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Im Krieg ist chronische Traumatisierung die Regel; als Folge kommt es zu den verschiedenen Formen psychischer Deformationen. Der bekannte Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschreibt an erschütternden Fallbeispielen die seelischen Folgelasten des Krieges, an denen die Vätergeneration, aber auch deren Kinder zu leiden haben.
Der bekannte Gesellschafts- und Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschreibt an Fallbeispielen die seelischen Folgelasten des Krieges, an denen die Vätergeneration, aber auch deren Kinder zu leiden haben. Was bedeutet es, wenn Millionen Väter gefallen sind oder
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Produktbeschreibung
Im Krieg ist chronische Traumatisierung die Regel; als Folge kommt es zu den verschiedenen Formen psychischer Deformationen. Der bekannte Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschreibt an erschütternden Fallbeispielen die seelischen Folgelasten des Krieges, an denen die Vätergeneration, aber auch deren Kinder zu leiden haben.
Der bekannte Gesellschafts- und Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschreibt an Fallbeispielen die seelischen Folgelasten des Krieges, an denen die Vätergeneration, aber auch deren Kinder zu leiden haben. Was bedeutet es, wenn Millionen Väter gefallen sind oder verroht, verwundet als Verlierer aus einem Krieg mit verbrecherischen Zielen heimkehren? Die Familien der Kriegsheimkehrer spielten die entscheidende Rolle im Verarbeitungsmodus. Entweder die Integration des Traumatisierten gelang, oder die Traumatisierung war so furchtbar, daß sie die Ehebeziehung, ja die ganze Familie beschädigte, wenn nicht gar zerstörte. Schmidbauers Ansatz ist der Psychoanalyse verpflichtet: jenem Junktim von Forschen und Heilen, in dem die Suche nach biographischen oder zwischenmenschlichen Wahrheiten kein Selbstzweck ist, sondern der Erweiterung innerer und äußerer Handlungsspielräume dient.
Autorenporträt
Dr. phil. Wolfgang Schmidbauer, geb. 1941, studierte Psychologie und promovierte 1968 über 'Mythos und Psychologie'. Er lebte dann einige Jahre als Autor in Italien. 1972 gründete er mit Kollegen ein Institut für analytische Gruppendynamik und wenig später die Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse. 1977 prägte er in dem Bestseller 'Die hilflosen Helfer' den Begriff des Helfer-Syndroms. Heute arbeitet Wolfgang Schmidbauer als Autor und Psychoanalytiker in eigener Praxis in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Drinnen hinter der Tür
Wolfgang Schmidbauer begleitet die Kriegsheimkehrer nach Hause / Von Wolfgang Sofsky

Jahrelang lastete eine düstere Stimmung auf der Familie. Die Lebenslust war den Eltern abhanden gekommen. Bei Streitigkeiten zog sich der Vater, der als Soldat den Krieg überlebt hatte, stumm ins Nebenzimmer zurück. Die Mutter verlagerte ihre Wünsche auf die Kinder und dämpfte alle ungeheißenen Regungen ab. Leben hieß Überleben, Schutz, Sorge. Kindergefühle von Unbekümmertheit oder gar Glück galten als voreilig, unziemlich und dumm. Sie wurden im Keim erstickt. Leistung wurde gefordert und anerkannt, aber sie machte nicht froh. Lachen war leichtsinnig, Freude gefährlich.

Von solchen Fällen einer Familiendepression berichtet der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer mehrfach in seiner Studie über die seelischen Folgelasten des Krieges. Der Vater kehrt körperlich unversehrt zurück, aber das Gefühl für Sicherheit und Heimat ist zerstört. Der Verlust des Weltvertrauens durchdringt das Ehe- und Erziehungsklima, die psychische Verletzung wirkt fort bis zu den Kindern und Kindeskindern. Obwohl in der Gesellschaft Frieden und Prosperität herrschen, dauern die inneren Wirkungen des Krieges an. Der Krieg traumatisiert die Überlebenden, und die Eltern traumatisieren ihre Kinder.

Den bekannten Befunden zum posttraumatischen Syndrom fügt Schmidbauer im wesentlichen zwei Aspekte hinzu: den Blick für die seelische "Vererbung" des Kriegstraumas in der Familie sowie das Theorem der "psychischen Zentralisation". Darunter versteht Schmidbauer, analog zur physiologischen Notregulation des Kreislaufs, eine Reduktion der Gefühls- und Phantasietätigkeit auf das notwendige Minimum. Alles, was nicht dem unmittelbaren Überleben dient, wird abgeblendet. Vergangenheit und Zukunft werden belanglos, das Interesse an der Umwelt folgt ganz dem Gebot der Gefahrenabwehr. Mit der Zeit verhärtet sich diese Haltung, Mißmut und Schweigen drängen alle Erlebnisse und Erinnerungen beiseite, welche die Person überschwemmen könnten. Nach außen wie nach innen sucht sich der Verwundete abzudichten. Er verliert die Fähigkeit zur Empathie, betäubt sich mit Arbeit, verfällt unvermittelt in aggressive Stimmungen, die keine Entspannung dulden.

Das Trauma des Heimkehrers verändert die Konstellationen in der Familie. Der Verwundete hinterläßt eine emotionale Leerstelle und forciert dadurch symbiotische Notbündnisse der Mutter mit den Kindern. Dadurch wird die zeitweilige Idealisierung der Eltern ebenso behindert wie die Entwicklung der Geschlechtsidentität und der Ablösungskonflikt während der Adoleszenz. Die Kinder leiden an vegetativen Beschwerden, Schlafstörungen, schließlich an Angstzuständen und Depressionen im Erwachsenenalter.

Dieser Transfer des Traumas geschieht indes keineswegs linear. Er ist von den Dispositionen der Familienmitglieder und des sozialen Umfelds abhängig, nicht zuletzt vom Grad der Verwundung selbst. Die gegensätzlichen Reaktionsweisen, die der Autor an zahlreichen Fallbeispielen demonstriert, lassen freilich die wichtige Frage offen, in welchen typischen, den Einzelfall überschreitenden Verlaufsformen Kriegstraumata an die Folgegeneration psychosozial übermittelt werden. Weshalb leiden viele Menschen an ähnlichen Störungen, obwohl sie keiner Heimkehrerfamilie entstammen? Warum kommen viele Kinder ganz unbeschädigt davon, obwohl ihr Vater durch den Krieg gezeichnet blieb? Wieso kehrten nicht wenige Exekutoren der Massenvernichtung ohne jedes Anzeichen eines Traumas in die zivile Gesellschaft zurück?

Der Mangel an theoretischer Präzision und Tiefenschärfe betrifft keineswegs nur die Verlaufsanalyse der Familiendynamik. Er gilt für das Buch insgesamt. Man kann es nicht anders sagen: Die Darstellung ist nicht selten sprunghaft, assoziativ, oberflächlich. Neben Fallgeschichten finden sich kürzere oder längere Passagen über die Traumata von KZ-Häftlingen, über psychische Belastungen in früheren und heutigen Kriegen, über die Entdeckung der "Kriegsneurosen" und die Beteiligung der Psychoanalyse an den therapeutischen Torturen der Reichswehrmedizin, über die Mitleidswut gegenüber Stigmatisierten, die "Wehrmachtsausstellung", den Golfkrieg und anderes. Weniger wäre eindeutig mehr gewesen.

Es ist mitnichten eine Frage der politischen Schicklichkeit, darauf zu bestehen, daß die Leidensgeschichte Primo Levis in Monowitz mit den Kampferlebnissen des Sturmtruppführers Ernst Jünger nicht zu vergleichen ist. Die Qualen eines jüdischen Auschwitzhäftlings sind von grundlegend anderer Art als die Verwundungen eines kampfgierigen Frontoffiziers. Und das Schicksal eines Vertriebenen ist ein anderes als dasjenige eines Besatzungssoldaten im Westen, für den weniger der Krieg als die Gefangenschaft zum Albtraum wurde. Schmidbauers Begriff des Traumas ist allzu summarisch. Er nivelliert die strukturellen Unterschiede der Leidenssituationen, ebnet den Antagonismus von Tun und Leiden ein und übergeht die leiblichen Aspekte der Traumatisierung. Als sei die seelische Verletzung ohne die handgreifliche Gefahr für Leib und Leben überhaupt zu begreifen.

Wieviel die psychoanalytische Kur bei extremen Traumata auszurichten vermag, läßt Schmidbauer offen. Eher ratlos nimmt sich die Empfehlung aus, das verwundete Selbstgefühl durch Anerkennung zu stärken und dem Traumatisierten die Chance zum Rückzug zu lassen. Angesichts des Äußersten scheint auch die analytische Heilkunst an ihre Grenzen zu stoßen. Denn das Erleben vollkommener Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verlassenheit entzieht sich dem Versprechen von Sinn, auf dem die Arbeit des Erinnerns beruht.

Wolfgang Schmidbauer: "Ich wußte nie, was mit Vater ist". Das Trauma des Krieges. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. 352 S., geb., 42,- DM.

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