Der österreichische Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) ist den meisten Lesern vor allem als Autor der weltberühmten Romane „Hiob“, „Radetzkymarsch“ oder „Die Kapuzinergruft“ bekannt, mit denen er zum literarischen Chronisten des Zerfalls der Habsburgermonarchie wurde. Gleichzeitig war Roth aber
auch einer der großen Feuilletonisten der Weimarer Republik.
Nach dem Ersten Weltkrieg war Roth…mehrDer österreichische Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) ist den meisten Lesern vor allem als Autor der weltberühmten Romane „Hiob“, „Radetzkymarsch“ oder „Die Kapuzinergruft“ bekannt, mit denen er zum literarischen Chronisten des Zerfalls der Habsburgermonarchie wurde. Gleichzeitig war Roth aber auch einer der großen Feuilletonisten der Weimarer Republik.
Nach dem Ersten Weltkrieg war Roth zunächst in Wien bei der Tageszeitung „Der Neue Weg“ als Journalist tätig. Hier waren die Not und das Elend im Wien der Nachkriegszeit seine Hauptthemen. Ab 1922 arbeitete Roth als Journalist in Berlin für die angesehene bürgerlich-liberale „Frankfurter Zeitung“. Seine Feuilletons und Reportagen machten ihn neben Alfred Polgar, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch oder Karl Kraus zu einem der führenden Journalisten und zeitweilig war er einer der höchstbezahlten seiner Zunft.
Joseph Roth, der an keine Partei gebunden war, sah sich zu dieser Zeit einem links-liberalen Journalismus verpflichtet. Mitte der 20er Jahre wandte er sich jedoch, politisch enttäuscht, mehr dem Reisejournalismus zu. So bereiste er bis 1932 fast ganz Europa. Seine Reisereportagen gehören zu dem Eindrucksvollsten dieses Genres.
Zwischen 1920 und 1930 verfasste Roth über tausend Zeitungsartikel, die ihn als einen im Trubel des Lebens wirkenden und politisch interessierten Menschen zeigen, der dann jedoch immer mehr seinen literarischen Neigungen folgte und schließlich in die selbst geschaffene Welt seiner Romane floh. Doch nichts war für ihn in beiden Schaffensperioden wichtiger als seine Arbeit, das Schreiben.
Die journalistischen Schriften blieben bisher sehr im Schatten der Romane, waren allenfalls dazu bestimmt, deren Wirkung zu verstärken. Der Literaturwissenschaftler Helmuth Nürnberger hat jetzt im Diogenes Verlag den Sammelband „Ich zeichne das Gesicht der Zeit“ mit ausgewählten Essays, Reportagen, Glossen und Feuilletons von Joseph Roth herausgebracht. Eine Auswahl, die es in diesem Umfang bisher noch nicht gegeben hat. Die Texte sind chronologisch angeordnet und halten sich erstmals wieder an die Erstdru-cke.
Im Mittelpunkt steht der umfangreiche Essay „Juden auf Wanderschaft“ (1927), in dem Roth die Geschichte und die Kultur des Ostjudentums in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts lebendig und ironisch beschreibt. Daneben bringt die Auswahl auch einige Texte aus den Jahren des Exils (1933-39), in denen Roth fast ausschließlich als Romancier hervortrat.
Da die journalistischen Arbeiten mehr noch als die Romane einer sie erschließenden Kommentierung bedürfen, wird die Auswahl durch einen faktenreichen Anhang komplettiert. Ausführliche Kommentare erläutern die Entstehung und Wirkung der Texte und geben darüber hinaus Auskünfte über die Lebensumstände und das Weltbild von Joseph Roth.
Manfred Orlick