Stasi-Tochter, Dissidentin, Politikerin: Drei Leben sind es, die Vera Lengsfeld in sich vereint. Als Tochter eines Stasi-Offiziers wird sie ganz im Sinne des SED-Regimes erzogen. Doch früh schleichen sich bei ihr Zweifel am System ein. Als junge Erwachsene zieht sie die Konsequenz und engagiert sich in der Bürgerrechtsbewegung, wofür sie mit Berufsverbot, Verhaftung und letztlich Ausweisung bestraft wird. Nach dem Fall der Mauer kehrt die Dissidentin Lengsfeld in ihre Heimat zurück und startet ihre Karriere als Politikerin und Verfechterin freiheitlicher Demokratie. Umso schmerzlicher trifft sie die Nachricht, dass ausgerechnet ihr Ehemann sie jahrelang bespitzelt haben soll. Eine Biografie voller Brüche - und doch geradlinig. Komplett überarbeitete Neuauflage von "Von nun an ging's bergauf. Mein Weg zur Freiheit"
"Man kann nur wünschen, dass Lengsfelds Buch viele Leser findet." -- FAZ
"Wie Lengsfeld davon berichtet - mit Trauer, ohne Hass -, ist ein Beispiel für die Möglichkeit, menschlich zu bleiben." -- Die Welt
"Wie Lengsfeld davon berichtet - mit Trauer, ohne Hass -, ist ein Beispiel für die Möglichkeit, menschlich zu bleiben." -- Die Welt
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2011Geschlossene und brodelnde Gesellschaft
Vera Lengsfeld lobt die DDR-Bürgerrechtler und warnt vor Stasi-Akten-Gläubigkeit
Ich bin ein Mauerkind. Ich kam auf die Welt, als Deutschland noch geteilt und ein Stück sozialistisch war. Ich habe die erste Hälfte meines Lebens in einer geschlossenen Gesellschaft verbracht, aus der es kaum ein Entrinnen gab, nachdem die Grenze dichtgemacht worden war", schreibt Vera Lengsfeld - die frühere DDR-Bürgerrechtlerin vom Jahrgang 1952. Nach der Wiedervereinigung gehörte sie bis 2005 dem Bundestag an - für Bündnis 90/Die Grünen und nach ihrem Übertritt 1996 für die CDU.
Nur "Druck und Zwang" hielten den Unrechtsstaat DDR zusammen: "Die notorische Behauptung aller DDR-Nostalgiker lautet: ,Es war nicht alles schlecht in der DDR.' Das stimmt. Denn es gab uns Bürgerrechtler. Wir waren das Beste, was die DDR je zu bieten hatte. Überzeugen Sie sich selbst!" Die eindringlichsten Erkenntnisse, die sie dem Leser vermittelt, betreffen die brutalen Stasi-Zersetzungsmethoden und die dennoch begrenzte Reichweite der Mielke-Leute: "Unter der befriedeten Oberfläche hat es in der DDR-Gesellschaft immer gebrodelt. Es gab Opposition gegen diesen Staat, seit er gegründet worden war."
Schon während der Schulzeit kamen der Tochter eines Stasi-Offiziers erste Zweifel am SED-System, die sich bei der Philosophie-Studentin durch den Einfluss ihres ersten Schwiegervaters, des Schweriner Dompredigers Karl Kleinschmidt, verstärkten. Über ihr SED-kritisches Umfeld stellt die Autorin fest: "Wir wollten das System nicht kippen, wir weichten es halb unbewusst von unten auf." Die Ökologie-, Menschenrechts- und Friedenskreise entzögen sich den klassischen Merkmalen einer politischen Opposition: "kein Programm, keine festen Strukturen, keine übersichtlichen Abläufe, keine klassischen Führungsfiguren, nicht einmal ein griffiger Name". Ihre Treffen - meist in kirchlichen Räumen - fanden unter Beobachtung der Stasi statt, die Inoffizielle Mitarbeiter einschleuste und vor Einbrüchen bei Bespitzelten nicht zurückschreckte. Durch ihren zweiten Ehemann, den Lyriker Knud Wollenberger, und dessen Eltern (der Vater ein international angesehener Wissenschaftler, der sich nach amerikanischem Exil für die DDR entschieden hatte, die Mutter dänische Staatsbürgerin) war sie "der DDR schon halb entkommen", weil Knud "nie die Schattenseiten des Regimes kennenlernen musste" und mit seinem dänischen Pass reisen durfte.
Nach Verhaftung und Verurteilung wegen "versuchter Zusammenrottung" wurde der Übersetzerin Vera Wollenberger Anfang 1988 eine "Entlassung in die DDR" verweigert und "eine befristete Ausreise nach England" nahegelegt, die sie - begleitet von ihren beiden jüngsten Söhnen - zu einem Studienaufenthalt in Cambridge nutzte. Die "Abschiebung sollte Friedhofsruhe im Lande herstellen. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm, der das System wenige Monate später hinwegfegte." Während ihrer Abwesenheit wurde der älteste Sohn, der vor dem Abitur stand, in Ost-Berlin von Schule und Stasi drangsaliert. Zufällig genau am 9. November 1989 kehrte Vera Wollenberger in die DDR zurück, wo sie bald in die Grüne Partei eintrat und es bei den März-Wahlen 1990 in die letzte Volkskammer schaffte.
Ende 1991 erfuhr die Autorin, dass Knud Wollenberger als "IM Donald" Stasi-Spitzel gewesen war. Zunächst unterrichtete sie ihre Bundestagsgruppe, um anschließend ihren Mann zur Rede zu stellen. "Auf meine Frage nach dem Warum antwortete er, die DDR wäre für ihn die Antwort auf Auschwitz gewesen und er hätte als Spross einer jüdischen Familie alles getan, um diesen Staat zu erhalten. Mir wurde schwarz vor Augen, vom weiteren Verlauf des Abends weiß ich nichts mehr."
Die Ehe wurde geschieden, sie nahm ihren Geburtsnamen an und wehrte sich fortan dagegen, als "das Stasi-Opfer vom Dienst" durch alle Talkshows zu tingeln: "Ich war auf schlimme Art verraten worden, aber als Opfer fühlte ich mich nicht. Ich habe immer anerkannt, dass Widerspruch und oppositionelles Handeln sanktioniert werden können. Ich habe diese Sanktionen als Preis für mein selbstbestimmtes Handeln in Kauf genommen." Vera Lengsfeld sah am 2. Januar 1992 - dem ersten Öffnungstag der Gauck-Behörde für ausgewählte prominente Oppositionelle - ihre Stasi-Akte ein. Sie las bereits auf der zweiten Seite privateste Dinge, "die nur von Knud stammen" konnten. Was sie überdies "an Gemeinheiten und Banalitäten des Bösen" vorfand, übertraf ihr Vorstellungsvermögen: "Ich lernte Zersetzungspläne kennen und erfuhr, dass es eine Zersetzungsmaßnahme gegen mich war, das Gerücht zu streuen, ich sei bei der Stasi gewesen." Überhaupt habe man "mit voyeuristischer Lust" nach dem DDR-Untergang zu sehr "im Leben der Verfolgten" gewühlt und sich mit "IM-Jagd" beschäftigt, anstatt die kriminelle Dimension der Stasi offenzulegen: "Die Enttarnung Inoffizieller Mitarbeiter wurde zur Obsession, während die Stasioffiziere, die Ideen- und Befehlsgeber, im Hintergrund blieben." Die Stasi-Akten spiegelten die wirklichen Ereignisse "nur grotesk verzerrt" wider.
Das Buch ist eine Art "Remake" - doch weder Frau Lengsfeld noch ihr Verlag machen das deutlich. "Von nun an ging's bergauf. Mein Weg zur Freiheit" lautete 2002 der Titel dieser Autobiographie, die gestrafft und überarbeitet (mit aktualisiertem Nachwort) durch lebendige Erzählweise und nüchterne Beobachtungen besticht.
RAINER BLASIUS
Vera Lengsfeld: Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution. Verlag F. A. Herbig, München 2011. 334 S., 19,99 [Euro].
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Vera Lengsfeld lobt die DDR-Bürgerrechtler und warnt vor Stasi-Akten-Gläubigkeit
Ich bin ein Mauerkind. Ich kam auf die Welt, als Deutschland noch geteilt und ein Stück sozialistisch war. Ich habe die erste Hälfte meines Lebens in einer geschlossenen Gesellschaft verbracht, aus der es kaum ein Entrinnen gab, nachdem die Grenze dichtgemacht worden war", schreibt Vera Lengsfeld - die frühere DDR-Bürgerrechtlerin vom Jahrgang 1952. Nach der Wiedervereinigung gehörte sie bis 2005 dem Bundestag an - für Bündnis 90/Die Grünen und nach ihrem Übertritt 1996 für die CDU.
Nur "Druck und Zwang" hielten den Unrechtsstaat DDR zusammen: "Die notorische Behauptung aller DDR-Nostalgiker lautet: ,Es war nicht alles schlecht in der DDR.' Das stimmt. Denn es gab uns Bürgerrechtler. Wir waren das Beste, was die DDR je zu bieten hatte. Überzeugen Sie sich selbst!" Die eindringlichsten Erkenntnisse, die sie dem Leser vermittelt, betreffen die brutalen Stasi-Zersetzungsmethoden und die dennoch begrenzte Reichweite der Mielke-Leute: "Unter der befriedeten Oberfläche hat es in der DDR-Gesellschaft immer gebrodelt. Es gab Opposition gegen diesen Staat, seit er gegründet worden war."
Schon während der Schulzeit kamen der Tochter eines Stasi-Offiziers erste Zweifel am SED-System, die sich bei der Philosophie-Studentin durch den Einfluss ihres ersten Schwiegervaters, des Schweriner Dompredigers Karl Kleinschmidt, verstärkten. Über ihr SED-kritisches Umfeld stellt die Autorin fest: "Wir wollten das System nicht kippen, wir weichten es halb unbewusst von unten auf." Die Ökologie-, Menschenrechts- und Friedenskreise entzögen sich den klassischen Merkmalen einer politischen Opposition: "kein Programm, keine festen Strukturen, keine übersichtlichen Abläufe, keine klassischen Führungsfiguren, nicht einmal ein griffiger Name". Ihre Treffen - meist in kirchlichen Räumen - fanden unter Beobachtung der Stasi statt, die Inoffizielle Mitarbeiter einschleuste und vor Einbrüchen bei Bespitzelten nicht zurückschreckte. Durch ihren zweiten Ehemann, den Lyriker Knud Wollenberger, und dessen Eltern (der Vater ein international angesehener Wissenschaftler, der sich nach amerikanischem Exil für die DDR entschieden hatte, die Mutter dänische Staatsbürgerin) war sie "der DDR schon halb entkommen", weil Knud "nie die Schattenseiten des Regimes kennenlernen musste" und mit seinem dänischen Pass reisen durfte.
Nach Verhaftung und Verurteilung wegen "versuchter Zusammenrottung" wurde der Übersetzerin Vera Wollenberger Anfang 1988 eine "Entlassung in die DDR" verweigert und "eine befristete Ausreise nach England" nahegelegt, die sie - begleitet von ihren beiden jüngsten Söhnen - zu einem Studienaufenthalt in Cambridge nutzte. Die "Abschiebung sollte Friedhofsruhe im Lande herstellen. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm, der das System wenige Monate später hinwegfegte." Während ihrer Abwesenheit wurde der älteste Sohn, der vor dem Abitur stand, in Ost-Berlin von Schule und Stasi drangsaliert. Zufällig genau am 9. November 1989 kehrte Vera Wollenberger in die DDR zurück, wo sie bald in die Grüne Partei eintrat und es bei den März-Wahlen 1990 in die letzte Volkskammer schaffte.
Ende 1991 erfuhr die Autorin, dass Knud Wollenberger als "IM Donald" Stasi-Spitzel gewesen war. Zunächst unterrichtete sie ihre Bundestagsgruppe, um anschließend ihren Mann zur Rede zu stellen. "Auf meine Frage nach dem Warum antwortete er, die DDR wäre für ihn die Antwort auf Auschwitz gewesen und er hätte als Spross einer jüdischen Familie alles getan, um diesen Staat zu erhalten. Mir wurde schwarz vor Augen, vom weiteren Verlauf des Abends weiß ich nichts mehr."
Die Ehe wurde geschieden, sie nahm ihren Geburtsnamen an und wehrte sich fortan dagegen, als "das Stasi-Opfer vom Dienst" durch alle Talkshows zu tingeln: "Ich war auf schlimme Art verraten worden, aber als Opfer fühlte ich mich nicht. Ich habe immer anerkannt, dass Widerspruch und oppositionelles Handeln sanktioniert werden können. Ich habe diese Sanktionen als Preis für mein selbstbestimmtes Handeln in Kauf genommen." Vera Lengsfeld sah am 2. Januar 1992 - dem ersten Öffnungstag der Gauck-Behörde für ausgewählte prominente Oppositionelle - ihre Stasi-Akte ein. Sie las bereits auf der zweiten Seite privateste Dinge, "die nur von Knud stammen" konnten. Was sie überdies "an Gemeinheiten und Banalitäten des Bösen" vorfand, übertraf ihr Vorstellungsvermögen: "Ich lernte Zersetzungspläne kennen und erfuhr, dass es eine Zersetzungsmaßnahme gegen mich war, das Gerücht zu streuen, ich sei bei der Stasi gewesen." Überhaupt habe man "mit voyeuristischer Lust" nach dem DDR-Untergang zu sehr "im Leben der Verfolgten" gewühlt und sich mit "IM-Jagd" beschäftigt, anstatt die kriminelle Dimension der Stasi offenzulegen: "Die Enttarnung Inoffizieller Mitarbeiter wurde zur Obsession, während die Stasioffiziere, die Ideen- und Befehlsgeber, im Hintergrund blieben." Die Stasi-Akten spiegelten die wirklichen Ereignisse "nur grotesk verzerrt" wider.
Das Buch ist eine Art "Remake" - doch weder Frau Lengsfeld noch ihr Verlag machen das deutlich. "Von nun an ging's bergauf. Mein Weg zur Freiheit" lautete 2002 der Titel dieser Autobiographie, die gestrafft und überarbeitet (mit aktualisiertem Nachwort) durch lebendige Erzählweise und nüchterne Beobachtungen besticht.
RAINER BLASIUS
Vera Lengsfeld: Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution. Verlag F. A. Herbig, München 2011. 334 S., 19,99 [Euro].
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