Seit 2007 prekarisiert das Wissenschaftszeitvertragsgesetz Arbeitsbedingungen und Berufsaussichten des akademischen Mittelbaus: Das Gros der Wissenschaftler:innen hangelt sich von einem befristeten Job zum nächsten, und wer nach zwölf Jahren keine feste Stelle hat, fällt endgültig aus dem System heraus.
Als 2021 ein Video des Forschungsministeriums in den Fokus gerät, in dem am Beispiel der fiktiven Biologin »Hanna« die vermeintlichen Vorzüge des Gesetzes gepriesen werden, lancieren Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon den Hashtag #IchBinHanna. Binnen weniger Stunden machen zahllose Wissenschaftler:innen ihrem Ärger Luft. Sie schildern die Auswirkungen der Prekarität auf ihr Leben, berichten von Überlastung und Depressionen. Die Medien greifen das Thema auf, und »Hanna« schafft es wenig später sogar in den Bundestag.
In ihrer Streitschrift legen die Initiator:innen dar, welche Folgen das »WissZeitVG« für Forschende und Studierende, aber auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland und unsere Gesellschaft insgesamt hat. Sie resümieren die Erfahrungsberichte unter #IchBinHanna und präsentieren ihre Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre.
Als 2021 ein Video des Forschungsministeriums in den Fokus gerät, in dem am Beispiel der fiktiven Biologin »Hanna« die vermeintlichen Vorzüge des Gesetzes gepriesen werden, lancieren Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon den Hashtag #IchBinHanna. Binnen weniger Stunden machen zahllose Wissenschaftler:innen ihrem Ärger Luft. Sie schildern die Auswirkungen der Prekarität auf ihr Leben, berichten von Überlastung und Depressionen. Die Medien greifen das Thema auf, und »Hanna« schafft es wenig später sogar in den Bundestag.
In ihrer Streitschrift legen die Initiator:innen dar, welche Folgen das »WissZeitVG« für Forschende und Studierende, aber auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland und unsere Gesellschaft insgesamt hat. Sie resümieren die Erfahrungsberichte unter #IchBinHanna und präsentieren ihre Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Gerald Wagner stellt enttäuscht fest, dass die Streitschrift von Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon zum Thema Wissenschaftsvertragsgesetz zur Diskussion kaum etwas beiträgt. Wenn die Autoren den Trend zur Prekarisierung im Wissenschaftsbetrieb mit einem Zitat einer Abgeordneten der Linkspartei belegen, findet Wagner das mehr als dürftig. Richtig nervig findet er den "schrillen" Ton des Buches und die fatale Neigung der Autoren zur "selbstgefälligen Übertreibung". Das macht selbst die begründete Kritik und die vernünftigen Vorschläge für eine Reform des Gesetzes, die sich laut Rezensent im Band finden, irgendwie "schaurig", findet Wagner.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.03.2022Eigentlich
idiotisch
Die Initiatoren von #IchBinHanna erklären
in einem so präzisen wie polemischen Buch, was eine
Uni-Laufbahn in Deutschland so schwierig macht
VON JOHAN SCHLOEMANN
Das war der deutsche Professor: Ordinarienherrlichkeit, Alleinherrschaft im Kleinfürstentum des Instituts. Dieses Bild hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gründlich geändert. Der deutsche Professor ist kooperativer geworden, im Habitus angestelltenmäßiger, er trägt selten Schlips und lässt sich duzen, und endlich ist er, ist sie auch immer öfter eine Professorin. Eines gilt aber nach wie vor: Die Organisation von Forschung und Lehre an den Universitäten ist immer noch sehr stark – viel zu stark – ausgerichtet auf die Unterscheidung von Professuren und Nichtprofessuren.
Wer bis ins Alter von Mitte vierzig keine Professur ergattert, aber bis dahin allerlei Qualifikationen dafür angesammelt hat, bleibt hierzulande an der Universität Privatdozent, mit mickrig bezahlten Lehraufträgen, aber ohne feste Beamtenstelle. Oder muss sonst schauen, wo er oder sie bleibt. Das hat es zwar immer schon gegeben. Aber seitdem die deutsche Universität zur Massenuniversität ausgebaut wurde – also schon recht lange –, ist es ziemlich idiotisch, keine anderen Dauerstellen als die Professuren einzurichten für diejenigen, für deren wissenschaftliche Laufbahn der Staat bis dahin schon viel Steuergeld ausgegeben hat. Ob man sie jetzt „Lecturer“ nennt oder sonst wie.
Die „jungen“ Forschenden arbeiten nämlich nach ihrer Doktorarbeit und Promotion – immer öfter erst im vierten Lebensjahrzehnt – einerseits an ihrer weiteren Qualifikation, also an neuen Thesen und Ergebnissen, an Büchern und Papers; andererseits werden sie ohne sichere Anstellung unter dem Deckmantel der Projektemacherei dafür verbraten, den Dauerbetrieb der Wissenschaft aufrechtzuerhalten: Kurse unterrichten, Tagungen organisieren, Computerprobleme lösen und nicht zuletzt: riesige Konvolute an Forschungsanträgen ausarbeiten, also großartig klingende Pläne für die Vorhaben der Zukunft, womit sie im Fall der Bewilligung wackelige Existenzen wie die ihrige für ein paar Jahre weiterfinanzieren. Vom wissenschaftlichen Personal in Deutschland haben laut jüngeren Erhebungen 92 Prozent von denen, die unter 45 sind und keine Professur haben, nur Zeitverträge.
Wie gesagt, das ist eigentlich idiotisch. Nicht nur für die Menschen, sondern auch für das System der Forschung. Doch lange sprach man als Kandidat oder auch als darüberschwebende Professorin nicht laut über die zähe Unsicherheit der Laufbahn – weil das ja viel zu peinlich war. Und weil man fürchtete, dass damit der Geruch der Erfolglosigkeit und Larmoyanz an der Kandidatin oder dem Kandidaten hängen bliebe. Man brennt ja doch angeblich für nichts anderes als für die Wissenschaft, komme, was wolle, und deswegen arbeitet man ohne Murren erst nachts nach Feierabend an der eigenen Habilitationsschrift, wenn alles andere fürs Projekt und fürs Institut getan ist. Bis schließlich zu viele Jahre damit vergangen sind.
Dieses Schweigen ist spätestens seit der Twitter-Bewegung unter dem Hashtag #IchBinHanna gebrochen, die im Juni des vergangenen Jahres losging. „Niemals Feierabend. Jede ,freie‘ Minute über die nächsten Bewerbungen & Anträge nachdenken, um die eigene Existenz zu sichern“, schrieb da etwa eine Forscherin in einem von mehr als 134 000 Tweets von Akademikern, die sich mit der Aktion solidarisierten oder ihr eigenes Schicksal zwischen Lauern und Herumschleimen offenlegten.
Die Initiatoren von #IchBinHanna, Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon, haben die Argumente der Debatte in einem Buch gebündelt. Ausgelöst hatte den Aufschrei der Betroffenen ein zynisches, mittlerweile offiziell gelöschtes Filmchen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in dem eine fröhliche Erklärvideo-Hanna unbefangen dafür stand, „dass nicht eine Generation alle Stellen verstopft“, sowie für die Ansicht, die unwürdigen Hängepartien der Postdocs erhöhten „die Innovationskraft“ der deutschen Wissenschaft.
Das Autorentrio, selbst aus den Geisteswissenschaften und bislang ohne entfristete Stellen, geht die Sache mit einer beeindruckenden Mischung aus Präzision und Polemik an und identifiziert zwei Hauptgründe für die Misere: erstens die Befristung von Qualifikationsstellen auf insgesamt zwölf Jahre (zweimal sechs, vor und nach der Promotion) – temporäre Stellen, die aber für alle möglichen anderen Tätigkeiten missbraucht werden; und zweitens die Abhängigkeit von Drittmitteln, das bedeutet: Man muss mit gewaltigem Präsentationsaufwand ständig Spezial- und „Exzellenz“-Gelder herbeibetteln, die in der normalen Finanzierung der Hochschulen fehlen, aber nicht fehlen sollten.
Die Befristungen der Arbeitsverträge, die viele auch hochqualifizierte Forschende in Deutschland schlecht schlafen lassen, regelt seit 2007 das gefürchtete Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Bahr, Eichhorn und Kubon betonen, dass das Übel nicht erst damit anfing, sondern das Gesetz „seinerseits einen ersten (wenngleich gescheiterten) Versuch darstellt, ein ausuferndes Befristungs(un)wesen wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen“.
Als der Staat in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts sehr viele neue Studienplätze schuf, aber nicht genug entsprechendes Personal einstellte, kam bei Funktionären die Ausrede auf, möglichst viele befristete Stellen sorgten für Dynamik und Bewegung. Dies schuf eine „Kultur des Misstrauens“ gegenüber dem sogenannten Nachwuchs, schreiben die drei Autoren: „Sie kommt auch in der durch nichts gedeckten Unterstellung zum Ausdruck, unbefristete Posten würden die Betreffenden faul und unflexibel machen und nur Existenzangst führe zu Leistungsfähigkeit und innovativer Forschung. Warum dies für Professor*innen, die ja sogar auf Lebenszeit verbeamtet sind und nach dieser Logik besonders träge und faul sein müssten, nicht gelten soll, wird wohl ein für immer ungelöstes Rätsel bleiben.“
Der Protest gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist inzwischen so laut, dass im Koalitionsvertrag der Ampelparteien Besserung gelobt wird. Die Ergebnisse einer schon länger verzögerten Evaluation des Gesetzes sollen nach Auskunft des Ministeriums nun im Mai präsentiert werden. Mal sehen, was daraus wird.
Aber das „#IchBinHanna“-Buch macht auch deutlich, dass das Problem der deutschen Universität noch tiefer liegt und durch mehr Entfristungen von Stellen nicht sofort verschwände (wie der Streit um das Berliner Hochschulgesetz gezeigt hat): Es ist die freiwillige Unterwerfung unter einen vermeintlich fairen Wettbewerb und das Regime einer oft im Ungefähren bleibenden „Innovation“, die ganze Forschergenerationen dazu zwingt, „sich ein ums andere Mal beim Beantragen von Mitteln zu verausgaben“. Die breit ausgebaute, aber tatsächlich schlecht finanzierte Universität hat etwas sehr Fragwürdiges zu einer Hauptbeschäftigung gemacht: „ein absurdes Wettrennen gegen das Ablaufen der finanzierten Zeit“.
Da kommt dann aber auch noch etwas hinzu, was Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon nicht erwähnen: Zu einer Abhängigkeit gehören immer zwei Parteien, auch wenn die Verbeamteten am längeren Hebel zu sitzen scheinen. Alle, die nach dem Studium mit der Wissenschaft liebäugeln, müssen wohl strenger als bisher prüfen, mit welchen Erwartungen an eine akademische Karriere sie selbsteigentlich ins Rennen gehen.
Dass in Deutschland so unglaublich viel mehr Doktorarbeiten geschrieben werden als früher und anderswo, sollte nicht nur manche verlocken, sondern auch viele davon abschrecken, sich in eine übermäßig lange Qualifikationsphase auf befristeten Stellen überhaupt hineinziehen zu lassen. Damit verschiedene Lebenswege möglich sind, anstatt verbaut zu werden, muss die Entscheidung, in der Wissenschaft zu bleiben oder nicht, um einige Jahre früher fallen: in dem schwerfälligen hierarchischen System namens Universität, sicher. Aber auch bei den Einzelnen.
Auf die Gefahr hin, dass das furchtbar paternalistisch klingt, und wohlwissend, dass vieles auch von ungerechten Zufällen abhängt, möchte man der Uni-Generation „Hanna“ dennoch zurufen: Ja, es braucht mehr Dauerstellen. Aber lasst euch auch nicht ausbeuten.
92 Prozent von denen, die unter
45 sind und keine Professur haben,
haben an der Uni nur Zeitverträge
Eine Generation wird gezwungen,
„sich beim Beantragen von
Mitteln zu verausgaben“
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon: #IchBinHanna: Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Suhrkamp, Berlin 2022. 144 Seiten, 13 Euro.
Hoffnungsvolle Forschung: Studierende in der Universitätsbibliothek der Berliner Humboldt-Universität.
Foto: Imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
idiotisch
Die Initiatoren von #IchBinHanna erklären
in einem so präzisen wie polemischen Buch, was eine
Uni-Laufbahn in Deutschland so schwierig macht
VON JOHAN SCHLOEMANN
Das war der deutsche Professor: Ordinarienherrlichkeit, Alleinherrschaft im Kleinfürstentum des Instituts. Dieses Bild hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gründlich geändert. Der deutsche Professor ist kooperativer geworden, im Habitus angestelltenmäßiger, er trägt selten Schlips und lässt sich duzen, und endlich ist er, ist sie auch immer öfter eine Professorin. Eines gilt aber nach wie vor: Die Organisation von Forschung und Lehre an den Universitäten ist immer noch sehr stark – viel zu stark – ausgerichtet auf die Unterscheidung von Professuren und Nichtprofessuren.
Wer bis ins Alter von Mitte vierzig keine Professur ergattert, aber bis dahin allerlei Qualifikationen dafür angesammelt hat, bleibt hierzulande an der Universität Privatdozent, mit mickrig bezahlten Lehraufträgen, aber ohne feste Beamtenstelle. Oder muss sonst schauen, wo er oder sie bleibt. Das hat es zwar immer schon gegeben. Aber seitdem die deutsche Universität zur Massenuniversität ausgebaut wurde – also schon recht lange –, ist es ziemlich idiotisch, keine anderen Dauerstellen als die Professuren einzurichten für diejenigen, für deren wissenschaftliche Laufbahn der Staat bis dahin schon viel Steuergeld ausgegeben hat. Ob man sie jetzt „Lecturer“ nennt oder sonst wie.
Die „jungen“ Forschenden arbeiten nämlich nach ihrer Doktorarbeit und Promotion – immer öfter erst im vierten Lebensjahrzehnt – einerseits an ihrer weiteren Qualifikation, also an neuen Thesen und Ergebnissen, an Büchern und Papers; andererseits werden sie ohne sichere Anstellung unter dem Deckmantel der Projektemacherei dafür verbraten, den Dauerbetrieb der Wissenschaft aufrechtzuerhalten: Kurse unterrichten, Tagungen organisieren, Computerprobleme lösen und nicht zuletzt: riesige Konvolute an Forschungsanträgen ausarbeiten, also großartig klingende Pläne für die Vorhaben der Zukunft, womit sie im Fall der Bewilligung wackelige Existenzen wie die ihrige für ein paar Jahre weiterfinanzieren. Vom wissenschaftlichen Personal in Deutschland haben laut jüngeren Erhebungen 92 Prozent von denen, die unter 45 sind und keine Professur haben, nur Zeitverträge.
Wie gesagt, das ist eigentlich idiotisch. Nicht nur für die Menschen, sondern auch für das System der Forschung. Doch lange sprach man als Kandidat oder auch als darüberschwebende Professorin nicht laut über die zähe Unsicherheit der Laufbahn – weil das ja viel zu peinlich war. Und weil man fürchtete, dass damit der Geruch der Erfolglosigkeit und Larmoyanz an der Kandidatin oder dem Kandidaten hängen bliebe. Man brennt ja doch angeblich für nichts anderes als für die Wissenschaft, komme, was wolle, und deswegen arbeitet man ohne Murren erst nachts nach Feierabend an der eigenen Habilitationsschrift, wenn alles andere fürs Projekt und fürs Institut getan ist. Bis schließlich zu viele Jahre damit vergangen sind.
Dieses Schweigen ist spätestens seit der Twitter-Bewegung unter dem Hashtag #IchBinHanna gebrochen, die im Juni des vergangenen Jahres losging. „Niemals Feierabend. Jede ,freie‘ Minute über die nächsten Bewerbungen & Anträge nachdenken, um die eigene Existenz zu sichern“, schrieb da etwa eine Forscherin in einem von mehr als 134 000 Tweets von Akademikern, die sich mit der Aktion solidarisierten oder ihr eigenes Schicksal zwischen Lauern und Herumschleimen offenlegten.
Die Initiatoren von #IchBinHanna, Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon, haben die Argumente der Debatte in einem Buch gebündelt. Ausgelöst hatte den Aufschrei der Betroffenen ein zynisches, mittlerweile offiziell gelöschtes Filmchen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in dem eine fröhliche Erklärvideo-Hanna unbefangen dafür stand, „dass nicht eine Generation alle Stellen verstopft“, sowie für die Ansicht, die unwürdigen Hängepartien der Postdocs erhöhten „die Innovationskraft“ der deutschen Wissenschaft.
Das Autorentrio, selbst aus den Geisteswissenschaften und bislang ohne entfristete Stellen, geht die Sache mit einer beeindruckenden Mischung aus Präzision und Polemik an und identifiziert zwei Hauptgründe für die Misere: erstens die Befristung von Qualifikationsstellen auf insgesamt zwölf Jahre (zweimal sechs, vor und nach der Promotion) – temporäre Stellen, die aber für alle möglichen anderen Tätigkeiten missbraucht werden; und zweitens die Abhängigkeit von Drittmitteln, das bedeutet: Man muss mit gewaltigem Präsentationsaufwand ständig Spezial- und „Exzellenz“-Gelder herbeibetteln, die in der normalen Finanzierung der Hochschulen fehlen, aber nicht fehlen sollten.
Die Befristungen der Arbeitsverträge, die viele auch hochqualifizierte Forschende in Deutschland schlecht schlafen lassen, regelt seit 2007 das gefürchtete Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Bahr, Eichhorn und Kubon betonen, dass das Übel nicht erst damit anfing, sondern das Gesetz „seinerseits einen ersten (wenngleich gescheiterten) Versuch darstellt, ein ausuferndes Befristungs(un)wesen wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen“.
Als der Staat in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts sehr viele neue Studienplätze schuf, aber nicht genug entsprechendes Personal einstellte, kam bei Funktionären die Ausrede auf, möglichst viele befristete Stellen sorgten für Dynamik und Bewegung. Dies schuf eine „Kultur des Misstrauens“ gegenüber dem sogenannten Nachwuchs, schreiben die drei Autoren: „Sie kommt auch in der durch nichts gedeckten Unterstellung zum Ausdruck, unbefristete Posten würden die Betreffenden faul und unflexibel machen und nur Existenzangst führe zu Leistungsfähigkeit und innovativer Forschung. Warum dies für Professor*innen, die ja sogar auf Lebenszeit verbeamtet sind und nach dieser Logik besonders träge und faul sein müssten, nicht gelten soll, wird wohl ein für immer ungelöstes Rätsel bleiben.“
Der Protest gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist inzwischen so laut, dass im Koalitionsvertrag der Ampelparteien Besserung gelobt wird. Die Ergebnisse einer schon länger verzögerten Evaluation des Gesetzes sollen nach Auskunft des Ministeriums nun im Mai präsentiert werden. Mal sehen, was daraus wird.
Aber das „#IchBinHanna“-Buch macht auch deutlich, dass das Problem der deutschen Universität noch tiefer liegt und durch mehr Entfristungen von Stellen nicht sofort verschwände (wie der Streit um das Berliner Hochschulgesetz gezeigt hat): Es ist die freiwillige Unterwerfung unter einen vermeintlich fairen Wettbewerb und das Regime einer oft im Ungefähren bleibenden „Innovation“, die ganze Forschergenerationen dazu zwingt, „sich ein ums andere Mal beim Beantragen von Mitteln zu verausgaben“. Die breit ausgebaute, aber tatsächlich schlecht finanzierte Universität hat etwas sehr Fragwürdiges zu einer Hauptbeschäftigung gemacht: „ein absurdes Wettrennen gegen das Ablaufen der finanzierten Zeit“.
Da kommt dann aber auch noch etwas hinzu, was Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon nicht erwähnen: Zu einer Abhängigkeit gehören immer zwei Parteien, auch wenn die Verbeamteten am längeren Hebel zu sitzen scheinen. Alle, die nach dem Studium mit der Wissenschaft liebäugeln, müssen wohl strenger als bisher prüfen, mit welchen Erwartungen an eine akademische Karriere sie selbsteigentlich ins Rennen gehen.
Dass in Deutschland so unglaublich viel mehr Doktorarbeiten geschrieben werden als früher und anderswo, sollte nicht nur manche verlocken, sondern auch viele davon abschrecken, sich in eine übermäßig lange Qualifikationsphase auf befristeten Stellen überhaupt hineinziehen zu lassen. Damit verschiedene Lebenswege möglich sind, anstatt verbaut zu werden, muss die Entscheidung, in der Wissenschaft zu bleiben oder nicht, um einige Jahre früher fallen: in dem schwerfälligen hierarchischen System namens Universität, sicher. Aber auch bei den Einzelnen.
Auf die Gefahr hin, dass das furchtbar paternalistisch klingt, und wohlwissend, dass vieles auch von ungerechten Zufällen abhängt, möchte man der Uni-Generation „Hanna“ dennoch zurufen: Ja, es braucht mehr Dauerstellen. Aber lasst euch auch nicht ausbeuten.
92 Prozent von denen, die unter
45 sind und keine Professur haben,
haben an der Uni nur Zeitverträge
Eine Generation wird gezwungen,
„sich beim Beantragen von
Mitteln zu verausgaben“
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon: #IchBinHanna: Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Suhrkamp, Berlin 2022. 144 Seiten, 13 Euro.
Hoffnungsvolle Forschung: Studierende in der Universitätsbibliothek der Berliner Humboldt-Universität.
Foto: Imago
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2022Wie ist die Verwertungslogik doch grausam
Jetzt aber bitte mal her mit den Philosophielehrstühlen: Akademischer Nachwuchs steigt auf die Barrikaden
Im vergangenen Jahr sorgte ein Video des Bundesforschungsministeriums für große Aufregung. Das harmlose Filmchen versuchte nahezu kindgerecht am Beispiel einer fiktiven Biologin namens Hanna die Vorzüge des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes darzustellen. Was folgte, war ein medialer Shitstorm. Denn was das Ministerium als eigentliche Leistung des Gesetzes lobte - die Ermöglichung von befristeten Arbeitsverhältnissen an den deutschen Hochschulen -, gilt unter den davon Betroffenen als der Grund des Elends, in dem sie ihr Dasein als wissenschaftlicher Nachwuchs fristen müssen. Elend? Junge Menschen, die sich jahrelang der Erforschung ihrer selbst gewählten wissenschaftlichen Interessen widmen können? Die ihr Wissen anderen wissbegierigen jungen Menschen weitergeben können, die in Massen an die Universitäten strömen, voller Neugierde und Begeisterung für das Abenteuer der akademischen Bildung?
Die Autoren werden eine solche Schilderung ihrer beruflichen Lage wohl nur als Satire lesen können. Vermutlich sogar eher als Verhöhnung. Die drei Geisteswissenschaftler sind die Initiatoren einer akademischen Protestbewegung, die im Juni 2021 unter dem Hashtag #IchBinHanna in den sozialen Medien ihre Empörung über das Video zum Ausdruck brachte. Jetzt haben sie eine Streitschrift vorgelegt, in der sie ihre Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz darlegen und Vorschläge machen, wie man die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern könnte. Ihre Kritik ist gut begründet, die Vorschläge sind durchweg vernünftig und sollten in der ohnehin angekündigten Reform des Gesetzes unbedingt berücksichtigt werden.
Was dem Buch aber schadet, ist sein schriller Grundton: Unerträglich, unhaltbar, katastrophal, erschreckend, zynisch - die Anprangerung des "Skandals" einer "verwahrlosten Arbeitskultur" an den deutschen Hochschulen nimmt kein Ende. Sie müssen bevölkert sein von Heerscharen eines verzweifelten Lumpenproletariats, das sich ausgezehrt von Kurzvertrag zu Kurzvertrag hangelt, ausgebeutet von machtbesessenen Lehrstuhlinhabern, die ihnen dann auch noch die dem akademischen Knechtschaftsverhältnis abgerungenen wissenschaftlichen Leistungen stehlen. Die selbstgefällige Übertreibung in diesen Passagen des Buches ist so penetrant, dass selbst dem wohlwollenden Leser das Bedürfnis überkommt, das schaurige Pamphlet kopfschüttelnd wegzulegen.
Es wäre eigentlich Sache des Lektorats gewesen, hier für Mäßigung und Kürzungen zu sorgen. Allerdings haben die Autoren eine Streitschrift publiziert. Als Hanna nehmen sie für sich das Recht auf Polemik und Einseitigkeit in Anspruch. Da wird flugs mal das eigene Schicksal zum "allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Trend zur Prekarisierung" erklärt. Als "Beleg" dieser steilen These dient dann lediglich ein Zitat aus der Publikation einer Abgeordneten der Linkspartei. Fand sich denn unter all den Hannas nicht wenigstens eine promovierte Volkswirtin, die hier etwas ökonomischen Verstand beigesteuert hätte?
Aber für nachdenkliche Momente, in der die eigene Privilegiertheit reflektiert würde, war in dieser Streitschrift offenbar kein Platz. Dabei hätte es dem Anliegen der Autoren sicher genützt, Zweifel selbst der geneigten Teile der Öffentlichkeit an ihrem Elend zu thematisieren. Natürlich brauchen sie sich nicht dafür zu rechtfertigen, von ihrer persönlichen Qualifikation für eine Professur in Philosophie oder Germanistik überzeugt zu sein. Sie mögen auch Zweifel an einem großen Bedarf an weiteren Dauerstellen in diesen Fächern für borniert halten. Aber man wird diese Zweifel nicht mit dem Getöse von den "drängenden Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft" abwimmeln können, zu deren Lösung man die Wissenschaft brauche. Die Wissenschaft? Welche Wissenschaft?
Es genügt doch ein Blick in den "Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs", um festzustellen, dass Hannas Probleme größtenteils für Geisteswissenschaftler zutreffen, die keine Lehrer werden wollen. In vielen Fächern vor allem aus dem MINT-Bereich, aber nicht nur dort, herrscht ein Mangel an qualifiziertem Nachwuchs an den Hochschulen, kein Überschuss. Von der Wirtschaft, in der immer noch das meiste Geld für Forschung ausgegeben wird, gar nicht zu reden. Die "Verwertungslogik", die den Begriff der Innovation vereinnahmt habe, steuert tatsächlich längst den Bedarf in der Forschung. Wenn die Autoren schreiben, dass gerade für die Geisteswissenschaften aber eine andere "Zielbeschreibung sicherlich viel sinnvoller" wäre, kann man ihnen nur zustimmen. Denn tatsächlich müsste darüber eine breite Diskussion stattfinden.
"#IchbinHanna" trägt zu dieser Diskussion leider nicht viel bei. Wer vom Drang der Zukunftsaufgaben schreibt, sollte entweder wenigstens ein paar Seiten der Frage widmen, was etwa die Germanistik oder die Philosophie zu deren Lösung beizutragen hätten. Oder diese Zumutung zurückweisen und ganz andere Legitimationsquellen für universitäre Dauerstellen in diesen Fächern finden. Sonst müsste man einräumen, dass man hier auch nur schnöde Interessenpolitik betreibt. Auch daran wäre an sich nichts auszusetzen - andere Berufsgruppen tun das schließlich auch. GERALD WAGNER
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon: "#IchBinHanna". Prekäre Wissenschaft in Deutschland.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 144 S., br., 13,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt aber bitte mal her mit den Philosophielehrstühlen: Akademischer Nachwuchs steigt auf die Barrikaden
Im vergangenen Jahr sorgte ein Video des Bundesforschungsministeriums für große Aufregung. Das harmlose Filmchen versuchte nahezu kindgerecht am Beispiel einer fiktiven Biologin namens Hanna die Vorzüge des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes darzustellen. Was folgte, war ein medialer Shitstorm. Denn was das Ministerium als eigentliche Leistung des Gesetzes lobte - die Ermöglichung von befristeten Arbeitsverhältnissen an den deutschen Hochschulen -, gilt unter den davon Betroffenen als der Grund des Elends, in dem sie ihr Dasein als wissenschaftlicher Nachwuchs fristen müssen. Elend? Junge Menschen, die sich jahrelang der Erforschung ihrer selbst gewählten wissenschaftlichen Interessen widmen können? Die ihr Wissen anderen wissbegierigen jungen Menschen weitergeben können, die in Massen an die Universitäten strömen, voller Neugierde und Begeisterung für das Abenteuer der akademischen Bildung?
Die Autoren werden eine solche Schilderung ihrer beruflichen Lage wohl nur als Satire lesen können. Vermutlich sogar eher als Verhöhnung. Die drei Geisteswissenschaftler sind die Initiatoren einer akademischen Protestbewegung, die im Juni 2021 unter dem Hashtag #IchBinHanna in den sozialen Medien ihre Empörung über das Video zum Ausdruck brachte. Jetzt haben sie eine Streitschrift vorgelegt, in der sie ihre Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz darlegen und Vorschläge machen, wie man die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern könnte. Ihre Kritik ist gut begründet, die Vorschläge sind durchweg vernünftig und sollten in der ohnehin angekündigten Reform des Gesetzes unbedingt berücksichtigt werden.
Was dem Buch aber schadet, ist sein schriller Grundton: Unerträglich, unhaltbar, katastrophal, erschreckend, zynisch - die Anprangerung des "Skandals" einer "verwahrlosten Arbeitskultur" an den deutschen Hochschulen nimmt kein Ende. Sie müssen bevölkert sein von Heerscharen eines verzweifelten Lumpenproletariats, das sich ausgezehrt von Kurzvertrag zu Kurzvertrag hangelt, ausgebeutet von machtbesessenen Lehrstuhlinhabern, die ihnen dann auch noch die dem akademischen Knechtschaftsverhältnis abgerungenen wissenschaftlichen Leistungen stehlen. Die selbstgefällige Übertreibung in diesen Passagen des Buches ist so penetrant, dass selbst dem wohlwollenden Leser das Bedürfnis überkommt, das schaurige Pamphlet kopfschüttelnd wegzulegen.
Es wäre eigentlich Sache des Lektorats gewesen, hier für Mäßigung und Kürzungen zu sorgen. Allerdings haben die Autoren eine Streitschrift publiziert. Als Hanna nehmen sie für sich das Recht auf Polemik und Einseitigkeit in Anspruch. Da wird flugs mal das eigene Schicksal zum "allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Trend zur Prekarisierung" erklärt. Als "Beleg" dieser steilen These dient dann lediglich ein Zitat aus der Publikation einer Abgeordneten der Linkspartei. Fand sich denn unter all den Hannas nicht wenigstens eine promovierte Volkswirtin, die hier etwas ökonomischen Verstand beigesteuert hätte?
Aber für nachdenkliche Momente, in der die eigene Privilegiertheit reflektiert würde, war in dieser Streitschrift offenbar kein Platz. Dabei hätte es dem Anliegen der Autoren sicher genützt, Zweifel selbst der geneigten Teile der Öffentlichkeit an ihrem Elend zu thematisieren. Natürlich brauchen sie sich nicht dafür zu rechtfertigen, von ihrer persönlichen Qualifikation für eine Professur in Philosophie oder Germanistik überzeugt zu sein. Sie mögen auch Zweifel an einem großen Bedarf an weiteren Dauerstellen in diesen Fächern für borniert halten. Aber man wird diese Zweifel nicht mit dem Getöse von den "drängenden Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft" abwimmeln können, zu deren Lösung man die Wissenschaft brauche. Die Wissenschaft? Welche Wissenschaft?
Es genügt doch ein Blick in den "Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs", um festzustellen, dass Hannas Probleme größtenteils für Geisteswissenschaftler zutreffen, die keine Lehrer werden wollen. In vielen Fächern vor allem aus dem MINT-Bereich, aber nicht nur dort, herrscht ein Mangel an qualifiziertem Nachwuchs an den Hochschulen, kein Überschuss. Von der Wirtschaft, in der immer noch das meiste Geld für Forschung ausgegeben wird, gar nicht zu reden. Die "Verwertungslogik", die den Begriff der Innovation vereinnahmt habe, steuert tatsächlich längst den Bedarf in der Forschung. Wenn die Autoren schreiben, dass gerade für die Geisteswissenschaften aber eine andere "Zielbeschreibung sicherlich viel sinnvoller" wäre, kann man ihnen nur zustimmen. Denn tatsächlich müsste darüber eine breite Diskussion stattfinden.
"#IchbinHanna" trägt zu dieser Diskussion leider nicht viel bei. Wer vom Drang der Zukunftsaufgaben schreibt, sollte entweder wenigstens ein paar Seiten der Frage widmen, was etwa die Germanistik oder die Philosophie zu deren Lösung beizutragen hätten. Oder diese Zumutung zurückweisen und ganz andere Legitimationsquellen für universitäre Dauerstellen in diesen Fächern finden. Sonst müsste man einräumen, dass man hier auch nur schnöde Interessenpolitik betreibt. Auch daran wäre an sich nichts auszusetzen - andere Berufsgruppen tun das schließlich auch. GERALD WAGNER
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon: "#IchBinHanna". Prekäre Wissenschaft in Deutschland.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 144 S., br., 13,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[Die] Kritik ist gut begründet, die Vorschläge sind durchweg vernünftig und sollten in der ohnehin angekündigten Reform des Gesetzes unbedingt berücksichtigt werden.« Gerald Wagner Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220401