Joseph Roths Feuilletons: ein Schlüssel zum Werk des brillanten Romanciers.Viele seiner Zeitgenossen kannten ihn als Journalisten, der Anfang der zwanziger Jahre begann, auch Romane zu schreiben: Joseph Roth. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst als Romancier wiederentdeckt, als Meister impressionistischen Erzählens. Diese Ausgabe bietet nun erstmals eine repräsentative Auswahl aus dem umfangreichen journalistischen Werk erstmals in der Textgestalt der Erstdrucke. Joseph Roths Reportagen, Essays und Feuilletons zeichnen sich durch hohes Sprachbewusstsein und phantasievoll-präzise Bildlichkeit aus und sind geprägt von hellsichtiger Wahrnehmungskraft und leidenschaftlicher Subjektivität: »Alles wird bei mir persönlich«, schrieb Roth über seine journalistische Arbeit. Die besten Texte des heute nur noch wenigen bekannten Feuilletonisten sind hier chronologisch so zusammengestellt, dass hinter der journalistischen Form immer wieder auch der großartige Erzähler sichtbar wird, dessen Artikel bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben. Wie unentbehrlich sie für das Verständnis seiner künstlerischen Entwicklung sind, zeigen darüber hinaus die Erläuterungen im Anhang, die die einzelnen Texte in ihrer Bedeutung für Roths Weltbild und Werk erschließen und in ihrer Gesamtheit ein vorzügliches Portrait des Künstlers und Menschen Roth zeichnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2011Ein Gesicht wie Marmeladebrot
Die Feuilletons von Joseph Roth inspirieren trotz uninspirierter Edition
Die treffendsten Rechtfertigungen des feuilletonistischen Genres stammen von Joseph Roth selbst. Nicht mehr als Süffisanz brachte er dem "Literaten um jeden Mokkapreis" entgegen, der vor lauter Selbstinszenierung nicht in der Lage sei, eine "Wahrheit kurz pointiert und neu beleuchtet" zu zeigen. Roth hingegen war Emphatiker der kleinen Form. "Ich habe keinen Sinn mehr für die weite, allumfassende Armbewegung des Weltbühnenhelden", schreibt er 1921 im "Berliner Börsen-Courier": "Ich bin ein Spaziergänger."
Indes hat auch die Tatsache, dass seine Feuilletons, allein was die Quantität angeht, seine literarischen Arbeiten um ein Beträchtliches übersteigen, nichts daran geändert, dass sich bis heute hartnäckig das Bild des konservativen, gleichsam melancholisch-resignierten Romanciers der Habsburgermonarchie gehalten hat.
Umso erfreulicher, wenn nun der Gesamtausgabe ein Band mit Texten von Roth an die Seite gestellt wird, herausgegeben von seinem Biographen Helmuth Nürnberger. Er will einmal mehr das Augenmerk auf Roths feuilletonistisches Schaffen lenken und es gegenüber dem Romanwerk ins rechte Licht rücken. Bedauerlicherweise allerdings bleiben Auswahl und Zusammenstellung der Texte in diesem Band genauso wenig durchschaubar wie in der Sache nachvollziehbar.
Das liegt zum einen daran, dass Nürnberger sich nicht auf das Feuilleton als kleine, für den Tag geschriebene Form mit ihren spezifischen stilistischen Merkmalen beschränkt, sondern längere, von vornherein als Buchprojekt konzipierte Texte wie etwa "Juden auf Wanderschaft" hinzuzieht. Aber selbst da, wo es sich um Feuilletons handelt, lässt die vorliegende Auswahl genau jene Texte vermissen, mit denen Roth wie kaum ein anderer "das Gesicht seiner Zeit" zeichnete. "Wiener Symptome" hieß eine Reihe, die er 1919 über das von Elend bestimmte Leben auf den Straßen der österreichischen Hauptstadt für die von Benno Karpeles herausgegebene Zeitung "Der neue Tag" schrieb. Das Prinzip, das hier wie auch in späteren Jahren Roths Feuilletons ausmachte, ist bereits im Titel der Reihe benannt: das "Symptomatisieren". Am Detail und vermeintlich Nebensächlichen zeigte er, woran die Gesellschaft im Großen laborierte, materiell und im Inneren. Das Sterben eines Pferdes, das von der neugierigen Masse mehr bestaunt wird als das Dahinsiechen eines Mitmenschen, konnte so ein Detail sein oder ein beinloser Mann, der auf kümmerlichen Prothesen dasteht und dem niemand die feilgebotenen Schnürsenkel abkauft. Das große und tragische Thema, das Roths eigene Biographie und sein Schreiben grundierte, ist in den frühen Wiener Texten bereits angelegt: die Heimatlosigkeit. Immer wieder sind es Kriegsversehrte, Versprengte, denen er auf den Straßen begegnet und deren Existenz er mit schmerzhafter Klarsicht ins Bild setzt.
Auch in Berlin, wohin Roth 1920 übersiedelte und wo er innerhalb weniger Jahre zu einem der bestbezahlten Journalisten der Weimarer Republik aufstieg, entwarf er Miniaturen einer Stadt, auf deren Straßen die Zeichen des aufkommenden Nationalsozialismus schon Anfang der zwanziger Jahren beängstigend und unübersehbar waren. Statt dieser Zeit- und Gesellschaftssignaturen finden sich im vorliegenden Band über Gebühr viele Reiseberichte, vor allem aber Film- und Theaterrezensionen, die Roth einigermaßen lustlos zum Broterwerb verfasste und die zudem den ästhetischen Reflexionen etwa über das neue Medium Film, wie Benjamin oder Musil sie zu gleicher Zeit zu Papier brachten, schwerlich gerecht werden.
Dass Nürnberger erstmals auf die Textgestalt der Erstausgaben zurückgreifen kann, ist zwar aufschlussreich, es hilft aber nicht, ein grundsätzlich erhellendes Licht auf Roths Schreiben für die Zeitung zu werfen. Auch das Nachwort erschöpft sich darin, die Wichtigkeit der Feuilletons herauszustellen, ohne aber deren formale und inhaltliche Besonderheiten zu benennen. Hinzu kommen einige kleinere Ungenauigkeiten, wie etwa die, Egon Erwin Kisch als akribischen Rechercheur Joseph Roth gegenüberzustellen. Dass Kisch sein Reporter-Image gekonnt zu inszenieren wusste, ist längst kein Geheimnis mehr. Und dass von Nürnberger eigenartig unkommentiert das Klischee vom trinkenden und beständig um Honorare feilschenden Roth kolportiert wird, ist wenig mehr als die Fortschreibung unerquicklicher Mythenbildung.
Roths liebste rhetorische Figur war das Paradox, in dem die Gegensätze aufeinanderprallen. Das mag auch für diesen Band gelten. Trotz aller Vorbehalte gegen das editorische Konzept bleibt die Lektüre von Joseph Roths Zeitstücken ein famoses Vergnügen. Und so ist es im Sinne des Paradoxons auch nur folgerichtig, dass gerade die Kritik einer Léhar-Aufführung zu den Glanzpunkten gehört. Auf die in ihrer Bösartigkeit kaum zu schlagende Bemerkung, die Frau neben ihm mache "ein Gesicht wie Marmeladebrot", schließt Roth, der in seiner bisweilen scharfen Ironie stets zutiefst menschlich war: "Man dachte an die armen Soldaten im Schützengraben, die vielleicht sterben müssen, ohne die neue Léhar-Operette gesehen zu haben."
WIEBKE POROMBKA
Joseph Roth: "Ich zeichne das Gesicht der Zeit". Essays, Reportagen, Feuilletons.
Hrsg. von Helmuth Nürnberger. Wallstein, Göttingen 2010. 544 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Feuilletons von Joseph Roth inspirieren trotz uninspirierter Edition
Die treffendsten Rechtfertigungen des feuilletonistischen Genres stammen von Joseph Roth selbst. Nicht mehr als Süffisanz brachte er dem "Literaten um jeden Mokkapreis" entgegen, der vor lauter Selbstinszenierung nicht in der Lage sei, eine "Wahrheit kurz pointiert und neu beleuchtet" zu zeigen. Roth hingegen war Emphatiker der kleinen Form. "Ich habe keinen Sinn mehr für die weite, allumfassende Armbewegung des Weltbühnenhelden", schreibt er 1921 im "Berliner Börsen-Courier": "Ich bin ein Spaziergänger."
Indes hat auch die Tatsache, dass seine Feuilletons, allein was die Quantität angeht, seine literarischen Arbeiten um ein Beträchtliches übersteigen, nichts daran geändert, dass sich bis heute hartnäckig das Bild des konservativen, gleichsam melancholisch-resignierten Romanciers der Habsburgermonarchie gehalten hat.
Umso erfreulicher, wenn nun der Gesamtausgabe ein Band mit Texten von Roth an die Seite gestellt wird, herausgegeben von seinem Biographen Helmuth Nürnberger. Er will einmal mehr das Augenmerk auf Roths feuilletonistisches Schaffen lenken und es gegenüber dem Romanwerk ins rechte Licht rücken. Bedauerlicherweise allerdings bleiben Auswahl und Zusammenstellung der Texte in diesem Band genauso wenig durchschaubar wie in der Sache nachvollziehbar.
Das liegt zum einen daran, dass Nürnberger sich nicht auf das Feuilleton als kleine, für den Tag geschriebene Form mit ihren spezifischen stilistischen Merkmalen beschränkt, sondern längere, von vornherein als Buchprojekt konzipierte Texte wie etwa "Juden auf Wanderschaft" hinzuzieht. Aber selbst da, wo es sich um Feuilletons handelt, lässt die vorliegende Auswahl genau jene Texte vermissen, mit denen Roth wie kaum ein anderer "das Gesicht seiner Zeit" zeichnete. "Wiener Symptome" hieß eine Reihe, die er 1919 über das von Elend bestimmte Leben auf den Straßen der österreichischen Hauptstadt für die von Benno Karpeles herausgegebene Zeitung "Der neue Tag" schrieb. Das Prinzip, das hier wie auch in späteren Jahren Roths Feuilletons ausmachte, ist bereits im Titel der Reihe benannt: das "Symptomatisieren". Am Detail und vermeintlich Nebensächlichen zeigte er, woran die Gesellschaft im Großen laborierte, materiell und im Inneren. Das Sterben eines Pferdes, das von der neugierigen Masse mehr bestaunt wird als das Dahinsiechen eines Mitmenschen, konnte so ein Detail sein oder ein beinloser Mann, der auf kümmerlichen Prothesen dasteht und dem niemand die feilgebotenen Schnürsenkel abkauft. Das große und tragische Thema, das Roths eigene Biographie und sein Schreiben grundierte, ist in den frühen Wiener Texten bereits angelegt: die Heimatlosigkeit. Immer wieder sind es Kriegsversehrte, Versprengte, denen er auf den Straßen begegnet und deren Existenz er mit schmerzhafter Klarsicht ins Bild setzt.
Auch in Berlin, wohin Roth 1920 übersiedelte und wo er innerhalb weniger Jahre zu einem der bestbezahlten Journalisten der Weimarer Republik aufstieg, entwarf er Miniaturen einer Stadt, auf deren Straßen die Zeichen des aufkommenden Nationalsozialismus schon Anfang der zwanziger Jahren beängstigend und unübersehbar waren. Statt dieser Zeit- und Gesellschaftssignaturen finden sich im vorliegenden Band über Gebühr viele Reiseberichte, vor allem aber Film- und Theaterrezensionen, die Roth einigermaßen lustlos zum Broterwerb verfasste und die zudem den ästhetischen Reflexionen etwa über das neue Medium Film, wie Benjamin oder Musil sie zu gleicher Zeit zu Papier brachten, schwerlich gerecht werden.
Dass Nürnberger erstmals auf die Textgestalt der Erstausgaben zurückgreifen kann, ist zwar aufschlussreich, es hilft aber nicht, ein grundsätzlich erhellendes Licht auf Roths Schreiben für die Zeitung zu werfen. Auch das Nachwort erschöpft sich darin, die Wichtigkeit der Feuilletons herauszustellen, ohne aber deren formale und inhaltliche Besonderheiten zu benennen. Hinzu kommen einige kleinere Ungenauigkeiten, wie etwa die, Egon Erwin Kisch als akribischen Rechercheur Joseph Roth gegenüberzustellen. Dass Kisch sein Reporter-Image gekonnt zu inszenieren wusste, ist längst kein Geheimnis mehr. Und dass von Nürnberger eigenartig unkommentiert das Klischee vom trinkenden und beständig um Honorare feilschenden Roth kolportiert wird, ist wenig mehr als die Fortschreibung unerquicklicher Mythenbildung.
Roths liebste rhetorische Figur war das Paradox, in dem die Gegensätze aufeinanderprallen. Das mag auch für diesen Band gelten. Trotz aller Vorbehalte gegen das editorische Konzept bleibt die Lektüre von Joseph Roths Zeitstücken ein famoses Vergnügen. Und so ist es im Sinne des Paradoxons auch nur folgerichtig, dass gerade die Kritik einer Léhar-Aufführung zu den Glanzpunkten gehört. Auf die in ihrer Bösartigkeit kaum zu schlagende Bemerkung, die Frau neben ihm mache "ein Gesicht wie Marmeladebrot", schließt Roth, der in seiner bisweilen scharfen Ironie stets zutiefst menschlich war: "Man dachte an die armen Soldaten im Schützengraben, die vielleicht sterben müssen, ohne die neue Léhar-Operette gesehen zu haben."
WIEBKE POROMBKA
Joseph Roth: "Ich zeichne das Gesicht der Zeit". Essays, Reportagen, Feuilletons.
Hrsg. von Helmuth Nürnberger. Wallstein, Göttingen 2010. 544 S., geb., 39,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
An die große Joseph Roth'sche Werkausgabe, die Volker Breidecker noch einmal lobt, kommt dieser Band natürlich nicht heran. Nicht mal repräsentativ kann sein, was nur 70 Texte von rund 1700 vereint. Dennoch hat Breidecker hier eine handliche Auswahl von Roths journalistischem Werk in Händen, die den großen Vorteil hat, von Helmuth Nürnberger sorgfältig kommentiert zu sein. Im "starken" Anmerkungsteil muss Breidecker blättern, um den Nachweis der Erstdrucke zu erhalten, etwas umständlich findet er. Und "Textgestalt nach Erstdrucken", wie der Band verspricht, schaut für ihn auch anders aus, einfach mehr Absätze einziehen gilt nicht. Um nicht weiter zu murren, verlegt der Rezensent sich lieber auf die Lektüre der wunderbaren Feuilletonkunst Roths, die er hier, und das findet er ausdrücklich klasse, teilweise in originaler Artikelfolge bestaunen kann. Roths Reisen nach Galizien, Russland und auf den Balkan etwa. Und ins "mittägliche Frankreich"! Für Breidecker findet sich hier mehr Dichterisches als in so manchem Roman.
© Perlentaucher Medien GmbH
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