Die Taliban haben die monumentalen Buddhastatuen von Bamijian aus ihren Felsnischen gesprengt. Wie kommt es, daß Bilder solche Leidenschaften auslösen und daß Generationen von Bilderstürmern von Haß und Fanatismus begleitet waren? Auf der anderen Seite des Bilderverbots gibt es die Bilderverehrung, die Faszination durch Bilder und ihre massenhafte Verbreitung, so daß sich die Bilder in ihrer Flut gegenseitig erschlagen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2002Bruno Latour will überall sein
Bruno Latour gehört mittlerweile zu den meistgeschätzten Soziologen der Gegenwart. Das dürfte seinen Grund zuvorderst darin haben, daß der Franzose uns Menschen scheinbar in Ruhe läßt und seine analytische Aufmerksamkeit statt dessen auf andere Gesellschaften konzentriert - auf die von Tieren, Institutionen oder einfach Dingen. Seine letzte große auf deutsch erschienene Studie trägt denn auch den Titel "Das Parlament der Dinge" und fordert nicht weniger als eine politische Vertretung für die Natur, weil nur so der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie zu lösen sei (F.A.Z. vom 4. Dezember 2001). Daß die Parlamentarier dann doch wieder Menschen sein müssen, bestreitet Latour nicht, und das macht ihn doppelt sympathisch: Derart kann die Menschheit doch wieder über alles entscheiden und dabei noch ein gutes Gewissen haben. So macht Soziologie Spaß.
Doch beiseite damit. Latour ist ein kluger Kopf, dem wir nicht nur eine exzellente Interpretation seines Spezialgebiets, der Wissenschaftsforschung, verdanken ("Die Hoffnung der Pandora"), sondern auch zahlreiche Aufsätze, die zum Luzidesten zählen, was theoretisches Schreiben in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Immer liegt dabei der Schwerpunkt auf dem, was sonst als Objekte oder Prozesse abgetan worden ist. Bei Latour erhält es personale Würde. Diese prinzipielle Gleichrangigkeit führt dazu, daß für ihn alles als mit allem verbunden betrachtet werden kann, und herauskommt dennoch nicht postmoderne Beliebigkeit (auch wenn eine Großzahl enttäuschter Poststrukturalisten in Latour eine neue Lichtgestalt entdeckt haben will), sondern ein systematischer Anspruch der Theorie, der im Verzicht auf Autarkie seinen Kern hat. Nur was Rücksicht auf seine Umgebung nimmt, kann als erfolgversprechendes Modell in unserer Welt gelten. Das klingt banal, aber wie Latour es beschreibt, ist es eindrucksvoll.
Darum ist es so enttäuschend, daß der große Prediger der "zirkulierenden Referenz" durch seinen hektischen Aktivismus derzeit in einen performativen Widerspruch zu geraten droht. Plötzlich ist Latour en vogue, und die Welle der Sympathie braust ihm so geräuschvoll entgegen, daß er seine Stimme überlaut erschallen läßt. "Ich versteh' von allem was", scheint seine neue Maxime zu sein, doch was zum Kuckuck zirkuliert denn hier? Latour stößt plötzlich an seine Grenzen, die Referenz bricht ab: So hat er unlängst den bevorstehenden Klimagipfel in Johannesburg eher schlicht als recht kommentiert (F.A.Z. vom 12. Mai) und in Karlsruhes ZKM gemeinsam mit sechs Kollegen aus aller Welt die Ausstellung "Iconoclash" zum Phänomen des Bildersturms zugrunde kuratiert (F.A.Z. vom 13. Mai).
Der Katalog zu der Karlsruher Schau wird von einem in Englisch verfaßten Essay Latours eingeleitet, der auch separat in deutscher Übersetzung erhältlich ist (Bruno Latour: "Iconoclash". Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkrieges? Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Merve Verlag, Berlin 2002. 77 S., Abb., br., 8,- [Euro]). Er zeigt eine neue Schwäche seines Autors: Selbstverliebtheit. Der Text erläutert das Programm der Ausstellung, das in theoretischer Erbschaft Foucaults als "Archäologie von Haß und Fanatismus" bestimmt ist. Thema von Latours knappen Ausführungen ist die Verehrung des Bildersturms, die just das vollziehe, was die Bilderstürmer selber kritisieren: blinden Glauben. Der besteht in der Objektivitätsvermutung gegenüber der eigenen Überzeugung, und Latour verkündet stolz, daß er selbst ein schönes Beispiel für das Paradox dessen darstellt, was er "Iconoclash" nennt: "Eine neue Wertschätzung für die Wissenschaft gilt als Zerstörung der Wissenschaft."
Damit greift er die Vorwürfe seiner Kritiker auf, daß seine These von der "sozialen Konstruktion" jeglicher Wissenschaft diese ihres autonomen Status beraube. So ist das, was Latour selbst als Liebeserklärung an die Wissenschaft betreibt - seine intensive Beschäftigung mit deren Ursprüngen und Entwicklung -, in anderen Augen eine Profanisierung, ein Bildersturm. Doch die Gegner, so Latour, lassen damit das Bild, das sie gegen die Übergriffe verteidigen wollen, gefrieren und isolieren es dadurch. Er aber plädiert für Bilder, die in Bewegung gehalten werden müssen, um in Beziehung zu anderen Phänomenen treten zu können.
"Du sollst dir kein erstarrtes Bildnis machen" - so lautet das Fazit des Essays. Latours Plädoyer für einen Ikonoklasmus, der Bilder nicht stürmt, sondern bestürmt, ist gewiß aller Ehren wert. Doch täte ihm selbst eine gewisse Erstarrung gut, die ja Zeichen auch von Ehrfurcht ist. Seine Verachtung der Erstarrung ist eine Haltung, die nicht einlöst, was er selbst immer gefordert hat: sich einzulassen auf die Wirkung von Prozessen und Institutionen. Für das Bewegungsideal des gegenwärtigen Latour mag eine solche Haltung des Erstarrens unmöglich scheinen. Aber seine rastlose Aktivität zwingt ihn zu immer neuem Engagement, und die Begründung hält eine These aus "Die Hoffnung der Pandora" bereit: "Es gibt keinen Punkt in der Geschichte, an dem man sich auf eine Art Trägheitskraft verlassen könnte, die die harte Arbeit der Wissenschaftler übernähme und in die Ewigkeit versetzte. Für Wissenschaftler gibt es keinen siebten Tag."
Doch das ist ein Zirkelschluß Latours. Ohne Ruhe gibt es keine Bewegung. Seine aktuelle Umtriebigkeit hat nichts mehr mit der zirkulären Referenz als Grundprinzip allen Daseins zu tun, sondern mit bloßem Aktionismus. Latour ist tatsächlich ein Ikonoklast, und er ist stolz darauf. Aber die intellektuelle Nabelschau läßt ihn kopflos erscheinen: ein Ikonoklast, der sein eigenes Image stürmt - und es zu zerstören droht.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruno Latour gehört mittlerweile zu den meistgeschätzten Soziologen der Gegenwart. Das dürfte seinen Grund zuvorderst darin haben, daß der Franzose uns Menschen scheinbar in Ruhe läßt und seine analytische Aufmerksamkeit statt dessen auf andere Gesellschaften konzentriert - auf die von Tieren, Institutionen oder einfach Dingen. Seine letzte große auf deutsch erschienene Studie trägt denn auch den Titel "Das Parlament der Dinge" und fordert nicht weniger als eine politische Vertretung für die Natur, weil nur so der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie zu lösen sei (F.A.Z. vom 4. Dezember 2001). Daß die Parlamentarier dann doch wieder Menschen sein müssen, bestreitet Latour nicht, und das macht ihn doppelt sympathisch: Derart kann die Menschheit doch wieder über alles entscheiden und dabei noch ein gutes Gewissen haben. So macht Soziologie Spaß.
Doch beiseite damit. Latour ist ein kluger Kopf, dem wir nicht nur eine exzellente Interpretation seines Spezialgebiets, der Wissenschaftsforschung, verdanken ("Die Hoffnung der Pandora"), sondern auch zahlreiche Aufsätze, die zum Luzidesten zählen, was theoretisches Schreiben in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Immer liegt dabei der Schwerpunkt auf dem, was sonst als Objekte oder Prozesse abgetan worden ist. Bei Latour erhält es personale Würde. Diese prinzipielle Gleichrangigkeit führt dazu, daß für ihn alles als mit allem verbunden betrachtet werden kann, und herauskommt dennoch nicht postmoderne Beliebigkeit (auch wenn eine Großzahl enttäuschter Poststrukturalisten in Latour eine neue Lichtgestalt entdeckt haben will), sondern ein systematischer Anspruch der Theorie, der im Verzicht auf Autarkie seinen Kern hat. Nur was Rücksicht auf seine Umgebung nimmt, kann als erfolgversprechendes Modell in unserer Welt gelten. Das klingt banal, aber wie Latour es beschreibt, ist es eindrucksvoll.
Darum ist es so enttäuschend, daß der große Prediger der "zirkulierenden Referenz" durch seinen hektischen Aktivismus derzeit in einen performativen Widerspruch zu geraten droht. Plötzlich ist Latour en vogue, und die Welle der Sympathie braust ihm so geräuschvoll entgegen, daß er seine Stimme überlaut erschallen läßt. "Ich versteh' von allem was", scheint seine neue Maxime zu sein, doch was zum Kuckuck zirkuliert denn hier? Latour stößt plötzlich an seine Grenzen, die Referenz bricht ab: So hat er unlängst den bevorstehenden Klimagipfel in Johannesburg eher schlicht als recht kommentiert (F.A.Z. vom 12. Mai) und in Karlsruhes ZKM gemeinsam mit sechs Kollegen aus aller Welt die Ausstellung "Iconoclash" zum Phänomen des Bildersturms zugrunde kuratiert (F.A.Z. vom 13. Mai).
Der Katalog zu der Karlsruher Schau wird von einem in Englisch verfaßten Essay Latours eingeleitet, der auch separat in deutscher Übersetzung erhältlich ist (Bruno Latour: "Iconoclash". Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkrieges? Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Merve Verlag, Berlin 2002. 77 S., Abb., br., 8,- [Euro]). Er zeigt eine neue Schwäche seines Autors: Selbstverliebtheit. Der Text erläutert das Programm der Ausstellung, das in theoretischer Erbschaft Foucaults als "Archäologie von Haß und Fanatismus" bestimmt ist. Thema von Latours knappen Ausführungen ist die Verehrung des Bildersturms, die just das vollziehe, was die Bilderstürmer selber kritisieren: blinden Glauben. Der besteht in der Objektivitätsvermutung gegenüber der eigenen Überzeugung, und Latour verkündet stolz, daß er selbst ein schönes Beispiel für das Paradox dessen darstellt, was er "Iconoclash" nennt: "Eine neue Wertschätzung für die Wissenschaft gilt als Zerstörung der Wissenschaft."
Damit greift er die Vorwürfe seiner Kritiker auf, daß seine These von der "sozialen Konstruktion" jeglicher Wissenschaft diese ihres autonomen Status beraube. So ist das, was Latour selbst als Liebeserklärung an die Wissenschaft betreibt - seine intensive Beschäftigung mit deren Ursprüngen und Entwicklung -, in anderen Augen eine Profanisierung, ein Bildersturm. Doch die Gegner, so Latour, lassen damit das Bild, das sie gegen die Übergriffe verteidigen wollen, gefrieren und isolieren es dadurch. Er aber plädiert für Bilder, die in Bewegung gehalten werden müssen, um in Beziehung zu anderen Phänomenen treten zu können.
"Du sollst dir kein erstarrtes Bildnis machen" - so lautet das Fazit des Essays. Latours Plädoyer für einen Ikonoklasmus, der Bilder nicht stürmt, sondern bestürmt, ist gewiß aller Ehren wert. Doch täte ihm selbst eine gewisse Erstarrung gut, die ja Zeichen auch von Ehrfurcht ist. Seine Verachtung der Erstarrung ist eine Haltung, die nicht einlöst, was er selbst immer gefordert hat: sich einzulassen auf die Wirkung von Prozessen und Institutionen. Für das Bewegungsideal des gegenwärtigen Latour mag eine solche Haltung des Erstarrens unmöglich scheinen. Aber seine rastlose Aktivität zwingt ihn zu immer neuem Engagement, und die Begründung hält eine These aus "Die Hoffnung der Pandora" bereit: "Es gibt keinen Punkt in der Geschichte, an dem man sich auf eine Art Trägheitskraft verlassen könnte, die die harte Arbeit der Wissenschaftler übernähme und in die Ewigkeit versetzte. Für Wissenschaftler gibt es keinen siebten Tag."
Doch das ist ein Zirkelschluß Latours. Ohne Ruhe gibt es keine Bewegung. Seine aktuelle Umtriebigkeit hat nichts mehr mit der zirkulären Referenz als Grundprinzip allen Daseins zu tun, sondern mit bloßem Aktionismus. Latour ist tatsächlich ein Ikonoklast, und er ist stolz darauf. Aber die intellektuelle Nabelschau läßt ihn kopflos erscheinen: ein Ikonoklast, der sein eigenes Image stürmt - und es zu zerstören droht.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Bruno Latour hat den Essay "Iconoclash" geschrieben, zu der gleichnamigen Ausstellung, deren Co-Kurator er war, und Julia Encke rezensiert ihn. Ausgehend vom Fall Mireille Breitwieser (man erinnere sich: die Mutter eines Kunsträubers, die dessen wertvolle Beute der hauseigenen Müllzerkleinerungsanlage übergab), stellt die Rezensentin Latours Essay die Frage nach einer möglichen Einordnung dieser Tat in die beschriebenen Kategorien von Bilderstürmern. Dass dies nicht so recht gelingen will, ist nicht verwunderlich, da Latours Bildzerstörungskonzept das Bild auf der symbolischen Ebene betrachtet. So bleibt es bei einer verlegenen Einordnung in die Kategorie der Ignoranten. Doch nun geht es ans Herzstück des Essays: die Gegenüberstellung der Begriffe "Ikonoklasmus" und "Iconoclash", deren Prämisse "Du sollst Dir kein Bildnis machen" und "Du sollst Dir kein erstarrtes Bild machen" lauten könnten. Encke sieht Latour auf der Seite der Transformation, also des "Iconoclash" und findet, er bediene sich damit, in seiner Apologie des "Iconoclash", einer ikonoklastischen Geste. Also der Ikonoklast des Ikonoklasmus durch "Iconoclash"? Die Vagheit, die sie Latour bescheinigt, scheint sich die Rezensentin selbst als Leitsatz - oder als Rettungsboot - gewählt zu haben. "Am Ende sind wir alle Ikonoklasten", schreibt Encke. Aber warum?
© Perlentaucher Medien GmbH
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