One hot August day a family drives to a mountain clearing to collect birch wood. Jenny, the mother, is in charge of lopping any small limbs off the logs with a hatchet. Wade, the father, does the stacking. The two daughters, June and May, aged nine and six, drink lemonade. But then something unimaginably shocking happens...
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2018Das Haar der verlorenen Tochter
Nach der Katastrophe: Emily Ruskovichs sinnlicher Debütroman über eine traumatisierte Familie
Sicherlich könnte die Amerikanerin Emily Ruskovich Tausende Seiten mit Erinnerungen an ihre Kindheit füllen, die sie in den 1990er-Jahren mit ihrer Familie auf einem unwegsamen Berggrundstück in Idaho verbracht hat. Erinnerungen an schneereiche Winter und flirrend heiße Sommertage bilden dann auch den Fond ihres ersten Romans, der um ein tragisches Ereignis kreist, welches das Glück einer Familie jäh beendet hat.
Was vermag Glück in Unglück zu verwandeln? Warum ist aus mütterlicher Zuwendung ein brutaler Gewaltakt geworden? Ruskovichs Roman nähert sich diesen Fragen aus wechselnden Figurenperspektiven und mit etlichen Zeitsprüngen von 1973 bis 2025, die Vor- und Nachgeschichte jenes Vorfalls erfassen, ohne eine explizite Antwort zu geben. Schon im ersten, mit fast hundert Seiten längsten Abschnitt sind diese Vor- und Rückblicke raffiniert verschränkt. Geht es der Protagonistin Ann doch darum, sich den Gestalten jener Tragödie empathisch zu nähern, denn ohne direkt dabei gewesen zu sein, war sie nicht unbeteiligt.
Manchmal sitzt Ann deshalb im alten, kaum noch genutzten Pick-up ihres Mannes Wade Mitchell und versucht zu begreifen, warum dessen erste Frau Jenny darin vor neun Jahren ihre jüngste Tochter erschlagen hat. Mit allen Sinnen und ihrem ganzen Einfühlungsvermögen sucht sie das Rätsel jenes heißen Sommertages zu ergründen, der May ins Grab und Jenny in lebenslange Haft gebracht hat und der deren ältere Tochter June in die Wälder fliehen ließ, wo sich ihre Spur verlor.
Verloren geht auch das Erinnerungsvermögen Wades, der wie sein Vater früh einer Demenzerkrankung erliegen wird. So beschreibt Emily Ruskovichs Debütroman den Verfall einer Familie, auf der die Schatten der Vergangenheit wie der Zukunft lasten, und erzählt zugleich von deren frühen Jahren voller Zuversicht, in denen die Mitchells auf ihrem Berggrundstück dem Gewicht der Welt zu trotzen meinten. „Idaho“ ist ein ungemein sinnlicher Roman. Der letzte Geruch im Haar einer verlorenen Tochter war hier der eines brennenden Mäusenests, den ein altes Paar Hirschlederhandschuhe bewahrt hat. An jenem Tag nämlich, als die arglose Familie ihrem Untergang entgegenfuhr, war dieses Nest, das ebenso arglose Mäuse unter der Motorhaube gebaut hatten, in Flammen aufgegangen. Indem sie Wade und Ann solche Erinnerungen teilen lässt, beschwört Ruskovich eine tiefe Empathie herauf, die beide trotz seines geistigen Verfalls verbindet. Menschen, die einander so nahe sind, fällt es oft schwer, solche Nähe zu ertragen, und sie empfinden es doch als Zurückweisung, wenn die anderen sich abschotten. Was könnte einen einfühlsamen Menschen mehr verletzen, als das drohende Abreißen einer geradezu symbiotischen Verbindung?
So untröstlich May ist, wenn die Zimmertür ihrer älteren Schwester sich vor ihr verschließt, so erschüttert ist Jenny, als sie erkennt, dass June ihre scheinbar abgelegten Puppen durchaus noch bewegt, dass dieses Puppentheater aber – unerreichbar für sie als Mutter – nunmehr im Kopf ihrer Ältesten stattfindet. Anns Versuche, sich jenem tragischen, nie direkt beschriebenen Ereignis zu nähern, führen immer wieder auch zu ihr selbst zurück. Sie war für May und ihren Vater die Musiklehrerin und für Wade vielleicht auch schon etwas mehr. Hatte May in jedem fatalen Moment auf dem Rücksitz des Pick-ups vielleicht ein Lied angestimmt, in dem Jenny die Stimme einer anderen erkannt hat? Galt jener Axthieb eigentlich ihr?
Es zählt zu den Privilegien des Erzählens, solche Fragen aufzuwerfen, ohne darauf eindeutige Antworten geben zu müssen. Was geschehen ist, ist geschehen. Erklärungsversuche bleiben spekulativ. Auf einen Schlag ist Jenny aus den engen Familienbanden ihrer Bergwelt in die Enge einer Gefängniszelle versetzt worden, aus der Fülle des Lebens in eine karge Welt, wo ein Sonnenuntergang vor dem Gefängnisfenster auf eine Weise beschrieben wird, die sich bei dem frühen Samuel Beckett bedient: „Das Licht fällt, auch wenn es nichts gibt, worauf zu fallen sich lohnt.“ Aber Jenny hat immerhin eine Zellengenossin, derer sie sich ähnlich selbstlos annimmt, wie Jane sich Wades angenommen hat, bevor der an seiner Demenz gestorben ist. Und dank Anns Hartnäckigkeit hat sich auch zwischen ihrer einsamen Bergidylle und der Kargheit von Jennys Zelle eine Verschränkung ergeben, die am Ende in einer kurzen Begegnung mündet, mit der die Handlung sich rundet: „Zum ersten Mal lacht sie ein wenig“, heißt es am Schluss über Jenny, und das signalisiert, dass es vom Fluch der bösen Tat vielleicht doch eine Art Befreiung gibt. So endet dieses dramaturgisch wie sprachlich meisterliche Debüt mit einer glücklichen Wendung, die überraschen mag, jedoch erzählerisch ebenso subtil entwickelt ist, wie jene schreckliche, um die der Roman kreist. Noch in jener Szene unfassbaren Schreckens schimmert in „Idaho“ das Glück einer Kindheit durch.
ULRICH BARON
Emily Ruskovich: Idaho. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Verlag, Berlin 2018. 380 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Was könnte einen Menschen
mehr verletzen, als das Ende
einer symbiotischen Beziehung?
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nach der Katastrophe: Emily Ruskovichs sinnlicher Debütroman über eine traumatisierte Familie
Sicherlich könnte die Amerikanerin Emily Ruskovich Tausende Seiten mit Erinnerungen an ihre Kindheit füllen, die sie in den 1990er-Jahren mit ihrer Familie auf einem unwegsamen Berggrundstück in Idaho verbracht hat. Erinnerungen an schneereiche Winter und flirrend heiße Sommertage bilden dann auch den Fond ihres ersten Romans, der um ein tragisches Ereignis kreist, welches das Glück einer Familie jäh beendet hat.
Was vermag Glück in Unglück zu verwandeln? Warum ist aus mütterlicher Zuwendung ein brutaler Gewaltakt geworden? Ruskovichs Roman nähert sich diesen Fragen aus wechselnden Figurenperspektiven und mit etlichen Zeitsprüngen von 1973 bis 2025, die Vor- und Nachgeschichte jenes Vorfalls erfassen, ohne eine explizite Antwort zu geben. Schon im ersten, mit fast hundert Seiten längsten Abschnitt sind diese Vor- und Rückblicke raffiniert verschränkt. Geht es der Protagonistin Ann doch darum, sich den Gestalten jener Tragödie empathisch zu nähern, denn ohne direkt dabei gewesen zu sein, war sie nicht unbeteiligt.
Manchmal sitzt Ann deshalb im alten, kaum noch genutzten Pick-up ihres Mannes Wade Mitchell und versucht zu begreifen, warum dessen erste Frau Jenny darin vor neun Jahren ihre jüngste Tochter erschlagen hat. Mit allen Sinnen und ihrem ganzen Einfühlungsvermögen sucht sie das Rätsel jenes heißen Sommertages zu ergründen, der May ins Grab und Jenny in lebenslange Haft gebracht hat und der deren ältere Tochter June in die Wälder fliehen ließ, wo sich ihre Spur verlor.
Verloren geht auch das Erinnerungsvermögen Wades, der wie sein Vater früh einer Demenzerkrankung erliegen wird. So beschreibt Emily Ruskovichs Debütroman den Verfall einer Familie, auf der die Schatten der Vergangenheit wie der Zukunft lasten, und erzählt zugleich von deren frühen Jahren voller Zuversicht, in denen die Mitchells auf ihrem Berggrundstück dem Gewicht der Welt zu trotzen meinten. „Idaho“ ist ein ungemein sinnlicher Roman. Der letzte Geruch im Haar einer verlorenen Tochter war hier der eines brennenden Mäusenests, den ein altes Paar Hirschlederhandschuhe bewahrt hat. An jenem Tag nämlich, als die arglose Familie ihrem Untergang entgegenfuhr, war dieses Nest, das ebenso arglose Mäuse unter der Motorhaube gebaut hatten, in Flammen aufgegangen. Indem sie Wade und Ann solche Erinnerungen teilen lässt, beschwört Ruskovich eine tiefe Empathie herauf, die beide trotz seines geistigen Verfalls verbindet. Menschen, die einander so nahe sind, fällt es oft schwer, solche Nähe zu ertragen, und sie empfinden es doch als Zurückweisung, wenn die anderen sich abschotten. Was könnte einen einfühlsamen Menschen mehr verletzen, als das drohende Abreißen einer geradezu symbiotischen Verbindung?
So untröstlich May ist, wenn die Zimmertür ihrer älteren Schwester sich vor ihr verschließt, so erschüttert ist Jenny, als sie erkennt, dass June ihre scheinbar abgelegten Puppen durchaus noch bewegt, dass dieses Puppentheater aber – unerreichbar für sie als Mutter – nunmehr im Kopf ihrer Ältesten stattfindet. Anns Versuche, sich jenem tragischen, nie direkt beschriebenen Ereignis zu nähern, führen immer wieder auch zu ihr selbst zurück. Sie war für May und ihren Vater die Musiklehrerin und für Wade vielleicht auch schon etwas mehr. Hatte May in jedem fatalen Moment auf dem Rücksitz des Pick-ups vielleicht ein Lied angestimmt, in dem Jenny die Stimme einer anderen erkannt hat? Galt jener Axthieb eigentlich ihr?
Es zählt zu den Privilegien des Erzählens, solche Fragen aufzuwerfen, ohne darauf eindeutige Antworten geben zu müssen. Was geschehen ist, ist geschehen. Erklärungsversuche bleiben spekulativ. Auf einen Schlag ist Jenny aus den engen Familienbanden ihrer Bergwelt in die Enge einer Gefängniszelle versetzt worden, aus der Fülle des Lebens in eine karge Welt, wo ein Sonnenuntergang vor dem Gefängnisfenster auf eine Weise beschrieben wird, die sich bei dem frühen Samuel Beckett bedient: „Das Licht fällt, auch wenn es nichts gibt, worauf zu fallen sich lohnt.“ Aber Jenny hat immerhin eine Zellengenossin, derer sie sich ähnlich selbstlos annimmt, wie Jane sich Wades angenommen hat, bevor der an seiner Demenz gestorben ist. Und dank Anns Hartnäckigkeit hat sich auch zwischen ihrer einsamen Bergidylle und der Kargheit von Jennys Zelle eine Verschränkung ergeben, die am Ende in einer kurzen Begegnung mündet, mit der die Handlung sich rundet: „Zum ersten Mal lacht sie ein wenig“, heißt es am Schluss über Jenny, und das signalisiert, dass es vom Fluch der bösen Tat vielleicht doch eine Art Befreiung gibt. So endet dieses dramaturgisch wie sprachlich meisterliche Debüt mit einer glücklichen Wendung, die überraschen mag, jedoch erzählerisch ebenso subtil entwickelt ist, wie jene schreckliche, um die der Roman kreist. Noch in jener Szene unfassbaren Schreckens schimmert in „Idaho“ das Glück einer Kindheit durch.
ULRICH BARON
Emily Ruskovich: Idaho. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Verlag, Berlin 2018. 380 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Was könnte einen Menschen
mehr verletzen, als das Ende
einer symbiotischen Beziehung?
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I love Idaho for the sparse beauty of its prose, the unsolvable mystery at its heart, the cleverly constructed non-linear narrative and its preoccupations... which so closely match my own Paula Hawkins Guardian