass er letztmalig ein sich schon Entziehendes erwischt, gewissermaßen beim hinten herauslugenden Sacktuch, das bei ihm so oft den Umriss der Voranstrebenden bereichert. Busch ist vermutlich der letzte Dichter deutscher Zunge, der, wenngleich ironisch gebrochen, noch weiß, dass die Maikäfer mit vollem Recht den Vögeln zugerechnet werden, insofern sie fliegen; und ebenso der letzte, der mit Verständnis des Systems das unregelmäßige Zahlwort „zwei” beugt: zwei maskulin, zwo feminin, zwee neutral.
Für die Mühle und die Backstube hegt er einen uralten Schauder und einen uralten Groll: Hier geschieht grundhafte Umerschaffung, feurig und zermalmend, höllischer mehr als segensreicher Art. „Rickeracke! Rickeracke / Geht die Mühle mit Geknacke . . . ”. Hier auch haben die ländlichen Reichen ihren Platz, die dank dem Mahlzwang und ähnlichen obrigkeitlich eingesetzten Privilegien dick und fett geworden sind. Ihnen steht das Bäuerlein gegenüber, eine Gestalt von äußerster Magerkeit. Ihm, dem verachteten „Parzellenbauer”, wollte Buschs Zeitgenosse Karl Marx keinen Platz im Gang der Geschichte gönnen, diese Klasse kam für ihn gar nicht in Betracht, obwohl ihr damals noch bestimmt die Hälfte der Bevölkerung Europas angehörte. Busch jedoch hält ihm und seiner Armut die physiognomische Treue.
Diesem Werk lässt sich ein unvordenkliches Darben ablesen, mit den Wänsten der dörflichen Oberschicht als lächerlichem, eigentlich aber empörendem Widerspiel. Die ewigen Ringkämpfe drehen sich um Äpfel, Schinkenbeine und Brezel; und die Katastrophen, wenn Betrunkene sich irrtümlich in die Teigmulde betten, dicke Gesäße auf dem Buttervorrat Platz nehmen, der Korb mit den Eiern fällt, für uns als reiner Slapstick belachbar, werden von den Beteiligten deswegen so schrill beklagt, weil es einen Raub an ihrer knappsten und gehegtesten Ressource bedeutet, den Barren aus Fett und Protein, ohne die aus ihrem Winter leicht ein Hungerwinter wird. Vier der sieben Streiche von Max und Moritz haben es mit Nahrungsmitteln zu tun.
Wenn einer ins Fettnäpfchen tritt oder wenn es um die Wurst geht, so sind das für uns spaßige Redewendungen; bei Busch geraten sie zum höchst realen Handgemenge. „Teuer” ist das jedesmalige, unreine und doch triftige Reimwort auf „Eier”; ohne dieses können sie gar nicht gedacht werden. Man denke, was heute ein Ei kostet – und ermesse daran, wie weit wir in so kurzer Zeit der Urgeschichte, wie sie uns Wilhelm Busch erzählt, entronnen sind!
Freilich wird dies bei ihm alles nur sagbar im Modus der Lustigkeit. Lustig ist nicht identisch mit heiter. Lustig ist bei Wilhelm Busch überall und vor allem – die Gewalt. Mehr als jeder andere Umstand bestimmt sie das zeichnerische Werk und dessen Handlungsgänge. Kein Missgeschick, kein Erziehungsakt und keine Exekution (vielleicht mit Ausnahme des Schlusses von Fipps dem Affen), bei dem Busch auch nur einen Hauch von Mitgefühl für seine Opfer erkennen ließe. Stets wird dem Leser und Betrachter eingeflüstert, es seien doch nur Puppen eines Papiertheaters, er solle doch bitte seiner Schadenfreude keinen Zwang antun.
Es ist oft bemerkt worden, dass sich bei Busch die Nasenverletzungen in so monomanischer Weise häufen. Die Nase ist ein merkwürdiges Organ; anders als ihre Nachbarn im Gesicht, Mund und Augen vor allem, daneben Wangen, Stirn und selbst Kinn, scheint sie gänzlich ohne Poesie, zum niedrigen Stil verdammt. Sie gibt den bevorzugten Henkel ab, bei dem der Karikaturist sein Opfer packt; schutzlos ragt sie, obwohl eins der am feinsten innervierten Organe, in die Welt hinein. Mehr als jedes andere Organ ist sie der Schadenfreude affin. Keiner kommt umhin, selbst zusammenzuzucken, wenn der fremden Nase ein Stich oder eine Schraubendrehung angetan wird; und um den sympathetischen Schmerz zu verringern, muss er den Affekt, unter Aufbietung erheblicher psychischer Energien, um- und abwenden.
Jenem Schmerz, den Busch vorzugsweise einen „peinlichen” nennt, insofern er neben dem Leiden selbst auch das Mitempfinden des Beobachters meint, entgeht nur das Lachen; ein schönes Geräusch ist es nicht. „Die Nase dreht sich mehre Male / Und bildet eine Qualspirale.” Wenn man es laut liest, widersteht man kaum der Versuchung, die Vokale in die Länge zu ziehen und die Qual, statt sie abzukürzen, gewissermaßen noch zu dehnen; man findet sich wieder als Komplize dieser exquisiten Folterung, an deren Ende eine Nasenhälfte von der Elastizität eines Zweigs abgetrennt und hochgeschnellt wird. Und zu allem Überfluss trägt die grausame Szene auch noch die Unschuldsmiene des pädagogischen Zwecks zur Schau: Das wird dich lehren, nach Affenfleisch zu trachten! Dies nämlich hatte der verstümmelte Mohr im Schilde geführt. Buschs Strafen gehorchen dem Gesetz der absurden Überbietung jenes Vergehens, für das sie verhängt werden. Er und sein willig-unwilliger Vertrauter, der Leser, genießen jede Missetat zweimal: einmal wenn sie getan und einmal wenn sie geahndet wird.
Man hat das Phänomen Busch auf die Kälte seiner Kindheit und die damals erlittenen, nie wieder gutzumachenden Beschädigungen zurückführen wollen; und sicher zu Recht. Selbst in der herunterspielenden Art, wie Busch von einigen Schlüsselgeschehnissen berichtet, ahnt man, dass hier Dinge passiert sind, von denen sich ein Mensch das ganze Leben nicht mehr erholt: Wie sein Vater, nachdem der kleine Wilhelm Schießpulver für einen max- und moritzhaften Streich entwendet hatte, ihn prügelte, am Ohr packte und immer im Kreis um das bestohlene Gefäß herumführte; wie er, offenbar ohne Vorwarnung, aus der Familie gerissen und einem Onkel zur Erziehung übergeben wurde; wie er, als er nach Jahren das wieder heimkam, seiner Mutter im Feld begegnete und sie ihn nicht wiedererkannte. Wie setzt man sich zur Wehr gegen solche verkrüppelnde Erlebnisse? Natürlich indem man tut, als wäre nichts gewesen; oder, wenn das nicht gelingt, als wäre es jedenfalls nicht der Rede wert und fiele ins Spektrum der Normalität.
Auf die Frage: Du armes Kind, was hat man dir getan? kann Busch, der niemals Freiheit erlangt, keine Antwort geben als eine kecke, nicht anders als seine verhärteten Lausbuben. Man mag sich kaum vorstellen, was dieses unausgesetzte Prügeln als der pädagogisch intensivste Umgang mit dem kindlichen Selbst damals wirklich bedeutet hat, für die Kinder und die Erwachsenen, die aus ihnen hervorgingen. Eine ganze Epoche scheint sich darauf verständigt zu haben, dass dies „noch keinem geschadet hat”. Jedenfalls konnte Busch auf breite Zustimmung rechnen, wenn er den Umkreis des gesellschaftlich Üblichen und Akzeptablen hier so weit wie möglich dehnte, damit auch die von ihm erfahrene Gewalt noch darin Platz fand und seine Biographie sozusagen ein Dach über dem Kopf bekam. Die Welt muss wesenhaft bös sein, auch und gerade die Kinder (die von ihnen kaum geschiedenen Tiere sowieso): Sonst wäre ihm, dem einzelnen Kind, ein beispielloses, ihn gänzlich vereinsamendes Unrecht widerfahren; und das wäre schlimmer, als sich selbst für verworfen erklären müssen.
Die Hornhaut musste sich der Künstler Busch zulegen, damit sie die alten Striemen bedeckte und vor schmerzender neuer Berührung schützte; hier liegt die Wurzel seiner Lustigkeit, wie auch (denn da befindet er sich in breiter Gesellschaft) des elenden Humors im 19. Jahrhundert insgesamt. Wo Wilhelm Busch diese Dinge, die er unausgesetzt gestaltet, leibhaftig tut, da sind sie nicht lustig, sondern verbreiten um sich den peinlichen Schrecken: Als er 1881 seine Münchner Freunde besucht, zieht er der Schwester Franz Lenbachs den Stuhl weg, dass sie auf den Hintern fällt, und wirft über die Köpfe der Anwesenden plötzlich einen Käse an die Wand. Danach geht er und kehrt nie wieder. Er muss sich in Grund und Boden, er muss sich zu Tode geschämt haben.
Solchen vernichtenden Gefühlen antworten die Todesarten, die er für seine Figuren findet. Nicht zufrieden damit, ihnen das Leben zu nehmen, tilgt er die erkennbare Gestalt vom Angesicht der Erde, sie wird mit einem wahren Ingrimm von Mühlsteinen zermalmt wie Max und Moritz, platt ausgewalzt wie die bösen Buben von Korinth, zu Asche verbrannt wie die fromme Helene, zu zackigen Eisgebilden transformiert und dann amorph zerschmolzen wie der Eispeter. Dies unterscheidet Busch grundsätzlich vom Comic, als dessen Ahnherr er verdientermaßen in Anspruch genommen wird. Wenn dem Koyoten Karl ein Amboss auf den Kopf fällt, ist er im nächsten Panel, trotz einiger Heftpflaster, wieder wohlauf. Bei Busch aber bleiben die Toten tot. Der Tod bei Busch stellt den Grenz- und Testfall des Lustigen dar, auf den er mit Entschiedenheit hinarbeitet.
Muss das sein? haben Wohlmeinende mit Entsetzen gefragt und die dramaturgische Notwendigkeit in Zweifel gezogen, die den armen Kater Schnipps nach den Klauen auch noch den Schwanz einbüßen lässt und den skelettierten Rest dem Betrachter als mit jedem Wirbelchen liebevoll ausgeführte Miniatur empfiehlt. Als Gegenfrage sei erlaubt: Was bliebe von Busch, wenn man ihm die Häme seiner Peinlichkeiten abzöge? Er würde zurückgeworfen auf das, worauf er parodistisch reagiert, auf Ludwig Richter. Man tut Busch kein Unrecht, wenn man ihn als Parodisten in einem ähnlichen Sinn versteht wie Cervantes . Das biedermeierliche Idyll braucht man so wenig zu kennen wie den spanischen Ritterroman, um Busch und Cervantes zu begreifen. Und doch bergen beide ihren verjährten Anreiz in sich wie die Perle das Sandkorn. Von Ludwig Richter, diesem deutschen Verhängnis mit der klaustrophobischen Innerlichkeit und dem schwunglos gleichförmigen Zeichenstrich wie zu Laubsägevorlagen, ist Busch nie so weit weg, wie es scheint; er erbt von ihm die Geschlossenheit der Kontur und die Enge als Familienschicksal.
So oft Busch seiner Sehnsucht nach Versöhnung die Zügel schießen lässt, etwa bei der Geschichte vom braven Lenchen (keinesfalls mit der frommen Helene zu verwechseln!), erliegt er der Gravitation des Kitschs wie einer Naturkonstante. Aber sein Werk ist vom Aufbegehren gegen so viel Bravheit geprägt. Dass Max und Moritz ausgerechnet im Verlag von Richters Sohn erscheint, hat das Zweideutige an sich, das Akte der Vergeltung bei Busch stets aufweisen: Ist es die Rache Buschs an Richter? Oder die Rache Richters an Busch?
Zum Furchtbarsten der kindlichen Kälteschäden gehört es, dass ihr Opfer nicht einmal mehr zu einer klaren Vorstellung des möglichen Anderen, des Glücks, imstande ist. Bei Busch zeigt sich das krass beim einzigen Gegenstand, wo man ihm wirklich zeichnerische Mängel nachsagen kann, beim Bild der schönen Frau. Erkennbar sucht er sie in ihrer Lieblichkeit aus dem karikaturistischen Umfeld inselhaft herauszuheben. Man betrachte die Porträtbüste der Christine Dralle in „Schnurrdiburr”: Wie hier Anmut als Kindchenschema vonstatten geht, wie der angestrebte Silberblick zum Ausdruck des bekümmerten Schwachsinns gerinnt! Alle anderen Figuren um sie herum sind sozusagen karikaturistische Skelette; sie allein hat vor lauter Holdseligkeit keinen einzigen Knochen im Leib und ähnelt in der Durchführung dem ungebackenen Brotteig, der in Buschs Geschichten eine so auffallende Rolle spielt.
Auszunehmen wäre hier allein die Fromme Helene, die es wohl verdient, Buschs „erwachsenstes” Werk genannt zu werden. Auch sie freilich folgt dem Muster der sinkenden Biographie, das für viele der Bildergeschichten gilt; aber hier springt Busch einmal über seinen Schatten, er identifiziert sich feinfühlig mit dem andersartigen Wesen Frau; und so ist es, was bei Busch nicht oft vorkommt, ein Buch voll sozialen Takts geworden – ein Eindruck, den er durch die abschließende Höllenfahrt allerdings so weit wie möglich wieder auslöscht. Soweit auf deutschem Boden eine Madame Bovary erblühen konnte: Das ist sie.
Über Busch und die Frauen ist viel geschrieben worden; es hat für ihn zweifellos hier viel Angst, Enttäuschung und Demütigung gegeben, auch, wie es scheint, einiges an Ausflucht und Verrat von seiner Seite. Die Ehe stellt das große ungelöste Problem in seinem Leben und Werk dar. Wenn man den „Tobias Knopp” liest, speziell den ersten Teil der Trilogie, worin er suchend die Welt durchreist und auf mancherlei beweibte und unbeweibte Lebensmuster stößt, fühlt man sich an Buschs älteren Zeitgenossen Kierkegaard und dessen sehr ernst gemeintes Wort erinnert: Heirate, und du wirst es bereuen; heirate nicht, und du wirst es auch bereuen. Als Knopp, desillusioniert und wie aus einer verlorenen Schlacht, heimkehrt, macht er schließlich seiner Dienstmagd einen Antrag: „ ,Mädchen‘, spricht er, ,sag mir, ob . . . ‘/ Und sie lächelt: ,Ja, Herr Knopp!‘” Ein kleinmütigeres Happyend lässt sich nicht gut vorstellen. Auch wo Busch das Liebesglück grafisch festzuhalten strebt, erscheint eine zwiespältige Hieroglyphe: das küssende Paar im Profil, deutlich geschieden, wobei die rüsselförmig vorgeschobenen Lippen zu einer Art gemeinschaftlich genutzter Pipette werden, die sprödestmögliche Verschmelzung der Geschlechter. Zu guter oder schlechter Letzt läuft es für den Menschen Busch auf das Junggesellenleben hinaus, ohne „tugendsamen Vorgesetzten”, wie er die Gestalt der Hausfrau mit Schalkheit und Argwohn fasst. Dazu singt er sich, wie ein Wiegenlied, den Refrain: „Schön ist‘s, Junggeselle sein!” Die letzte Strophe lautet, in einer Resignation, die erschreckend wüste Züge annimmt: „Heut stolziert er auf und ab, / Morgen scheißt der Hund aufs Grab, / Dies ist dann sein Leichenstein – / Schön ist‘s, Junggeselle sein!”
Zwischen den Übeln des familiären Erstickungstods und der völligen Vereinsamung wählt Busch die Onkelschaft – sowohl in seinem Privatleben als auch für viele seiner Geschichten. Onkel sein ist das mittlere Übel und das mittlere Gut; es inhäriert schon dem bloßen Wort eine gewisse und von Busch weidlich genutzte Komik. Seine Onkelpflichten nahm Busch so ernst, wie er den Vaterpflichten aus dem Wege ging. „Vater werden ist nicht schwer, / Vater sein dagegen sehr”, lautet eins seiner geflügelten Worte, die selbst in der zitatarmen heutigen Zeit noch kursieren; und doch gilt ebenso: „Onkel heißt er bestenfalles, / Aber dieses ist auch alles.”
In einem umfassenden Sinn ist Wilhelm Busch unser aller Onkel geblieben. Als ein glückliches Resultat wird man das nicht bezeichnen wollen, eher als eine typisch familiäre Notlösung (mehr Not als Lösung, möchte man sagen). Der Preis, den er für die Duldung im Schoß seiner Lieben zu zahlen hat, liegt in der Anmutung der Lustigkeit, die er seiner doch eigentlich traurigen Existenz zu geben hat. Es eignet dieser pläsierlichen Haltung, wie einem Gähnen, eine ansteckende Kraft, die bis heute zu spüren ist: Die Mechanismen, an denen Busch sich formte und von denen er verformt wurde, können nicht gänzlich verschollen sein.
Und so hat man bei der WilhelmBusch-Rezeption oft den Eindruck, auch nach hundert Jahren, dass hier weniger die Nachwelt als eine verschleppte Mitwelt zugange ist. Man hat die vielen Momente seiner zeichnerischen Technik betont, die in die Moderne bis hin zu Film und Abstraktion vorausweisen, gewiss mit gutem Grund. Als machtvoller aber erweist sich sein Potential, uns zum Rückfall zu ermuntern. Wir halten uns für Bürger des 21. Jahrhunderts. Aber so unverlierbar wie Knopp, wenn er seine eleganten Tanzfiguren aufs Parkett legt, der heimlich angenähte Schweineschwanz, haftet uns immer noch das vorvergangene Säculum an; in ihm suchen wir Behagen, seine gereimten Ohrwürmer üben immer noch schmeichelnde Gewalt über unser Gehör und Gedächtnis. In keinem anderen Autor verkörpert sich für uns so machtvoll ein lasterhaft süßes Heimweh nach dem 19. Jahrhundert. Mit Verwunderung über die ungebrochene Lebenskraft eines so gebrochenen Phänomens und nicht ohne Respekt sei es gesagt: Den habt ihr noch nicht hinter euch! BURKHARD MÜLLER
Für die Mühle und die Backstube hegt er einen uralten Schauder und einen uralten Groll.
Lustig ist bei Wilhelm Busch überall und vor allem – die Gewalt.
Ausstellungen und Bücher zu Busch
Eine kompetente Einführung bietet Michaela Diers: Wilhelm Busch. Leben und Werk. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2007. 194 Seiten, 14,60 Euro.
Wiederaufgelegt wurde Gerd Ueding: Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 429 S., 26,80 Euro. Auch nach drei Jahrzehnten hat Uedings Buch nichts von seiner Kraft verloren und kann als Standardwerk gelten. Es bettet Busch in den kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext ein.
Eine neue Biographie, die sich ihres problematischen Gegenstands ohne falsche Schonung, doch voller Zuneigung annimmt, legt Eva Weissweiler vor: Wilhelm Busch. Der lachende Pessimist. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 381 Seiten, 19,90 Euro.
Außerdem Gudrun Schury: Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 412 S., 24,95 Euro.
Und natürlich Ausstellungen. Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover zeigt Wilhelm Busch: Erotisch, komisch, gnadenlos vom 13.1. bis zum 9.11. In der Ludwig Galerie in Schloss Oberhausen ist Herzenspein und Nasenschmerz bis zum 24.2. zu sehen. Schloss Gottorf in Schleswig zeigt So viel Busch war nie bis zum 27. April.
„ ,Mädchen‘, spricht er, ,sag mir, ob . . . ‘/ Und sie lächelt: ,Ja, Herr Knopp!‘”
In einem umfassenden Sinn ist Wilhelm Busch unser aller Onkel geblieben.
Der Metzger sticht, der Bauer lacht, / Das Schwein wird jetzt zu Wurst gemacht.
Ein gutes, altes Bäuerlein / Treibt vor sich her sein fettes Schwein. Und als er an ein Wirthshaus kam, / Er einen Schnapsen zu sich nahm.
Schau schau! Der Nachbar und sein Sohn / Die warten auf die Knödel schon. Da hebt die Sau in vollem Lauf / Die Frau mitsammt der Suppe auf.
Der Bauer will die Sau gern fassen, / Er muss sie aber laufen lassen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Freudig begrüßt Andreas Platthaus diese Biografie Wilhelm Buschs, die Gudrun Schury zum hundertsten Todestag des Zeichners und Dichters vorgelegt hat. Keinen Zweifel lässt er daran, dass ihm Schurys Buch besser gefallen hat als die ebenfalls von ihm besprochene Busch-Biografie von Eva Weissweiler, die sich auf den Pessimisten und Misanthropen Busch einschieße. Schury leugne zwar den Pessimismus bei Busch nicht. Dennoch findet er bei ihr einen anderen Künstler: den "lichten Busch", einen liebenswürdigen, großzügigen, charmanten Familienmenschen. Platthaus räumt ein, dass es Schury versteht, heikle Punkte elegant beiseite zu schieben. Dennoch zieht er Schurys Arbeit der von Weissweiler vor. Aus mehreren Gründen: Er hält sie für lebendiger, besser aufgebaut und schöner geschrieben. Zudem scheint ihm Schury im Unterschied zu Weissweiler mit "erkennbarem Spaß" bei der Sache. Schließlich findet er bei ihr zahlreiche "kluge" Interpretationen zu den einzelnen Werken Buschs.
© Perlentaucher Medien GmbH
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